Proteste an der Columbia University: Die linke Sorge um Deutschland

Der Nahost-Diskurs ist verrottet. Aber was viele nur für Deutschland beklagen, ist anderswo nicht besser. Ein kurzer Blick nach New York und London.

Demonstrierende im Freien mit Palästinaflaggen, Masken und Kufiyas

Propalästinensische Protestierende an der Columbia University am 25. April Foto: David Dee Delgado

Teile der politischen Linken überraschen neuerdings mit der Sorge um Deutschlands Ansehen in der Welt. In den USA und Großbritannien, im sogenannten Globalen Süden sowieso, verstünde man den deutschen anti-antisemitischen Diskurs nicht. Deutschland provinzialisiere sich selbst, heißt es bezüglich der deutschen Staatsräson oder wenn Judith Butler für ihre Aussage kritisiert wird, die Hamas sei keine Terror-, sondern eine Widerstandsgruppe – eine Meinung, die sie mit ­Recep Tayyip Erdoğan teilt.

Muss im Umkehrschluss also angenommen werden, der Nahostdiskurs in New York und London habe als vorbildlich zu gelten? Und sind die Ereignisse in New York von letzter Woche jenen Sorgenden zufolge das Gegenteil der so called deutschen „Diskursverengung“?

Die Rede ist hier von den Auseinandersetzungen an der New Yorker Columbia University, die so aus dem Ruder liefen, dass die Universität ihren Betrieb nur noch online weiterführt. Dort hatten studentische Aktivisten jüdischen Studierenden den Zugang zu Teilen des Campus verwehrt und die Kassam-Brigaden herbeigesehnt – die militärische Unterorganisation der Hamas, die Israel auslöschen möchte.

Camps wurden errichtet, Menschenketten gebildet, die „Community“ vor Zionisten „geschützt“. Geht so Kritik an der israelischen Kriegsführung in Gaza? Ist das eine Kritik an der rechten Netanjahu-Regierung? Sind Raketen auf Tel Aviv, von Sprechchören gefeiert, vereinbar mit der Forderung nach Waffenstillstand? „Burn Tel Aviv to the ground, ya Hamas we love you, we support your rockets too!“

„Yahoodim, yahoodi, fuck you“

Eine Differenzierung zwischen Zionisten und Juden wäre die Minimalvoraussetzung, um den oft formulierten Vorwurf, der Anti­se­mi­tis­mus­verdacht werde inflationär ausgesprochen und Antisemitismus damit verharmlost, ernst zu nehmen. Aber: Unterscheiden denn die „Free Palestine“-Krakeeler an dieser Stelle? „Yahoodim, yahoodi, fuck you“, hieß es in New York. Zurück nach Polen sollen sie gehen, die Juden. Dort würden sie herkommen. Ein Video zeigt, wie jüdische Studierende unter diesen Rufen bedrängt werden.

Eine andere, die in New York erfolgreich Proteste anführt, ist die Schauspielerin Susan Sarandon. Der Ansatz der Pazifistin und Feministin? Die Verbrechen des 7. Oktober zu leugnen: „All of those myths about babys in ovens and the rapes.“

Zeitgleich in London: Im Guar­dian macht sich die Großnichte eines Hitler-Generals Sorgen über die Diskussion in Deutschland seit dem 7. Oktober, sie sorgt sich, „dass wir, obwohl wir uns ständig auf die Nazi-Vergangenheit berufen, einige wichtige Lehren“ vergessen. Ist es die Sorge darüber, dass es ein von Judenhass geprägtes Klima an den Universitäten gibt? Oder darüber, dass die Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen ist?

Nein, die Verbrechen des Onkel Walter „fühlen sich gerade jetzt unangenehm relevant an“, weil Deutschland ungewollt Fehler wiederhole, „die schon einmal gemacht wurden“, gerade weil es „an der Seite Israels“ stehe. Israelis als die Nazis von heute? Und Nazis erkennen Nazis am besten? „Die Vergangenheit meiner Familie und Deutschlands lastet schwer auf mir. Und deshalb liegt mir Gaza so am Herzen“, so der Titel des Textes, der symptomatisch ist für einen bestimmten pseudoantirassistischen Paternalismus voller Verdrehungen und Blindheiten.

So viel Entlastung

Es gibt einen Vortrag Theodor W. Adornos mit dem Titel „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ (1962), der Suhrkamp Verlag hat ihn kürzlich herausgebracht. Er ist nicht Adornos bester Aufsatz, und es geht viel mehr um Judenhass von rechts. Was aber die Rechten nicht exklusiv haben und der Aufsatz sehr gut zeigt: wie viel Entlastung die Deutschen (und andere) doch noch immer erfahren durch die Belastung der Juden.

In einer früheren Version dieses Textes hieß es, den Studierenden sei der Zugang zum Campus verwehrt worden. Tatsächlich wurde ihnen wohl nur der Zugang zu Teilen des Campus verwehrt.

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Redakteurin für das Politische Buch und Diskurs in der Kultur. Jurorin des Deutschen Sachbuchpreises 2020-2022 sowie der monatlichen Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandradio. Lehraufträge in Kulturwissenschaften und Philosophie. Von 2012 bis 2018 Mitglied im Vorstand der taz. Moderiert (theorie-)politische Veranstaltungen. Bevor sie zur taz kam: Studium der Gesellschaftswissenschaften, Philosophie und Psychoanalyse in Frankfurt/Main; Redakteurin und Lektorin in Wien.

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