Ein Kirchturm im Nebel hinter Bäumen

Foto: Sebastian Willnow/dpa/picture alliance

AfD im Erzgebirge:Rechtes Weihnachtsland

Das Erzgebirge ist gerade zur Weihnachtszeit malerisch schön. Doch hier wohnen viele Menschen, die rechte Ideologien glauben und AfD wählen. Warum?

Ein Artikel von

Aus westerzgebirge, sachsen, 22.12.2023, 18:45  Uhr

Haamlich, heimelig also, wird es im sächsischen Erzgebirge zur Winterweihnachtszeit nicht nur in den Hutzenstuben. In den Ortschaften steht in beinahe jedem Fenster ein Schwibbogen (Lichtbogen) oder hängen Sterne. Straßen und Weihnachtsmärkte werden freundlich beleuchtet, ihre von Bergbaufiguren geprägten großen Weihnachtspyramiden drehen sich so stoisch, wie es dem Gemüt der Bergbewohner entspricht.

Das Erzgebirge ist gerade zur Weihnachtszeit pittoreske Idylle. Man trifft auf einen knorrig-gemütvollen Menschenschlag, der über hunderte Jahre zusammengewachsen ist. Aber einige Arzgebirger und vor allem Beobachter aus dem Flachland fühlen sich nicht mehr uneingeschränkt wohl. Denn das Erzgebirge ist auch Heimat geworden für völkische, ausländerfeindliche und evangelikale Strömungen.

Die AfD ist mit 33 Prozent in aktuellen Umfragen vor der Landtagswahl im kommenden Jahr stärkste Kraft – obwohl ihr Landesverband gerade vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wurde. Gleichzeitig versuchen gesprächsoffene Initiativen eine Trendumkehr.

„Der Erzgebirgskreis kann mit seinen Besonderheiten wie den extrem rechten Heimatvereinen, den Tarnlisten, den bürgerlich-rassistischen und verschwörungsideologischen Protesten in ­einer bundesweiten Vorreiterrolle zur Erprobung extrem rechter Aktionsformen gesehen werden“, bricht der Vorspann eines Policy Papers von der Universität Leipzig mit der Weihnachtsidylle.

Das Erzgebirge will „Deitsch on frei“ sein

Anna-Louise Lang und der Journalist Johannes Gruner haben die „Situationsanalyse rechter und antidemokratischer Strukturen im Erzgebirgskreis“ geschrieben. Sie sind solide Kenner der Bergregion. Vorgestellt wurde die Analyse unter anderem auf einem Fachtag der Diakonie und der Landeszentrale für politische Bildung im November in Stollberg. Bürgermeister, Kirchenvertreter, Einzelkämpfer und Demokratieinitiativen konnten die Recherchen der Studie aus ihrer eigenen Erfahrung bestätigen.

Schon der Tagungsort könnte exemplarisch für die Diskrepanz zwischen äußerlich harmonischer Wahrnehmung und sich ausbreitenden Geisteshaltungen stehen. Der Bürgergarten Stollberg ist ein neoklassizistischer Prunksaal mit Säulen, Kronleuchtern, Deckenmalereien und Holzausstattung. Hier haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder Heimatvereine und rechte Verführer versammelt, um das hässliche Einsickern völkisch-nationalistischer Gesinnungen voranzutreiben.

Da sind zum Beispiel die „Haamitleit e. V.“, die „Heimatleute“, ein Verein in Lößnitz. Er wurde 2016 von zwei jungen Männern gegründet, die im selben Jahr an der Gründung der Identitären Bewegung Erzgebirge beteiligt waren. Es ist einer von 15 Heimat- und Traditionsvereinen im Ort, der sich zunächst nur durch die Ausrichtung des jährlichen „Erzgebirgischen Heimattages“ hervortat. Er ist auf Märkten präsent, lädt zu Liederabenden und Heimatfesten ein.

Am Waldrand oberhalb des Ortsteiles Dittersdorf haben die „Haamitleit“ 2018 einen Gedenkstein für den 1937 verstorbenen Heimatdichter und Sänger Anton Günther errichtet. Dessen Popularität hält bis ins Flachland hinunter an, etwa mit schlichten Liedern wie „’s is Feierobnd“. Auch das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg ersetzte ein geplantes zeitgenössisches Stück durch einen Anton-Günther-Abend.

Die Inschriften auf den schon etwas verwitterten Holzbänken vor dem Günther-Gedenkstein sind anschlussfähig nach rechts. „Deitsch on frei wolln mr sei!“ (Deutsch und frei wollen wir sein), steht dort geschrieben. Das Lied von Günther gilt als Erzgebirgshymne. Die wenigsten empfinden das aber als problematisch. Bei Nachfragen zum Denkmal fallen nur anerkennende Worte über die „Haamitleit“ und ihre schönen Feste. „Die sind aktiv, die tun wenigstens etwas“, hört man, wenn man die Einheimischen fragt. Niemand berichtet von Agitation und Propaganda.

„Der Arzgebirger is einer, der gern daheim is. Er lässt sich ungern aus der Ruhe bringen, is aber auch ganz schnell aufm Baum“, schätzt Manuela Götz ihre Landsleute ein. Götz betreibt eine abenteuerliche Bauernhof-Herberge bei Scheibenberg. Was bei Götz etwas flapsig klingt, das Empörungspotenzial im Erzgebirgler, führte während der Pandemiejahre zu verschwörungstheoretischen, rechtsoffenen Ausschreitungen auf den Straßen: Die Demonstrationen von Impfkriegern und Verschwörungstheoretikern vor allem in Zwönitz verliefen so heftig, dass Medien aus der ganzen Bundesrepublik sich auf die Stadt mit den 12.000 Einwohnern stürzten. Es blieb nicht bei Hetzreden: Polizisten wurden angegriffen, eine 57-jährige Frau biss einen Beamten. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wurde mit dem Ruf „Schießt ihn ab!“ empfangen. Auf das Bürgerbüro des damaligen Ostbeauftragten der Bundesregierung Marco Wanderwitz flogen Böller.

Eine maßgebliche Rolle bei rechtsextremen Demonstrationen spielen die weit über das Erzgebirge hinaus aktiven Freien Sachsen. Gemessen an der geringen Mitgliederzahl und einem geschätzten Potenzial von weniger als 1.000 Aktiven entfaltet die Kleinpartei eine überproportionale Wirkung, vor allem durch die Vernetzung im Internet. Sogar der AfD gelten die Freien Sachsen als unangenehme Konkurrenz von rechts.

Ein erleuchtetes Fenster mit gardine und Schwibbogen

Ein Schwibbogen ist in Sachsen zur Weihnachtszeit in vielen Fenstern zu sehen Foto: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Gründungsmitglied Martin Kohlmann war Kopf der Initiative Pro Chemnitz und heizte 2018 die ausländerfeindlichen Krawalle in der Stadt nach dem Mord an einem Deutschkubaner mit an. Drei irakische und syrische Asylbewerber hatten ihn am Rande des Stadtfestes nach einem Streit mit Messern angegriffen, einer wurde später wegen Totschlags verurteilt. Stellvertreter des Parteivorsitzenden Kohlmann ist Stefan Hartung, einst bekanntester Kader der NPD im Erzgebirge. Die von ihm gemeinsam mit der Bürgerinitiative „Schneeberg wehrt sich“ organisierten „Schneeberger Lichtelläufe“ trugen zur rechten Mobilisierung bei. Schon 2013 zogen bis zu 1.800 Erzgebirger mit Fackeln vor die weit außerhalb der Stadt gelegene ehemalige Jägerkaserne der Bundeswehr, die als Flüchtlingsunterkunft eingerichtet wurde.

Die rechten Aufmärsche gelten als Vorläufer der dann im Februar 2021 in Schwarzenberg gegründeten Partei. Spekulation bleibt, ob der Ort bewusst gewählt wurde im Anklang an die legendäre „Freie Republik Schwarzenberg“: 42 Tage lang blieb 1945 das Gebiet von etwa 2.000 Quadratkilometern nach der Kapitulation der Wehrmacht unbesetzt. Der Mischung aus Anarchie und Ansätzen emanzipatorischer Selbstverwaltung setzte Stefan Heym in seinem Roman „Schwarzenberg“ 1984 ein literarisches Denkmal.

Haamit In dem Begriff „Haamit“, Heimat, klingt die Heimatverbundenheit der Menschen im Erzgebirge an.

Schwibbogen Der „Schwibbogen“ (Leuchtbogen) ist der auch außerhalb des Erzgebirges mittlerweile verbreitete Lichterbogen mit bergmännischen und handwerklichen Motiven. Der Größte steht in Johanngeorgenstadt und misst ungefähr 25 Meter in der Breite. Über seine Herkunft kursieren zwei Versionen. Demnach symbolisiert er das beleuchtete Mundloch eines Stollens für den Erzbergbau ebenso wie den schwebenden Bogen.

Hutzenstube In der „Hutzenstube“ wurde früher geklöppelt, eine Handarbeitstechnik mit Spulen und Garn. Sie steht längst symbolisch für den Ort der Pflege von Liedgut und Brauchtum.

Raacherkarzl Auch das „Raacherkarzl“ fand vom Erzgebirge seinen Weg in unzählige Weihnachtsstuben in Deutschland. Zur Räucherkerze gehören Räuchermänner in allen Variationen sowie Räucherhäuser. (taz)

Heute ermuntern die Freien Sachsen ihre Landsleute auch wieder zu einem „Säxit“, also zum Verlassen der vermeintlichen sächsischen Diktatur. Damit docken auch sie beim Heimatstolz der „Arzgebirger“ und ihrer Renitenz an. Ein Blick auf den Online-„Sachsenversand“ der Rechtsextremen zur Weihnachtszeit sagt alles: Einen Schwibbogen „Freies Sachsen“ gibt es ab 130 Euro. Preisgünstiger ist ein Teelichtkorb „Jugend ohne Migrationshintergrund“ zu erwerben. Oder ein Räucherhaus-Finanzamt mit der Aufschrift „Stoppt den Raub“. Auch einen Mini-Metall-Gedenkstein „Corona Terror“ kann man erwerben. Omnipräsent im Shop ist erwartungsgemäß der Nationalheld Anton Günther.

Auch die Reichsbürger haben sich im Bergland eingerichtet. Ihr bekanntester Vertreter, Peter Fitzek – selbsternanntes Oberhaupt eines fiktiven „Königreichs Deutschland“, kaufte erst kürzlich das malerische Schlösschen Wolfsgrün, ein winziger Ortsteil der Stadt Eibenstock. Die ehemalige Fabrikantenvilla mit Fachwerk-Obergeschoss und zwei romantischen Türmchen liegt mitten im Wald an einem Hang. Unten an der Straße bietet der einzige Imbiss weit und breit Autofahrern eine heiße Mahlzeit an. Seit Januar 2022 warnen allerdings schon an der Auffahrt Schilder mit dem Hinweis: „Hier beginnt das Staatsgebiet des Gemeinwohlstaates Königreich Deutschland (KRD). Es gelten die Verfassung und Gesetze des KRD.“

Exterritoriales Gebiet also. Der gelernte Koch und Esoteriker Fitzek, der vom Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt beobachtet wird, hat das Wald­idyll über einen Strohmann für 2,3 Millionen Euro von einem niedersächsischen Arzt erworben. Ende November gab es bundesweite Razzien im Zusammenhang mit Fitzeks „Gemeinwohlkasse“. Fitzek sammelt dabei Geld von Gutgläubigen ein und verspricht ihnen dieses zurückzuzahlen: Im Auftrag der Finanzkontrollinstanz Bafin durchsuchten 42 Beamte das Grundstück, schleppten unter anderem Goldbarren heraus und versiegelten den Zugang.

Immobilien für Reichsbürger

Nach Recherchen der Leipziger Studie von Lang und Grunert soll der ehemalige Landrat Frank Vogel (CDU) vom geplanten Verkauf an Fitzek gewusst haben. Er habe aber nicht reagiert, als die finanziell überforderte Stadt Eibenstock versuchte, ein Vorkaufsrecht auszuüben. Das größere Freiberg hingegen schafft das gerade bei drei Flurstücken im Ort Halsbrücke: Bevor Fitzek auch hier zuschlagen kann, sollen sie dem „vorbeugenden Hochwasserschutz“ dienen, argumentiert die Stadt geschickt und macht von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch.

Kommunalpolitiker stehen in solchen Fällen rechter Landnahme nicht nur im Erzgebirge oft zwischen Baum und Borke. Inzwischen gibt es bei der Landesdirektion, also der sächsischen Verwaltungs-Mittelbehörde, deshalb auch ein beratendes „Expertennetzwerk Rechtsextremismus“. Aber auch unter Bürgermeistern divergieren die Einstellungen. Silke Franzl, Bürgermeisterin in Ehrenfriedersdorf, sprach auf der Stollberger Fachtagung im November. „Wenn wir nicht aufpassen, wird es immer mehr“, diagnostizierte sie einen Radikalisierungstrend. Die Mitte breche teilweise weg, auch Unternehmen und Handwerker gerieten immer mehr in den Dunstkreis von Reichsbürgern und ähnlich autoritären Kreisen. Rechtsextremismus sei leider kein vorrangiges Bürgerthema, vielmehr herrsche „angesichts der weltpolitischen Rahmenbedingungen“ eine diffuse Angst vor.

Das Gegenbeispiel zu einer kühlen, analytischen Stimme wie der von Franzl ist jemand wie Marcel Schmidt von der Freien Wählerunion Stollberg. Im Amtsblatt veröffentlichte der Bürgermeister einen Brief: Demonstrationen für ein Kalifat in Deutschland, wie nach dem Überfall der Hamas auf Israel im Oktober in Essen, nimmt er zum Anlass, gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“, Multi­kulti und „Überfremdung“ zu polemisieren – und wenn er schon dabei ist, wettert er auch gleich gegen alles Grüne wie die Energiewende. „Wir können aber nicht jedem der mittlerweile 8 Milliarden Menschen auf dieser Erde eine Einladung schicken, das deutsche Sozialsystem in Anspruch zu nehmen“, schreibt Schmidt. Auch Sekten wie die Lorenzianer, Esoteriker und Evangelikale tummeln sich im Erzgebirge.

Doch woher rührt die besondere Anfälligkeit der Erzgebirger für rechte und verschwörungstheoretische Ideen? „Es wundert mich am Erzgebirge, dass man gern Menschen glaubt, die so etwas wie der Wolf im Schafspelz sind“, sagt Marcel Beyerlein. Der Prediger kann sein Insiderwissen mit einem Blick von außen verbinden. Er hat ein Saulus-Paulus-Erlebnis hinter sich, mutierte vom Bezirksvorsitzenden der rechtsextremen „Republikaner“ in Nordfranken zum Flüchtlingshelfer, bevor er sich zum freikirchlichen Prediger ausbilden ließ. Eine Begegnung mit einem kanadischen Missionar hatte ihn bekehrt.

Menschen laufen mit Transparenten durch ein Dorf

Corona-Großdemo in Zwönitz im Januar 2022: Die Stadt galt während der Pandemie als Coronaleugner-Hochburg Foto: xcitepress/ddp

In Chemnitz gründete Beyerlein die Hilfsorganisation „Brücke“, wirkte später unter anderem bei der Diakonie Erzgebirge. Als ein „hartes, aber liebevolles Volk“ betrachtet er die Erzgebirger. Ein natürlich romantisierender Blick, der auch eine Pauschalkritik an „denen da oben“ und den politischen Institutionen beinhaltet, wie sie gerne von rechts kommt: Politikversagen, sagt Beyerlein, öffne den „Rattenfängern“ die Türen.

Thomas Lißke, Pfarrer

„Die Erzgebirger sind stolz, ziehen sich aber auch schnell aus politischen Themen zurück“

Der ehemalige CDU-Kreisrat Schneider legt sich gern mit Beyerlein an. Er wiederum ist Sprecher einer evangelikal gefärbten „Arbeitsgemeinschaft für Weltanschauungsfragen“. Er tritt mit Kampagnen gegen Moscheen und für eine „bürgerliche Revolution“ in Erscheinung. Unter der Überschrift „Diakonie als Handlanger der (linksgerichteten) Politik“ wetterte er auf seiner Plattform gegen die Absage seiner Tagungsanmeldung in Stollberg. Für ein Gespräch mit der taz stand Schneider nicht zur Verfügung.

Pfarrer Thomas Lißke aus Bernsbach hingegen ist gerne zu einem Gespräch bereit. Er konstatiert „große Bedürftigkeit, Unzufriedenheit, Frust und eine Suche nach Antworten“ und beobachtet auch unter Kirchenmitgliedern Abkehr und Radikalisierung. „So stolz die Erzgebirger sind, ziehen sie sich aber auch schnell aus politischen Themen zurück.“ Seinem christlichen Menschenbild folgend glaubt er an die Erreichbarkeit von Menschen, man müsse ihnen nur persönlich begegnen und eine Vertrauensbasis aufbauen. Als Pfarrer genieße er oft noch diesen Vorschuss.

Und es gibt noch mehr gemäßigte Stimmen in der Region: Der Schwarzenberger Kirchenvorstand initiierte eine breit getragene Erklärung gegen­ Extremismus. Im benachbarten Grünhain, wo eine Erstaufnahme für Flüchtlinge eingerichtet werden soll, entstand ein Gesprächsforum.Ähnlich klingt es beim „miteinander e. V.“ ausgerechnet im einstigen Coronaleugner-Mekka Zwönitz. Im Juli hat der Verein auf eigene Kosten eine zentral gelegene Begegnungsstätte „Mittendrin“ anmieten können. Ein größerer Veranstaltungsraum, der in eine Kneipe übergeht. Eigentlich sei immer jemand zum Zuhören da, und man komme auch mit nur zwei Euro von der Theke wieder weg, ermuntern die Vereinsvorsitzenden Katrin Mulcahy und ihre Freunde zum Besuch.

Sie übernehmen im Grunde die Strategie der Anknüpfung an den Status quo, an die Nöte und Wünsche der Bürger – eine Strategie, mit der auch die Rechten erfolgreich sind. Gestartet ist die Begegnungsstätte mit einer Fotoausstellung „Zwönitz früher und heute“. Fotografien von Plätzen und Gebäuden aus derselben Perspektive, über einen Zeitraum von 100 und mehr Jahren. Spontan entwickelten sich lebhafte Debatten. Ob denn früher wirklich alles besser gewesen sei?, kam dabei auf.

„Du kannst hier im Moment nur Sachen machen, die nicht politisch sind. Oder so, dass das gar nicht auffällt“, schränkt Vereinsfrau Christine Lippold allerdings ein. Dem sich bis heute tendenziell immer ausgegrenzt und wirtschaftlich abgehängt fühlenden Bergvolk bringen auch alle, die einen urdemokratischen Geist wiederbeleben wollen, eine Grundsympathie entgegen. So wie Pfarrer Lißke. Auch er will nur wenige hart extremistische Kräfte sehen, er sieht sie als eher Mitläufer und leicht beeinflussbare Suchende, die sich an Traditionen klammerten.

Aktuelle Wirtschaftsdaten rechtfertigen diese Mischung aus Stolz, Weinerlichkeit und Abwehrhaltung gegenüber allem Fremden indessen nicht. Im sächsischen Kreisvergleich sind hier die meisten Handwerksbetriebe und Industrieunternehmen angesiedelt. Die klein- und mittelständischen Unternehmen gelten als überdurchschnittlich innovativ und flexibel. Bei deren Zahl soll der Erzgebirgskreis nach Angaben der Wirtschaftsförderung sogar zu den Top 5 der Bundesrepublik zählen.

Manche fliehen vor der AfD

Auch Julia Loßnitzer von der Diakonie in Stollberg will die Menschen im Erzgebirge nicht aufgeben. Sie ist eine von zwei Frauen im Projekt NetzERZ, das seit dem Vorjahr verschiedene Initiativen und Institutionen zusammenbringt. Das Projekt will die demokratischen Prozesse in der Region fördern. Persönlich hätte sie allen Grund, sich gekränkt zurückzuziehen. Als Tochter eines Mosambikaners in Dresden aufgewachsen, ist sie auch nach zehn Jahren im Erzgebirge stets eine „Uhiesige“, also eine Fremde, geblieben. Sie erzählt, sie habe hier in der erzgebirgischen Provinz weit mehr rassistische Anfeindungen erlebt als in Dresden.

Und dennoch: Loßnitzer zeigt Verständnis für den „Gefühlsstau“, aus dem nur leider keine demokratische Einbringung, kein Engagement folge. Deshalb hätten es jene so leicht, die ihnen mit Triggerpunkten für ihren Frust entgegenkommen.

Prognosen fallen unter den Einheimischen dennoch kaum düster aus. Die Zwönitzer seufzen zwar bei Erwähnung des Landtagswahljahres 2024. Denn sie wissen, dass auch die jüngste Einstufung der sächsischen AfD als gesichert rechtsextrem keinen Wähler und keine Wählerin umstimmen wird. In Pirna gewann jüngst erstmals in der Bundesrepublik ein AfD-Kandidat die Oberbürgermeisterwahl Die Zwönitzer kennen junge Familien, die wegen der AfD Sachsen und das Erzgebirge verlassen wollen. Andererseits entdecke man Symptome wie im Erzgebirge auch in anderen „Randregionen“ wie der Lausitz, meinen sowohl die „miteinander“-Freunde als auch der gläubige Michael Beyerlein.

Julia Loßnitzer rechnet damit, in den kommenden Jahren „noch stärker und bewusster miteinander arbeiten zu müssen“. Die Engagierten würden sich von den Resignierten nicht beeindrucken lassen. Sollte etwas schiefgehen 2024 – Umfragen prophezeien AfD und CDU bei den Landtags- und Kommunalwahlen je etwa ein Drittel der Wählerstimmen –, könne ein Dämpfer vielleicht helfen, etwas schlauer zu werden, übt sich der Seelsorger Thomas Lißke in christlicher Zuversicht. „Kommen bessere Antworten aus der Politik, lassen sich viele wieder für den demokratischen Pfad gewinnen!“ Sätze, die is Raacherkazl wieder etwas süßer duften lassen im Weihnachtsland.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.