CDU-Vize Karin Prien über Parteikurs: „Der Zeitgeist ist konservativer“
CDU-Bundesvize Karin Prien verteidigt das neue Grundsatzprogramm der Partei. Ein Gespräch über Leitkultur und das Grundrecht auf Asyl.
taz: Frau Prien, Sie sind stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und gelten als liberale Christdemokratin. Ihre Partei stellt sich in ihrem neuen Grundsatzprogramm deutlich konservativer auf als zuvor – mit Ihrem Segen. Wie passt das zusammen?
Karin Prien: Die Themen haben sich verschoben. Die Lage der Wirtschaft, äußere wie innere Sicherheit und schließlich Migration sind die Themen, die die Menschen und dementsprechend auch uns bewegen. Wir müssen überzeugende Antworten geben, nicht zuletzt weil die liberale Demokratie immer stärker unter Druck gerät.
Ihre Kurskorrektur ist eine Antwort auf den Zeitgeist?
Ich würde tatsächlich sagen, dass der Zeitgeist heute konservativer, die Gesellschaft insgesamt ein Stück nach rechts gerückt ist. Und natürlich muss man Mitte der 2020er andere Antworten finden als noch vor zehn oder zwanzig Jahren.
Die CDU will sich auf ihrem Bundesparteitag Anfang Mai in Berlin ein neues Grundsatzprogramm geben. Es wird das vierte in der Geschichte der Partei sein. Der Entwurf, der unter der Federführung von Generalsekretär Carsten Linnemann erarbeitet worden ist, ist 72 Seiten lag. Es gibt über 2.000 Änderungsanträge. Die Partei stellt sich damit konservativer auf. Auf dem Parteitag werden auch der Vorsitzende Friedrich Merz, seine fünf Stellvertreter*innen und der gesamte Bundesvorstand neu gewählt.
Eine Ihrer Antworten ist das Bekenntnis zur Leitkultur. Das klingt nicht modern, sondern nach letztem Jahrhundert und dem Friedrich Merz von früher. Muss das wirklich sein?
Man mag sich über den Begriff streiten, aber richtig ist, dass es ein kulturelles Minimum braucht, das eine Gesellschaft verbindet, damit sie Vielfalt aushalten kann. Ich finde diesen Gedanken außerordentlich wichtig und würde mich weniger an dem Begriff abarbeiten.
Die Grundlage des Zusammenlebens ist das Grundgesetz, warum reicht das nicht?
Es geht auch darum, was uns historisch verbindet. Zum Beispiel kann man unser besonderes Verhältnis zu Israel nur aus der deutschen Geschichte heraus erklären. Jedem, der neu zu uns kommt, müssen wir erklären, warum das für uns eine so große Bedeutung hat. Auch unser Verhältnis zu Polen oder Frankreich hat viel mit gemeinsamer Geschichte zu tun. Unsere Sprache, Kunst und Kultur, das sind zumindest Dinge, die man kennen muss. Genauso wie wir das, was Einwanderer mitbringen, kennenlernen müssen. Leitkultur ist nichts Statisches, sondern etwas, was sich ständig weiterentwickelt.
Jahrgang 1965, ist stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und Bildungsministerin in Schleswig-Hostein. Sie wird dem liberalen Flügel der Partei zugerechnet und ist Sprecherin des Jüdischen Forums der CDU.
Aber Einwanderer blicken anders auf die deutsche Geschichte. Ihr ehemaliger Generalsekretär Ruprecht Polenz sagt, eine Leitkultur sei übergriffig. Er hat beantragt, den Begriff aus dem Grundsatzprogramm zu streichen. Ist da nicht was dran?
Ich schätze Ruprecht Polenz sehr, aber da bin ich anderer Meinung.
Nächster Streitpunkt: der Umgang mit dem Islam und den Muslimen. Warum picken Sie sich eine Religion raus? Verfassungsfeinde gibt es auch in anderen Religionen.
Richtig, es gibt zumindest Radikale in allen Religionsgemeinschaften. Aber es gibt eben kaum extremistische Christen und Juden in Deutschland. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der politische Islam und seine extremistische Ausprägung bis hin zum Terrorismus ein besonderes Bedrohungspotential haben.
An der Formulierung gab es viel Kritik, muslimische Verbände sprachen von Generalverdacht, deshalb heißt es jetzt: „Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.“ Christian Wulff als Bundespräsident und Wolfgang Schäuble als Innenminister haben gesagt: „Der Islam ist Teil Deutschlands.“ Gilt das nicht mehr?
Doch, das gilt. Wir haben uns in der Antragskommission auf eine Formulierung geeinigt, bei der der von Ihnen zitierte Satz erst an dritter Stelle steht. Vorher heißt es, dass die Muslime Teil unserer religiösen Vielfalt und unserer Gesellschaft sind. Das heißt, dass es keinen Generalverdacht gibt und dass die Muslime, die in Deutschland leben, selbstverständlich zu uns gehören. Aber wir grenzen uns von einem politischen Islam ab, der die Werte, die für uns unverhandelbar sind, nicht teilt.
Der Satz „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ steht wieder nicht im Grundsatzprogramm. Warum kann sich die CDU dazu nicht durchringen?
Den würden inzwischen wahrscheinlich alle Mitglieder unterschreiben und Friedrich Merz hat das bei den Veranstaltungen zum Grundsatzprogramm auch so gesagt. Aber wir wollen eben differenzieren zwischen Arbeits- und Fachkräften, die wir bei uns willkommen heißen, und Flucht und Migration, die wir besser steuern und begrenzen müssen.
Sie beerdigen dafür das Grundrecht auf Asyl, das als Reaktion auf die Nazi-Diktatur im Grundgesetz steht. Ihre Vorfahren, Frau Prien, wurden von den Nazis verfolgt. Können Sie das trotzdem mittragen?
Ich unterstütze ohne jede Einschränkung das Recht auf politisches Asyl. Wenn wir über die Begrenzung von Migration sprechen, dann geht es insbesondere um die Menschen, die aus anderen Gründen fliehen. Das ist individuell nachvollziehbar, zieht aber kein Recht auf politisches Asyl nach sich. Häufig bleiben diese Menschen dennoch bei uns. Oft kommen sie mit Schleppern über das Mittelmeer und über gefährliche Fluchtwege, das ist ein Zustand, den wir nicht unterstützen sollten. Zumal wir, was die Infrastruktur zum Beispiel bei Kitas, Schulen und auch beim Wohnen angeht, an Grenzen kommen.
In Ihrem Entwurf steht: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Fall eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren.“ Das heißt, auch politisch Verfolgte sollen nicht in Deutschland aufgenommen werden, mit Ausnahme eines willkürlich festgelegten Kontingents. Das ist das Ende des Grundrechts auf Asyl.
Ich bin nicht dafür, das Recht auf politisches Asyl aus dem Grundgesetz zu streichen und das steht auch nicht in unserem Grundsatzprogramm. Und ich sehe im Moment auch nicht, dass wir diesen Weg, der da beschrieben wird, umsetzen können. Aber ich bin dafür, dass wir mit Drittstaaten ins Gespräch kommen, um Migrationsabkommen zu schließen und Verfahren dorthin zu verlagern.
Ist es redlich, etwas ins Grundsatzprogramm zu schreiben, was derzeit nicht umsetzbar ist und nach Einschätzung vieler Experten auch nicht sein wird, wenn man sich an geltendes Recht hält?
Ich glaube, es ist ein ganz klares Signal, das wir als Union einräumen müssen: Sätze wie der des Kanzlers – „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ – sind keine Lösung für die Migrationsfrage. Sie sind aus vielen Gründen nicht umsetzbar. Da muss man sich ehrlich machen. Deshalb müssen wir früher ansetzen und Wege finden, den Zuzug zu begrenzen.
Kritiker sagen, das klingt alles auch ein bisschen nach AfD light. Ist das der richtige Weg, diese extrem rechte Partei zu bekämpfen?
Es ist infam, alles, was rechts von einem selbst stattfindet, in die Nähe der AfD zu rücken. Das sollten wir als Demokraten nicht tun. Menschen in diesem Land neigen auch zum Populismus, weil sie sich nicht mehr repräsentiert fühlen und mit ihren Meinungen gleich in die rechte Ecke gestellt werden. Wer gegen die Begrenzung und für das Ordnen von Migration ist, ist noch lange kein Rechtsextremist. Man denke an die dänischen Sozialdemokraten oder an Präsident Macron.
Was ist in der Partei strittig am Entwurf des Grundsatzprogramms? Wo erwarten Sie Debatten auf dem Parteitag?
Es kann sein, dass wir die Stelle über den Islam noch diskutieren, auch wenn wir als Antragskommission einen guten Kompromissvorschlag gemacht haben. Ich vermute, dass wir bei der Kernenergie, der Wehrpflicht, im Bereich Sozialpolitik und eventuell zum Thema Gleichstellung noch einmal eine Debatte bekommen.
Es gibt Anträge, die wollen das Ziel der Gleichstellung von Mann und Frau aus dem Programm streichen. Das wurde auf dem letzten Parteitag bereits heftig diskutiert und am Ende abschlägig entschieden. Aber die Konservativen in der Partei geben offensichtlich nicht auf.
Ja, das muss man so sehen und ich finde das schwierig. Die Diskussion war intensiv, die Abstimmung eindeutig. Dabei sollte es bleiben.
Eingeführt haben Sie beim letzten Parteitag auch eine – recht weiche – Frauenquote. Doch im Vorfeld des Parteitags wurden zwei prominenten Frauen, der hessischen Fraktionschefin Ines Claus und Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung, von der Kandidatur auf Spitzenämter abgehalten, damit es nicht zu viel Konkurrenz gibt. So richtig voran geht es nicht, oder?
Für mich könnte es tatsächlich schneller vorangehen, sowohl was den Bundesvorstand als auch was die Listenaufstellung zu Landtagswahlen oder die Landesvorstände angeht. Aber jetzt ging es konkret auch darum, dass wir ein gutes Team haben, das die Partei zusammengeführt und das Grundsatzprogramm auf den Weg gebracht hat. Und wir haben mit Friedrich Merz und Carsten Linnemann zwei eher Wirtschaftsliberale an der Spitze, insofern ist es richtig, dass mit Karl-Josef Laumann eine starke Stimme des Sozialflügels stellvertretender Vorsitzender werden soll. Und dann hätten wieder Frauen gegen Frauen kandidiert.
Damit wäre auch Ihr Posten als Vize gefährdet gewesen .
Selbstverständlich, ich komme aus einem kleinen Landesverband. Ich fand es sehr fair, dass Ines Claus gesagt hat, es sei nicht ihr Ziel, andere Frauen zu verdrängen, und ich freue mich, dass sie weiter für das Präsidium kandidiert.
Noch zu einem ganz anderen Thema. Die Schuldenbremse soll im Grundsatzprogramm verankert werden. Sie haben sich, wie Ihr Ministerpräsident Daniel Günther, für eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen. Warum?
Die Schuldenbremse war und ist richtig. Ich bleibe dabei, dass es zunächst eine intensive Bemühung zur Nutzung von Einsparpotentialen des Bundes- und der Landeshaushalte braucht. Danach könnte aber eine Debatte zur Nachjustierung der Schuldenbremse notwendig sein. Das gilt gerade mit Blick auf die Länder, bei denen die Regeln noch viel strenger sind. Unsere Haushaltslage ist mehr als angespannt. Diese Ansicht teilen viele Ministerpräsidenten auch der CDU. Ich sage das als Landesministerin, die die Auswirkungen auf die kommenden Haushalte mit großer Sorge sieht.
Kai Wegner, Berlins Regierender Bürgermeister von der CDU, will eine Reform der Schuldenbremse über eine Bundesratsinitiative anstoßen, und die Unterstützung aus den CDU-regierten Ländern scheint ziemlich groß zu sein. Nur hat Friedrich Merz, der ja nicht nur Parteivorsitzender, sondern auch Chef der Bundestagsfraktion ist, sich klar gegen jede Veränderung bei der Schuldenbremse positioniert. Kommt eine Initiative der Länder erst nach dem Parteitag, um Merz vorher nicht zu schwächen?
Politik ist ja immer auch die Betrachtung des Möglichen und ich plädiere sehr dafür, dass wir als Union bei diesem Thema versuchen, beieinander zu bleiben. Bund und Länder haben unterschiedliche Perspektiven und Interessen, deshalb wäre es gut, das erst mal intern zu besprechen, bevor man damit in die Öffentlichkeit geht. Am Ende braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit nicht nur im Bundesrat, sondern auch im Bundestag und auch deshalb können wir das auf Unionsseite nur gemeinsam voranbringen.
Sehen Sie denn überhaupt eine Chance, dass sich die Bundestagsfraktion bewegt? Friedrich Merz hat sich festgelegt.
Natürlich wird jede neue Bundesregierung einen Kassensturz machen, und jede neue Bundesregierung muss auch mit Blick auf zum Beispiel den Krieg in der Ukraine schauen, welche Einsparmöglichkeiten es gibt und welcher Bedarf dann trotzdem bleibt. Wichtig ist, dass die Reihenfolge eingehalten wird und es nicht für eine Aufweichung der Schuldenbremse benutzt wird, um einfach weiter zu machen wie bisher.
Letztlich heißt das aber: Spätestens wenn die CDU wieder in der Bundesregierung ist, rechnen Sie – wie viele andere – mit einer Reform der Schuldenbremse.
Nein, das heißt es nicht. Ich habe gesagt, nach allen Sparbemühungen und mit Blick auf die geopolitischen Notwendigkeiten müssen wir schauen, ob wir zurechtkommen und welche Instrumente wir dann nutzen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs