Bundesverfassungsschutz zu AfD: Keine Partei wie jede andere
Der Bundesverfassungsschutz stuft die AfD auf Bundesebene als gesichert rechtsextremistisch ein. Kommt nun das Verbot der Partei?

Nach taz-Informationen legte das Bundesamt für Verfassungsschutz das Gutachten, rund 1.100 Seiten stark, am Montag final dem Bundesinnenministerium von Nancy Faeser vor. Die Sozialdemokratin soll danach keinerlei Änderungen vorgenommen haben – auch um keinen Eindruck einer politischen Einflussnahme zu erwecken. Bei ihrem CSU-Vorgänger Horst Seehofer war das noch anders: Er hatte den ersten Entwurf des Gutachtens zur damaligen Einstufung der AfD als Verdachtsfall abschwächen lassen. CSU-nahe Äußerungen ließ er entfernen, etwa, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre.
Für Faeser ist die Hochstufung die wohl letzte Amtshandlung, bevor Neu-Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) übernimmt. Nach taz-Informationen soll die Sozialdemokratin den CSU-Mann vorab über ihren Schritt informiert haben, ebenso wie Kanzler in spe Friedrich Merz und Noch-Kanzler Olaf Scholz. Faeser nimmt Merz und Dobrindt damit einerseits die Entscheidung über die AfD-Einstufung aus der Hand. Andererseits übernimmt sie nun noch die rechtliche Verantwortung für die Einstufung. Denn dass die AfD klagen wird, ist klar – sie tat es bisher bei fast jedem Schritt des Verfassungsschutz.
Das Gutachten enthält nach taz-Informationen noch alle AfD-Aktivitäten bis hin zur Konstituierung der neuen Bundestagsfraktion, in der sich erneut etliche Parteiradikale wie Maximilian Krah oder Matthias Helferich befinden. Berücksichtigt sind auch noch die Wahlkämpfe der Partei für den Bundestag und die Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Das Gutachten führt vor allem völkische, rassistische und muslimfeindliche Aussagen der Partei an, die bis hoch in der Parteispitze vertreten werden.
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Zahlreiche Beispiele als Belege
Zitiert wird etwa AfD-Chefin Alice Weidel, die Migranten pauschal „Messerkriminalität“ vorwarf und von „Menschen aus kulturfremden Kontext, aus gewaltbereiten Kulturen“ sprach. Die Partei spreche von „Umvolkung“ und einer „Deutschlandzerstörung“, indem das „Wahlvolk ausgetauscht“ werde – ein rechtsextremer Mythos. Das Gutachten wirft der AfD vor, immer wieder „Fremdenfeindlichkeit“ anzuheizen. So veröffentlichte die Partei eine „Karte des Schreckens“, wie „überfremdet“ Deutschland angeblich bereits sei.
Der Bundesvorstand schrieb, „halb Afrika darf widerstandslos über die deutsche Grenze spazieren und sich unser Land als Beute nehmen“. Angeführt werden auch die Forderungen nach einer „Remigration“ und „umfassenden Abschiebekultur“ aus den jüngsten Wahlkämpfen sowie muslimfeindliche Stimmen in der Partei, die etwa vor einem drohenden „Kalifat Deutschland“ warnen.
Allen voran Weidel sprach martialisch von einem „Dschihad“, es werde ein „Glaubenskrieg gegen die deutsche Bevölkerung bereits geführt“. Als Aussagen gegen das Demokratieprinzip wertet der Verfassungsschutz AfD-Attacken gegen die „Altparteien“, welche als die wahren „Verfassungsfeinde“ deklariert würden. Oder Aussprüche von AfD-Chef Tino Chrupalla, der CDU- und Grünenpolitiker*innen als „Vasallen Amerikas“ schmähte und erklärte, Deutschland sei „nicht souverän“.
Es sei eine „äußerst sorgfältige gutachterliche Prüfung“ erfolgt, erklärten die Verfassungsschutz-Vizepräsident*innen Sinan Selen und Silke Willems am Freitag. Maßgeblich sei dabei das „die AfD prägende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis, das ganze Bevölkerungsgruppen in Deutschland abwertet und in ihrer Menschenwürde verletzt“.
„Keinerlei politischen Einfluss auf das Gutachten“
Das neue Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD hätte eigentlich schon Ende letzten Jahres fertig werden sollen. Doch trotz voranschreitender Radikalisierung der AfD und obwohl viele Expert*innen die Hochstufung vom Verdachtsfall zur gesichert rechtsextremen Bestrebung erwarteten, ließ diese auf sich warten. Ein Grund war die vorgezogene Bundestagswahl. Dazu kam, dass der Posten des Verfassungsschutzchefs vakant ist, weil der bisherige Behördenleiter Thomas Haldenwang für die CDU in den Bundestag wollte.
Die neue Bewertung der AfD als gesichert rechtsextrem sei „klar und eindeutig“, erklärte Innenministerin Faeser am Freitag. Die Partei verfolge „erwiesenermaßen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“. Es habe „keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben“. Sie gehe davon aus, dass die Einstufung so wie zuvor schon die zum rechtsextremen Verdachtsfall juristisch überprüft werde.
Die AfD-Co-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla erklärten am Mittag dann auch, die Einstufung sei „ein schwerer Schlag für die bundesdeutsche Demokratie“ und man werde sich „juristisch zur Wehr setzen“. Brandenburgs AfD-Chef René Springer sprach von einem „beispiellosen Missbrauch staatlicher Macht“ und einer „politisch beeinflussten Entscheidung“. Allerdings haben zahlreiche Gerichte die Einstufungen des Verfassungsschutzes zur AfD bisher getragen – vor allem in den Ländern, wo die AfD schon als gesichert rechtsextrem eingestuft ist.
Der EU-Parlamentarier und wegen mutmaßlicher Zahlungen aus Russland unter Korruptionsverdacht stehende Petr Bystron übte sich in Verschwörungsideologie: „Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat damit bestätigt, dass Deutschland ein Deep State ist.“
„Keine Ausreden mehr“
Währenddessen forderten zahlreiche Politiker*innen von Grünen, Linkspartei und SPD einen neuen Anlauf für ein AfD-Verbotsverfahren. Dieses hatte zuletzt keine Mehrheit im Bundestag gefunden, auch, weil viele Abgeordnete zuerst die Bewertung des Bundesamts für Verfassungsschutz abwarten wollten.
„Das entscheidende Gutachten liegt endlich vor“, sagte der taz die Integrations-Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD). „Wir dürfen diese Partei nicht normalisieren, denn sie ist eine Gefahr für unser friedliches Zusammenleben und unsere Demokratie“. Es gebe „keine Ausreden mehr“, sondern brauche entschlossenes Handeln „mit aller Härte des Rechtsstaats und allen zur Verfügung stehenden Mitteln“. Nun müsse die „ernsthafte und gründliche Vorbereitung“ eines Parteiverbotsverfahrens eingeleitet werden. „Die Beweislage ist mehr als erdrückend“, sagte Alabali-Radovan.
Der Grüne Till Steffen sagte der taz, es gebe „Grund zur Sorge um unsere Demokratie. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, etwas zu tun“. Steffen hatte schon in der vergangenen Legislatur den Verbotsantrag mit eingebracht. Auch die Grünen-Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann schrieb auf Bluesky, Parlament und Bundesregierung müssten sich nun erneut der „Frage eines Verbotsverfahrens stellen“.
Ähnlich äußerten sich die Linken-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek und Parteichef Jan van Aken: „Keine Demokratin und kein Demokrat im Bundestag kann es akzeptieren, dass eine gesichert rechtsextremistische Partei unsere Demokratie von innen bekämpft und zerstört.“ Ebenso forderte die Kampagne „AfD-Verbot jetzt“ mit run 60 Unterstützer-Organisationen, das Verbotsverfahren „unverzüglich“ einzuleiten.
Koalition muss sich abstimmen
Auch Teile der Union sind für ein Verbotsverfahren. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) forderte im Spiegel ebenfalls, der Bund müsse ein solches „jetzt zügig“ einleiten, „um unsere Demokratie zu schützen“. Der Arbeitnehmerflügel der CDU spricht sich ebenfalls für ein „sofortiges Verbotsverfahren“ aus. So sagte der geschäftsführende CDA-Bundesvorstand dem Magazin Stern, die Einschätzung des Verfassungsschutzes liefere dafür jetzt „die notwendige Grundlage“.
CSU-Chef Markus Söder nannte das Gutachten auf X einen „finalen Weckruf“ und bekräftigte, für „Feinde der Demokratie“ könne es „null Toleranz und null Zusammenarbeit“ geben. Zur Frage eines Parteiverbots äußerte er sich nicht. Still blieb es bis Redaktionsschluss von Seiten des designierten Bundeskanzlers und CDU-Chefs Friedrich Merz.
Die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, erklärte hingegen, notwendig sei eine „klare, gemeinsame Antwort des Rechtsstaats“. Man werde sich mit den Koalitionspartnern zum weiteren Umgang mit der AfD abstimmen.
Dazu gehören dürfte auch die Frage, ob die Abgeordneten Vertreter*innen der AfD in Ausschussvorsitze wählen werden. Der CDU-Politiker und womöglich künftige Fraktionsvorsitzende Jens Spahn hatte Mitte April für Empörung gesorgt, als er sagte, man solle mit der AfD umgehen „wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch“.
Kritiker*innen dieser Aussage hat das Gutachten des Verfassungsschutzes nun den Rücken gestärkt – auch in den eigenen Reihen. Die AfD sei „keine Partei wie jede andere und sollte auch nicht so behandelt werden“, schrieb am Freitag die CSU-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz auf Twitter. „Eine Wahl ihrer Vertreter in repräsentative Funktionen ist kaum mehr denkbar.“
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