Studie zur deutschen Polizei: „Es gibt kein Rassismus-Problem“

Eine Studie zu Einstellungen bei der Polizei legt jetzt den Abschlussbericht vor. Studienleiterin Anja Schiemann über überraschend positive Befunde – und einige Problembereiche.

Polizisten in Uniform und mit Schutzhelmen stehen vor dem Reichstag in Berlin

Diese Be­am­t*in­nen zumindest haben eindeutig einen demokratischen Hintergrund: Po­li­zis­t*in­nen vor dem Reichstag Foto: Lutz Jaekel/laif

taz: Frau Schiemann, Sie haben drei Jahre lang eine der politisch umkämpftesten Studien durchgeführt: die große Studie über Einstellungen in der Polizei. Der damalige Innenminister Horst Seehofer von der CSU lehnte sie erst vehement ab, beugte sich dann aber dem SPD-Druck und ergänzte sie um Fragen des Berufsalltags. Nun liegt Ihr Abschlussbericht vor. Was ist für Sie der zentrale Befund?

Anja Schiemann: Es gibt nicht den einen zentralen Befund, sondern mehrere Befunde. Einer ist, dass die Berufsmotivation und Identifikation der Polizistinnen und Polizisten im Bund und den Ländern sehr hoch ist. Gleiches gilt für die Bewertung der Teamzusammenarbeit und der Wertschätzung durch Führungskräfte. Aber wir haben auch belastende Aspekte gefunden: Personalmangel, Bürokratie, eigene Gewalterfahrungen. Dennoch ist insgesamt die Arbeitszufriedenheit hoch. Und es zeigt sich: Mit einem modernen, bürgernahen, liberalen Selbstverständnis der Polizei steigt diese Zufriedenheit an.

taz: Ausgangspunkt der Studie war ja eine Diskussion, ob es einen strukturellen Rassismus in der Polizei gibt, wie ihn auch SPD-Chefin Saskia Esken sah. Wie also steht es um die Einstellungen der Polizist*innen?

Schiemann: Hier kann ich sagen: Es gibt kein Rassismusproblem in der Polizei. Wir haben die Einstellungen mit Fragen erhoben, die auch in der etablierten Mitte-Studie verwendet werden. Das Ergebnis: Die Einstellungen der Polizeikräfte sind sehr ähnlich mit denen der Gesamtbevölkerung. Sie ordnen sich politisch mittig bis leicht rechts ein, sie treten in einer großen Mehrheit für eine offene, demokratische Gesellschaft ein. Wir müssen aber auch sehr ernst nehmen, dass es einige wenige Polizeibeamtinnen und -beamte gibt, die ein konsistent demokratiefeindliches Weltbild haben.

ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik an der Universität zu Köln und leitet an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster das Projekt zur aktuellen Polizeistudie.

taz: Seehofer nahm schon vor Studienstart das Ergebnis vorweg und erklärte, 99 Prozent der Polizeikräfte seien verfassungstreu. Hatte er recht?

Schiemann: Im Großen und Ganzen stimme ich ihm zu. Von den gut 40.000 Polizistinnen und Polizisten, die wir jeweils in zwei Erhebungen befragt haben, hatten vielleicht 400 ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Also ein sehr kleiner Anteil.

taz: Aber in der Polizei eben doch ein sehr problematischer.

Schiemann: Ja, natürlich. Diese Menschen haben in der Polizei nichts zu suchen, da müssen die Führungsebenen aktiv werden.

Die Ausgangslage: Hitzig wurde 2020 in der schwarz-roten Bundesregierung über eine Studie zu Rassismus in der Polizei gestritten. Die SPD forderte eine Studie zu Racial Profiling, Innenminister Horst Seehofer (CSU) lehnte zunächst ab. Der Kompromiss: eine Studie zum Berufsalltag und den Einstellungen der Polizeikräfte, ausgeführt von der Hochschule der Polizei Münster.

Der Befund: An der Studie beteiligten sich 40.000 Po­li­zist*in­nen in zwei Onlinebefragungen, dazu kamen 80 direkte Interviews und teilnehmende Beobachtungen in 26 Dienststellen. Laut dem 150-seitigen Abschlussbericht ist die Mehrheit der Be­am­t*in­nen zufrieden mit ihrer Arbeit, geklagt wird über Personalmangel oder Bürokratie. Politisch ordnen sich die Befragten mittig bis leicht rechts ein. 81 Prozent stimmten der Aussage zu, dass Offenheit und Toleranz Grundpfeiler der Gesellschaft seien. 13 Prozent erklärten aber auch, Demokratie führe zu „faulen Kompromissen“. 27 Prozent fanden, durch die „vielen Muslime“ fühlten sie sich „wie ein Fremder im eigenen Land“. 31 Prozent stimmten zu, dass die meisten Asylsuchenden nur kämen, um das Sozialsystem auszunutzen. Ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild sieht die Studie bei weniger als 1 Prozent.

Alle Ergebnisse finden sich unter polizeistudie.de

Racial Profiling: Amnesty International und die EU-Kommission sehen bei der deutschen Polizei Indizien für ein „ausgeprägtes“ Racial Profiling. Die Studie untersuchte das nicht, stellt aber fest, dass ein Drittel der Po­li­zis­t*in­nen bereits rassistische Äußerungen im Dienst erlebten.

Polizeigewalt: Auch Gewaltübergriffe werden der Polizei immer wieder vorgeworfen. Die Studie fragt hier vor allem nach Gewalt, welche die Polizeibeamten erfuhren: 45 Prozent erklärten, einfache körperliche Gewalt erlebt zu haben, 10 Pro­zent schwerste. Als Gründe für eskalierende Einsätze gaben sie Alkohol- und Drogenkonsum oder psychische Erkrankungen bei Bür­ge­r*in­nen an. Selbstkritisch wird teilweise schlechte Kommunikation eingeräumt. Tödliche Polizeischüsse bei Einsätzen werden von der Studie nicht erörtert. (ko)

taz: Ihre Studie untersuchte nicht Racial Profiling, also rassistische Polizeikontrollen. Aber immerhin ein Drittel der Befragten erklärte, sie hätten im Dienst rassistische Äußerungen erlebt. Deutet das nicht auf ein Problem hin?

Schiemann: Wir haben generell Fehlverhalten im Dienst abgefragt, nicht nur rassistisches, auch Mobbing und anderes. Da mussten wir feststellen, dass vor allem niederschwellige Grenzüberschreitungen stattfinden. Und man muss genau hinschauen. Bei den rassistischen Äußerungen etwa: in welchem Zusammenhang diese fielen. Erfasst wurden auch solche gegen Kolleginnen. Das macht die Sache nicht besser, aber bedarf einer differenzierten Analyse. Die aber war nicht unser Forschungsfokus.

taz: Bedenklich sind teils hohe Zustimmungswerte der Po­li­zis­t*in­nen zu einzelnen Fragen, etwa dass Asylsuchende nur hierherkommen, um das Sozialsystem auszunutzen, oder es zu viele Ausländer oder Muslime hierzulande gebe. Welche Erklärung haben Sie dafür?

Schiemann: Diese Werte sind für die Polizei natürlich nicht erfreulich. Und leider sind einige davon im Vergleich zu unserem Zwischenbericht 2023 auch leicht angestiegen. Nach den Gründen dafür haben wir uns natürlich auch gefragt. Ich glaube, es ist zu kurz gesprungen, eine Ablehnung von Asylsuchenden etwa mit schlechten Erfahrungen im Dienst zu erklären. Denn hier gibt es ja auch viele positive Erfahrungen. Aber natürlich sind Polizistinnen und Polizisten Teil dieser Gesellschaft, die in den letzten Jahren eher nach rechts gerückt ist. Das kann eine Erklärung sein.

taz: Die Polizei also als Spiegelbild der Gesellschaft?

Schiemann: Nicht ganz. Polizistinnen und Polizisten haben im Schnitt einen höheren Ausbildungsgrad, sie haben also eine intensive Wertevermittlung erhalten, weshalb ihre Einstellungswerte eigentlich positiver sein müssten als in der Gesamtgesellschaft. Warum das in Teilen nicht so ist, da brauchen wir noch weitere Forschung.

taz: Bedenklich scheint auch, dass sich einige Po­li­zis­t*in­nen in einigen Fragen, etwa ob die Demokratie die beste Staatsform ist, nicht eindeutig positionieren. Wie ist das zu bewerten?

Schiemann: Dieses ambivalente Antwortverhalten betrifft tatsächlich eine recht hohe Zahl der Mitarbeitenden, eine zu hohe. Eine Erklärung kann hier sein, dass Polizistinnen und Polizisten in ihrem Selbstverständnis neutral sein wollen. Aber in Sachen Demokratie braucht es natürlich eine eindeutige Positionierung. Ich denke, hier muss man bei der Polizei noch mal mit Fortbildungen oder anderen Maßnahmen ansetzen.

taz: Sie haben neben Onlinebefragungen auch direkte Interviews durchgeführt. Sehen Sie ein Problembewusstsein in der Polizei?

Schiemann: Wir haben für unsere Studie eine große Offenheit in der Polizei erlebt – ganz anders, als das im Vorhinein von einigen angenommen wurde. Und das Problembewusstsein ist da, es gibt ja schon seit Langem Fortbildungen etwa zu interkulturellen Kompetenzen. In der Polizei ist gerade die große Diskussion, ob diese verpflichtend für alle sein sollten oder nicht. Und natürlich ist das Auftreten von Führungskräften entscheidend: Je hinterfragender und transparenter diese sind, desto mehr wird bedenklichen Einstellungen entgegengewirkt und desto besser ist das für das Team. In einigen Bundesländern gibt es auch, um dem Eindruck von Racial Profiling vorzubeugen, bereits sogenannte Kontrollquittungen, die festhalten, was Anlass einer Identitätsfeststellung war. Auch das scheint mir ein sinnvolles Instrument zu sein, Es spricht nichts dagegen, so etwas überall einzusetzen.

taz: Sie konnten 40.000 Polizisten mit Online-Fragebögen befragen, eine große Stichprobe. Sie haben also ein repräsentatives Bild von der Polizei?

Schiemann: Wir hatten Online-Fragebögen an alle Dienststellen geschickt und einen Rücklauf in der letzten Erhebung von 14 Prozent. Das ist für eine Sozialstudie beachtlich und mit 40.000 Teilnehmenden tatsächlich eine sehr große Stichprobe. Das schafft erstmals ein repräsentatives Bild der Polizei. Das ist ein Gewinn, um die Diskussion zu versachlichen und auch für die Polizei selbst, um zu sehen, wo sie Dinge noch besser machen kann.

taz: Die Studie erfolgte im Auftrag des Innenministeriums. Konnten Sie wirklich frei forschen?

Schiemann: Moment. Es war kein Auftrag, sondern wir haben eigeninitiativ eine Projektskizze eingereicht und einen Zuwendungsbescheid erhalten. Und ja, wir konnten völlig unabhängig forschen. Auch an unserem Abschlussbericht hat das Innenministerium kein Wort geändert.

taz: Das Bundesinnenministerium sowie die Innenministerien der teilnehmenden Bundesländer werden Ihre Studie nun weiterfinanzieren, Sie dürfen drei Jahren weiterforschen. Was haben Sie noch vor?

Schiemann: Wir werden uns noch genauer die Aus- und Fortbildungsangebote anschauen, wir werden schauen, wie und warum sich bedenkliche oder ambivalente Einstellungen entwickeln. Zudem werden wir Hilfsangebote in den Blick nehmen, etwa wie Gewalterfahrungen wirkungsvoll verarbeitet werden können. Außerdem wollen wir untersuchen, ob institutionelle Einrichtungen, zum Beispiel Polizeibeauftragte oder Demokratiepaten, sinnvoll sind. Wie lässt sich Nachwuchs für die Polizei gewinnen? Und dann werden wir 2026 eine dritte, große Onlinebefragung machen, wo wir sehen können, wie und warum sich nicht nur insgesamt, sondern auch bei Einzelnen Einstellungen über die Zeit verändert haben. Da warten noch viele spannende Antworten.

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