Debatte über Geschwindigkeitsbegrenzung: Autobauer glauben an Tempo 130

Früher machte die Industrie beim Thema Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen Krawall. Nun schlagen VW und Co. moderatere Töne an.

Ein Mann mit oranger Arbeitskleidung steht auf einer Leiter und montiert ein Tempo-130-Schild

Ein neues Schild auf der A 24 bei Suckow Foto: dpa

BERLIN taz | Für Armin Laschet ist es „Symbolpolitik“ und eine „unsinnige“ Debatte. „Wenn Sie Nordrhein-Westfalen sehen: So viele Straßen gibt es gar nicht, wo Sie tagsüber über 130 fahren können“, begründet der Ministerpräsident des Kohlelandes NRW und Kanzlerkandidat der Union seine Ablehnung eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen.

Nach jahrzehntelangen heftigen Diskussionen hat am Mittwoch ein wichtiger Mitstreiter bei dem Konflikt seine Position geändert: die deutschen Autokonzerne. VW, BMW und Daimler stellen sich auf ein Tempolimit nach der Bundestagswahl im September ein – und würden es wohl kampflos hinnehmen. „Wir verkaufen unsere Autos auf der ganzen Welt, auch in den Ländern mit Tem­po­li­mit“, begründete VW-Chef Herbert Diess dem Han­dels­blatt gegenüber seine neue Haltung. Für wichtiger als ein Tempolimit hält die Branche Staatsprämien beim Kauf von E-Autos und die Förderung eines bundesweiten Netzes von Ladesäulen.

Offiziell werden sich Hersteller und Branchenverband VDA weiter für „situationsabhängige Tempolimits“ aussprechen, also automatisch angezeigte Geschwindigkeitsbegrenzungen je nach Witterung oder Unfallgefahr. Tatsächlich rechnen sie aber nach der Bundestagswahl mit einer Regierungsbeteiligung der Grünen. Deren Parteivorsitzender Robert Habeck hat ein Tempolimit auf Autobahnen zur Bedingung für eine grüne Regierungsbeteiligung gemacht.

Jahrzehntelang hatte die Autobranche mit ihren rund 800.000 Beschäftigten das Tempolimit als Reizthema behandelt, bis heute vor allem gestützt von Union, FDP – und dem ADAC.

„Unrealistisches Kriechtempo“

Der Autoclub mit seinen derzeit 21 Millionen Mitgliedern ist seit jeher eine Keimzelle des Widerstands gegen das „unrealistische Kriechtempo“: Bereits im Februar 1974 hatte der ADAC eine Kampagne gegen den damaligen viermonatigen Tempo-100-Versuch auf den Bundesautobahnen gestartet. SPD-Bundesverkehrsminister Georg Leber wollte etwas gegen die vielen Unfälle und Verkehrstoten tun. Der ADAC war dagegen. Slogan damals: „Freie Bürger fordern freie Fahrt.“

Mit Geschwindigkeitsbegrenzung leide der Standort Deutschland, fügte die Autoindustrie mit den Jahren ein weiteres Argument hinzu. Wenn es keine „Teststrecken“ im Land gebe, könnten die deutschen Konzerne ihre schnellen Boliden nicht so gut ins Ausland exportieren.

Der Autoverband VDA listet – immer noch – zehn Argumente gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf: Die deutschen Autobahnen seien schon sicher, Geschwindigkeitsbegrenzungen erhöhten den „Frustrations- und Stresslevel des Autofahrers“ und führten zu „riskantem Verhalten“, die Einsparungen bei den CO2-Emissionen seien nur minimal.

Das ist relativ: Das Umweltbundesamt wies im vergangenen Jahr nach, dass Tempo 130 auf den Autobahnen 1,9 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen könnte. Zum Vergleich: Der innerdeutsche Flugverkehr verursacht 2,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr – und damit etwa 0,3 Prozent der gesamten deutschen CO2-Emissionen.

„Bei Tempo 160 Reichweitenverlust beachtlich“

Allerdings: „Für jene, die meinen, das sei nicht viel: 55 Länder der Welt verursachen in einem Jahr insgesamt weniger Emissionen als diese 1,9 Mio Tonnen CO2“, schreibt Reinhard Steurer, Professor vom Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik der Universität für Bodenkultur in Wien, auf Twitter – und nennt das afrikanische Mali mit etwa 20 Millionen Einwohnern.

Ein wichtiges Argument für den Schwenk der Autokonzerne ist die E-Mobilität: In der elektrischen Welt wird langsamer gefahren, weil die Fahrzeuge bei höheren Geschwindigkeiten schneller an Reichweite verlieren. „Bei 160 ist der Reichweitenverlust schon beachtlich, Tempo 200 fährt man nur für kurze Zeit“, sagte Diess.

Zudem hat sich die gesellschaftliche Diskussion durch die Klimaproteste gedreht. 2019 hat auch die SPD im Bundestag noch gegen ein Tempolimit gestimmt, heute fordert sie zusammen mit den Grünen Tempo 130, die Linke will nicht mehr als 120 Stundenkilometer auf der Autobahn.

Die Argumente sind klar: Mehr Sicherheit und erhöhte Kapazität der Straßen, weniger Energieverbrauch, weniger Lärm und Schadstoffe. Selbst die IG Metall mit mehreren hunderttausend Beschäftigten in der Branche erklärt sich mittlerweile bei dem Thema für „neutral“.

In der vergangenen Woche pochte auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) auf das Tempolimit: Es sei eine „kostengünstige und einfach umzusetzende Maßnahme, die Verkehrssicherheit zu erhöhen“. Sicherlich habe ein Tempolimit auf Autobahnen nicht den selben Effekt wie etwa Tempo 80 auf schmalen Landstraßen. „Für uns zählt aber jedes Menschenleben“, sagte DVR-Präsident Walter Eichendorf.

Übrigens sind auch die Mitglieder des ADAC inzwischen für eine Geschwindigkeitsbegrenzung: Laut einer Umfrage sprechen sich die Mitglieder der Vereinigung zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder pro Tempolimit aus.

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