Autorin über Nachwendekinder: „Ich feiere Nie-Wieder-Vereinigung“

Ein Gespräch unter Nachwendekindern über das Trauma der Arbeitslosigkeit, gebrochene Nasen und Sekt am dritten Oktober.

Portrait von Paula Fürstenberg

Paula ­Fürstenbergs größte offene Frage an die Eltern­generation: „Warum zur Hölle habt ihr CDU gewählt?“ Foto: Sophie Kirchner

An einem Tag im Frühling treffe ich Paula Fürstenberg in ihrem Kollektivbüro in einem Altbau in Berlin-Kreuzberg. Wir sitzen an einem breiten Holztisch, an dem sie auch arbeitet. Gerade ist ihr neues Buch erschienen. „Weltalltage“ heißt es und erzählt vor allem von einer Freundschaft und Freundschaftskummer als Äquivalent zum viel erzählten Liebeskummer. Aber auch von Krankheit, von Klassenfragen – immer wieder verzahnt sich dabei die Geschichte mit der Nachwendezeit. Fürstenberg ist 1987 in der DDR geboren, ich zehn Jahre später im Osten. Wir beide gelten als Nachwendekinder. Ich will von ihr wissen, wie sie sich eine Zeit erschließt, die sie als Kleinkind erlebt hat, wie das Aufwachsen in einer orientierungslosen Gesellschaft war und wie man Sprachlose sprechen lassen kann. Und vor allem interessiert mich, wieso die Nachwendezeit für uns und für so viele junge Menschen im Osten noch immer eine Rolle spielt.

wochentaz: Paula Fürstenberg, du hast die DDR kaum bewusst erlebt, wieso interessiert dich so, was davon übriggeblieben ist?

Die Schriftstellerin

Fürstenberg wurde 1987 in Potsdam geboren und lebt seit 2011 in Berlin. Sie hat am Schweizerischen Literaturinstitut und an der Humboldt-­Universität studiert. 2022 hat sie die Talk-Reihe „Let’s talk about class“ mitkuratiert. Gerade erschien mit „Weltalltage“ ihr zweiter Roman.

Das Buch

„Weltalltage“ (Kiepenheuer & Witsch) erzählt von der Krise einer Freundschaft, die durch die Nachwendezeit geprägt wurde. Sie droht zu zerbrechen an einer Krankheit und an psy­chischen Brüchen, in einer aufs Funktionieren-­Müssen gepolten Gesellschaft.

Paula Fürstenberg: Das Schreiben darüber hat bei mir wie bei den allermeisten Nachwendekindern damit angefangen, dass ich den ostdeutschen Raum verlassen habe. Ich bin in die Schweiz und nach Frankreich gegangen und hab’ gemerkt, dass ich an bestimmten Stellen anders ticke.

Merkst du das im Alltag?

Vorab: Ich finde das gar nicht schlimm. Ich fänd’s ohnehin besser, wenn der Fokus nicht auf eine deutsche Einheit, sondern auf Vielfalt gelegt würde. Unterschiede zu westdeutsch Sozialisierten spüre ich auf unterschiedliche Weise, in Zukunftsannahmen, im Weltbild, und ja, auch im Alltag.

Ich frage, weil das für mich ein ganz diffuses Gefühl ist, gerade wenn ich mit westdeutschen Freun­d:in­nen zusammen bin.

Frage an dich: Wel­ches Lied singst du, wenn wer Geburtstag hat?

[Anmerkung: „Happy Birthday“ zählte nicht.]

Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst …“

Das ist das westdeutsche Lied! Das ostdeutsche geht so: „Weil heute dein Geburtstag ist, da haben wir gedacht …“

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

„… Wir singen dir ein schönes Lied, weil dir das Freude macht …“ Das habe ich immer in der Schule gesungen!

Das singen wir in meiner WG immer an Geburtstagen und alle meine west­sozialisierten Mit­be­woh­ne­r:in­nen mussten es lernen.

Als du 2016 dein Debüt zu dem Thema veröffentlicht hast, gab es auch das Buch „Nachwendekinder“ noch nicht, das einen Begriff für die Nachgeborenen-Generation fand.

Ich bin damals auf einen Diskurs getroffen, in dem wir gar nicht vorkamen. Die Leute wussten nicht, wo sie diesen Text und mich einsortieren sollen, und ich war eine Art doppelte Enttäuschung für Ost und West.

Wieso?

Ich glaube, dass die Älteren die große Hoffnung hatten, dass sich das ganze Ost-West-Thema mit den Folgegenerationen erledigt. Oft bekomme ich den Satz „Ist doch mal gut jetzt“ zu hören.

Von Westdeutschen oder Ostdeutschen?

Von beiden! Obwohl damit jeweils sehr unterschiedliche Dinge gemeint sind. Im Osten eher: „Ist doch mal gut jetzt mit Diktaturgedächtnis und Stasiaufarbeitung.“ Und im Westen meint man damit: „Ist doch mal gut jetzt mit Jammern über die Vereinigungsprozesse.“ Auf der Bühne wurde ich oft gefragt: Warum beschäftigst du dich damit? Was hast du noch damit zu tun? So viel Unverständnis! Ich glaube, gepaart mit einer Enttäuschung darüber, dass die nächste Generation doch noch damit ankommt.

Ich höre diese Sprüche auch noch, wenn ich Fragen stelle. Besonders beliebt ist auch: „Das spielt für euch doch gar keine Rolle mehr“ – manchmal wirkt das harmoniebedürftig. Als wollte man sagen: „Ihr müsst euch doch jetzt nicht mehr damit beschäftigen.“

Auf der Ostseite kann ich das auch irgendwie verstehen. Unsere Elterngeneration hat ein halbes Leben und eine Wahnsinnskraft in diesem Einheitsprozess gelassen, sicher auch mit Hoffnung für uns Kinder, die in einem anderen politischen System und mit Reisefreiheit aufwachsen sollten. Um dann zu merken: So einfach ist es nicht …

Besonders, wenn die Kinder immer wieder an diese schwierige Zeit erinnern …

Es geht ja nicht um Undankbarkeit oder darum, dass das alles falsch war. Sondern darum, überhaupt thematisieren zu können, dass es nicht gegessen ist. Manchmal denke ich: Was habt ihr denn eigentlich geglaubt? Habt ihr geglaubt, dass 40 Jahre Diktatur für die Nachgeborenen egal sind? Dass die rechte Gewalt der 90er und 00er Jahre keine Spuren hinterlässt? Dass eine kollektive Arbeitslosigkeit durch die Elternbiografien geht und die Kinder das nicht mitkriegen?

Zwischen deinem Debüt und dem jetzigen Buch liegen 8 Jahre. Hat sich dein Nachdenken über Ostdeutschland seitdem verändert?

Ja, sehr! Einen Diskurs mit sich selbst zu führen macht keinen Spaß. Durch die vielen Bücher und Filme anderer Nachwendekinder, die in den letzten Jahren erschienen sind, hat sich richtig viel getan. Zeitgleich kam der diskriminierungskritische Diskurs auf, der meinen Blick auf den Osten auch noch mal verändert hat.

Inwiefern?

Ich habe angefangen, den Osten aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und mich dafür zu interessieren, was es eigentlich bedeutet hat, bestimmte Jahre als Mann oder als Frau zu erleben? Was hat es bedeutet, in den 90er Jahren in Ostdeutschland nicht weiß zu sein? Einmal wurde ich auf der Bühne gefragt, wie ich die Baseballschlägerjahre erlebt hatte …

#Baseballschlägerjahre – auch so ein Begriff, den es erst seit 5 Jahren gibt!

… ja, und der die alltägliche, rechte ­Gewalt der Nachwendezeit beschreibt. Als ich gefragt wurde, wie das bei mir war, habe ich total geblockt und gesagt, dass das bei mir nicht so schlimm war mit den Nazis. Ich war gegen dieses medial überpräsente Bild des rechten Ostens, neben dem keine andere Erzählung Platz hat. In meinem ersten Buch läuft kein einziger Nazi durchs Bild. Auf dem Nachhauseweg habe ich daran gedacht, dass ich, obwohl Potsdam keine Nazihochburg war, trotzdem meine halbe Jugend auf Gegendemos verbracht habe. Mir sind all die Leute wieder eingefallen, denen die Nase gebrochen wurde. Die rechte Gewalt war allgegenwärtig, aber ich habe automatisch gemauert. Diesen Abwehrmechanismus haben Bücher wie „1.000 Serpentinen Angst“ von Olivia Wenzel oder „Wie ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ von Manja Präkels aufgeweicht.

Trotzdem wollen Medien immer gern den Osten erklärt bekommen. Merkst du, dass das jetzt vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg wieder zunimmt?

Ich habe vor allem gerade das Gefühl, dass wir noch nicht richtig kapiert haben, was diese Einheit bedeutet, was da wirklich passiert ist. Es könnte ja sein, dass sie seit über 30 Jahren falsch erzählt wird.

Wie meinst du das?

Die deutsche Einheit ist ja schon als vieles erzählt worden. In den offiziellen Reden zum Tag der Einheit ist sie eine Erfolgsgeschichte von Demokratie und freier Marktwirtschaft. In Literatur und Wissenschaft ist sie oft eine Geschichte der sozialen Abstiege und der Massenarbeitslosigkeit. In den Erzählungen der Subkultur ist sie eine Geschichte der so gewonnenen wie verronnenen Freiräume, die auf Brachen, in Techno-Kellern und besetzten Häusern spielt und die entweder mit der Räumung oder mit Mietvertrag und Brandschutzauflagen endet. Und in den Erzählungen von Westdeutschen ist sie ein ewiges Fragezeichen, wieso die Ostdeutschen trotz Asphaltierung ihrer Innenstädte so unzufrieden sind. Ich fürchte, dass sie aber auch als Geschichte des Wiederaufstiegs des Faschismus erzählt werden muss. Sehr wenige wollen sich die Frage stellen, was der Aufstieg der AfD und die rechte Gewalt mit der Vereinigung zu tun haben. Wenn ich anfange, dahin zu gucken, kann ich eine interessante Linie ziehen. Die fängt 1989/90 an mit einer völkischen Verschiebung von „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“, führt über die Eskalation rechter Gewalt der 90er und 00er Jahre bis zum Wahljahr 2024, in dem die AfD stärkste Kraft in drei ostdeutschen Landtagen zu werden droht.

Warum sprichst du eigentlich von Vereinigung und nie von Wiedervereinigung?

Das hat mit genau diesem Zweifel zu tun: Worauf bezieht sich eigentlich „wieder“? An welche historische Wirklichkeit knüpfen wir da an? Ich behaupte nicht, dass die Deutsche Einheit von Anfang an ein rechtes oder faschistisches Projekt gewesen ist, aber sie ist als Narrativ überhaupt nicht wehrhaft gegen rechte, völkische und patriotische Tendenzen. Im Gegenteil, sie wurde von den Nazis gefeiert. Und ich habe das Gefühl, dass der Zusammenhang überhaupt nicht verstanden wird.

Wenn es aber um die Nachwendezeit und die DDR geht, erzählen viele Nachwendekinder, dass sie sich die großen, aber oft in den Familien schwer ansprechbaren Dinge über Alltagsgegenstände erschließen. Eine alte NVA-Uniform, ein Fotoalbum, ein Simson-Moped. Wie war das bei dir?

Das Buch „Nachwendekinder“ von Johannes Nichelmann, auf das du vorhin schon angespielt hast, trägt ja den Untertitel …

„Die DDR, unsere Eltern und das große Schweigen“.

Dieses Schweigen gab es in meiner Familie nicht. Im Gegenteil, seit ich denken kann, wird über die Biografien gesprochen, über Chancen und Brüche, darüber, wie das Leben vor und nach der Wende war.

Unsere Fragen an unsere Eltern und Großeltern wirken ziemlich ähnlich. Trotzdem hast du im Gegensatz zu mir, wenn auch unbewusst, die DDR noch miterlebt. Spürst du im Gespräch altersbedingte Unterschiede, wenn es um die Beschäftigung mit dieser Zeit geht?

Die stärksten Unterschiede darin, wie und ob über die Vergangenheit gesprochen wird, merke ich entlang der Familienbiografien. Der Historiker Martin Sabrow beschreibt drei Formen der Erinnerungskultur an die DDR: das Diktaturgedächtnis, das Arrangementgedächtnis und das Fortschrittsgedächtnis. Welches dieser Gedächtnisse in der Familie gepflegt wird, prägt auch die Beschäftigung der Kinder mit der Vergangenheit.

Was hat das damit zu tun, wie über die Wendezeit gesprochen wird?

Die Kinder derjenigen, für die die Jahre 1989/90 keinen großen beruflichen und privaten Umbruch bedeutet haben, haben zum Beispiel oft weniger das Bedürfnis, sich mit der eigenen Ostsozialisierung auseinanderzusetzen. Allerdings habe ich in „Lütten Klein“ von Steffen Mau gelesen, dass 80 Prozent der ostdeutschen Erwerbsbevölkerung ABM und Umschulungsmaßnahmen absolvieren mussten. Da ist mir die Kinnlade runtergeklappt. 80 Prozent! Da hat sich mir die Schuldfrage noch mal neu gestellt.

Welche Schuld meinst du?

Die Schuld an der Arbeitslosigkeit. Ich habe erst da verstanden, dass nicht bloß die paar Leute, die ich zufällig kenne, in den 90ern gestruggelt haben, sondern dass es den meisten im Osten so ging. Ich fand es krass, wie sehr ich diese neoliberale Logik des Westens verinnerlicht hatte – wer es nur wirklich will, kann es schaffen, und wer es nicht schafft, muss selber schuld sein.

Oft wird dann entgegnet, wie marode die DDR-Wirtschaft war, obwohl es doch eigentlich ganz separat darum geht, dass sich so viele Ältere umorientieren mussten …

Ja, und gleichzeitig denke ich manchmal, sie haben die schnelle Einheit auch gewählt. Oft heißt es ja, wir Nachwendekinder müssten eine Art 68 veranstalten. Der Vergleich hinkt zwar aus verschiedenen Gründen. Aber eine Frage, auf die ich noch keine hinreichende Antwort habe, ist: Warum zur Hölle habt ihr CDU gewählt? Im Moment ist das meine größte offene Frage an die Elterngeneration.

Ich spüre auch das Bedürfnis, diese Fragen zu stellen. Aber das Anprangern fühlt sich auch komisch an. Ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte, wenn ich vorher die ganze Zeit in dieser Mangelwirtschaft gelebt hätte und dann weiß: Jetzt kommt das große Glück. Eigentlich finde ich den Vergleich ziemlich gut.

Du meinst den 68er-Vergleich?

Ja. Oder überhaupt die Frage: Warum? Was habt ihr damals gedacht? Warum wolltet ihr das so? Was habt ihr gedacht, was dann passiert?

Genau das haben die 68er aber kaum getan! Die haben sich nicht erst mal gründlich dafür interessiert, wie es ihren Eltern geht. Die haben Randale gemacht und, zu Recht, gefordert, dass die Altnazis aus den Führungsetagen verschwinden. Das ist schon mal ein Riesenunterschied. Es ist gut, dass wir unsere Eltern konfrontieren, aber von welchem Thron wollen wir sie denn stoßen, wenn Ostdeutsche in allen Führungspositionen chronisch unterrepräsentiert sind? Klar, wir sollten mit ihnen darüber reden, in welchem Verhältnis sie zur Diktatur standen, aber der Gestus: „Wir stoßen euch von euren Machtpositionen“ funktioniert nicht, denn da sitzen die nicht. Und, mal ehrlich: Wir Nachwendekinder neigen auch dazu, unsere Eltern gegen pauschale Jammer­ossi-Vorwürfe zu verteidigen. Das ist wirklich das Gegenteil der 68er.

Vielleicht wäre es gut, wenn die meisten aus unserer Elterngeneration zur Therapie gegangen wären.

Mehr Therapie ist immer gut. Aber erstens kann man gesellschaftliche Missstände nicht privat wegtherapieren und zweitens glaube ich, dass das nicht ostspezifisch ist: Wir Jüngeren sind die erste Generation, die einen entspannteren Umgang mit Psychotherapie hat. Für den Roman habe ich mich mit ostdeutschen Suiziden nach der Wende beschäftigt. Die betrafen vor allem Männer. Dazu kam der Geburtenknick Anfang der 90er im Osten.

Was hat dich daran interessiert?

Es hat mich fasziniert, zu verstehen, wie massiv sich ein Systemumbruch auf Körper und Gesundheit und Psyche auswirkt und auf die Lebensentscheidungen, die man trifft.

In deinem Buch geht es um Freundschaft und wie sie in Krisenzeiten funktioniert. Wie hast du Freundschaften in deinem Aufwachsen in den nuller Jahren erlebt?

Meine Urerfahrung von Welt ist: wirklich überall Baustelle. Niemand weiß, wo es langgeht. Diese Straße heißt morgen anders, die Leute haben morgen einen anderen Beruf. Und ich glaube, dass Freundschaften auch wegen einer überschaubar ansprechbaren Elterngeneration extrem wichtig wurden. Sie waren eine Familienergänzung. Bei mir halten einige dieser Freundschaften bis heute an.

Habt ihr damals in der Schule in Potsdam eigentlich über die DDR gesprochen?

Ein Mal im Geschichtsunterricht. Da sollten wir für einen Diktaturvergleich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem „Dritten Reich“ und der DDR bestimmen. Freundinnen und ich haben empört den Raum verlassen.

Wie alt wart ihr da?

14 oder 16. Der Lehrer war Westdeutscher und hat wohl nicht gecheckt, dass er jetzt Familiengeschichte unterrichtet und das Thema vielleicht behutsamer angehen sollte, statt alle Eltern mit Fa­schis­t:in­nen zu vergleichen.

In deinem Buch sagt der beste Freund der Erzählerin, dass sie seine Familie rauslassen soll, wenn sie über ihn schreibt. Bist du beim Schreiben über Familie auch auf solche Widerstände gestoßen?

Ein ethisches Problem autobiografischen Erzählens ist ja dieses: Ich kriege meine Biografie nicht erzählt, ohne die von anderen Leuten mitzuerzählen. Ich habe mit Kol­le­g:in­nen viel darüber nachgedacht, was das bedeutet. Zum Beispiel die eigenen Eltern auf die Bühne zu zerren – ob die wollen oder nicht.

Habt ihr dafür eine Lösung gefunden?

Nee, einfache Antworten gibt’s an der Stelle nicht. Was ich immer versuche, ist, den Text einmal mit den Augen von allen Figuren durchzulesen. Und man kann die betroffenen Personen vorab gegenlesen lassen.

Was machst du, wenn die gemeinte Person verletzt ist?

Das ist die Frage. Meine Erzählerin hat ja das Problem, dass ihr bester Freund ihr sogar verbieten will, seine Geschichte zu erzählen. Sie löst es so, dass sie seine Kritik und seine Gegendarstellungen in den Text integriert und so beide Versionen lesbar macht.

Um Harmonie geht es dabei nicht?

Es geht darum, zu wissen, was man macht. Und nicht aus bloßer Ahnungslosigkeit Leute völlig anders darzustellen, als sie sich selbst erzählen würden. Das kann ein schwieriger Aushandlungsprozess sein, aber ich habe bislang nur Gutes darüber gehört … Ich hätte auch noch eine Frage an dich: Feierst du den 3. Oktober?

Ich kenne kaum jemanden außer Steinmeier, der den 3. Oktober feiert, machst du das?

Als ich in der Schweiz gelebt habe, habe ich am 3. Oktober einen Schluck Sekt getrunken und auf die Leute und Orte angestoßen, die ich ohne den Mauerfall niemals kennengelernt hätte. Zurück in Berlin habe ich damit aufgehört. Auf den Demoplakaten im Januar war ja oft „Nie wieder ist jetzt“ zu lesen. In diesem Sinne: Ich trinke am 3. Oktober erst wieder Sekt, wenn wir da Nie-wieder-Vereinigung feiern.

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