Coronamaßnahmen in Deutschland: Hört auf den Koran

Gesicht verdecken, Alkoholverbot, Senior*innen schützen oder Händewaschen. Die lebensrettenden Maßnahmen in der Pandemie stehen so auch schon im Koran.

Ein aufgeschlagenes Buch

Wann immer wir in der Schule etwas lernten, sagte mein Schulkamerad: „Steht exakt so im Koran!“ Foto: h9images/imago images

„Der Islam ist die Lösung!“ So zumindest behauptete es ein nerviger Schulkamerad von mir auf dem Gymnasium in Marokko andauernd. Jedes Mal, wenn wir eine neue Lektion im Bio-, Mathe- oder Physikunterricht gelernt hatten, sagte er trocken: „Steht exakt so im Koran!“ Er zitierte dann eine Stelle aus dem heiligen Buch der Muslim*innen, um seine Behauptung zu unterstreichen. Menschliche Fortpflanzung, Trigonometrie, ja selbst bei der Relativitätstheorie sagte er einen passenden Vers auf.

Ich weiß nicht mehr, welchen er jeweils angeführt hat, und ärgere mich, dass ich und der Rest der Klasse ihm eigentlich nie wirklich zugehört haben. Wie sehr würde ich heute bei Debatten in Almanya gerne spontan passende Koranverse aus dem Hut zaubern!

Ich bin mir sicher, der Möchtegern-Imam aus meiner Schule hätte im Deutschland der Gegenwart großen Spaß. In Zeiten lebensrettender Coronamaßnahmen werden immer mehr Regeln aufgestellt und diskutiert. Alle – würde mein ehemaliger Mitschüler sagen – stehen exakt so im Koran: Alkoholverbot, Gesichtsbedeckung, regelmäßiges und gründliches Händewaschen, Senior*innen ehren und schützen, die Schwächsten in der Gesellschaft solidarisch unterstützen, auf die Wissenschaft hören … Ich war neulich in einem Schulgebäude für einen Vortrag und auf einem Zettel stand dort folgender Satz: „Wir respektieren uns und geben uns nicht die Hand!“ Oh! My! Allah!

Sogar gegen die in Europa grassierende Schweinepest kennt der Koran die beste Lösung. Mein Frühstück ist zumindest seit 1988 Schweine(pest)-frei (siehe: Sure Die Kuh, 2:173). Take that, Clemens Tönnies!

Interpretationen zulässig

Nun sind Witze über die Islamisierung des Abendlandes während der Pandemie so was von April 2020. Damals schon wurden Kalifate ausgerufen und vorhergesagt, dass wir bald alle in Burka rumlaufen würden. Diesen Musel-Humor verstehen AfDler*innen gerne falsch und basteln hässliche Instagram-Kacheln daraus. Dabei gibt es natürlich nicht „den Islam“.

Im Gegenteil: Der anarchische Charakter dieser Dachreligion lässt viele Projektionen, Interpretationen und Praktiken zu. Dementsprechend hat mein Mitschüler immer einen passenden Vers zu seinen Behauptungen gefunden. Deswegen kann auch ich an dieser Stelle sagen: Christian Drosten, lies (den Koran)! Im Namen deines Herrn, der (auch dich) erschuf (Sure Alaq, 96:1).

Die islamische Anarchie muss man sich ungefähr so vorstellen: Im Islam ist das so wie im deutschen Föderalismus. Es gibt 16 verschiedene Schulen und jede Schule interpretiert die Gesetze und Philosophien dahinter anders. Am Ende sind alle ein bisschen verwirrt und googeln „Hotel Beherbergungsverbot Sachsen-Anhalt Corona übernachten erlaubt oder nicht“, dann erscheinen auf der ersten Ergebnisseite mindestens drei Rechtsgutachten, die sich komplett widersprechen, und am Ende realisieren alle: Sachsen-Anhalt ist eh haram.

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Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Bei Twitter schreibt er unter dem Handle @mamjahid, bei Instagram @m_amjahid. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen.

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