Wenn morgen Krieg wäre: Wie weit gehst du für Deutschland?
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine will die Regierung die Bundeswehr verstärken. Aber sind junge Deutsche überhaupt bereit zu kämpfen?
D ie Bundeswehr braucht Personal – und ist angewiesen auf junge Menschen, die bereit sind, Wehrdienst zu leisten. Mit Beginn der „Zeitenwende“ hat die Bundesregierung angekündigt, das Militär wieder aufzustocken. Konkret will Verteidigungsminister Boris Pistorius die Armee bis 2031 von derzeit 181.000 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten vergrößern. 2010, bei der Abschaffung der Wehrpflicht, lag die Truppenstärke bei 250.000.
Ab kommendem Jahr soll deshalb ein neues Wehrdienstmodell gelten: Alle 18-Jährigen eines Jahrgangs – Männer und Frauen – erhalten einen Fragebogen der Bundeswehr. Darin sollen sie beantworten, ob sie sich einen Dienst bei den deutschen Streitkräften vorstellen können. Für die jungen Männer soll eine Antwort verpflichtend sein, für die jungen Frauen nicht.
Ob so genug Freiwillige den Weg in die Truppe finden? Daran gibt es innerhalb der Bundeswehr Zweifel. Immerhin Generalinspekteur Carsten Breuer, Deutschlands ranghöchster Soldat, hat sich kürzlich hinter Pistorius’ Modell gestellt und in diesem Zuge gesagt: „Unabhängig davon möchte ich an die jungen Menschen in unserem Land appellieren, sich mit einer Frage auseinanderzusetzen: Bin ich bereit, Deutschland zu verteidigen?“
Doch wie sehen die jungen Menschen das? Wir haben sechs von ihnen gefragt.
Tillmann Clement, 30 Jahre, Wiesbaden, Theologe
Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, bei der Bundeswehr zu arbeiten. Aus meiner Zeit bei der Evangelischen Militärseelsorge weiß ich, wie viele zivile Berufe es dort gibt. In einem solchen Job zu arbeiten, würde mich nicht abschrecken.
Ich glaube allerdings nicht, dass ich geeignet bin, mich in einen Schützengraben zu legen. Allein schon wegen meines Heuschnupfens. Um eine Verteidigung zu organisieren, sind Befehlsketten enorm wichtig – die Fähigkeit, die eigene Autonomie zurückzustellen und sich im Zweifelsfall zu opfern. Ich bin aber ein sehr nachdenklicher Mensch. Wenn mir jemand befiehlt, als erster über eine Brücke zu rennen, würde ich erst mal darüber diskutieren, ob das die beste Entscheidung ist. In Krisensituationen würde ich wohl vor allem im Weg stehen.
Ob ich bereit wäre, auch auf Menschen zu schießen? Da bin ich ambivalent. Einerseits habe ich den Anspruch an mich selbst, im Fall eines Angriffskriegs wehrhaft und widerständig zu sein. Die Art unseres Zusammenlebens – Meinungsfreiheit, die Möglichkeit zu wählen, unsere offene Gesellschaft – ist für mich schützenswert, im Zweifel auch mit Waffengewalt.
Es gibt aus meiner Sicht jedoch keinen schuldfreien Krieg. Ein Verteidigungskrieg kann zwar moralisch gerechtfertigt sein. Ich denke aber, dass im Krieg Situationen entstehen, die es nur begrenzt zulassen, nach den eigenen Vorstellungen richtig zu handeln. In solchen Situationen lädt man dann viel Schuld auf sich. Ich stelle mir das sehr belastend vor. Im Extremfall wäre ich dennoch bereit, diese Schuld auf mich zu nehmen. Für die Ideale unserer Demokratie und für Menschen, die sich selbst nicht schützen können.
Krieg bedeutet Zerstörung, Trennung, Verwundung und im schlimmsten Fall auch Tod. Krieg ist die größte Katastrophe menschlichen Zusammenlebens. Die Bilder aus der Ukraine haben mir die menschlichen Kosten eines Krieges nochmal besonders deutlich vor Augen geführt. Trotzdem bleibt es für mich eine abstrakte Vorstellung, wie ich mich in einer solchen Extremsituation verhalten würde. Wenn es tatsächlich zu einem Krieg in Deutschland kommt, beeinflussen sicherlich noch andere Faktoren meine Entscheidung, ob ich kämpfe oder gehe. Wie würde ich mich beispielsweise verhalten, wenn meine Ehefrau fliehen wollen würde?
Sicherlich gäbe es für mich persönlich bessere Wege, mich an einem Verteidigungskrieg zu beteiligen als den Dienst an der Waffe. Gerade als Theologe könnte ich an anderer Stelle nützlich sein. Zum Beispiel im Lazarett im Gebet mit Verwundeten oder mit einem Gottesdienst den Alltag des Krieges durchbrechen.
Sofie*, 25 Jahre, Hamburg, Studentin und Gruppenführerin in der Heimatschutzkompanie Hamburg
Ja, ich bin bereit, mein Vaterland zu verteidigen. Schließlich habe ich einen Eid geleistet.
Ich bin eine von denjenigen, die von der personalisierten militärgrünen Werbepostkarte gecatcht wurden, die die Bundeswehr an Jugendliche in Deutschland schickt. Zu dem Zeitpunkt wollte ich in die Entwicklungshilfe und hatte mich mit den Aufgaben der Blauhelmsoldaten beschäftigt. Mich hat die Herausforderung gereizt, mich auch mit der militärischen Seite auseinanderzusetzen. Also bin ich nach dem Abitur und einer Auszeit im Ausland zur Bundeswehr gegangen. Direkt nach dem freiwilligen Wehrdienst ging es für mich bei der Reserve weiter.
Ich glaube, meine Reisen haben mich auf diesen Weg gebracht. Ich war immer beeindruckt von den Erlebnissen im Ausland – aber auch immer wieder dankbar, nach Deutschland zurückkommen zu dürfen. Ich bin dankbar, dass Strom und sauberes Trinkwasser Selbstverständlichkeiten sind. Dass wir weniger Mauern und Zäune brauchen und keine Waffe dabeihaben müssen, wenn wir vor die Tür gehen. Ich bin dankbar, dass ich als Frau dieselben Rechte vor dem Gesetz habe. Deshalb finde ich, dass es eine ehrenvolle Aufgabe ist, Deutschland und unsere Grundwerte zu verteidigen.
Als ich meinen Wehrdienst begonnen habe, hatten wir noch keinen Krieg in Europa. Leider muss man sich nun damit abfinden, dass es nach wie vor Nationen gibt, die bewaffnete Konflikte suchen, anstatt diplomatisch auf politischer Ebene zu verhandeln. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auch Gedanken über Verteidigung zu machen.
Im Ernstfall würde ich als Reservistin vor allem kritische Infrastruktur sichern und Nato-Partner auf dem Weg an die Front unterstützen. In der Heimatschutzkompanie üben wir, wie etwa Krankenhäuser zu sichern sind, wie man Checkpoints aufbaut, wie man Fahrzeuge kontrolliert und so weiter. Neben meinem Studium der Meeresbiologie bin ich dafür manchmal ein verlängertes Wochenende weg, manchmal die ganze Woche.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Selten entstehen auch mal Diskussionen, wenn ich die Bundeswehr thematisiere. Als beispielsweise die 100 Milliarden Euro Sondervermögen ausgesprochen wurden, habe ich manch kontroverses Gespräch geführt. Doch wenn ich dann von meiner persönlichen Erfahrung erzähle, bekomme ich meist positives Feedback. Meine Freunde und Familie unterstützen mich komplett und sind eher beeindruckt, dass ich mein Studium an der Uni Hamburg und Reserve unter einen Hut bekomme.
Dass ich keine Übung meiner Heimatschutzkompanie verpassen möchte, liegt vor allem an unserem starken Zusammenhalt. Ich schätze es sehr, dass in der Kompanie jeder mit seinen Stärken und Schwächen angenommen wird und wir Teil eines großen Ganzen sind. Auch wenn man privat vielleicht nicht beste Freunde wäre, bedeutet gelebte Kameradschaft, dass wir uns im Notfall immer aufeinander verlassen können. Das finde ich einzigartig in einer Zeit, in der es immer mehr um Selbstverwirklichung und -darstellung geht und die Gemeinschaft oft in den Hintergrund rückt.
* Den Verzicht auf Sofies Nachnamen hat die Bundeswehr zur Bedingung dafür gemacht, dass sie der taz den Kontakt vermittelt hat.
Nele Anslinger, 34 Jahre, Göttingen, Bildungsreferentin für Friedenspädagogik
Mein „Vaterland“ würde ich allein deswegen nicht verteidigen wollen, weil ich vom Konzept des Nationalstaats nicht überzeugt bin. Viele Probleme, die wir aktuell haben, nicht zuletzt die ständigen Diskussionen um Flucht und Migration, sind zum Teil Resultate dieses Konzepts. Erst auf Grundlage eines Nationalstaats ergibt es Sinn, sich nach außen abzugrenzen, nationale Interessen voranzubringen und Migration zu kriminalisieren.
Ich verstehe, dass Menschen das Gebiet, auf dem sie leben, schützen und bewahren wollen. Auch ich habe Angst um meine Lieben. Mich stört jedoch, dass die verteidigungspolitische Debatte entweder mit verengtem Blick geführt wird – oder da, wo sie sich öffnet, rechtspopulistisch vereinnahmt wird. Ich glaube, dass sie so an vielen Leuten vorbeigeht, und finde es gefährlich, wenn diese Leute dann nur bei der AfD und dem BSW fündig werden. Deswegen wünsche ich mir Medien, die ihren Bildungs- und Informationsauftrag wirklich ernst nehmen und umfassender zu diesem Thema berichten als bisher.
Nele Anslinger
So fände ich es zum Beispiel gut, wenn mehr über die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung berichtet wird. Ich will in der Presse mehr lesen zu Zusammenhängen von Klimawandel, Militär und Umweltschutz, zu Gewalt, insbesondere an Frauen in kriegerischen Konflikten, zu mangelnder Stabilität demokratischer Regierungen in Post-Konflikt-Gebieten.
Kriege verteidigen nicht die Demokratie, sie höhlen sie aus. Wahlen werden abgesagt, Kriegsrecht wird verhängt, das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt. Einmal militärisch in einen Krieg eingetreten, haben wir lange über Waffenstillstände und Friedensverträge hinaus mit den Folgen zu tun.
Wenn wir anfangen, uns lokal und regional darüber auszutauschen, was und wer uns eigentlich bedroht, welche Betroffenen wir berücksichtigen müssen, wie wir uns vernetzen können und wer welche Kenntnisse mit einbringen kann, dann bin ich sofort dabei. Aber solche Netzwerke entstehen nicht über Nacht. Menschen müssen analog zu militärischer Verteidigung auch in gewaltfreien Widerstandsmethoden trainiert werden, denn auch diese sind nicht frei von Gefahren.
Deswegen, und auch durch mein Elternsein, würde ich eher meine Sachen packen, statt zur Waffe zu greifen. Ich möchte meine Kinder schützen und ins Leben begleiten. Kinder großzuziehen ist keine rosige Bilderbuchharmonie, es ist harte körperliche, emotionale und geistige Arbeit. Da schickt man diese Kinder doch nicht bei der erstbesten Gelegenheit an die Front, einfach weil man sich nie ernsthaft mit konkreten Alternativen abseits von „Kämpfen oder Aufgeben“ befasst hat!
Mara Richarz, 24 Jahre, Bonn, Studentin der Rechtswissenschaft
Meine Verteidigungsbereitschaft hängt zumindest in der Theorie davon ab, wofür Deutschland im Moment des Krieges steht. Für mich sind vor allem unsere Werte verteidigungswürdig – Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung. Auf keinen Fall würde ich kopflos für ein Land in den Krieg ziehen, das meine Werte nicht oder nicht mehr teilt. Der deutschen Nation allein gegenüber empfinde ich keine Verpflichtung. Deshalb könnte ich mir auch vorstellen, im Kriegsfall für eine europäische Armee tätig zu sein. Hauptsache, es werden die richtigen Werte verteidigt.
Ein ebenso wichtiger Grund, mich in der Verteidigung zu engagieren, sind meine Mitmenschen. Besonders nahe fühle ich mich der Gemeinschaft, in der ich aufgewachsen bin: den Menschen im Rheinland. Von einem solchen Gemeinschaftsgefühl lebt auch die Demokratie. Grundsätzlich sinkt meine Einsatzbereitschaft, je weiter das, was ich verteidigen soll, von mir entfernt ist. Damit ich in den Krieg ziehe, müsste er schon wirklich vor meiner Haustür stattfinden. Wenn zum Beispiel ein anderer Natostaat überfallen werden würde, würde ich eher versuchen, aus der Ferne zu unterstützen, als an die Front zu gehen.
Ich denke, für die Front wäre ich absolut ungeeignet. Ganz vorne zu stehen und auf andere zu schießen, das würde überhaupt nicht zu mir passen. Mit Waffen kann ich generell wenig anfangen und weiß auch nicht, ob ich wirklich fähig wäre, eine einzusetzen. Im Verteidigungsfall sehe ich mich am ehesten im Bereich Logistik. Die Versorgung sicherzustellen oder Unterkünfte für Menschen zu organisieren – das wäre mein Ding. Ich würde auch versuchen, medizinisch zu helfen, selbst wenn mir dazu die Ausbildung fehlt.
In einem militärischen System wie der Bundeswehr zurechtzukommen, würde mir schon sehr schwerfallen. Ich neige zu Diskussionen und hinterfrage alles. Wenn mir ein Befehl überhaupt nicht passt, könnte ich vielleicht gar nicht anders, als darüber zu diskutieren. Allerdings habe ich noch nie Erfahrungen beim Militär gesammelt. Vielleicht wäre ich gerade in der Kriegssituation sehr froh, einfach Ja und Amen sagen zu können und mich den Befehlen zu beugen.
Im Allgemeinen bin ich immer für Abrüstung und dafür, die Zahl der Waffen möglichst gering zu halten. Durch den Krieg gegen die Ukraine hat sich meine Haltung in dieser Frage jedoch ein Stück weit verändert. Wenn ein anderer Staat den Krieg beginnt, funktioniert Abrüstung in der Praxis eben nicht. Deshalb finde ich mittlerweile, dass Deutschland verteidigungsfähiger werden muss. In dieser Frage herrscht auch in meinem Freundeskreis eine große Einigkeit.
Ich würde gerne von mir denken, dass ich natürlich Deutschland verteidigen würde, um unsere Demokratie zu schützen. Ob ich im Ernstfall aber mutig und selbstlos genug dafür wäre, weiß ich nicht. Zumindest versuchen, irgendwie zu helfen, würde ich auf jeden Fall. Sollte aber ein Krieg geführt werden, mit dem ich absolut nicht einverstanden bin, verlasse ich lieber das Land. Auch wenn ich Kinder hätte, würde ich fliehen, ganz sicher! Ich sähe es als meine Pflicht an, für ihre Sicherheit zu sorgen und möglichst jedes Risiko zu vermeiden.
Sem Swinke, 27 Jahre, Heiligkreuzsteinbach in Hessen, Schwimmbadfachmonteur
Ich würde Deutschland in einem Kriegsfall nicht verteidigen. Aber das war nicht immer so. Schon in meiner Kindheit wollte ich zur Bundeswehr, irgendwas mit Waffen machen. Die Vorstellung, das Land zu verteidigen, gar in einem Sonderkommando wie dem KSK zu dienen, fand ich aufregend. Über den politischen Hintergrund und die Sinnhaftigkeit dahinter habe ich mir keine Gedanken gemacht. Also bin ich später zur Bundeswehr gegangen, habe mich für zwei Jahre als Soldat und drei weitere Jahre als Reservist verpflichtet.
Regelmäßig gab es Übungen mit anderen Natostaaten. Es wurde immer vom Ernstfall ausgegangen, es wurden Szenarien möglichst realitätsnah nachgestellt. Das Augenmerk lag dabei auf Action. Uns jungen Männern hat es Spaß gemacht, zu schießen, im Dunkeln mit Nachtsichtgeräten rauszugehen, das war alles geil. Ich war da in so einem Film drin, das habe ich richtig gemerkt. Aber die Fragen, warum wir da jetzt mit dem Panzer durch die Heide fahren und was das im Realfall bedeuten würde, die wurden mit der Zeit für mich immer drängender.
Ein Aha-Moment war für mich, als eine Einheit aus unserer Kompanie von ihrem Afghanistaneinsatz zurückkam. Man merkte ihnen an, dass die Gefechte dort kein Spaß und auch keine Übung mehr waren. Dazu kamen die Folgen des Abzugs. Die Brunnen und Mädchenschulen, deren Bau die Bundeswehr beschützt hat, gibt es heute nicht mehr. Kein Mädchen hat mehr die Möglichkeit, die Schule zu besuchen. Dafür sind Dutzende Soldaten gestorben? Die Soldaten der Bundeswehr, das sind viele junge Männer und Frauen mit Familien. Jeder tote, verletzte oder traumatisierte Soldat bedeutet ein individuelles Schicksal. Darüber wird wenig gesprochen.
Sem Swinke
Bereut habe ich die Zeit bei der Bundeswehr trotzdem nicht. Der Zusammenhalt unter Kameraden, das war schon echt schön.
Meine Erfahrungen bei der Bundeswehr haben bestimmt auch meinen Blick auf den Ukrainekrieg geprägt. Ich sehe dort ein bloßes Abschlachten von Menschenleben. Die Leute, die den Krieg angefangen haben, werden ihn sicher überleben, denn sie sind in Sicherheit. Aber die Soldaten beider Seiten und die Zivilisten sterben, Familien werden zerrissen. Einen bewaffneten Krieg zu führen, erscheint mir so sinnlos, selbst im Verteidigungsfall.
Ich würde das Land also nicht verteidigen. Auch, weil ich keine Verantwortung als Deutscher, als Bürger oder als ehemaliger Soldat spüre. Im besten Fall würde ich einen Angriff voraussehen können und mit meiner Familie auswandern. Aus meiner Sicht gibt es kein Gut und Böse – das ist der Feind, der kommt zu uns, und wir sind die Guten und verteidigen uns. In einem Krieg gibt es so viele Interessen, etwa Politiker, die nicht meine Meinung vertreten, mich aber dazu zwingen wollen, mein Leben aufs Spiel setzen. Es ist so dumm in der Zeit, in der wir so weit entwickelt sind, noch immer mit Waffen unsere Interessen zu verteidigen.
Eine einzige Ausnahme gibt es, in der ich vielleicht doch zur Waffe greifen würde: Wenn meine Familie irgendwo im Haus säße und der Feind käme. Und andererseits denke ich: Was hat meine Familie davon, wenn ich dann tot bin? Sie können dann stolz sein auf meine heroische Leistung, aber tot bin ich dennoch.
David Scheuing, 35 Jahre, Wendland, Geograf, Friedensaktivist und Redakteur
Meine Einstellung hat sich nicht geändert: Ich würde das Land nicht mit der Waffe verteidigen. Meine Haltung ist grundlegend pazifistisch, ich engagiere mich antimilitaristisch, der Dienst an der Waffe ist keine Option und nicht vereinbar mit meinem friedenspolitischen Verständnis.
Ich nehme wahr, dass es normaler geworden ist, unkritisch über Krieg, Militär und Rüstung zu sprechen. Auch haben wir meinem Eindruck nach aufgehört, uns als Gesellschaft kritisch mit der Bundeswehr auseinanderzusetzen. Und es wird aktuell viel daran gesetzt, die Bundeswehr wieder attraktiver zu machen.
Das Wort der Stunde dafür ist „Kriegstüchtigkeit“. Das ist schon so ein pervers gut gewähltes Wort! Es erinnert die Bevölkerung an „deutsche Tugenden“, das klingt in den Ohren vieler Menschen wohl direkt gut, sie denken gar nicht weiter darüber nach. Wer tüchtig ist, kann ja nicht falsch liegen. Aber was hier mit Tüchtigkeit verbunden ist, das treibt uns immer weiter in eine militaristische Gesellschaft. Eine, in der alle Fragen von Gemeinschaft, Miteinander und Sicherheit von einem militärischen Verteidigungsgedanken aus beantwortet werden. Das ist enorm unfrei.
Das zeigt sich mit Blick auf die Bundeswehr für mich auf zwei Weisen: Einerseits in der Verknüpfung der Freiheit mit der moralischen Pflicht, für sie zu kämpfen. Dazu passt das starke Bestreben derzeit, die Wehrpflicht zurückholen zu wollen. Die unfreieste Form einer Betätigung, ein Zwangsdienst, soll der Verteidigung der Freiheit dienen.
Ich finde, eine freie Gesellschaft sollte über andere Wege sprechen, Freiheit, Menschenrechte, Gemeinsinn und soziale Institutionen zu schützen und zu erhalten – ohne den Griff zur Waffe. Es wurden bereits gewaltfreie, zivile Alternativen erprobt, wie der Ansatz unbewaffneten Schutzes der Zivilbevölkerung, verkörpert beispielsweise durch die NGO Nonviolent Peaceforce, durch die Revolutionären Nachbarschaftskommittees im Sudan, die auch in Zeiten des Krieges Zivilschutz und Hilfsstrukturen aufrechterhalten, oder auch durch die kolumbianischen Guardias, die mit gewaltfreien Mitteln ihre Lebensweisen gegen die allgegenwärtige Gewalt verteidigen. Methoden der Sozialen Verteidigung und des gewaltfreien Widerstands wie Nichtkooperation, Streiks oder klandestine Vernetzung sollten wir wieder verstärkt diskutieren und Menschenrechtsschutz, ziviler Krisenprävention und Konfliktbearbeitung Priorität einräumen.
Zum Zweiten wird unsere Freiheit mit der militärischen Absicherung des Territoriums verknüpft. Für die Verteidigung des eigenen Landes, so heißt es, brauche es dann Waffen mit Abschreckungspotenzial. Sollten wir nicht den Schutz von Menschen und ihrem Lebensrecht vor die Verteidigung eines Territoriums stellen? Als Geograf frage ich mich dabei, inwiefern territoriales Denken unsere soziale Verantwortung untereinander und füreinander einschränkt.
Als Pazifist empfinde es daher als unsere Aufgabe zu diskutieren, wie man ein gewaltfreies politisches System und die Verteidigung sozialer Institutionen anders denken kann als in einem kriegerischen System mit Grenzen. Kurzum: Der Verteidigungsbegriff darf nicht dem Militär überlassen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen