CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet: Bloß keine Veränderung
Armin Laschet will ein „Modernisierungsjahrzehnt“ für Deutschland. Seine Ahnungslosigkeit ist ein Zeichen für ein sich anbahnendes Systemversagen.
H eute früh nach dem Aufwachen habe ich an Armin Laschet gedacht und seinen grandiosen Slogan vom Modernisierungsjahrzehnt. Keine Sorge, sonst geht es mir gut.
Ich habe mir vorgestellt, wie er mit seinen Berater*innen – denn ich gehe davon aus, dass er auch auf Frauen hört – in einem Raum saß. Nun musste eine Strategie her. Bislang war er gut ohne Konzepte ausgekommen, und vielleicht war es auch zu viel, einen Plan zu erarbeiten. Sie waren sich schließlich einig bei der CDU, dass die Menschen nicht durch Ideen verschreckt werden wollten.
Laschet aber hatte vor einiger Zeit davon gehört, dass der Klimawandel ein ziemlich großes Ding werden würde, mehr als eine Mode. Auf einmal reden alle davon, sagte er wieder einmal, obwohl das für seine Berater*innen – wie gesagt, sind Frauen im Raum? – doch etwas peinlich war.
Aber so ist das mit Chefs, die rumpelig auftreten und ihre eigene Verlorenheit durch Selbstsicherheit überspielen. Am besten nicht widersprechen, am besten einfach an etwas anderes denken. „Dieses Jahrzehnt“, sagte Laschet, und war von der Kühnheit seines Gedankens selbst berauscht, „dieses Jahrzehnt wird entscheidend“.
Armin, der Kühne
Er ließ offen, für was. Der Satz pendelte seltsam orientierungslos im Raum, und einige der Berater*innen, die zugehört hatten, wurden unruhig. War es nun an ihnen, den Satz zu beenden? Entscheidend für mich, Armin, den Kühnen? Entscheidend für uns, die CDU? Entscheidend für dieses Land?
Eigentlich, das wussten sie natürlich, ist dieses Jahrzehnt entscheidend für die Zukunft dieses Planeten, unserer Kinder und all derer, die noch kommen werden. Aber das wollten sie nicht sagen. Das wollte Armin, der Kühne, auch nicht hören.
Ein Jahrzehnt also musste her, das wie eine Epoche, wie ein Plan, wie ein Konzept klang – aber ohne den verstörenden Beigeschmack echter Veränderung oder grundsätzlichen oder auch nur oberflächlichen Wandels. Was für ein Jahrzehnt also sollten sie ausrufen?
Die Linken in den USA hatten ihren Green New Deal. Das war ein umfassender Plan, das Verhältnis von Staat, Arbeit und Umwelt neu und nachhaltig zu organisieren. Der Plan war eigentlich gar nicht soooo links, wenn man genau hinschaute. Man konnte ihn jedenfalls so runterdimmen, dass er auch für eine moderne konservative Partei annehmbar wäre, wenn sie mehr sein wollte als ein Mythenverwaltungsverein oder eine Interessensvertretung für die Gilde von Gestern.
Bloß keine Veränderung
Niemand im Raum sagte etwas. Laschet wurde unruhig. Was er wollte: Dynamik, Richtung, die Kommandobrücke – aber keine Veränderung, bloß keine Veränderung. Und als sich doch ein paar der Berater*innen gemeldet hatten, auch ein paar Frauen, als sie einige Varianten durchgespielt hatten, kamen sie zu dem Ergebnis, dass die ideale Verbindung von 50er-Jahre-Kühlschrankversprechen und 70er-Jahre-Ferienanspruchsdenken, kombiniert mit einem Gefühl von „Tempo ist die letzte Freiheit“ dieses eine Wort wäre – Modernisierungsjahrzehnt.
Es hat, und das wussten die Studierten im Raum, eine etwas bedenkliche Begriffsgeschichte. Schließlich, könnte man sagen, ist die Vorstellung von Moderne, wie sie im späten Kapitalismus umgesetzt wurde, ursächlich für genau die Klimakrise, deren Jahrzehnt diese 20er Jahre sind.
Egal, Modernisierung ist es also für die CDU. Es ist nicht klar, was damit gemeint ist, aber darum geht es auch nicht. Denn nach den eineinhalb Jahren der Pandemie, in denen sich gezeigt hat, dass Politik und politisches Handeln direkt und persönlich ist, mit unmittelbaren Auswirkungen auf die eigene Existenz, auf Ängste und Hoffnungen, nach diesem Blick auf eine andere politische Realität kommt ein Wahlkampf um die Ecke, der in fast allem von der Vorstellung des Alten geprägt ist, ganz sicher in dem Verständnis davon, dass Politik vor allem das ist, was Politiker tun und sagen.
Der Riss der Realität, der Bruch von Biografien, der Schock dieser Gesellschaft, vor allem die Einsicht in die radikalen Konsequenzen des Klimawandels, wird verborgen hinter Worten von einschläfernder und gefährlicher Normalität.
Politik aber ist mehr als das, was im Parlament passiert. Politik ist mehr als Rhetorik. Politik setzt sich aus Prinzipien wie Teilhabe, Verantwortung, Zeit zusammen. Es sind Bestandteile eines demokratischen Gefühls, das über die Prozesse hinausreicht, weil es größer ist als einzelne Personen oder Parteien.
Und weil die einzelnen Bestandteile von Politik im Zweifel stehen, steht die Politik als solche im Zweifel. Teilhabe wird weiter vor allem symbolisch organisiert durch Wahlen und erschwert durch wachsende ökonomische Ungleichheit. Verantwortung würde sich zeigen durch entschiedenes Handeln im Zeichen der Klimakrise. Und Zeit ist die Perspektive von Zukunft, die all die betrifft, die heute nicht wählen dürfen oder können.
Strategische Ahnungslosigkeit
Die strategische Ahnungslosigkeit von Armin Laschet ist also nur ein Zeichen für ein sich anbahnendes Systemversagen. Es ist ein Coup der Jetzigen, die sich – und das hat das Bundesverfassungsgericht ja klar gesagt – gegen die Rechte der Künftigen vergehen. Wenn Laschet mit Modernisierungsjahrzehnt meint, dass Windkraft verhindert, Protest kriminalisiert und Rechte, wie die vom Bundesverfassungsgericht explizit benannten, eingeschränkt werden sollen, dann ist das eine autoritäre Version von Spätmoderne, die vor allem Kapitalinteressen und Sicherheitsversprechen austariert.
Dabei ginge es gerade darum, die Moderne aufzubrechen, in ihren Widersprüchen zu benennen und den Menschen, der im Zentrum steht, wieder an seinen Platz zu setzen: nicht an der Spitze der Pyramide, sondern als Teil des wunderbaren und leider wackeligen Systems, das man Erde, Natur, Gaia, Umwelt nennen kann und das vor allem eines meint – Leben, Überleben.
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