Ausbeutung von Migrant:innen: Die AfD hetzt, die CDU macht …
…aber eigentlich war’s ne Idee der SPD: Geflüchtete sollen für 80 Cent pro Stunde malochen. Wie das der Integration nützen soll, bleibt fraglich.
D ie CDU spielt scheinbar mal wieder in der Hoffnung auf Stimmen mit AfD-Narrativen. Immerhin macht sie damit Schlagzeilen. Im thüringischen Saale-Orla-Kreis hat der neue Landrat Christian Herrgott von der CDU verkündet, Geflüchtete zur Arbeit zu verpflichten.
Dafür soll es Arbeitsgelegenheiten in ihren Unterkünften, bei Kommunen oder gemeinnützigen Vereinen geben: Übersetzungstätigkeiten, Hecke schneiden, Festzelt aufbauen. Als Entschädigung bekommen die Geflüchteten 80 Cent pro Stunde und sollen maximal 4 Stunden pro Tag arbeiten. Lehnen sie die Angebote ab, droht ihnen, dass bis zu 180 Euro von ihren Leistungen von höchstens 460 Euro gestrichen werden. Die Geflüchteten müssten der Gesellschaft etwas zurückgeben, statt nur herumzusitzen, findet Herrgott.
In Thüringen stehen im September die Landtagswahlen an und da scheut die CDU keinen direkten Vergleich mit der AfD. So twitterte die stellvertretende Landesvorsitzende der CDU Thüringen, Beate Meißner, zur Arbeitspflicht: „Apropos, was macht eigentlich dieser erste AfD-Landrat Deutschlands in Sonneberg?“ Und hängt stolz an: „Die einen hetzen, die anderen machen!“ Also: Typisch CDU, versucht, mit AfD-Themen nach Stimmen zu angeln?
So einfach ist das nicht. Denn auch wenn er sich nun medienwirksam profiliert, das Gesetz dahinter stammt nicht vom lieben Herrgott. Es wird in Deutschland seit Jahren angewendet. Auch wenn ihm nun einige unterstellen, er bediene das rechte Narrativ „Geflüchtete wollen nur vom Sozialstaat leben und scheuen Arbeit“, ist diese Behauptung ebenso bei vermeintlich Linken zu finden.
Maximal 64 Euro im Monat
Die 80-Cent-Jobs für Geflüchtete beruhen auf dem Asylbewerberleistungsgesetz. Ursprünglich trat das 1993 in Kraft, unter der schwarz-gelben Regierung. Da bekamen die Geflüchteten etwa umgerechnet 1 Euro pro Stunde. In seiner jetzigen Form, mit einer Entschädigung von 80 Cent pro Stunde, wurde das 2016 von der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles eingeführt. Die ist eben nicht bei der AfD, sondern wurde ein Jahr später Vorsitzende der SPD. Arbeit, das sei „der beste Weg zu einer ordentlichen Integration“, sagte sie damals und kündigte an, 100.000 neue Arbeitsgelegenheiten für Geflüchtete schaffen zu wollen.
Christian Herrgott berichtet, bisher habe es im Saale-Orla-Kreis positive Rückmeldungen von den rund 50 Geflüchteten gegeben, die bereits Arbeitsgelegenheiten wahrgenommen haben. „Sie wünschen sich eine reguläre Tätigkeit und fragen, wie sie in den ersten Arbeitsmarkt gelangen können“, sagte er dem Tagesspiegel.
Der Witz ist: Viele der Geflüchteten würden gerne arbeiten, dürfen aber nicht. Das verbietet ihnen der deutsche Staat nämlich. Die „Ausländer“ sollen den Deutschen ja keine Jobs wegnehmen. In den drei Monaten, nachdem Geflüchtete einen Asylantrag gestellt haben, dürfen sie nicht arbeiten und grundsätzlich auch nicht, wenn sie nur „geduldet“ sind. Das heißt, ihr Antrag wurde abgelehnt, aber sie werden nicht abgeschoben. Dafür gibt es verschiedene Gründe, etwa, wenn sich keine Pässe organisieren lassen, weil die diplomatische Situation zum Beispiel in Libyen, vorsichtig gesagt, schwierig ist.
Geduldete könnten zwar mit behördlicher Erlaubnis arbeiten, doch oft ist es so, dass die Behörden überlastet sind und die Anträge nicht schnell genug bearbeiten. Wenn die Genehmigung kommt, ist der Arbeitsplatz schon weg und die geduldete Person weiter arbeitslos.
Für sie bedeutet das dann, dass sie von maximal 460 Euro im Monat leben muss. Je nachdem ist es bei manchen weniger. Zum Vergleich: Beim Bürgergeld erhält ein alleinstehender Erwachsener 563 Euro im Monat – und bekanntlich ist das zu wenig zum Leben, aber zu viel zum Sterben.
Da verwundert es nicht, wenn sich einzelne Geflüchtete freuen, ein bisschen was dazuzuverdienen. Allerdings bedeutet „dazuverdienen“ bei einem Stundensatz von 80 Cent und fünf Arbeitstagen in der Woche mit je 4 Stunden Arbeit maximal 64 Euro im Monat. Um den Betrag des derzeitigen Stundenlohns von 12,41 Euro pro Stunde zu bekommen, müssen die Geflüchteten fast vier Tage arbeiten.
Inwieweit das zur Integration beiträgt, ist dabei mehr als fraglich. Wie sollen sie etwa über die 80-Cent-Jobs in den Unterkünften, Kommunen oder für gemeinnützige Vereine auf reguläre Arbeitgeber:innen treffen?
Flüchtlingsräte fordern schon seit Jahren, Deutschland solle den Arbeitsmarkt für Geflüchtete direkt öffnen, damit sie eigenständig Geld verdienen können, wenn sie wollen. Und statt den Spracherwerb als Nebenprodukt von Ausbeutung anzupreisen, könnte man ihn direkt angehen. Dafür braucht es mehr Sprachkurse und Geflüchtete, die Zeit dafür haben, statt für 80 Cent die Hecke zu schneiden.
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels war nicht klar, unter welcher Regierung das Asylbewerberleistungsgesetz in Kraft trat. Wir haben die Stelle angepasst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste