AfD-Meldeportale an Schulen: Denunziation im Klassenzimmer

Die rechtsextreme AfD stiftet Schü­le­r*in­nen an, kritische Leh­rkräfte zu denunzieren. Die Regierung unterschätze die Lage, kritisiert die Linke.

Eine Hand hält ein Mobiltelefon auf dessen Display ein Video des AFD Politikers Max Krah zu sehen ist

Extrem rechte Botschaften für Minderjährige: Die AfD dringt unter anderem mit Tiktok bis in die Jugend- und Kinderzimmer durch Foto: Guido Schiefer/imago

Berlin taz | Unliebsame Päd­ago­g*in­nen denunzieren – das ist das Ziel der Meldeportale, die die AfD in mehreren Bundesländern betreibt. In Mecklenburg-Vorpommern hat das Schweriner Verwaltungsgericht der autoritär-nationalradikalen Partei zwar schon 2019 verboten, personenbezogene Daten im Zusammenhang mit politischen Meinungen zu sammeln. Die AfD hat diverse Meldeportale dennoch nicht abgeschaltet. In Mecklenburg-Vorpommern etwa entfernte sie zwar ein Kontaktformular auf der Website, betreibt aber dennoch weiter ein „Informationsportal ‚Neutrale Schule‘“. Dieses fordert zumindest indirekt dazu auf, Leh­re­r*in­nen über eine Mail­adresse zu denunzieren.

In Niedersachsen, Berlin und Hamburg sieht es ähnlich aus. Auch dort hat die Partei noch immer oder erneut Meldeportale geschaltet, bei denen Schü­le­r*in­nen ihre vermeintlich „links-grün-versifften“ Lehrer denunzieren können, wenn sie etwas gegen die AfD sagen. Und die besonders radikale AfD Bayern hat vor einigen Wochen gleich ein parteiinternes Meldeportal gegen politischer Gegner jeglicher Couleur gestartet, auf dem von Mitgliedern zusammengetragene „Belege“ über politische Geg­ne­r*in­nen gesammelt und parteiintern veröffentlicht werden sollen.

Die extrem rechte Partei will damit unter dem Vorwand eines überinterpretierten Neutralitätsgebots nicht-linientreue Pädagogen mit Dienstaufsichtsbeschwerden überziehen und letztlich einschüchtern. Geht es nach der AfD, sollen sich immer weniger Lehrkräfte trauen, sich gegen die antidemokratische Agenda der Partei starkzumachen. Seit Jahren versucht die AfD, politische Bildung an Schulen und Aufklärung über Rechtsextremismus zu diskreditieren und zurückzudrängen.

Die Meldeportale treffen auf eine Schülerschaft, die rechtsextremen Positionen immer offener gegenübersteht. In den neuen Bundesländern ist die AfD mit Werten um die 30 Prozent die erfolgreichste Partei bei Wäh­le­r*in­nen zwischen 16 und 24 Jahren. In Brandenburg verzeichnete sie in dieser Wählergruppe mit 13 Prozentpunkte den größten Zugewinn aller Parteien bei den Landtagswahlen. Doch das Phänomen ist ein gesamtdeutsches: Schon bei den Landtagswahlen in Bayern wählten mit 18 Prozent der unter 30-Jährigen überdurchschnittlich viele AfD, in Hessen sah es mit 17 Prozent ähnlich aus.

Nicole Gohlke, bildungspolitische Sprecherin der Linken

„Wir brauchen hier endlich ein detailliertes Bild der Lage und ein Konzept, um Kinder und Jugendliche sowie Lehrkräfte wirksam zu schützen“

Welle extrem rechter Gewalt

Vor allem bei jungen Männern dringt die AfD in den sozialen Medien mit ihrer Erzählung durch. Sie bietet ein einfaches Weltbild und kann an reale Ängste und Probleme der besonders hart von Corona-Einschränkungen betroffenen Jugendlichen anknüpfen. Die Fridays-for-Future-Generation ist abgemeldet, junge Rechte rebellieren, indem sie „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ als Feelgood-Rechtsextremismus über Gigi-D’Agostino-Beats summen oder ihn gleich auf dem brandenburgischen Dorffest oder dem schleswig-holsteinischen Elite-Internat grölen.

Die jungen Rechten sind keine Mehrheit unter jungen Erwachsenen, doch vielfach erschüttert ihre Brutalität: Auffällig hoch ist die Zahl sehr junger Täter, die Anteil an der derzeitigen Welle von rechter Gewalt haben, etwa den Angriffen auf Wahl­kämp­fe­r*in­nen der etablierten Parteien im Landtagswahlkampf sowie rassistischen Übergriffen. Auch abgesehen von den Meldeportalen treten extrem rechte Bedrohungen und Ausfälle in Bildungseinrichtungen vermehrt auf. Menschenverachtende Witze gehören teils zum Schulalltag, wie Leh­re­r*in­nen in Thüringen berichten. Laut einer Umfrage des Thüringer Lehrerverbands gaben 40 Prozent von 200 teilnehmenden Lehrkräften an, extrem rechte Gewalt gegenüber Schü­le­r*in­nen oder Kol­le­g*in­nen mitbekommen zu haben. Die Schulämter in Brandenburg meldeten allein im ersten Schulhalbjahr 2023/24 mehr als 200 rechtsextreme Vorfälle an Schulen.

Die Bundesregierung verweist im Zusammenhang auf Präventionsprogramme zu Rechtsextremismus und Rassismus. Nicht zuletzt extrem rechte Vorfälle, aber auch der hohe Zuspruch zur AfD machen erhöhten Handlungsbedarf deutlich.

Das gilt auch für die Meldeportale: Angesichts des vermehrten Zuspruchs zu Rechtsextremen an Schulen wollte die Linke im Bundestag von der Bundesregierung wissen, ob und inwiefern die Bundesregierung etwas über die Meldeportale weiß und wie sie sich zu ihnen verhalten will. Die Antwort ist angesichts der derzeitig Lage erschreckend: Die Bundesregierung hat keine Ahnung, einen übergeordneten Plan gibt es nicht.

Mehrfach hatte die Linken-Abgeordnete Nicole Gohlke, Sprecherin für Bildung und Wissenschaft, nachgefragt, ob das Bildungsministerium mögliche Gegenstrategien habe und die Gefahr der unrechtmäßigen Denunziation anerkenne. Das Ministerium unter FDP-Ministerin Bettina Stark-Watzinger antwortete knapp: Die Länder seien zuständig und hätten die Fürsorgepflicht für die Lehrkräfte. „Gremien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung haben sich demzufolge nicht mit dem Meldeportal ‚Neutrale Schule‘ der AfD hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die von dort verfassten Meldungen betroffenen Lehrkräfte befasst“, so die Bundesregierung auf Frage der Linken.

Gohlke hält das mindestens für blauäugig. „Obwohl es solche Portale in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hamburg, Berlin, Bremen und Baden-Württemberg gab oder gibt, werden meine Fragen ausweichend oder gar nicht beantwortet“, sagt Gohlke. Angesichts der jüngsten Wahlergebnisse der AfD und ihrer Erfolge bei jungen Wählern solle das Bildungs­ministerium im Blick haben, was an den Schulen geschieht, kritisiert sie – „sich an dieser Stelle so viel Ignoranz zu leisten, ist mindestens fahrlässig“.

Die Bundesregierung nehme die Gefahr durch rechtsextreme Aktivitäten nicht ernst, so Gohlke. Wie im letzten Jahr hatte die Bundesregierung gegenüber der Parlamentarierin erklärt, kein detailliertes Lagebild zu rechtsextremen Vorfällen an Schulen zu haben. Laut Gohlke reichen die existierenden Unterstützungs- und Präventionsprogramme nicht aus. Betroffene, insbesondere Kinder und Jugendliche, würden allein gelassen. „Wir brauchen hier endlich ein detailliertes Bild der Lage und ein Konzept, um Kinder und Jugendliche sowie Lehrkräfte wirksam zu schützen“, fordert Gohlke. „Was muss eigentlich noch alles passieren, damit die Dringlichkeit dieses Themas erkannt wird?“

Mut zur Demokratie

Immerhin die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) versucht, Leh­re­r*in­nen zu unterstützen. In Berlin, wo die AfD eines ihrer Portale betreibt, hat sie eine Handreichung zum Thema für Lehrkräfte erarbeitet. Die Gewerkschaft ermutigt Lehrkräfte zu Demokratieförderung und der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Positionen: AfD-Anhänger*innen verkennen, „dass Neutralität nicht heißt, demokratiefeindliche Positionen zuzulassen“, heißt es darin.

Das Berliner Schulgesetz enthalte einen klaren Bildungsauftrag und beziehe sich auf die Grundsätze des Grundgesetzes. Weil die AfD politische Ziele verfolge, die sowohl Grundgesetz als auch Menschenrechten widersprechen, sei es Aufgabe der Lehrkräfte, „den kritischen Umgang mit den Positionen der AfD zu fördern und die Positionen der AfD als diskriminierend darzustellen“, schreiben die Au­to­r*in­nen der Handreichung.

Klar ist auch: AfD-Meldeportale sind nur ein Aspekt des Problems, dass extrem rechte Einstellungen bei jungen Menschen zunehmen. Zusätzlich zu bereits laufenden Präventions- und Bildungskampagnen fordern eine Vielzahl von Institutionen und Organisationen angesichts der vielen jungen AfD-Wähler*innen weitere Maßnahmen.

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung etwa will einen nachhaltigen Fokus auf die Interessen der jungen Generation und mahnte nach der Brandenburgwahl eine offensive Jugend- und Bildungspolitik an. Es gebe viel Verunsicherung im Zuge von Krisen, aktivierende Angebote müssten das Gefühl der Selbstwirksamkeit bei Jugendlichen und Vertrauen in die Strukturen der Demokratie wieder stärken. Lehrerverbände sprachen sich für eine bessere Medienbildung aus, weil soziale Medien wie ein Katalysator für Radikalisierung wirken könnten. Und der Philologenverband forderte zusätzliche Schulungen für Lehrer*innen.

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