Rammstein-Fans im Zeitgeist: Die Verwahrlosten

Mit ihrer emotionalen Verwahrlosung stehen Rammstein-Fans keineswegs allein. Sie repräsentieren eine Minderheit, die immer weitermarschieren will.

Ein Mann im Rammstein-Shirt zeigt einer Demonstration mit Kritikerinnen der Band beide Mittelfinger

Nicht­erscheinen würde genügen, um bisschen Anstand zu zeigen: Rammstein-Fan am 15. Juli in Berlin Foto: Fabian Sommer/dpa

„Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Rock-’n’-Roll’Sänger machen weiter“ – ja gerade die eben, last not least.

Wenn man das Gefühl, das das gegenwärtige Deutschland ausstrahlt, fassen möchte, dann ist der Dichter mit dem überaus deutschen Namen Rolf Dieter Brinkmann mit diesem Auszug aus seiner sehr viel längeren Litanei des ewigen Weitermachens vielleicht ein Ausgangspunkt. Es hat etwas Besinnungsloses, etwas Selbstvergessenes wie im Spiel, aber auch etwas Trotziges und Rotziges: Wie Kinder eben kommen einem die Rammstein-Fans vor, die einfach nicht glauben wollen, dass Papi Mami schlägt, weil ja noch kein Urteil gesprochen ist, das sie in ihrer geistigen Unreife und emotionalen Abhängigkeit selbst nicht zu fällen in der Lage sind.

Nicht mal durch ein schlichtes Fernbleiben vom Spektakel schaffen sie es, Respekt und Mitgefühl zu zeigen, für die und mit denen, die unzweifelhaft gelitten haben und leiden, die verletzt wurden – jenseits der Frage ihrer eigenen Mitverantwortung und der strafrechtlichen Relevanz der Vorgänge. Im Wortsinn nichts müssten die Fans tun, um für Stadien und Arenen zu sorgen, in denen sich das Unternehmen Rammstein mit seiner eigenen Leere auseinandersetzen dürfte.

Ein einfaches, gern auch freundlich-abwartendes Nichterscheinen würde genügen, um ein wenig Bewusstsein, ein bisschen Anstand zu zeigen und ein klitzekleines Verlangen auszudrücken, dass die Mitglieder von Rammstein mehr tun, als sich hinter Anwälten zu verschanzen wie hinter der Berliner Mauer und höhnische Anspielungen in ihre Texte einflechten. Nichts müssten diese Fans tun – aber nicht mal dazu sind sie in der Lage. Man mag diese Gefühlskälte auf den Neoliberalismus zurückführen oder aufs Neandertaler-Gen – entscheidend ist, den Realitäten in die toten Augen zu schauen.

Die Zukunft interessiert sie nicht

Denn diese Fans stehen mit ihrer emotionalen Verwahrlosung ja keineswegs allein. Sie repräsentieren eine Stimmung im Land, eher nicht die der Mehrheit, aber einer sehr starken Minderheit, die – dazu passt die Musik von Rammstein sehr gut – immer weitermarschieren will, komme, was da wolle. Früher hätte man sie Mitläufer genannt, Aber der Mitläufer erhofft sich ja, aus einem gesellschaftlichen Schlamassel persönlich heil herauszukommen, indem er sich in der Masse versteckt.

Das Rammstein-Konzertpublikum, die vermeintliche Protest-AfD-Wählerschaft, die Verbrennerfanatiker: Sie alle eint, dass sie eine Art Avantgarde der Gemeinheit bilden, die eines nicht mehr interessiert – die Zukunft; nicht die ihrer Söhne und schon gar nicht die ihrer Töchter, aber auch nicht ihre eigene. Sie wollen die finale Party mit Rums und Brumm-brumm zu Ende feiern, rationale Einwände und moralische Erwägungen stören da nur.

Der Kollege Andreas Rüttenauer hat diese Klientel kürzlich das „Normalitariat“ genannt, also jene Menschen, die bei der Erdinger Heizungsdemo sich tummelten und lustvoll juchzend der Hetzrede gegen die Demokratie des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger lauschten. Zitat Rüttenauer: „Und die anderen? Die sind ‚unnormal‘, wie Hubert Aiwanger gesagt hat. Was würde er wohl mit den Unnormalen machen, wenn er sich wie angekündigt die Demokratie zurückgeholt hat? Man möchte es nicht wissen. Erding macht Angst.“

Rammstein macht keine Angst. Rammstein ist nur eine abgerockte Partycombo, die auf ihrer ironisch begonnenen und ökonomisch überaus erfolgreichen Rundreise durch die deutsche Vergangenheit nun den Kreis geschlossen haben: Ganz unironisch kalt und höhnisch wie SS-Männer treten sie jetzt auf, sich verkniffen-feige zu Opfern stilisierend. Und der knuffige Keyboarder spielt halt einfach immer weiter den Tastenficker, am innigsten mit fest zugedrückten Augen. Angst machen die Leute, die es nicht hinbekommen, sich – ja warum denn nicht – traurig und enttäuscht abzuwenden, die Richtung zu wechseln.

Die Antwort: 51 Prozent

Und was, ist da die logische Frage, wäre einer möglichen ‚Diktatur des Normalitariats‘ entgegenzusetzen? Die Antwort ist ernüchternd, weil sie nüchtern ist. Sie lautet: 51 Prozent. Wir können nicht darauf setzen, dass Menschen, denen ihre eigene Zukunft und die ihrer Kinder egal ist – denn so handeln sie und handeln ist ja bekanntlich wie reden, nur krasser –, durch Argumente überzeugt werden. Wir können sie auch nicht systematisch verändern oder totalitär zu einem Glück zwingen, das sie ja genau nicht wollen. Wir können ihnen nur auf demokratischem Weg einen unattraktiven Platz zuweisen – den der Minderheit.

Damit haben wir genug zu tun und dazu brauchen und haben wir auch Vorbilder: Alle betroffenen Frauen, die sich in der Causa Rammstein zu Wort gemeldet haben, den Schrecken noch einmal durchlebend und Scham überwindend, sind Heldinnen der Mehrheit, die leben und die Idee des guten Lebens weitergeben will. Wir müssen attraktiv, mutig und offen sein, obwohl der Blick in die Welt dazu wenig Anlass gibt. Wir müssen der ­Versuchung widerstehen, die Dinge einfach laufenzulassen und sich mit einem großen Bäng als Gattung Mensch zu verabschieden, obwohl das manchmal so verlockend erscheint: Eben das macht ihn ja aus, den – hatte ich das schon erwähnt? – durchaus suggestiven Rammstein-Sound.

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