Proteste gegen Hartz IV im Sommer 2004: Der verlorene Kampf gegen Hartz IV
Vor 20 Jahren gingen im Osten Tausende Menschen auf die Straße. 20 Jahre später heißt das Gesetz Bürgergeld – doch die Kritikpunkte bleiben aktuell.
BERLIN taz | Der Vorwurf, auf Kosten der Allgemeinheit nicht arbeiten zu wollen, hat sich auch nach 20 Jahren kaum abgenutzt: 2023 wurde Hartz IV durch das Bürgergeld ersetzt, die populistischen Debatten aber sind geblieben.
Die Bundesregierung will die Sanktionsmöglichkeiten verschärfen, die Union stichelt weiter. Am Montag erklärte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in der Welt, „Tausende“ könnten zwar arbeiten, bekämen aber Geld vom Staat, „für das die Steuerzahler hart arbeiten“. Vor 20 Jahren gingen in Ostdeutschland Tausende gegen solche Vorwürfe auf die Straße.
„Schluss mit Hartz IV – denn heute wir, morgen ihr“. Diese Parole hatte der arbeitslose Kaufmann Andreas Ehrholdt mit Filzstift auf Pappschilder gemalt, als er Ende Juli 2004 in Magdeburg zu Protesten aufrief. Am 1. Januar 2005 sollte das Hartz-IV-Gesetz in Kraft treten. Der Kern der nach dem VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz benannten Reformpakets: fördern und fordern.
Die Menschen sollten bei der Jobsuche unterstützt, also gefördert werden. Doch sollten über Sanktionen jene Menschen diszipliniert werden, die sich angeblich zu wenig um einen Job bemühten. Viele Menschen fühlten sich zu Almosenempfänger*innen des Staates degradiert.
200.000 Menschen auf der Straße
Am 26. Juli waren es noch wenige hundert Menschen, die Ehrholdts Aufruf folgten und in Magdeburg auf die Straße gingen. Doch das sollte sich schnell ändern. Im Laufe des Augusts beteiligten sich in immer mehr ostdeutschen Städten Menschen an den immer Montags stattfindenden Demonstrationen, oft in vierstelliger Zahl. Auf dem Höhepunkt der Anti-Hartz-Proteste am 30. August waren in über 200 Städten bundesweit, vor allem aber im Osten mindestens 200.000 Menschen auf der Straße.
Die Zahl der Protestierenden hielt sich über mehrere Wochen und ging erst im Oktober zurück. Inzwischen aber beschäftigten sich alle großen Medien der Republik mit der Frage, was die Menschen in Ostdeutschland immer Montags auf die Straße trieb. Mit Staunen beobachteten auch linke Gruppen, dass ganz ohne ihr Zutun in Ostdeutschland Menschen protestieren, die bisher nie demonstriert hatten.
Lutz Neuber von der Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU) war als einer der wenigen organisierten Linken am 26. Juli 2004 in Magdeburg auf der Straße. „Als unser Häufchen von sieben bis acht Leuten mit unseren Transparenten und den Parolen gegen Nazis, Staat und Kapital zur vielleicht 300 Teilnehmer*innen zählenden Demo stieß, wurde es freudig begrüßt“, erinnert sich Neuber nach 20 Jahren an die euphorische Stimmung. „Unsere Sprechchöre gegen Niedriglöhne und Zwangsarbeit wurden beklatscht. Wir dachten, jetzt geht es los.“
Doch schon auf der zweiten Montagsdemonstration in Magdeburg folgte die Ernüchterung: Mit über 6.000 Versammelten habe sich die Menge vervielfacht, erzählt Neuber. „Doch diesmal hatten sich Gruppen der extremen Rechten an die Spitze gestellt und auch sie wurden von der Masse verteidigt. Man wollte niemanden ausschließen.“
Der Funke sprang nicht über
In vielen Städten hingegen weigerten sich die Demonstrant*innen, mit Neonazis auf die Straße zu gehen. „Abgrenzung von Faschist*innen war einer der beschlossenen Grundsätze der Montagsdemonstrationen“, sagt der Sozialwissenschaftler Harald Rein, der seit Jahrzehnten in der unabhängigen Erwerbslosenbewegung aktiv ist.
Dass Hartz IV nicht verhindert werden konnte, habe auch daran gelegen, dass der Funke nicht nach Westdeutschland übergesprungen sei. Dort initiierten linke Gruppen in verschiedenen Städten Proteste gegen Hartz IV, die aber überschaubar blieben. „Einzig die Montagsdemonstrationen 2004 im Osten Deutschlands können als spontaner Massenprotest gegen Hartz IV bezeichnet werden“, so Rein.
Dabei gab es durchaus Potenzial: Am 1. November 2003 beteiligten sich über 100.000 Menschen an einer bundesweiten Demonstration gegen Hartz IV in Berlin, die von wenigen Aktivist*innen auf die Beine gestellt worden war. Mitten in der sommerlichen Nachrichtenflaute gingen dann in Ostdeutschland spontan zahlreiche Menschen gegen Hartz IV auf die Straße.
Zwar versuchten linke Gruppen für den Herbst 2004 weitere Proteste auch im Westen zu organisieren. Doch nur selten konnten sie mehr als die linke Szene mobilisieren – eine Ausnahme bildete eine Demonstration vor der Bundeszentrale der Agentur für Arbeit in Nürnberg mit rund 10.000 Personen im November.
„Welche Arbeit ist zumutbar für welchen Lohn“
Einen weiteren Grund dafür, dass die Proteste ihr Ziel nicht erreichten, sieht die Soziologin Mag Wompel im unklaren Gerechtigkeitsbegriff vieler Montagsdemonstrant*innen. Viele hätten sich darüber empört, behandelt zu werden wie Sozialhilfeempfänger*innen – und damit die Spaltung zementiert.
„Die breit verankerte Ideologie der Leistungsgerechtigkeit hat durch die latente Akzeptanz des Menschenbildes der Agenda 2010 dem Widerstand das Genick gebrochen“, urteilt Wompel, die vor 20 Jahren als Redakteurin der Onlineplattform Labournet an zahlreichen Protesten beteiligt war.
Die Einführung von Hartz IV sei ein massiver Einschnitt gewesen, sagt die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO), seit mehr als 40 Jahren in der Erwerbslosenbewegung aktiv. „Welche Arbeit zumutbar ist für welchen Lohn, wie weit der Schutz der Privatsphäre gewährleistet wird, welche Wohnungen angemessen sind, wie Betroffene und ihre Kinder versorgt werden, mit wie viel Angst und der Erwartung von Demütigungen sie in Jobcenter und Sozialämter gehen müssen – das hat Maßstäbe gesetzt nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern für das gesamte Zusammenleben in dieser Gesellschaft“, resümiert die Selbsthilfe-Gruppe. In einen solchen Klima hätten die meisten Menschen wenig Kraft und Zeit gehabt, sich an Protestdemonstrationen zu beteiligen.
Doch es gab solidarische Aktionen. So entstanden in vielen Städten Initiativen, die Erwerbslose bei ihren Terminen im Jobcenter begleiteten, damit sie nicht allein dem bürokratischen Prozedere ausgeliefert waren. Auch die Klagen gegen verhängte Sanktionen nahmen rapide zu und waren oft erfolgreich. Für die im letzten Jahr verstorbene Erwerbslosenaktivistin Anne Allex war das auch eine Spätfolge der Proteste vom Sommer 2004: „Viele Menschen haben damals gelernt, sich zu wehren.“
Leser*innenkommentare
Jim Hawkins
Und die Geschichte wiederholt sich auf perfide Art.
Linnemann will "Totalverweigerer" verhungern lassen und Lindner fehlen auf einmal, ups, drei Milliarden.
Woher nehmen und nicht stehlen?
Zählen wir Linnemann und Lindner zusammen und wir haben das Ergebnis.
Wir nehmen es den Nichtsnutzen und Taugenichtsen weg. Die wehren sich nicht und das alles lenkt dann auch fein davon ab:
"Von den sogenannten Centimillionären in Deutschland, also Menschen mit mehr als 100 Millionen Euro, könnte man damit potenziell bis zu 17 Milliarden Euro im Jahr einnehmen."
taz.de/DIW-Oekonom...m%C3%B6genssteuer/
Nur dumm, dass die wissen, wie man sich zur Wehr setzt.
Kaboom
Es gab damals eine gigantische Kampagne gegen die (monetäre) Unterschicht. Die Privaten sendeten stundenlang Sozialpornos, von den notorischen Talkshows, in denen beinahe täglich "faule Arbeitslose" vorgeführt wurden über Berichte von "Mallorca Ralf", etc. pp. Die öffentlich-rechtlichen trommelten mit INSM-Talkshows wie Christiansen, die konservative Kampfpresse tat ihren Teil, ebenso wie Konservative und Neoliberale in der Politik. Das war vermutlich die größte Kampagne seit Gründung dieses Landes.
Und dann kam Gas-Gerd gemeinsam mit dem Hardcore-Neoliberalen Clement (ich frag mich bis heute, ob der Mann von RWE abgestellt wurde, um die Sozen zu unterwandern), Privatrenten-Riester, und natürlich "Wer-nicht-arbeitet-soll-auch-nicht-essen" Müntefering. Die Agitprop funktionierte damals im Westen wirklich perfekt.
Andreas_2020
Angeblich soll das SGB II vor Armut schützen, kompetent in Arbeit vermitteln und Problemlagen erkennen und sachkompetent bearbeiten.
Ich glaube, dass war noch n i e so. M.M. hat dieses Gesetz Armut verfestigt und viele Familien kaputt gemacht. Außerdem gab es eigentlich nie genügend offene Stellen, es war immer unrealistisch.
Und die SPD hat die Logik der Arbeitgeber übernommen, Arbeit so zu verbilligten, dass der Niedriglohnsektor stark wachsen kann.
Der DGB hätte es wohl zerkleinern können, am Ende hatten sie Beißhemmungen. Von der Straße alleine aus, kann man das nicht stoppen. Dazu hätte es dann revolutionär werden müssen. Und das war es auch nicht.
Brot&Rosen
erwerbslosen-inis gabs schon sehr viel früher. der entwürdigende umgang mit menschen, die erwerbslos sind, hat la nge tradition in D.
"arbeit macht frei"- stand über eingängen von kz + vernichtungslagern.
recht auf faulheit- titel eines buchs von marx schwiegersaohn: undenkbar im land der zwangsarbeiterInnen + der vernichtung durch arbeit.
"wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" - noch son nazi-spruch.
in job-centern wird nicht geholfen sondern eher bestraft.
die atmosphäre dort ist geladen von demütigung. gut, letzteres mein subjektiver eindruck.
es gab vor nicht allzulanger zeit eine initiative mit dem namen "ichbinarmutsbetroffen".
davon hören wir irgendwie nichts mehr - warum auch immer.
ich selbst bin froh, endlich in rente zu sein + das glück zu haben, keine grundsicherung beziehen zu müssen.
altersarmut ist verbreitet + mit das bitterste, was mensch (meist frauen) erleben muß: oft nach einem leben voller plackerei.
bleakest
Was immer unterschlagen wird: für viele Freiberufler gerade in den sogenannten kreativen Berufen war Hartz 4 doch ein Gottesgeschenk. Ich möchte nicht wissen, wieviele der z. B. hier in der taz frei Schreibenden heute mit Bürgergeld aufstocken.
Kurt Kraus
Ja, da könnte man einiges besser machen. Es interessiert aber nicht genug Leute, damals wie heute. Damals ist als Reaktion auf Hartz IV Angela Merkel gewählt worden (ohne Zustimmung ihrer CDU wäre das gar nicht durch den Bundesrat gegangen), heute liegt Merz vorn, der da bestimmt nichts ändern will. Es ist also nicht das große Thema, zu dem es gemacht wird. Das mag man bedauern, aber man muss es wahrnehmen. Die Themen setzen andere.
Janix
@Kurt Kraus Merkel & Co. haben per Bundesrat Hartz IV erst mit diesen niedrigen Sätzen so verschärft!
Ihr Wahlprogramm, versimpelt neoliberal à la Merz, hat sie aber fast den Wahlsieg gekostet, trotz Schröders Irrlichterei im Sozialen und Neuwahl - das war eine Selbstentleibung Schröders, der nicht mehr wusste, was er denn noch wollte, und dennoch hatte die Union nur einen schwachen Vorsprung vor der SPD.
Am besten steht man für das aus seiner Sicht Sinnvolle und Machbare ein. Die SPD sollte aus der Erkenntnis, dass große Teile von Hartz IV ungut waren (nicht alles), auch weiterhin Schlüsse ziehen. Die "Bild" kann doch nicht den Verstand ersetzen.
Dr. McSchreck
Ich verstehe nicht, was an dem "Vorwurf, auf Kosten der Allgemeinheit nicht arbeiten zu wollen" unberechtigt sein soll, soweit es nicht um Kinder oder kranke Menschen geht (wozu auch psychische Defizite zählen oder Sucht). Wer von Sozialleistungen lebt, lässt sich von anderen sein Leben finanzieren.Wer fragt, ob sich arbeiten für ihn lohnt, ist schon damit jemand, der eigentlich keine Sozialeistungen bekommen dürfte, wenn man die eigentliche idee dahinter vertritt.
Janix
@Dr. McSchreck Wir haben u.a. einen großen Teil, der psychisch, sprachlich oder physisch nicht arbeiten kann. Der wird bewusst da nie genannt.
Wer von den Kapitaleinkünften aus seinem Erbe lebt, lässt sich auch von anderen sein Leben, ein sehr angenehmes Leben sogar, finanzieren. Da gehen nicht nur Millionen, sondern Milliarden flöten.
Darum der Aufschrei: von dem Steuerbetrug mancher solcher ließe sich viel Neo-Hartz-IV tragen.
Klaus Witzmann
@Janix Vielen Dank. 1000x richtig
Dr. McSchreck
@Janix „Sprachlich“ akzeptiere ich nicht. Kapitaleinkünfte werden versteuert.
Klabauta
Die Diskussion um die "Arbeitsunwilligen" war schon 2004 und ist bis heute meiner Meinung nach ein reines Ablenkungsmanöver im Sinne von 'Haltet den Dieb!', während ein anderer Teil unserer Gesellschaft legal (Steuerschlupflöcher) oder illegal Steuern in Milliardenhöhe hinterzieht oder gar nicht erst zahlen muss (s. Vermögenssteuer)
Dass man Arme auf noch Ärmere hetzt ist eine immer wieder gern benutzte Strategie, auf die leider viel zu viele Menschen reinfallen.
Janix
@Klabauta Das ist das täglich Brot der Springerschlagzeilen seit jeher, um von den echten Sozialbetrügern abzulenken, denen mit den Bentleys und den geerbten Aktienpaketen.
Ahnungsloser
@Janix Könnten sie bitte mal erläutern, warum Erben Betrüger sind?
Moon
Zu den im Artikel angesprochenen Aussagen von Michael Kretschmer, verlinkt in "Welt".
Auf den erssten Blick verrückt aber gefährliche wahr. Der Kampf sogar gegen die Anteile von Hartz IV im Bürgergeld geht der Kampf weiter. Führen tun ihn nun die Konservativen.
Kretschmer in "Welt":
"Tausende könnten arbeiten, tun es aber nicht und bekommen Geld vom Staat, für das die Steuerzahler hart arbeiten. Um dem einen Riegel vorzuschieben, wäre eine Beweislastumkehr nötig. Sprich: Wer Bürgergeld will, muss nachweisen, dass er nicht in der Lage ist, zu arbeiten. Erst dann darf es Geld geben."
WIE DAS?
Nach § 7 u. 8 SGB II erhält Bürgergeld der, der mindestens in der Lage ist 3 Stunden tägl. zu arbeiten u. Bereit ist, Arbeit aufzunehmen. Das Bürgergeld wird sowieso an Arbeitswillige ausgezahlt! Allles andere wäre gegen dieses Logik des "BG".
Achtung: Das steht aber im Kontext der Pläne der Union, das BG in gänze zu verwerfen. Siehe: Union will Totalverweigerern die Annerkennung der Bedürftigkeit streichen, weil man ihnen andere Einkünfte als das BG unterstellt. Es gäbe also gar keine Unterstützung.
Krtschmers Worte sind sehr ernst zu nehmen, auch wenn sie unlogisch klingen.
Moon
Den Artikel bedrückt aber mit Interesse gelesen. Die Rückschau zeigt mir, dass der Satz: "Schluss mit Hartz IV - denn heute wir, morgen ihr", heute noch weniger Wirkung auf die Menschen mit Arbeit hat als damals. Heute dürften weite Teile der Arbeitenden zu uns Erwerbslosen eher Sätze sagen wie: "Besser ihr als wir." Man sieht in den Arbeitslosen Menschen, die das verdient haben und deshalb entweder zur Arbeit gezwungen werden müssen oder ansonsten kein Recht auf Teilhabe in den Sozialsystemen haben.
Die Vorstellung, dass diese Sozialsysteme auch für einen selbst einmal da sein könnten, existiert nur noch als verkürzte. Man habe ja gearbeitet und also einen Anspruch. Das das die heute Erwerbslosen auch getan haben, kommt gar nicht mehr zu Bewusstsein. Genauso wenig, dass Erwerbslosigkeit unverschuldet länger dauern kann als die Zeit, in der die Leistungen aus der Solidarversicherung gelten.
Selbst die Coronapandemie hat, z. B. für die plötzlich einkommenslosen Soloselbstständigen, nur kurz ein Bewusstwerden erzeugt, dass man selbst nicht in die Grundsicherung hinein möchte, die man zuvor für andere mit großer Geste befürwortete.
Hubertus Behr
Welche Zahlen stimmen denn nun eigentlich über Menschen, die erwerbslos sind, obwohl sie ohne
Einschränkung arbeiten könnten -
die 200.000 allein zwischen 18 u. 25
oder die 0,8 % der Arbeitslosen.
Mit anderen Worten: wie groß ist
das eigentliche Problem?
Andreas_2020
@Hubertus Behr Jobcenter haben eigentlich noch nie richtig funktioniert, die Mitarbeiter dort haben Probleme mit den Aufgaben und der Komplexität. Eventuell gibt es diese Verweigert gar nicht, sondern die Mitarbeiter erfinden das, um von eigenem Unvermögen abzulenken. Es ist sehr schwierig, die Klienten in diesem Kraftfeld zu managen, wer scheitert, kann die Akten manipulieren und so tun als hätten die Klienten keine Lust zu arbeiten. Klienten können ihre Akten eigentlich nur vor Gericht einsehen. Die wissen nicht, was die Vermittler notieren oder beurteilen.
Eric Manneschmidt
@Hubertus Behr Ja, sind diese Leute denn "das eigentliche Problem"?
Ich zitierte mal SeTh: "Ich weiß auch nicht, was die statistische Zahl der Totalverweigerungg am Anspruch an Menschenwürde, der mit dem Bürgergeld eigentlich realisiert sein soll, ändern sollte."
blog.freiheitstatt...erde-als-massstab/
FriedrichHecker
@Hubertus Behr Die Wahrheit dürfte - wie so oft - irgendwo dazwischen liegen.
Die berühmten 0,8% sind ja nicht mal alle, die vom Amt sanktioniert werden - damit ist man nicht gleich "Totalverweigerer". Es sind nur diejenigen, die so "blöd" oder "faul" sind, mehrfach das Nichtwollen so wenig zu verbergen, dass es nachvollziehbar ist.
Wer spätestens nach der zweiten Sanktionierung pflichtschuldig Bewerbungen schreibt (eine Handvoll Rechtschreibfehler einzubauen reicht, damit man eine schriftliche Absage bekommt, die man bei Bedarf dem Amt vorlegen kann) oder - falls man trotz aller Bemühungen doch mal zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird - sich ein bißchen danebenbenimmt, läuft weder Gefahr, einen Arbeitsplatz zu bekommen noch läuft er großartig Gefahr, nochmals sanktioniert zu werden und als "Totalverweigerer" in der Statistik aufzutauchen.
celcon52
Soll ich den Artikel so verstehen, dass durch Hartz IV letztlich der Aufstieg der Rechtsextremen gefördert worden ist?
Einerseits durch die Denunziation der Erwerbslosen als Sozialschmarotzer und die Diskriminierung eben dieser Personen?
Alexander Schulz
@celcon52 Kürzungen im sozialen Bereich führen historisch betrachtet in fast allen Fällen zum Erstarken von Rechtsextremismus oder Linksextremismus. Kurzfristig liegt im sozialen Bereich immer ein hohes Einsparungspotential, aber eine Gesellschaft soll sich genau überlegen, ob es bereit ist mit Konsequenzen umzugehen.
Eric Manneschmidt
2004 war ich in dem Bereich noch nicht aktiv und noch nicht betroffen.
Es scheint mir aber in der Tat, dass die Diskussionen noch weitgehend dieselben sind.
Es geht um die Frage, inwieweit man Menschen dazu zwingen kann, sich "nützlich zu machen". Insbesondere angesichts der Tatsache, dass Erwerbsarbeit eben nicht per se nützlich ist (dem Gemeinwohl dient).
Es täte Aufklärung Not über die Komplexität von "Gemeinwohl" und natürlich über die Relevanz der unbezahlten Arbeit (die immer mehr unter Druck gerät, wenn Leute in bezahlte Arbeit gedrängt werden). Da ist auch in der Berichterstattung der taz noch viel Luft nach oben.
1Pythagoras
@Eric Manneschmidt Eine bezahlte Arbeit hat natürlich einen Gemeinnutz: Steuern, Sozialversicherungen um nur offensichtliches zu nennen. Der Gemeinnutz unbezahlter Arbeit ist eher eine Diskussion in akademischen Kreisen.
Eric Manneschmidt
@1Pythagoras Tja, Steuern und Sozialabgaben könnte man auch an anderer Stelle abgreifen. Es ist ja sowieso höchst kontraproduktiv, ausgerechnet den Faktor Arbeit damit zu belasten.
Und das war's dann auch schon mit dem offensichtlichen Gemeinnutzen. Die entscheidende Frage ist eben trotzdem, was mit der Arbeit konkret bewirkt wird: Werden Bedürfnisse von Menschen befriedigt oder werden nur Menschen oder die Umwelt geschädigt?
Unbezahlte Arbeit wird m.W. hauptsächlich in feministischen/postpatriarchalen Kreisen diskutiert, was kein Wunder ist: Frauen machen viel mehr von der unbezahlten Arbeit und laufen daher viel größeres Risiko der (Alters-)Armut.
Tom Tailor
@Eric Manneschmidt "Die entscheidende Frage ist eben trotzdem, was mit der Arbeit konkret bewirkt wird: Werden Bedürfnisse von Menschen befriedigt oder werden nur Menschen oder die Umwelt geschädigt?"
Ich denke das ist gar keine entscheidende Frage. Produkte oder Dienstleistungen, die die Bedürfnisse von Menschen nicht befriedigen, werden i.d.R. nicht nachgefragt und daher auch nicht produziert.
Für den Arbeitnehmer ist das eh eine vollkommen irrelevante Frage, für ihn ist wichtig wie gut der Lohn und die Arbeitsbedingungen sind, die Arbeitszeiten und der Weg zum Arbeitsplatz.
Eric Manneschmidt
@Tom Tailor Sie machen es sich da ein bisschen zu einfach. Es wird immerhin ein großer Aufwand betrieben, um "Bedürfnisse" bei Menschen erst zu erzeugen. Ohne Tabakprodukte oder SUVs z.B. ginge es allen besser.
Dann gibt es große Bereiche, in denen der Normalbürger wenig zu entscheiden hat, weil der Staat Rahmenbedingungen setzt. Ich glaube nicht, dass es ein menschliches Bedürfnis ist, Kohle- oder Atomstrom zu verbrauchen, wir wären wohl mit Erneuerbarem alle auch zufrieden.
Desweiteren gibt es überbordende Bürokratie, weil man Dinge möglichst kompliziert und intransparent machen möchte (schafft Herrschaftswissen). Welcher "Normalbürger" hat so ein Bedürfnis?
Es ist aus ethischer Sicht hochproblematisch, wenn Arbeitnehmer sich nicht dafür interessieren, ob ihr Job Menschen oder der Umwelt, der Demokratie etc. schadet. Ich glaube auch nicht, dass das auf viele zutrifft. David Graeber sprach von "spiritueller Gewalt", wenn Leute ihr Leben lang einen Bullshit Job ausführen (müssen).
Eric Manneschmidt
2004 war ich in dem Bereich noch nicht aktiv und noch nicht betroffen.
Es scheint mir aber in der Tat, dass die Diskussionen noch weitgehend dieselben sind.
Es geht um die Frage, inwieweit man Menschen dazu zwingen kann, sich "nützlich zu machen". Insbesondere angesichts der Tatsache, dass Erwerbsarbeit eben nicht per se nützlich ist (dem Gemeinwohl dient).
Es täte Aufklärung Not über die Komplexität von "Gemeinwohl" und natürlich über die Relevanz der unbezahlten Arbeit (die immer mehr unter Druck gerät, wenn Leute in bezahlte Arbeit gedrängt werden). Da ist auch in der Berichterstattung der taz noch viel Luft nach oben.
Janix
Die SPD wird ein zweites Mal in die unsoziale Ecke gedrückt, indem einzelne Arbeitsunwillige ohne Geld gegen die Armen mit Arbeitsplätzen ausgespielt werden von der Springerpresse und ihren Büchsenspannern.
Statt gegen die faulen Sauger mit dem Geld, die staatliche Subventionen einsacken und ihren Gigolo mitdurchfüttern.
Hoffen wir, dass die SPD das überlebt. Wir brauchen sie noch.
Oder sich gegen diese Schieberei mal gut wehrt. Nur so kommen linke Parteien ans Ziel.
Ramto
Auch schon 2004 gab es in weiten Teilen der Bevölkerung die Meinung, dass viele nicht arbeiten wollen, aber Geld vom Staat auf dem Rücken der anderen zu kassieren. Diest ist insofern nichts Neues.
Suryo
@Ramto Ich persönlich keine immerhin einen Fall, bei dem es genau so ist. Gute Ausbildung, gute Aussichten, seit 25 Jahren keine feste Arbeit und zufrieden damit. Wer nicht arbeiten will, muss nicht arbeiten.
Walterismus
@Suryo Muss dann aber auch kein Geld vom Staat dafür bekommen. Genau darum geht es. Du willst nicht arbeiten, dann such dir was wie du legal an Geld kommst ohne dem Staat auf der Tasche zu liegen!
Suryo
@Walterismus Das sehe ich nicht ganz anders.
Andreas J
@Suryo Das ist jetzt für wie viele Menschen ein erstrebenswerter Lebensstiel? Rechtfertigt das Arbeitslose zu stigmatisieren?
Bussard
@Andreas J Eine berechtigte Frage. Ich habe immer wieder mit Menschen zu tun, die auf die "faulen Arbeitslosen" und "die Ausländer" schimpfen, die angeblich viel zu einfach viel zu viel Geld für's Nichtstun bekommen. Oft lässt sich deren wütend vorgetragenes Lamento mit der Frage, warum man es diesen angeblich überversorgten Menschen in der sozialen Hängematte nicht gleich tue, etwas abkürzen.
Eric Manneschmidt
@Ramto Ja, solche unqualifizierten "Meinungen" gibt und sie werden von der Rechten auch gerne befördert.
Finde den Fehler:
1. Arbeit ist nicht nur Erwerbsarbeit
2. "Der Rücken der Anderen" sind eben auch die ganzen Leute, die unbezahlt fürs gesellschaftliche Wohl arbeiten.
Ricky-13
taz: *Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU): „Tausende“ könnten zwar arbeiten, bekämen aber Geld vom Staat, „für das die Steuerzahler hart arbeiten“.*
Das stimmt ja sogar, denn viele Milliarden Euro werden jährlich aus Steuermitteln aufgewendet, um nicht existenzsichernde Arbeit aufzustocken. Die Gesellschaft subventioniert schon seit vielen Jahren Arbeitgeber, die ihren Angestellten nur Niedriglöhne zahlen.
Wahrscheinlich sind solche 'Arbeitgeber' diese „Tausende“, von denen Ministerpräsident Kretschmer da redet, und die sich immer den neuesten Mercedes, BMW oder sogar Porsche leisten können, weil der kleine Steuerzahler ja für Millionen Niedriglohnempfänger in Deutschland den Lohn aufstockt. Vielleicht sollte man mal endlich mal über die wahren Schmarotzer in diesem Land reden, anstatt weiterhin Stimmung gegen arme Menschen zu machen.
FriedrichHecker
@Ricky-13 "Das stimmt ja sogar, denn viele Milliarden Euro werden jährlich aus Steuermitteln aufgewendet, um nicht existenzsichernde Arbeit aufzustocken. Die Gesellschaft subventioniert schon seit vielen Jahren Arbeitgeber, die ihren Angestellten nur Niedriglöhne zahlen."
Das Problem bei den meisten dieser Leute ist nicht der Stundenlohn, sondern die Stundenanzahl, die sie arbeiten. (Man vergleiche hierzu auch die Diskussion über die durchschnittlichen Arbeitsstunden hierzulande).
Bei 10 bis 20 Stunden im Monat kommt unterm Strich nun mal in den meisten Berufen kein existenzsicherndes Gehalt raus.
Würde man die eine Hälfte der Leute komplett rausschmeißen (träfe dann halt vor allem Alleinerziehene, Pflegende u. ä.) hätte die andere Hälfte mehr Arbeitsstunden und mehr Geld. Das will aber irgendwie auch kaum einer. ;-)
Ricky-13
@FriedrichHecker Schröder (SPD): "Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt."
Mit diesem Satz von Gerhard Schröder 2005 in Davos (Weltwirtschaftsforum) fing alles Unsoziale an. Das hat auch nichts mit 'zu wenig Arbeitsstunden' zu tun, sondern mit Ausbeutung der kleinen Arbeitnehmer.
Das Bürgergeld soll ja angeblich auch zu hoch sein, das redet man jedenfalls den Bürgern seit einiger Zeit ein. Was die "aufgeklärten" Bürger allerdings immer noch nicht wissen, dass es nur um den Freibetrag der Einkommenssteuerzahler geht. Je höher der Hartz/Bürgergeld-Regelsatz nämlich ist, umso höher ist der Freibetrag für die Einkommenssteuerzahler. Da man aber die Hartz/Bürgergeld-Sätze nicht vernünftig anhebt, (sondern sogar noch verringern will) wird natürlich auch der Freibetrag nicht angehoben. Etwa 25 Milliarden Euro spart der Staat so im Jahr an seine Bürger. Prof. Dr. Sell (Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften) sagte schon vor Jahren: "Das scheint der zentrale Grund zu sein, warum die Politik eine Anhebung der Hartz IV Sätze scheut wie der Teufel das Weihwasser".
Moon
@Ricky-13 Übrigens, Niedriglohnsektor...
Christoph Butterwegge, Interview in der "Augsburger Allgemeine":
"Predigt man den Armen „Bildung, Bildung, Bildung“, schwingt untergründig der Vorwurf mit, selbst schuld an der Armut zu sein, weil man sich oder seine Kinder nicht gebildet habe. Bildung ist kein Patentrezept, um Armut und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft zu beseitigen. Elf Prozent aller im Niedriglohnsektor Beschäftigten haben einen Hochschulabschluss. Anders als noch in meiner Jugend ist der soziale Aufstieg heute gar nicht mehr so einfach über Bildung zu erreichen."
Nicht dass ich meine, dass ein Uni-Abschluss was besseres wäre, nur:
Wenn man sich vorstellt, das da noch die Zahl der Leute mit solider Berufsausbildung dazu kommt, dann wird deutlicher, warum in den Niedriglohnsektor hineingedrängt wird.
Jobcenter: Machen sie doch erstmal sowas. Später fassen sie dann wieder in ihrem Beruf Fuss.
Wer´s glaubt wird nicht selig!
Link: Augsburger Allgemeine:
www.augsburger-all...aermsten-102930645
Ricky-13
@Moon Wir beide schreiben hier seit vielen Jahren fleißig Texte, mit denen wir die Leute über das unsoziale System aufklären wollen - aber es hat eigentlich keinen Sinn mehr. Der Deutsche liebt es 'nach oben zu buckeln und nach unten zu treten' und man kann noch so viel aufklären, es verhallt im Nichts. Der Kabarettist Volker Pispers hat es ja auch irgendwann aufgegeben, denn es ändert sich nichts beim Deutschen. Die Reichen zerstören das Klima und werden dafür auch noch beklatscht. Wenn die Armen sich aber nicht für ein Ei und ein Butterbrot von den reichen Klimazerstörern ausbeuten lassen wollen, werden sie sofort von den gehorsamen Bürgern als Faulpelze hingestellt und dann als Schmarotzer bezeichnet.
Ich habe ja schon Volker Pispers erwähnt, deshalb soll er jetzt auch selbst zu Wort kommen und mal erzählen, weshalb die Bürger so denken, wie sie nun einmal denken - und wer sie letztendlich so "denken" lässt. ***Volker Pispers - Wem gehören die Medien?*** www.youtube.com/wa...v=Rzizmx6aLQA&t=0s
D. MEIN
Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen.
Es geht nicht um Menschen, die arbeitslos geworden sind oder durch Krankheit nicht arbeiten können.
Diese Menschen sollten noch mehr an Leistung erhalten.
Es geht um Menschen, die jung, fit und arbeitsfähig sind, aber seit langer Zeit Bürgergeld beziehen.
Das wird das Sozialsystem nicht lange stemmen können.
Eric Manneschmidt
@D. MEIN Das Problem ist, dass Sie hier "Äpfel und Birnen" nicht auseinandersortiert bekommen.
Gesundheit/Krankheit ist viel zu komplex (gerade wenn es um psychische Beschwerden geht), kein Arzt kann fehlerfrei zwischen "guten Arbeitslosen" (die nicht können) und "bösen Arbeitslosen" (die nicht wollen) unterscheiden.
Und wir reden hier ja über das Existenzrecht (welches den bösen dann entzogen werden soll), d.h. Fehler können wir uns nicht leisten.
Havana Club
@D. MEIN Genau darauf wird von Politiker/innen wie Linnemann, Merz, Connemann, Frei und Co. eben nicht hingewiesen, sondern man verallgemeinert und stellt alle Bürgergeldbezieher/innen unter den Generalverdacht, arbeitsunwillig und faul zu sein. Gerade für die CDU/CSU, die sich an christlichen Werten orientiert, ist eine solche Hetzjagd auf sozial Schwache und chronisch Kranke, die trotz ihrer Erkrankung nicht in Frührente gehen dürfen, purer Populismus. Wenn die Hetze aus Politik und rechtskonservativen Medien so weiter geht, wird der Tag kommen, an dem sich die sozial Ausgegrenzten und Beschimpften zur Wehr setzen. Gegen die Springer-Medien (Bild und Welt), gegen Burda (focus) und andere einseitige und inhaltlich falsche Meinungsartikel. Verfasst von den immer gleichen bekannten neoliberalen Journalisten/innen mit ihren immer gleichen „Reformvorschlägen“, wo man beim kleinen Mann und der kleinen Frau weiter einsparen, kürzen könnte. Selbst aber stopfen sich diese Leute die Taschen voll, nehmen rücksichtslos und egoistisch alles mit, was geht. Gleiches gilt für die Berufspolitik, wo jahrzehntelang bestens vollversorgt im und vom Staat gelebt wird, ab dem 01.07. gibts 635 €/Monat mehr Diät.
MC
@Havana Club Bitte, das sind keine sozial Schwachen.
Sozial schwach sind Linnemann, Merz, Friede Springer, der Quandt Clan und Konsorten.
Ansonsten gebe ich dir vollkommen Recht.
Eric Manneschmidt
@Havana Club Der Ausdruck "sozial Schwache" ist gar nicht schön. Siehe www.deutschlandfun...l-schwach-100.html