Schwäbischer Bürgermeister aus Syrien: Flüchtlingspolitik macht ratlos

Im dörflichen Ostelsheim tritt Ryyan Alshebl sein Amt als Bürgermeister an. Er kam als Geflüchteter, jetzt sorgt er für Fachkräfte in Kindergärten.

Ryyan Alshebl sitzt in Ostelsheim auf einer Bank

Ryyan Alshebl wird Bürgermeister im schwäbischen Ostelsheim Foto: Christoph Schmidt/picture alliance

OSTELSHEIM taz | Die Dorfkirche läutet 15 Uhr. Im lichtdurchfluteten Rathaus von Ostelsheim haben sich die letzten Halbtagskräfte in den Feierabend verabschiedet. Der neue Bürgermeister sitzt jetzt fast allein in der Stadtverwaltung und arbeitet sich durch Akten und E-Mails, grübelt, was man tun könnte für mehr Fachkräfte in der Kinderbetreuung.

Das Tagesgeschäft eines Bürgermeisters eben. Nebenher beantwortet Ryyan Alshebl weltweite Medienanfragen. Japanische Sender, aber auch die New York Times wollen Interviews mit Ryyan Alshebl, der vor acht Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen und nun in Deutschland Bürgermeister geworden ist.

Die 2.500 Ostelsheimer haben Ende März den sportlich wirkenden 29-Jährigen aus dem syrischen as-Suweida im ersten Wahlgang mit 53,5 Prozent zu ihrem Stadtoberhaupt gewählt. Diese Woche wird er offiziell in sein Amt eingeführt.

Gepflegte Vorgärten, schuldenfreie Stadtkasse

Der Amtsinhaber in Ostelsheim war nicht mehr angetreten, und Alshebl hat, unterstützt von Freunden und den Grünen im Ort, einen sehr engagierten Haustürwahlkampf hingelegt. Anders als sein Mitbewerber hat er die Bürger mit einem konkreten 5-Punkte-Plan zur Ortsentwicklung überzeugt. „Die Kampagne war eigentlich fehlerfrei“, sagt Ashebl mit kaum hörbarem Akzent. Und sein Kontrahent, ein erfahrener Verwaltungsmann, habe ihn wohl auch ein bisschen unterschätzt.

Ostelsheim ist ein kleiner Ort zwischen Pforzheim und Stuttgart am Rande des Nordschwarzwalds. Die Stadtkasse ist schuldenfrei, die Vorgärten sind gepflegt, die Autos davor glänzen. Aber es fehlt an Fachkräften in der städtischen Kita, und außerdem will der neue Bürgermeister mehr Solaranlagen auf die Dächer der Ostelsheimer pflanzen. Baugebiete müssen ausgewiesen werden, und wenn der Ort bald an die neue S-Bahn-­Linie angeschlossen wird, wird das auch das Leben und die Mobilität am Ort verändern. Es gibt genug zu tun.

Der Landkreis Calw ist mindestens eine konservative Gegend. Trotzdem haben sie ihn hier gewählt. „Wir Schwaben mögen eben Schaffer“, sagt Bürgermeisterkollege Boris Palmer über ihn. Auch diese Wortmeldung des umstrittenen Kollegen mag ihm in bürgerlichen Kreisen eher genutzt als geschadet haben. Aber auch die AfD hat im Nordschwarzwald bei Bundes- und Europawahlen seit Jahren stabile Wahlergebnisse über 12 Prozent. Trotzdem haben sie hier einen Geflüchteten gewählt. Er habe kaum Anfeindungen erfahren, sagt Alshebl, und sich auf weit Schlimmeres eingestellt.

Förderung durch den Bürgermeister

Es ist eine Integrationsgeschichte, die vielleicht auch diejenigen überzeugt, die von Vorurteilen belastet sind. 2015 kommt der knapp 21-jährige Ryyan Alshebl über Libanon und die Türkei mit einem Schlauchboot nach Lesbos und nach tagelangem Fußmarsch über Passau in die Erstaufnahme nach Karlsruhe.

Ryyan Alshebl

„In so einem Ort lernt man die Gesellschaft des Landes pur kennen.“

Seine Familie gehört zur drusischen Minderheit. Ryyan Alshebl hat in seiner syrischen Heimat gerade mit einem Studium im Finanzwesen begonnen, als der Krieg ausbricht und er in die Armee des Assad-Regimes eingezogen werden soll. Er flieht nach Deutschland. In der Gemeinschaftsunterkunft in Calw bemüht er sich schnell um einen Deutschkurs, wird Mitglied im Sportverein. „Mir war klar, dass ich hier bleiben werde.“

Ein erstes Praktikum in einer Autowerkstatt zeigt ihm, dass er nicht unbedingt das Talent zum Handwerk hat. Also bemüht sich Alshebl trotz der Sprachbarriere um ein Praktikum bei der Stadtverwaltung im benachbarten Althengstett, das damals die Agentur für Arbeit für Geflüchtete vermittelt. Dem Bürgermeister Clemens Götz fällt Alshebl auf, er fördert ihn. Alshebl darf im Rathaus bleiben, macht eine duale Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten und bildet sich bei der Industrie- und Handelskammer fort. „In Großstädten ist das Multikultileben zwar reizvoll“, sagt er, „aber in so einem Ort lernt man die Gesellschaft eines fremden Landes pur kennen.“

Flüchtlingspolitik macht ratlos

Als er davon hört, dass in Ostelsheim der Bürgermeister nicht mehr antritt, fragt er seinen Chef, ob der ihm das zutraut. Clemens Götz habe gesagt, ja, er traue es ihm zu, es komme aber darauf an, die Wähler zu überzeugen. Das ist nun gelungen. Er kann sich gut vorstellen, nach seiner Amtszeit weiter politisch Karriere zu machen. Seine Mitgliedschaft bei den Grünen hat er im Wahlkampf nicht verheimlicht, ist aber als unabhängiger Kandidat angetreten. „Meine Parteikarriere war bisher sehr bescheiden“, sagt er. Die Grünen können talentierte Kommunalpolitiker gut gebrauchen.

Wenn man ihn fragt, wie er als Geflüchteter über den großen Zankapfel seiner Partei, die Zustimmung der Ampel zur europäischen Flüchtlingspolitik, steht, denkt er eine Weile nach. Dann gibt Alshebl zwei Antworten. „Als Geflüchteter wäre ich nie freiwillig in solch ein Ankerzentrum gegangen“, sagt er entschieden. Denn es seien eben doch haftähnliche Lager. Aber als Politiker, der nun selbst Raum für Flüchtlingsunterkünfte bereitstellen muss, müsse er schon akzeptieren, dass man an Belastungsgrenzen komme. „Wenn der Preis wäre, dass die AfD die Politik in Deutschland prägt, dann wäre doch keinem geholfen.“ Ryyan Alshebl schaut ratlos.

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