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Siedlergewalt im WestjordanlandSo viel mehr als Einzelfälle

Kommentar von Lisa Schneider

Die israelische Regierung verurteilt die jüngste Siedlergewalt zwar, stellt sie jedoch als Ausnahme von der Regel dar. Das verzerrt die Realität.

Ein abgefackeltes Auto nach einem Angriff von Siedlern in Dschit im Westjordanland Foto: dpa

E in getöteter Palästinenser, ausgebrannte Häuser und Autos – die Ausschreitungen gewalttätiger Siedler im nördlichen Westjordanland Ende vergangener Woche waren extrem. So sehr, dass sich selbst eines der rechtesten Mitglieder der israelischen Regierung kritisch äußert. So sagte etwa Finanzminister Bezalel Smotrich – selbst in einer Siedlung im Westjordanland lebend und absoluter Befürworter der international verurteilten Praxis – über die an dem Pogrom Beteiligten: „Sie sind Kriminelle, die verurteilt werden sollten.“

Und Präsident Isaak Herzog erklärte, eine „kleine, radikale Minderheit“ schade Israel sowie den „sich an das Recht“ haltenden Siedlern. In einer Siedlung zu leben und sich dabei rechtskonform zu verhalten ist zumindest im Sinne des internationalen Rechts unmöglich, gelten die Siedlungen doch als völkerrechtswidrig.

Dass die Regierung von Benjamin Netanjahu und auch dieser selbst sich zu den Ausschreitungen so deutlich äußern, ist kaum überraschend. Denn die Bilder eines von Siedlern angezündeten Dorfs im Westjordanland ist wohl das Letzte, was Israels Regierung derzeit gebrauchen kann: In Katar wird um einen Geiseldeal und Waffenstillstand verhandelt, die Drohung des Iran, Israel direkt anzugreifen, steht noch immer im Raum, die westlichen Verbündeten üben Druck aus.

Siedlerpolitik bleibt Staatsdoktrin

Immer wieder wurde von arabischen Staaten sowie von vielen westlichen Nationen seit Beginn des Krieges im vergangenen Oktober wiederholt, dass es perspektivisch neben Israel endlich auch einen palästinensischen Staat geben müsse. Die Siedlungen machen diesen fast unmöglich. Und die Worte, die Herzog zum Verurteilen der Siedlergewalt wählte, zeigen einmal mehr: Die Siedlungspolitik bleibt Staatsdoktrin, und die gewalttätigen Siedler sind nur ein paar wenige faule Äpfel im Korb.

Auch dass das israelische Militär Medienberichten zufolge recht tatenlos zusah, wie die Siedler wüteten, zeigt: Das Problem ist viel größer als „eine kleine, radikale Minderheit“. Davon können auch eilige Bedauernsbekundungen nicht ablenken.

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Redakteurin für Nahost
Redakteurin für Westasien & Nordafrika.
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23 Kommentare

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  • "...handelt es sich auch um Gebiete und Ortschaften, mit denen das Judentum historisch verbunden ist. ..."



    Die Verbindung stammt aus einer Zeit, in der die gesamte Bevölkerung des damaligen lokalen Mandatsgebiets unterhalb von 1 Mill. Menschen lag, von denen nur der deutlich kleinere Teil Juden waren.



    Innerhalb von ca 25 Jahren wanderten dann deutlich mehr als 1 Mill. Juden ein, die die nicht-jüdische Bevölkerung ganz gezielt verdrängten (nachlesen bei Th. Herzl...)



    Aber all diese Fakten sind hundertfach ausgetauscht. Sie können kaum noch zu einer halbwegs gerechten und dauerhaft stabilen Lösung der Probleme beitragen.

  • Die israelische Friedensbewegung hat es schon vor Jahrzehnten festgestellt: Die Besatzung zerstört Israels moralisches Fundament. Was unter dem Besatzungsregime passiert, sind keine Betriebsunfälle, sondern ein schleichendes Gift, das sich in der israelischen Gesellschaft, den herrschenden Normen und Werten ausbreitet.

    • @My Sharona:

      Word!

  • Wer die Situation im sog. Westjordanland kennt, weiss auch, dass die dort lebenden Palästinenser die dort lebenden Israelischen Familien angreifen, verletzen und töten. Felder werden angezündet. Und zwar in den Gebieten, wo die Israelis leben dürfen. Diese Seite der ständigen Aggression von palästinensischer Seite einfach wegzulassen, bedeutet nur ein einseitiges Bild aufzubauen, eben Propaganda. Solche Angriffe der dortigen Siedler sind selten, aber eben oft auch eine Reaktion auf ständige Palästinensische Terrorangriffe.

    • @davber:

      Bekannterweise sind die Siedler illegal. Sie gehören da nicht hin.



      Und dass sie sogar ihre Kinder drillen, auf Palästinenser Steine zu werfen (Hebron et alibi), ist Ihnen auch bekannt.



      Warum also Ihre Zeilen?

      • @Janix:

        Ob die da hingehören oder nicht ist Ansichtssache.

        • @maxwaldo:

          Das Völkerrecht ist keine Ansichtsssache. Allenfalls gibt's unterschiedliche Sichtweisen über die Relevanz des Völkerrechts und ob man nun Respekt davor hat oder nicht.

    • @davber:

      "Und zwar in den Gebieten, wo die Israelis leben dürfen."

      Hat Israel das so beschlossen? Israelis haben im Westjordanland nichts zu suchen, die Siedlungen sind völkerrechtswidrig.

      • @HaMei:

        "Israelis haben im Westjordanland nichts zu suchen"

        Ist rassistisch, antisemitisch und falsch.

        Nicht nur gibt es nicht wenige Israelis die Verwandtschaft im Westjordanland oder Judäa und Samaria haben, nicht nur gab es dort vor Intifadas rege Interaktion und nun immer noch Austausch, sondern gibt es ebenfalls Miets- und Eigentumsverträge die gelten und vor 1947 abgeschlossen worden sind. Diese als ungültig abzustempeln, weil die Besitzenden Israelis sind ist sowohl ein Verstoß gegen das Weiterwirken des Rechts vom Osmanischen Reich (was übrigens Juden*Jüd*innen Besitz in Israel häufig verboten hat) bzw. Britischen Mandat, bzw. der Rechtsnachfolge, sondern trieft völkisch blutig nach sowohl "Judenfreien Ägypten" (wie die Hamas in Ägypten, damals Muslimbruderschaft) skandiert hat (oder "vom Wasser zum Wasser arabisch!", für das Gebiet des Britischen Mandats).

        Jedes Stück Land gehört allen Menschen, das Problem im Westjordanland ist nicht die bloße Präsenz von Israelis, oder Juden*Jüd*innen.

        • @ToSten23:

          Na, hoffentlich kommt eine ähnliche Philippika, wenn es um palästinensischen Besitz in Ostjerusalem geht, der mit allerlei Tricks plötzlich israelischen Neubesitzern überschrieben wird.



          Die paar Pacht und Mietverträge von "vor 1947" sind nicht das, womit die Palästinenser der Westbank ein Problem haben.

        • @ToSten23:

          Israelis mit tatsächlich legalem Besitz im Westjordanland können zukünftig natürlich die palästinensische Staatsbürgerschaft oder eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Das dürfte aber nur eine Minderheit der Israelis dort betreffen. Der Großteil sind Siedler und Besatzer, die gegen das Völkerrecht verstoßen, und da eben nichts zu suchen haben.

        • @ToSten23:

          "Ist rassistisch, antisemitisch und falsch."



          Nein, es ist schlicht und ergreifend internationales Recht: wie der IGH erst kürzlich in einem Gutachten wieder bestätigt hat, ist die israelische Besatzungspolitik illegal.

          • @O.F.:

            Immerhin haben 4 von 11 Richter:innen des IGH das anders gesehen, deren Argumente zur Kenntnis zu nehmen lohnt sich. Und, wie Sie selbst schreiben, es handelt sich um ein Gutachten, kein Urteil. Die weitere Besiedelung ist für einen dauerhaften Frieden nicht sinnvoll, allerdings handelt es sich auch um Gebiete und Ortschaften, mit denen das Judentum historisch verbunden ist. Aus vielen davon wurde die jüdische Bevölkerung im Krieg 1947/1948 vertrieben. Sozusagen ein Gegenstück zur "Nakba".

            • @Kai Ayadi:

              Die Sondervoten haben sich nicht auf die Siedlungen an sich bezogen (deren Illegalität ist unumstritten), sondern auf andere Teilaspekte wie z.B. ob die Besatzung an sich illegal ist.



              verfassungsblog.de...ina-igh-gutachten/



              Und ja: es war nur ein Gutachten. Aber erstens hat ein Gutachten des IGH eine unbestreitbare Autorität und zweitens spiegelt es die Rechtsauffassung fast der gesamten internationalen Gemeinschaft wieder (zumal hier auch wenig legale Spielräume bestehen).

    • @davber:

      Finde es wichtig, sich um ein umfassendes Bild zu bemühen, was im Fall des Nahostkonflikts fast unmöglich ist.

      Zur Behauptung palästinensischer Angriffe auf jüdische Siedlungen im Westjordanland findet sich nichts. Die Heinrich- Böll- Stiftung veröffentlichte einen Beitrag vom 13.3.24 unter dem Aufmacher:



      "Analyse



      Theoretisch gibt es im Westjordanland ausreichend Wasser. Doch den Großteil davon verbraucht Israel für die Siedlungen in den besetzten Gebieten. Das führt auf palästinensischer Seite vor allem in den Sommermonaten zu enormer Knappheit. Die Zivilgesellschaft spricht von klarer Diskriminierung."



      Kann es sein, dass die jüdischen Siedlungen tatsächlich sind, was sie international gelten: völkerrechtswirdrig?



      Kann es sein, dass die Realität jüdischer Siedlungen im WJL eine Vielzahl von Konflikten begründet, so dass es einen Unterschied macht, ob ein extremistischer Mob loszieht und tötet oder ob Menschen sich gegen Land- und Wasserraub wehren und Felder anzünden (theoretisch, denn gelesen hatte ich davon nichts)?

  • Konsequent wäre es von Seiten westlicher Länder, Israel ganz klare Auflagen zu machen als Bedingung, es weiter zu unterstützen.



    Dazu würde gehören:



    - Nur eine Regierung weiter finanziell auszustatten, die einer Zweisattatenlösung zustimmt



    - Und weiter klare Ansagen machen, was diese rechtsradikalen Siedler im Westjordanland anbelangt: das kann alles so nicht weiter geduldet werden

    Die derzeitige Regierung setzt den Staat Israel selbst aufs Spiel. Die westlichen Länder brauchen eine klare Linie. Das ist die einzige Chance, in dieser Region zu einem Frieden zu kommen.

  • Haben die Palästinenser das Recht, sich selbst gegen den mörderischen, rassistischen Pogrome zu währen?

    Absolut.

  • Ziel der rechtsgerichteten Regierung war eine neue Grundordnung des Staates. Schon beim Amtsantritt 2022 hat sie unmissverständlich formuliert, dass das "jüdische Volk ein exklusives Recht auf alle Gebiete von Eretz Israel“ habe. Gemeint ist damit auch das besetzte Westjordanland. Zum erreichen dieser Ziele strebte die Regierung einen Umbau des Rechtssystems an um die Macht der Regierung zu stärken. Kern der Reform war, dass das Parlament mit einer Aufhebungsentscheidung Anordnungen des Obersten Gerichtshofs revidieren kann. Da Israel keine Verfassung hat und auch über keine zweite Parlamentskammer verfügt, ist es Aufgabe des Obersten Gerichtshofs die Regierung zu kontrollieren. Die Änderung hätte dem Gericht die Möglichkeit genommen, gegen „unangemessene“ Entscheidungen der Regierung vorzugehen. Nach den Massenprotesten in der Bevölkerung und nachdem das Gericht ein Kernelement der Justizreform gekippt hatte, erklärte Netanjahu Ende des Jahres die Entscheidung einer Aufhebungsklausel verworfen zu haben. Das Ziel den Landaneignungen eine rechtliche Grundlage zu geben ist damit verfehlt. Somit bleibt es bei der etablierten Vorgehensweise: durch Gewalt und Landraub Fakten schaffen.

    • @Sam Spade:

      Bezeichnend auch, wie Netanyahu auf das Gutachten reagierte, das die eine völkerrechtswidrige Annexion des Westjordanlandes konstatierte: Judäa und Samaria sind israelisch und deshalb kann man nicht von Annexion sprechen. Von einer Sicherheitsrelevanz der Besetzung des Westjordanlandes hat er in dem Tweet bezeichnenderweise nichts erwähnt.



      Der Umbau der Justiz diente aber wohl nicht primär der Annexion des gesamten Gebiets von Jordan bis Mittelmeer, sondern hatte noch andere innenpolitische Gründe.

  • Die Siedlungen sind kriminelle. Das Siedeln dort ist kriminell.



    Und einige Handlungen obendrein noch einmal.



    Wie bei der Westsahara oder der Ostukraine sollte die EU es beharrlich thematisieren.

  • Wenn Smotrich sagt, es seien Kriminelle - dann ist das reine Heuchelei. Diese Regierung könnte die Siedler entwaffnen. Sie könnte dafür sorgen, dass die Armee nicht zuschaut, sondern genauso agiert wie gegen Palästinenser: Verhaftung und ggf gezielter Einsatz scharfer Waffen.



    Aber das traut sich diese Regierung längst nicht mehr, selbst wenn sie wollte. Die Geister die Netanjahu rief, wird er nun nicht mehr los. Und wenn die Ultra-Orthodoxen bald auch noch Wehrdienst leisten, zieht man sich eine private, extrem gute Miliz heran, die bereit ist für ihre Ideologie Gewalt einzusetzen und dafür militärisch hervorragend ausgebildet wird.



    Das ist vermutlich der eigentliche, wahre Grund, warum diese Gruppe bisher vom Wehrdienst ausgenommen war.

    • @Monomi:

      "Ultra-Orthodoxe" sind die, die sich für weltliche Belange nicht interessieren, was Sie meinen, sind vermutlich "Nationalreligiöse". Die braucht die IDF nicht, hat sie doch viel besser ausgebildete Soldaten.

      • @Kai Ayadi:

        Dafür, dass sich "Ultra-Orthodoxe" nicht für weltliche Belange nicht interessieren, üben sie aber einen hübsch großen Einfluß auf die israelische Politik aus. Das scheint ihnen sehr wichtig zu sein - Anerkennung ihrer Verpflichtungen gegenüber dem israelischen Staat hin oder her.



        Und so wie's aussieht, geht's nicht darum, ob die IDF diese Soldaten, Wehrpflichtigen braucht oder nicht.



        Und ob Nationalreligös oder ultra-Orthodox - beide Gruppen haben oder werden sehr schnell begreifen, wie nützlich es ist, eine bewaffnete Gruppe zu haben, die eher den Anweisungen der religiösen Führer folgt als den offiziellen Befehlshabern.