Neue Forderung von „Muslim Interaktiv“: Ein Kalifat in der Ferne

Die Gruppe „Muslim Interaktiv“ hielt unter strengen Auflagen eine zweite Kundgebung am Hamburger Steindamm ab. Es wirkte wie eine perfekte Inszenierung.

Demonstranten halten Schilder mit den Aufdrucken „Verboten“, „Zensiert“ und „Censored“ auf einer Kundgebung des islamistischen Netzwerks Muslim Interaktiv im Hamburger Stadtteil St. Georg in die Höhe.

Die rund 2.300 Teilnehmer der Demo in Hamburg forderten diesmal kein „Kalifat“ – zumindest nicht für Deutschland Foto: Gregor Fischern/dpa

HAMBURG taz | Die zweite Kundgebung der Gruppe „Muslim Interaktiv“ auf dem Hamburger Steindamm verlief ohne Vorfälle. Die rund 2.300 Teilnehmer hielten sich an die Auflagen und forderten diesmal kein „Kalifat“ – zumindest nicht für Deutschland. Ein Aufmarsch am 27. April, bei dem ein Gottesstaat als Lösung gepriesen wurde, hatte bundesweit Empörung ausgelöst.

Schon eine halbe Stunde vor Beginn trifft man auf dem Weg zum Steindamm auf Gegenprotest. Der Verein „Frauen Heldinnen“ hat aufgefordert, „für die freiheitlich-demokratische Grundordnung anstatt Kalifat und Scharia“ zu protestieren. Etwa dreißig Personen sind dem gefolgt, um sie herum sehr viel Presse.

Die Rednerin Astrid Warburg-Manthey, bekannt aus der Zeitschrift Emma, kritisiert den Islam aus radikalfeministischer Sicht. Sie warnt vor übergriffigen, muslimischen, jungen Männern und „Kulturrelativismus von SPD und Grünen“. Als plötzlich eine Frau mit Kopftuch die Kundgebung mit lauten Rufen zu Palästina stört, skandiert ein Mann „Hau ab!“. In den Sprechchor steigen weitere Menschen ein und umzingeln die Frau. Einige der Anwesenden, so das ungute Gefühl, scheint die Szene zu gefallen.

Aber nicht alle Anwesenden teilen eine harte Kritik der Organisatorin am Islam. Die Grüne Abgeordnete Filiz Demirel nimmt am Protest teil, sagt aber, die größte Bedrohung für die innere Sicherheit komme von rechts. Die Forderung nach einem Kalifat sei in keiner Weise repräsentativ für die Mehrheit der Hamburger Muslime.

Auch die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein protestiert mit. Islamismus sei eine Bedrohung für Minderheiten und Frauen, sagt sie, und fordert ein Verbot der Gruppe „Muslim Interaktiv“. Mit dem Ruf nach einem Kalifat sei eine Grenze überschritten. Sie verstehe nicht, warum diese Gruppe erneut demonstrieren dürfe. Das kritisierte im Vorfeld auch CDU-Fraktionschef Dennis Thering. Kalifat-Verherrlichung habe auf Hamburgs Straßen keinen Platz. Dem rot-grünen Senat fehle der Mut, diese erneute Anmeldung abzulehnen.

Grundrecht auf Versammlungsfreiheit

SPD und Grüne wiesen dies zurück. „Diese Gruppe politisch abzulehnen, heißt noch lange nicht, dass man ihnen ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit entziehen kann“, sagte der SPD-Politiker Ekkehard Wysocki. Wer das fordere, lege „die Axt an den Rechtsstaat“. Und die grüne Fraktion erklärte, über Versammlungsverbote könnten nur die Sicherheitsbehörden entscheiden.

Diese hatten die Versammlung unter strengen Auflagen erlaubt: Um 16 Uhr sammeln sich am Steindamm bereits mehrere Hundert Menschen, fast nur Männer. Die Behörden haben eine Geschlechtertrennung wie bei der letzten Demo untersagt. Ein paar Frauen mit Kopftüchern stehen am Rand und sagen, sie wären „nur zufällig“ dort.

Es folgt ein durchchoreografiertes Geschehen. Egal, welchen Ordner man fragt, alle verweigern das Gespräch mit Journalisten und verweisen auf ein Positionspapier von „Muslim Interaktiv“. Sie tragen professionelle Headsets, stimmen sich ab.

„Zensiert“, „Verboten“ oder „Banned“

Die Organisatoren der Kundgebung teilen Schilder aus. Bestimmt hundert Stück, auf denen nur die Worte „Zensiert“, „Verboten“ oder „Banned“ stehen. Auch von der Bühne kommt nun die Ansage, niemand solle auf Fragen von Journalisten antworten oder eigenmächtig Parolen rufen. Dann fordert ein Organisator, für ein paar Minuten zu schweigen und alle Schilder hochzuhalten. Die Teilnehmenden folgen dem mit beängstigender Disziplin. Das ganze Geschehen wirkt wie eine akribisch geplante Installation.

Als die Stille vorbei ist, folgt die einzige Rede. Raheem Boateng, Frontmann von „Muslim Interaktiv“, redet nicht – er predigt. Fast zwanzig Minuten verliest er mit Inbrunst seine Anklage gegen die Islamfeindlichkeit der deutschen Medien, Politik und Gesellschaft.

Und er erklärt sich: Das Kalifat sei als Lösung für die Situation im Nahen Osten gemeint, keine Forderung für Deutschland. Dort solle es den Staat Israel und seine Nachbarländer ablösen. Das sei nicht antisemitisch, denn Antisemitismus sei ein europäisches Problem. „Das jüdische Leben, und das ist unsere islamische Überzeugung, hat ein Existenzrecht“, sagt Boateng. Sein Kalifat scheint an eine verklärte historische Vorstellung vom Osmanischen Reich anzuknüpfen – welche Rolle Ar­me­nie­r oder Kur­den einnehmen würden, lässt er offen.

Medien nennen ihn: „Islamisten-Popstar“

Im emotionalsten Moment der Rede kommt Boateng auf seine persönliche Situation zu sprechen. Die ganze Nation kenne seinen Namen. „Sie haben mich zum Staatsfeind gemacht!“, schreit er, dessen Gesicht bereits als „Der Islamisten-Popstar“ auf der Mopo prangte. Die Rede endet mit einem Gebet, das durch Pfiffe gestört wird. Dann ist die Versammlung vorbei.

Der Anmelder der Demo der Gruppe „Muslim Interaktiv“ ist ein Lehramtsstudent. Das warf in der Debatte die Frage auf, ob einem Islamisten dieses Studium verwehrt werden kann. Kann es nicht, der Eintritt in den Schuldienst schon.

Studierende in Hamburg können exmatrikuliert werden, wenn sie der Hochschule durch „schweres schuldhaftes Fehlverhalten erheblichen Schaden zugefügt haben“, erklärt Uni-Sprecher Alexander Lemonakis. Es seien aber bisher „keine relevanten Vorfälle im universiären Kontext im Zusammenhang mit dieser Person bekannt, die die Prüfung einer Exmatrikulation veranlassen“. Was außerhalb des universitären Kontexts passiere, sei Aufgabe für Polizei und Justiz.

Islamisten können kein Referendariat antreten, wie der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht, auf Nachfrage erklärt. Lehrkräfte absolvieren diesen Vorbereitungsdienst in der Regel in einem „Beamtenverhältnis auf Wideruf“. Und darin darf nur eintreten, wer „die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten“. Zwar kann in Hamburg das Lehramts-Referendariat außerhalb eines Beamtenverhältnisses in einem „öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis“ absolviert werden, aber da gilt der gleiche Grundatz.

Einzelne sind nun doch zum Reden bereit. Ein Mann aus Afghanistan sagt, er wolle hier für Frieden demonstrieren. Ein Tadschike, der wenig Deutsch spricht, sagt, er hätte gar nicht alles verstanden. Er wolle hier gegen die Unterdrückung von Mus­li­men weltweit demonstrieren. Auf kritische Fragen nach Kalifat, ethnischen Minderheiten oder Frauenrechten antworten beide nicht.

Gegenprotest bleibt nicht aus

Hinter der Kundgebung findet ein zweiter Gegenprotest statt, organisiert vom „Jungen Forum“ der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Etwa 20 Personen stehen in einem Polizeikessel, während die Teilnehmer der Kundgebung an ihnen vorbeilaufen. Sie halten ein Transparent mit „Solidarität mit Israel – Gegen Hamas-Terror und Antisemitismus“ hoch. Es kommt zu verbalem Schlagabtausch: Die Passanten rufen „Free, free Palestine“, aus dem Kessel antworten sie „Free Gaza from Hamas“.

Eine der Organisatorinnen ist 23-jährige Luna. Sie erzählt, ein Jahr lang in Israel studiert zu haben. „Deshalb weiß ich, wie wichtig der Staat Israel als Schutzraum für jüdische Menschen ist.“ Um den Körper trägt sie eine Regenbogenfahne. Sie wolle sich für alle einsetzen, die durch ein Kalifat bedroht würden, erklärte sie. „Das sind auch queere Menschen.“

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