Debatte Israelkritik: Nein, du darfst nicht
Es gibt kein Menschenrecht auf Israelkritik. Schon gar nicht für Deutsche. Dass du nicht darfst, heißt übrigens nicht, dass du in der Sache recht hättest.
E in Gutes hatten die antisemitischen Parolen auf den Demonstrationen: Seither gibt es etwas, was man hierzulande nur noch aus Studien kannte: leibhaftige Antisemiten. Die heißen Mohammed und Laila und Kemal und rufen Dinge, die sich nicht gehören.
Ein weiterer Effekt dieser Demonstrationen: Sie setzen Maßstäbe dafür, was Antisemitismus ist. Und, klar, gemessen an „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“, ist alles andere gemäßigt – Gedichte von ehemaligen Waffen-SS-Männern, Karikaturen in extremliberalen Zeitungen, die täglich dutzendfach gedruckte Forderung, gegenüber Israel mal Kante zu zeigen.
Denn darin sind sich fast alle Kommentatoren und ihre Leser einig: Natürlich dürfe man Israel kritisieren – ganz so, als ob man Leben und Eigentum riskieren würde, wenn man das macht. Dieselbe verlogene Figur, die auch aus anderen Zusammenhängen sattsam bekannt ist: Man wird ja wohl noch sagen dürfen.
Du kommst hier nicht raus
Ja, du darfst es und du tust es. Aber es ist moralisch nicht richtig. Denn, nein, du darfst nicht. Es gibt kein Menschenrecht auf Israelkritik. Und schon gar nicht für dich. Nicht als Nachkomme jener Leute, die die Vernichtung der Juden von Europa geplant und durchgeführt haben. Nicht als Nachkomme jener, die sich am Holocaust bereichert haben. Nicht als Mitarbeiter von Bayer, Degussa oder Volkswagen. Nicht als Angehöriger eines Milieus, das in den neunziger Jahren Technopartys in arisierten Immobilien feierte. Gar nicht. Du bist Deutscher, aus der Nummer kommst du noch in tausend Jahren nicht raus.
Dieser moralische Imperativ gilt auch, wenn dein Opa nicht in der Wehrmacht dazu beitrug, dass hinter der Front die Gaskammern laufen konnten. Es gibt nämlich kein Deutschland ohne Auschwitz – kein Multikultideutschland, kein linkes Deutschland, kein besseres Deutschland, gar keins.
Wenn dir die Menschenrechte im Nahen Osten so am Herzen liegen, dann finden sich für dich andere Themen. Die Situation der Palästinenser in Syrien zum Beispiel, die zwischen den Truppen des Assad-Regimes und den liebevoll „Rebellen“ genannten islamistischen Milizen eingeschlossen sind.
Unerheblich ist dabei, dass es in Israel Leute gibt, die die eigene Regierung kritisieren. Dass sie es tun, zeigt, was Israel von allen anderen Staaten der Region unterscheidet. (Auf der anderen Seite muss man lange nach Leuten suchen, die aus Empathie mit der israelischen Bevölkerung die Hamas ebenso wie die PLO kritisieren. Die Disziplin Palästinakritik ist noch nicht erfunden.)
Alles unverhältnismäßig
Aber dass linke Israelis oder jüdische Linke außerhalb Israels das können, heißt noch lange nicht, dass du das auch darfst. Diese Trennung ist scharf und für dich, der du dich als mündiger Bürger fühlst, der sich von niemandem (außer vielleicht von deinem Chef) den Mund verbieten lässt, ungewohnt. Aber diese Schärfe entspricht der Schärfe der Trennung zwischen jenen, die selektiert wurden, und jenen, die selektiert haben.
Dass du besser die Klappe hältst, heißt übrigens noch lange nicht, dass du in der Sache recht hättest. So gelten die Luftschläge gegen Stellungen der Hamas als unverhältnismäßig. Aber wenn Israel stattdessen mit Bodentruppen in den Gazastreifen einmarschieren würde, würde das ebenfalls als unverhältnismäßig gelten. Als unverhältnismäßig gelten die Blockade des Gazastreifens oder Sanktionen gegen die Autonomiebehörde. Wer Israel Unverhältnismäßigkeit vorwirft, verlangt, dass Israel auf die dauernde Aggression durch die Hamas gar nicht reagiert. Erstaunlich in einem Land, das einst wegen ein paar chirurgischer RAF-Operationen fast kirre wurde und in dem ein paar Bengalos in Fußballstadien als Gewaltexzess gelten.
Als gemäßigt gilt, sich von beiden Seiten zu distanzieren – von einer Terrorgruppe bekennender Antisemiten wie der Hamas wie von einem demokratischen Staat, der seine Bürger zu schützen versucht. Aber klar: Gemessen am Holocaust, sind die Raketen der Hamas nichts, was eine Reaktion erfordern würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an