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Proteste bei Lesung im Hamburger BahnhofGrenzen des Gesprächs austesten

Kommentar von Dirk Knipphals

Museen sollten sichere Orte für kontroverse Debatten sein. Alle müssen zu Wort kommen dürfen, auch beim Thema Nahost-Konflikt.

Tania Bruguera bei ihrer Lesung im Hamburger Bahnhof in Berlin am 7. Februar Foto: Sabine Gudath/imago

W as das repressive kubanische Regime 2015 noch mit Presslufthämmern versuchte, haben propalästinensische Ak­ti­vis­t*in­nen jetzt in Berlin erreicht: Sie haben die von Tania Bruguera initiierte Lesungsperformance des Totalitarismusbuchs von Hannah Arendt gesprengt. Auf Kuba hatte die Künstlerin den Text aus dem Fenster ihrer Wohnung heraus gelesen. Das Regime versuchte das mit Baustellenlärm zu übertönen.

In Berlin fand die Lesung im Hamburger Bahnhof, einem Museum, statt – bis die Gruppe von Ak­ti­vis­t*in­nen sie torpedierte. Mitten in der deutschen Hauptstadt werden derzeit die Grenzen des Gesprächs miteinander ausgetestet, und zwar ganz anders, als die Ver­tre­te­r*in­nen eines Zensurnarrativs sagen. Dieses Narrativ behauptet, dass Antisemitismusvorwürfe die Kritik an Israel delegitimieren und propalästinensische Stimmen zum Schweigen bringen sollen. Das stimmt aber nicht.

Antisemitismus ist keine Meinung und darf nicht geduldet werden, Punkt. Kritik an Israel kann geübt werden – und wer hätte sie gegenüber der in Teilen rechtsradikalen Regierung von Benjamin Netanjahu nicht? Es geht aber auch um die Art und Weise, wie hier agiert wird.

Schreiaktionen wie im Museum Hamburger Bahnhof – und vergangene Woche an der Humboldt-Universität, als eine im Übrigen Netanjahu-kritische hohe israelische Richterin niedergebrüllt wurde – mögen instagramable aussehen, schaden aber in Wirklichkeit der Sache, wenn diese denn darin besteht, dass jeder, der etwas zu sagen hat, zu Wort kommen soll. Und darin besteht das Anliegen doch, oder?

Wenn nicht, kann man nicht anders, als die Aktion am Hamburger Bahnhof als antisemitisch zu lesen. Die Unis und die Museen aber müssen sichere Orte eines differenzierten Nachdenkens sein, auch über den Nahen Osten. Tania Bruguera wollte dazu beitragen. Das haben die Ak­ti­vis­t*in­nen unterbunden. Wollen sie am Diskurs teilnehmen? Oder wollen sie Diskurs gerade verhindern? Derzeit sieht es nach Letzterem aus.

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Literaturredakteur
Dirk Knipphals, Jahrgang 1963, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Kiel und Hamburg. Seit 1991 Arbeit als Journalist, seit 1999 Literaturredakteur der taz. Autor des Sachbuchs "Kunst der Bruchlandung. Warum Lebenskrisen unverzichtbar sind" und des Romans "Der Wellenreiter" (beide Rowohlt.Berlin).
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42 Kommentare

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  • Richtig, das ist nicht eindeutig in Herrn Fissners Kommentar enthalten.



    Zu beachten ist aber auch, was *Thema* des Artikels ist, der hier kommentiert wird, auch das ist Teil der Botschaft.

  • Einer der Gründe für diese Aktion sei, kann wan in einem Video hören, 'to shame everyone who supports genocide'

    Neben Diskussionskultur, Redefreiheit usw. - wichtig genug - sollte aber ein weiterer Aspekt nicht unter den Tisch fallen: solche Aktivist*innen haben aktuell eine konkrete Agenda, eine aktive Position in dem Krieg in Gaza, von der nicht abgerückt wird und die als Unterstützung wirken soll - um die Menschen geht es erst in zweiter Linie.

    Denn die Hamas hätte es in der Hand, diesen Krieg sofort zu beenden: wenn sie die Geiseln freiließe, sich ergäbe - z.B. der UNO - und die Verantwortlichen für die Verbrechen vom 7.Oktober an ein internationales Gericht überstellen würde.

    Es dürfte tatsächlich dazu beitragen, den Krieg zu verlängern, dass 'um der Sache wegen' - die "Befreiung" Palästinas - solche Unterstützung bis in die Uno hinein (gerade hat die UNO Sondergesandte Francesca Albanese erklärt, die Hamas habe mit den Anschlägen vom 7.Oktober "auf die Unterdrückung durch Israel reagiert" www.tagesspiegel.d...agte-11196103.html ) die Menschen und ihr Leiden für solche Unterstützer in den Hintergrund treten lässt, sie zweitrangig werden.

    Der 7.Oktober soll so zum Beginn einer neuen Runde in diesem "Freiheitskampf" werden - aber was für eine Freiheit soll das sein?

    Selbst wenn die Hamas zur Gewalt befugt wäre, etwa als Polizei, dürfte sie so vergewaltigen, morden, wie sie es getan hat? taz.de/Sexualisier...er-Hamas/!5987483/

    Selbstverständlich nicht - wer soll in einem Land, das solche Verbrecher regieren würden¹, eigentlich leben wollen?

    ¹die Parallelen zum Iran, wo Frauen von Staats wegen ins Koma, in den Tod geprügelt werden, wenn sie das Kopftuch nicht richtig tragen, ist unübersehbar - es ist kein Zufall, dass die Hamas von Teheran unterstützt wird

    • @ke1ner:

      Richtig.Der Hamsas geht es nicht um die Menschen, sondern nur um ihren Machterhalt. Das trifft auf eine Nethanjahu Regierung, die soviel Dreck am Stecken, das sie an der Macht bleiben muss oder bestraft wird. Das sind zwar alles auch Menschen, aber eben auch Täter. Die Menschen auf beiden Seiten sind die Opfer, wie immer deutlich kn der Mehrheit.

  • Stellen wir uns einmal vor rechte Aktivisten, etwa der Identitären, hätten diese Lesung gesprengt, was dann wohl los wäre?

    Sicher würde es Demonstrationen geben, der Kulturbetrieb wäre aus dem Häuschen und Steinmaier gäbe sich staatstragend und empört in der Tagesschau.

    Bei den anti-israelischen Darlings ist das ein anderer Schnack.

  • Solche "AktivistInnen" wird es immer geben. Es geht ihnen nicht um die Sache, sondern letztlich nur um eine Inszenierung ihrer Selbstgerechtigkeit. Indem man andere hasserfüllt niederbrüllt kann man die eigene gefühlte Bedeutungslosigkeit kurzzeitig vedrängen. Live-Trolle eben.

  • "Kritik an Israel kann geübt werden – und wer hätte sie gegenüber der in Teilen rechtsradikalen Regierung von Benjamin Netanjahu nicht?"

    Netanjahu rechtfertigt allenfalls Kritik an der israelischen Politik. Wenn ganz Israel für rechtsextreme Politik verantwortlich sein soll, dann wäre Israel ein rechtsextremer Staat. Das übertrifft den Apartheidsvorwurf noch um einiges.

    Von daher nein Kritik "an Israel" ist wohl eher nicht möglich.

    • @Rudolf Fissner:

      Es ist immer besser, seine Kritik genau zu addressieren. Es ist unhaltbar, wenn jetzt Israelis individuell für eine Regierung verantwortlich gemacht werden, die sie bekämpft haben. Das ist im Grunde faschistisch. Mich hat es erfreut, dass ich mit ein paar Berlinern mit arabischer Abstammung reden konnte, die bei aller Soli mit Palästina über die Angriffe auf Zivilisten und die Verstümmelung und sogar zur Schau Stellung absolut wehrloser, ja sogar sterbender Opfer, darunter junge Frauen, entsetzt waren. Die es nicht waren, die feige schweigen, sind ein Problem. Das gilt umgekehrt genauso für Verbrechen der Gegenseite. Ich sehe da eine große Einigkeit, die hoffentlich die dringende Waffenruhe beschleunigt.

    • @Rudolf Fissner:

      Sie finden es also richtig, eine Veranstaltung aus Frust darüber irgendwas angeblich nicht zu dürfen einfach mal in Grund und Boden zu brüllen?

      • @Henriette Bimmelbahn:

        Kann ich aus Fissners Kommentar nicht rauslesen...

        (sehe aber auch, dass das Phänomen und diese Begründung weit verbreitet sind)

        • @ke1ner:

          ... dann soll man es wohl rein lesen :-)

  • Warum verweist man solche Leute nicht per Hausrecht des Saals und zieht die Polizei hinzu, um sie hinaus zu eskortieren?

    • @PeterArt:

      Weil das genau so eine Kapitulation des Dialogs vor der Repression wäre UND den Opfernarrativ auf der falschen Seite nähren würde. So ist die Lesung wahrscheinlich sogar agitatorisch ein größerer Erfolg, als wenn sie reibungslos über die Bühne gegangen wäre, ermöglichte eine gesunde Distanzierung der differenzierten Israelkritik von solchen Kufiya-Faschisten, während sich diese schön in den PR-Fuß geschossen haben.

      • @Normalo:

        Ok, dann also lieber kneifen und den Schreihälsen Recht geben? Nur aus Angst davor, diese könnten sich als Opfer gerieren? Das tun sie sowieso.

  • Hannah Arendts "Elemente und Ursprünger totaler Herrschaft" kritisiert schon im Vorwort Tendenzen jüdischer Geschichtsschreibung, ist alles andere als apologetisch. Sie würde heute sofort erkennen, wie das gegenseitige Zelebrieren der Opferrolle bzw des Martyrertums die beiden Lager daran hindert, erwachsen und verantwortlich mit dem unendlichen Schmerz umzugehen, den man sich seit 100 Jahren etwa zugefügt hat, um zu der klaren Friedenslösung zu gelangen, auf die sich im Grunde fast alle geeinigt haben, die diesen Dauerkriegszustand von außen beobachten, US-Demokraten, Ägypten, Jordanien, die Saudis, EU.



    Wenn eine mutige kubanische Intellektuelle und Arendt zum Schweigen gebracht werden, ist das ein Skandal, denn diese beiden wären ideal, um mit ihrem Denken zu einer gerechten Lösung beizutragen.

  • Bei aller Liebe. Wo her kommt den der Hass? Woher kommt den die scheinbare Unfähigkeit sich "Sprechend" anstatt kämpfend auseinanderzusetzen?

    Mittlerweile wächst die vierte Generation in Flüchtlingslagern heran, bzw. in dem was davon übrig ist. Ist das Politik für Menschen? Ist das gelebter Glauben? Was seit ihr doch für Scheinheilige! Auf beiden Seiten. Aber so ist das mit der Religion. Sie wanzt sich an die Macht.

    Netanjahu predigte das die Bevölkerung in den Süden ziehen möge, dann werde ihnen nichts passieren. 30.000 sind tot. 2einhalb mal so viele verletzt. Mittlerweile sind fast 60% der Gebäude im Gaza Streifen zerstört., 1,3 Millionen sind auf der Flucht, stehen an einer Grenze über die sie nicht fliehen können.



    Denen es scheißegal ist ob Hamas, Hisbollah oder Weißwurst. Hauptsache Frieden.

    Und Ihr wundert Euch über Antisemitismus.

    • @Tom Lehner:

      Vielen Dank! In Deutschland tut man sich schwer damit, "Israelkritik" losgelöst von religiösen Ideologien zu betrachten. Schnell wird man - beim Einstehen für Menschenwürde für Palästinänser - verketzert.

    • @Tom Lehner:

      "Und Ihr wundert Euch über Antisemitismus."

      Als wäre Ihr Posting nicht genug, garnieren Sie es am Ende mit *dem* Klassiker des Antisemitismus schlechthin... Das ist doch mal ein krasser Wille zur Selbstentlarvung und Offenbarung der eigentlichen Motivation. Chapeau!

    • @Tom Lehner:

      Das alles ist keine Rechtfertigung dafür, beliebige Juden anzufeinden, zu bedrohen oder anzugreifen.

    • @Tom Lehner:

      Wer - insbesondere als Nichtbeteiligter - irgendwem mit Hass begegnet, sollte das mit sich ausmachen und nicht auf andere zeigen. Hassen kann man nur aus sich selbst heraus.

      Und "Antisemitismus" heißt nicht, sich über die israelische Regierung aufzuregen, sondern Menschen dafür zu anzufeinden oder gar zu hassen, dass sie - wie die israelische Regierung - dem Judentum angehören. NIEMAND, der hier in Deutschland als Jude unter Antisemitismus leidet, ist notwendigerweise ein Unterstützer der jeweiligen israelischen Regierung. Und daher IST solcher Antisemitismus gerade in diesem Land ausgesprochen "verwunderlich". Schon dass, man hier noch übher Postings wie Ihres stolpert, die diesen Unterschied einfach nciht klarkriegen (oder wegbügeln) erschreckt mich ein wenig.

  • Wenn jeder zu Wort kommen soll. Soll er aber nicht. Juden sollen nicht zu Wort kommen.

    Das zeigt leider jede dieser Aktionen.



    Israelis schon gar nicht.



    Egal ob diese für oder gegen siedler, für oder gegen Netanjahu sind.

    Ihre Existenz stört.

  • Das ist nicht erst seit dem 7. Oktober häufiger so, aber seit dem fast ständig. "Palästina " Aktivistis unterwandern, spalten, sprengen und tun mehr für Islamisten als viele andere. Emanzipatorisch ist da wenig bis nix und nein, es geht in Gaza und bei dem genozidalen Angriff, der Folter, dem sexuellen Missbrauch gegen Leute auf israelischem Boden nicht um nationale Befreiung und diese nationale Befreiung wäre auch nicht ein Hauptwiderspruch dem sich alles unterzuordnen hat.

    Emanzipatorisch wäre dir jesidischen, kurdischen und von Hamas geknebelten Stimmen zu amplifizieren.

  • Es sollte endlich damit aufgehört werden, diese Personen als "Aktivisten" zu verharmlosen. Und es werden auch keine "Grenzen des Gesprächs miteinander ausgetestet".



    Wer die Berichte über den Vorfall im Museum Hamburger Bahnhof liest und den Augenzeugen zuhört, der kann nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß es sich hierbei eindeutig um Schilderungen von Gewalt handelt - und das nicht auf der Ebene einer "microaggression", sondern auf einer Ebene, auf der die Betroffenen Angst um ihre Gesundheit und ihre körperliche Unversehrtheit hatten. Gleiches gilt auch für die Besetzung des Hörsaales an der Freien Universität Berlin oder den erzwungenen Abbruch der Podiumsdiskussion an der Humboldt-Universität. Von dem brutalen Angriff auf den Studenten Lahav Shapira durch einen, wie die FAZ berichtet, arabischstämmigen muslimischen Kommilitonen gar nicht zu reden.

  • Liebes Redaktionsteam. Warum werden Leute, die diejenigen einfach nur niederbrüllen, deren Meinung ihnen nicht passt, immer noch mit dem grundsätzlich positiv besetzten Begriff "Aktivistin" oder "Aktivist" bezeichnet und so quasi "geadelt".

    Es ist doch ganz eindeutig, zumindest für mich, daß diese Leute keine ernsthafte Diskussion wollen, sondern ausschließlich ihre einseitige Sicht der Dinge zu Wort kommen lassen wollen.

    Das hat mit einer seriösen Debattenkultur, wie sie in einer Demokratie üblich sein sollte, nichts mehr zu tun.

    Ich hätte mir daher auch gewünscht, daß Herr Knipphals das ebenfalls klar ausdrückt. Seine letzten Sätze sind ein Herumlavieren.

    • @ PeWi:

      Genau deshalb ist "Aktivist" bei vielen aber nicht mehr "positiv besetzt".

    • @ PeWi:

      Weil es Aktivisten sind? Sie gehen Aktiv gegen etwas vor.



      Ja auch das sind Auswüchse des Aktivismus.

    • @ PeWi:

      Das sehe ich wie Sie. Danke!

    • @ PeWi:

      "Warum werden Leute, die diejenigen einfach nur niederbrüllen, deren Meinung ihnen nicht passt, immer noch mit dem grundsätzlich positiv besetzten Begriff "Aktivistin" oder "Aktivist" bezeichnet und so quasi "geadelt"."

      Wieso geadelt? Wo ist denn Aktivist "grundsätzlich positiv bestzt"? Es gibt auch rechten Aktivismus, radikale Abtreibungsgegner, Identitäre, Antifemisiten, Windkraftgegener, etc.



      Und es wollen auch nicht alle Aktivisten eine seriöse Debattenkultur. Auch bei Weitem nicht alle links verorteten Aktivisten.

      • @Deep South:

        "Wo ist denn Aktivist "grundsätzlich positiv besetzt?"

        Da, wo er - auch - als Selbstberschreibung verwendet wird. Gegnerische Aktivisten werden dann entsprechend nicht als solche tituliert sondern als "radikale ...isten" - je aktiver desto "radikaler"...

  • Ich teile prinzipiell die Aussage des Meinungsbeitrags, doch am Ende behauptet er auch bloß wieder das, was man von so vielen Seiten hört: eigenlich ist es doch alles ganz einfach! Ist es aber nicht.



    (1) "Antisemitismus ist keine Meinung und darf nicht geduldet werden, Punkt." Richtig! Doch da es gerade jetzt nicht mal annähernd eine Verständigung darüber gibt, was Antisemitismus ist, ist der Satz komplett inhaltsleer - und das sogar noch bevor man sich fragen kann, was "darf nicht geduldet werden" konkret bedeuten soll.



    Und wir dürfen (2) nicht vergessen: die Argumente So-und-so-keine-Bühne-bieten oder Normalisierung (= Kollaboration bei Diskursverschiebung) oder falsches Framing usw. bilden - zu Recht (!) - noch mal eine ganz eigene Problematik.



    Wenn man anerkennt, dass (1) und (2) nicht trivial sind, kann man vielleicht (!) auch zu einer anderen Position gelangen als der Watsche am Ende des Meinungsbeitrags: "kann man nicht anders, als die Aktion am Hamburger Bahnhof als antisemitisch zu lesen".



    Zur Klarstellung: ich war nicht dabei und vielleicht hätte ich es auch als antisemitisch empfunden, aber die von jeglichen Zweifeln befreite Wertung nach ein paar Zeilen, lässt mich ein wenig ratlos zurück, gerade mit Blick auf das, was der Meinungsbeitrag einfordert.

    • @My Sharona:

      Doch, es gibt eine Definition, was Antisemitismus ist.



      Das Gegenteil zu behaupten erinnert ein kleines bisschen an die Leute, die noch immer darauf beharren, die Erde wäre eine Scheibe oder Gott hätte die Welt in 6 Tagen erschaffen..

    • @My Sharona:

      》Zur Klarstellung: ich war nicht dabei und vielleicht hätte ich es auch als antisemitisch empfunden, [...]》

      In Teilen kann wan sich das auf Instagram ansehen.

      Die Gruppe heißt Thawra (wohl arabisch für Revolution) und hat Videos eingestellt (lässt sich über den Namen leicht mit der Suchfunktion finden)

  • Wenn es nicht zu dem antisemitischen Gekeife gekommen wäre hätte man Brugueras Performance getrost als weitere Kunstaktion abhaken können, während der israelfeinfeindliche KünstlerInnen sich im einstudierten Wiederstandsgestus selbst beweihräuchern. Eine klare Gewichtung war hier also von Anfang an nicht gegeben.

    Allein der Rahmen innerhalb dem aus Ahrendts Text vorgelesen wurde und der unter dem Eindruck des Stalinismus und Nationalsozialismus geschrieben wurde zeigt das Ausmaß des Geschichtsrelativismus in weiten Teilen der postkolonialen Kunstszene. Ganz so, als seien Beteiligte wie Candice Breitz oder



    Masha Gessen auch nur in die Nähe Verfolger dieser Regime zu rücken, bloß weil sie in Deutschland nicht ungestört gegen Israel agitieren dürfen. Indem man den Dialog vorher autoritär abwürgt kann man sich anschließend medienwirksam über dessen nicht Zustande kommen echauffieren.

    Sicher ist es kein Zufall, dass die Störung während der Lesung Mirjam Wenzels unterbrochen wurde. Warum der Hamburger Bahnhof sich auf eine Performance einließ, deren Initiatoren etwa mit der antizionistischen Gruppe Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost zusammen arbeiten wird aufzuklären sein. Offenbar gab es keinerlei Bestrebungen, die jüdischen Lesenden zu schützen, obwohl bei solchen Beteiligten wie den oben genannten klar sein dürfte, dass das nicht möglich ist. Offenbar muss es erst zu weiteren Eskalationen kommen.

  • Das erinnert sehr an die "Proteste" (eher Mobbing), die zum Rücktritt der britischenPhilosophin Kathleen Stock geführt haben.

    》Stock zählt zu den akademischen Vertreterinnen eines von ihr „genderkritisch“ genanntenFeminismus.[3]Stock weist in ihren Schriften wiederholt das Konzept einer von der Anatomie unabhängigen „Genderidentität“ zurück und besteht darauf, trans Frauen als „Männer“ zu bezeichnen.[4]Stock ist außerdem politisch bei derLGB Allianceaktiv.[3]In der Folge wurde Stock alstransfeindlichoder „TERF“ kritisiert und angefeindet [...] Anfang Oktober 2021 forderten Studierende bei einem Protest mit Plakaten und Graffiti die Entlassung Stocks und in sozialen Medien kursierten Bilder mit der ParoleStock out(„Stock raus“).[7]Im Oktober 2021 trat sie nach den anhaltenden Anfeindungen von ihrer Professur in Sussex zurück, obwohl die Universität hinter ihr stand und sich 200Akademiker für Stock ausgesprochen hatten.[3]Stock begründete ihren Rücktritt mit der „absolut schrecklichen Zeit“ für ihre Familie und sie selbst.《

    de.m.wikipedia.org/wiki/Kathleen_Stock

    Auch Stocks Ansätze dürften unter die pauschale Zurückweisung der amerikanischen Philosophin Judith Butler als rechtsautoritär bzw. fundamentalchristlich fallen is.gd/0a6dfQ (Guardian) - was es interessanterweise ermöglicht, über sie ["Antikolonialisten"] einen Bogen zu der Lesung im Hamburger Bahnhof zu schlagen: 》Indem sie sich auf Prinzipien der Postcolonial Studies, der Critical Whiteness und der Intersektionalität berufen, verleihen sie ihrer Ablehnung des Existenzrechts Israels einen akademischen Anstrich. Idol und Vordenkerin dieses Spektrums ist die US-amerikanische, jüdische Philosophin und BDS-UnterstützerinJudith Butler, die schon früh verkündete, wie „extrem wichtig“ es sei, die Terrorgruppen Hamas und Hisbollah als progressive „soziale Bewegungen“ und „Teil der globalen Linken“ anzuerkennen《

    is.gd/VgxhNJ (Tagesspiegel)

  • "Denk' ich an Deutschland in der Nacht , dann bin ich um den Schlaf gebracht"...(Heine)



    Was im Augenblick in Berlin, in Deutschland abgeht steuert auf einen Abgrund zu :



    Eine Professorin aus Israel wird an der Humboldt-Universität niedergebrüllt , an der HBK posieren angehende Akademiker mit blutroten Händen wie die palästinensischen Mörder in Hebron , ein jüdischer Student wird von einem Kommilitonen krankenhausreif geschlagen und jetzt dieser unsägliche Auftritt von linken "Aktivisten" im Hamburger Bahnhof . Hat einer von ihnen jemals Hannah Arendt gelesen, weiß einer von ihnen was Totalitarismus bedeutet ? Wenn ja, hätten sie erkennen müssen wie sehr ihr Auftritt an die nationalsozialistischen Studenten erinnert , die auch schon vor 1933 gegen Juden pöbelten , gegen missliebige Meinungen. Ist das schon Faschismus von links ?

    • @Barthelmes Peter:

      (Ist nicht besserwisserisch gemeint:)



      Das sehr geläufige Heine-Zitat bezieht sich nur indirekt auf ein Deutschland, wie es vermeintlich immer schon war, sondern direkt auf die Mutter Heines...

      • @Auweiowei:

        Danke ! Als ehemaligen Düsseldorfer , Buchhändler und Heine-Liebhaber war mir bekannt, dass er sich in der Pariser Emigration um die Mutter sorgte, aber der Satz passte zu gut zu meinem Kommentar.

    • @Barthelmes Peter:

      》...an der HBK posieren angehende Akademiker mit blutroten Händen wie die palästinensischen Mörder in Hebron [...]

      Dazu gibt es wohl auch ein Video - wissen Sie (oder sonstwer) wo? (Suchwörter würden völlig reichen!)

    • @Barthelmes Peter:

      Darum geht es ja nicht mehr. Differenzierendes Denken ist generell nicht erwünscht. Wir haben ja Schlagworte - und da weiß dann jeder, was gemeint ist. Ein Gespräch findet schon lange nicht mehr statt. Vom Lesen ganz zu schweigen - das gewöhnen wir den Kindern in de Schule schon früh ab. Fein in kleine Häppchen geschnitten, auf ein Wort verkürzt, kommt es besser an, kann besser kontrolliert und abgehakt werden. Dabei kommen dann die jetzigen Zustände heraus.

      Deutschland stellt sich doch auf Demonstrationen massenhaft gegen rechts (was immer das dann eben ist). Doch die Courage bzw. die simple Normalität, das Hausrecht zu nutzen oder die Polizei* zu verständigen - darauf kommt man in Universität, Museum und auch am belebten Rosenthaler Platz nicht mehr.



      (Bei der Veranstaltung mit der israelischen Richterin Daphne Barak-Erez in der Humboldt-Uni schaute die Polizei vorbei und fragte, ob Anzeige erstattet wird. Es wurde nicht ...)

  • Ich stimme vollkommen zu, dass diese Art von Protest einfach nur hohl ist. Zumal ich nicht sicher bin, ob in diesen fast schon autonomen Zirkeln der geschichtliche Hintergrund des Konflikts so richtig klar ist. Ebenso wird in maßloser Verblendung nicht gesehen, dass es Millionen Israelis gibt, die den Kurs Netanjahus auch nicht stützen oder sich sogar in der Vergangenheit für eine Zwei-Staaten-Lösung eingesetzt haben.

  • "Kritik an Israel kann geübt werden – und wer hätte sie gegenüber der in Teilen rechtsradikalen Regierung von Benjamin Netanjahu nicht?" - In Anbetracht der sich einseitig auf die Seite Netanjahus stellenden Bundesregierung - siehe FAZ-Artikel von heute "Warum einige palästinensische NGOs kein deutsches Geld mehr bekommen " - und dem medialen Ungleichgewicht der Darstellung von israelischen und von palästinensischen Opfern habe ich da so meine Zweifel. Von rechtswidrigen Forderungen nach weiterer "Bestrafung" strafbarer Handlungen (Exmatrikulation wg. Körperverletzung, auch wenn motiviert durch Antisemitismus) mal ganz abgesehen. Von Fritze Merz gestern mal ganz zu schweigen...

    • @Jörg Levin:

      Nur nochmal zur Erinnerung: Auslöser all' der Dinge, über die wir hier gerade diskutieren, waren die Massenmorde der Hamas und die teilweise begeisterte Zustimmung dazu in Teilen der muslimischen Community.

      Nach dem 7. Oktober wurden israelische Fahnen von privaten und öffentlichen Gebäuden heruntergerissen und die Zahl der antisemitischen Starftaten ist springhaft angestiegen.

      Lehrkräfte berichten, daß mit Teilen ihrer muslimischen Schüler eine sachliche Debatte nicht mehr möglich ist.



      Sehen Sie da keine "Einseitigkeit"? Ich habe auch nicht den Eindruck, daß über das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung nicht ausreichend berichtet wird.

      Was die Exmatrikulation des Schlägers angeht, mag es dafür keine rechtliche Grundlage geben. Aber die Forderung, dies künftig zu ermöglichen, oder zu sagen, so jemand fehle für ein Studium die nötige Reife, ist meiner Meinung nach durch die Meinungsfreiheit gedeckt - ebenso, wie Ihre Sicht der Dinge.

      Da unsere Ansichten offenbar sehr verschieden sind, würde mich Ihre Meinung zu den hier beschriebenen Störaktionen durch Drohungen und Niederbrüllen schon interessieren.

      • @ PeWi:

        Der Auslöser der israelischen Bombardements auf den Gaza-Streifen ist mir bewusst. (Eventuelle) Zustimmung zu den Verbrechen vom 7.10.2023 kann das massive Töten von Menschen (in knapp 8 Wochen ebenso viele Tote wie nach knapp 2 Jahren russischer Invasion in die Ukraine, nur mal so zum Vergleich) nicht rechtfertigen.



        Meine Vorwürfe richten sich an die staatlichen Institutionen, an die Medien. Ihre Vorwürfe richten sich an Bürgerinnen bzw. Bürger. Da ist meines Erachtens ein Unterschied.



        Ich halte ein Niederbrüllen einer Hannah-Arendt-lesenden Künstlerin ebenso für unakzeptabel wie das gegenüber einer jüdischen Richterin. Bei Äußerungen eines Bernd Höckes oder B. Netanjahus schwanke ich - das muss ich bekennen.