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Netanjahus Verzögerung der JustizreformMachtvolle Zivilgesellschaft

Kommentar von Susanne Knaul

Nach Massenprotesten hat Israels Ministerpräsident Netanjahu seine geplante Justizreform verschoben. Das zeigt, dass die Demokratie noch funktioniert.

Demonstration gegen die Pläne der Regierung von Premierminister Netanjahu in Tel Aviv Foto: Oded Balilty/ap

A usgerechnet Israel zeigt der Welt, wie Demokratie funktioniert. Seit Wochen warnen die KritikerInnen vor einer Schwächung der Justiz, einer Staatskrise, vor dem Ende der Gewaltenteilung und dem Ende der Demokratie. Massen­proteste, Streiks und nicht zuletzt demonstratives Unbehagen der westlichen Verbündeten zwingen die Regierung zur Kapitulation.

Zwar ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, von lediglich einer Verzögerungstaktik ist die Rede. Und doch zeigt sich schon heute, dass Regierungschef Benjamin Netanjahu und seine in Teilen rechtsextremen Koalitionspartner, wie sich der Wortlaut in deutschen Medien ganz recht zunehmend durchsetzt, mit ihren für Israels Demokratie fatalen Plänen nicht durchkommen werden. Nicht ob, sondern nur noch wann, ist die Frage, wird Netanjahu, dem Engvertraute und kritische Beobachter eine rasant schwindende Zurechnungsfähigkeit nachsagen, die weiße Flagge hissen.

Besonders bitter für ihn ist es, auf internationaler Bühne so heftig gescholten zu werden. Netanjahu fängt sich heftigste Rügen ein. Sogar in Washington will ihn aktuell niemand in Empfang nehmen. Das Gegenteil war vermutlich sein Plan, als er Mitte März die Reise nach Berlin antrat. Ihm dort den Besuch komplett auszuschlagen, ging nicht.

Innenpolitisch brachte der Rausschmiss von Verteidigungsminister Joav Gallant, der aus Sorge um Israels Sicherheit dazu aufrief, von der geplanten Justizreform abzulassen, das Fass zum Überlaufen. Für Netanjahu war dieser „Verrat“ Grund genug, ihn umgehend zu entlassen. In der Bevölkerung kam das nicht gut an. Mit dem Rausschmiss des konservativen Verteidigungsministers wuchs der Kreis der Unwilligen dramatisch an. Dem Likud, der Partei Netanjahus, bricht die Basis weg. Die Hoffnung richtet sich jetzt auf die PolitikerInnen, die im Auftrag des Likud in der Knesset, dem Parlament Israels, sitzen. Wie lange noch werden sie ihrem Chef die Treue halten?

Große Mehrheit, die nicht auf Demokratie verzichten wollen

Der Generalstreik, auch am Ben-Gurion-Flughafen, steht für die große Mehrheit der israelischen BürgerInnen, die nicht gewillt sind, auf Demokratie zu verzichten. Und sie zeigt, welche Macht die Zivilgesellschaft hat. „Dies ist nicht Iran“, heißt es auf Protestschildern in Tel Aviv und Jerusalem.

Die GegnerInnen der Justizreformen lassen die blau-weißen Flaggen wehen. Es sind PatriotInnen, die sich in weiten Teilen mit der Besatzung längst abgefunden haben, sie möglicherweise gar begrüßen. Und das obschon die Besatzung zentraler Grund für die aktuelle Krise ist. Sie mögen BesatzerInnen sein und bleiben doch der Demokratie treu. Widersprüchlich? Vielleicht. Politische Haltungen sind eben nicht immer logisch.

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
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19 Kommentare

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  • "Ausgerechnet Israel zeigt der Welt, wie Demokratie funktioniert. "

    Hmm....

    Als palästinensischer Bewohner Ostjerusalems darf man nicht an den Wahlen auf nationaler Ebene teilnehmen. Somit werde allen Menschen, die in Ostjerusalem geboren sind und dort schon seit Jahrhunderten leben in der Hauptstadt der israelischen Demokratie sowohl die Staatsbürgerschaft verwehrt wie auch das vollumfängliche Wahlrecht verweigert.

    • @Rudolf Fissner:

      Was Sie schreiben ist nicht richtig. Als palästinensischer Einwohner Ostjerusalems können Sie selbstverständlich die israelische Staatsbürgerschaft erhalten und können dann an Wahlen teilnehmen. Wenn Sie als palästinensischer Einwohner Ostjerusalems sich dagegen entscheiden, dann können Sie zwar wählen (Stadtwahlen), nicht aber auf nationaler Ebene. Es ist dann Ihre Entscheidung.



      Zudem, nicht alle arabischen Familien Ostjerusalems leben dort seit Jahrhunderten. Ostjerusalem wurde 1948 von Jordanien erobert. Das hatte für dort lebende Juden zur Folge, dass sie im Rahmen einer ethnischen Säuberung vertrieben - und Schlimmeres - wurden. In den so geräumten Stadtteilen wurden arabische Familien angesiedelt.

  • In den Nachrichten, die ich verfolgt habe hieß es, "Rechte und ganz Rechte", also z.B. Yariv Levin, einer der Hardliner in Sachen Justizreform, falls diese gestoppt würde, mit Rücktritt gedroht hätte. Die Realität ist: er ist jetzt bereit "jede Entscheidung" des PM zu respektieren - hat also nachgegeben.



    Die Fraktion Religiöser Zionismus hat den PM gedrängt, sich nicht dem Druck von "Anarchisten" zu beugen und den Prozess auf jeden Fall fortzusetzen. Die Realität ist: jetzt hat er sich dem Druck gebeugt. Die Fraktion ist immer noch Teil der Regierung - hat also nachgegeben. Das ist die Realität, Ihr Geunke, was alles entsetzliches passieren wird, ist es nicht.

    • @Henriette Bimmelbahn:

      Realitäten

      Zitat @Henriette Bimmelbahn: „Die Fraktion Religiöser Zionismus hat den PM gedrängt, sich nicht dem Druck von "Anarchisten" zu beugen und den Prozess auf jeden Fall fortzusetzen. Die Realität ist: jetzt hat er sich dem Druck gebeugt. Die Fraktion ist immer noch Teil der Regierung - hat also nachgegeben. Das ist die Realität, Ihr Geunke, was alles entsetzliches passieren wird, ist es nicht.“

      Die Opposition sieht in der Ankündigung, die Abstimmung über das umstrittene Gesetzesprojekt vorerst zu verschieben, lediglich eine Nebelkerze Netanyahus, „um die Straße zu beruhigen“ (so die Knesset-Abgeordnete Yulia Malinovsky von Yisrael Beytenu). Er habe mitnichten die Absicht, daran was zu ändern. (Quelle: Times of Israel, 28.3.23). Das ist die Realität.

      • @Reinhardt Gutsche:

        Ja, da hat Yulia Malinovsky sicher recht, Benjamin Netanjahu hat allerhand Tricks drauf. Pläne und Ideen hätte er bestimmt, nur: welche realistische Chance hat er noch, die auch durchzukriegen? Zu einem Täuschungsmanöver gehört auch ein gewisses Überraschungsmoment, Netanjahu kennen die Israelis inzwischen zu gut. Die liberale israelische Zivilgesellschaft weiss, dass sie auf der Hut sein muss. Das Gute ist: die liberale israelische Zivilgesellschaft ist auf der Hut.

        • @Henriette Bimmelbahn:

          LGBTQ-Rechte hinreichend für eine Demokratie?

          Zitat @Henriette Bimmelbahn



          „Die liberale israelische Zivilgesellschaft weiss, dass sie auf der Hut sein muss. Das Gute ist: die liberale israelische Zivilgesellschaft ist auf der Hut.“

          Warum muß die „liberale israelische Zivilgesellschaft“ auf der Hut sein, wenn doch alle Welt weiß, „was für eine liberale Demokratie Israel doch sei“: Netanyahu hat es schließlich selber gesagt, und zwar dem Bundeskanzler ins Gesicht während seines jüngsten Berlin-Besuches. (Quelle: Tagesschau, 16.3.23). Als entscheidenden Lackmustest für die Wahrhaftigkeit dieser Aussage nannte er die Rechte der LGBTQ-Community. Na, wenn das so ist, dann ist ja alles gut! Wozu dann noch "auf der Hut sein" und demonstrieren?

    • @Henriette Bimmelbahn:

      Leider verrutscht. Sollte an Ingrid Werner, Samstag 14:9 gehen.

  • Funktionierende Demokratie nur durch Massenproteste der Straße?

    Zitat: „Nach Massenprotesten hat Israels Ministerpräsident Netanjahu seine geplante Justizreform verschoben. Das zeigt, dass die Demokratie noch funktioniert.“

    Nein, wenn eine solch hanebüchene Beseitigung der Gewaltenteilung, die tragende Säule der modernen Demokratie, nur durch solch gigantische außerparlamentarische Massenproteste vorerst gestoppt (nicht verhindert) werden kann, dann zeigt das nicht, „dass die Demokratie noch funktioniert.“, sondern genau das Gegenteil: Das Parlament in seiner aktuellen Komposition und die sich darauf stützende rechtsrandige Regierungskoalition repräsentiert augenscheinlich nicht den manifesten Willen der Bevölkerung des Landes, das in der geplanten Justizreform und der Kastrierung der Jurisprudenz als kontrollierende Balance-Instanz gegenüber der Exekutive den Todesstoß für die israelische Demokratie erblickt. Wenn diesem manifesten Willen im institutionellen Rahmen nicht mehr Geltung verschafft werden kann, dann hat die Demokratie aufgehört zu funktionieren.

    Übertrüge man die Vorgänge in Israel auf Frankreich, dann hieße dies mutatis mutandis, erst wenn die Rentenreform Macrons durch den außerparlamentarischen Straßenprotest zu Fall gebracht ist, würde man in Frankreich von einer „funktionierende Demokratie“ sprechen dürfen. Nein, das Gegenteil ist der Fall

  • Ich bin mir nicht sicher, ob man es noch mit "die Demokratie funktioniert" überschreiben kann, wenn Reservisten zur Waffe greifen, um das Verfassungsgericht notfalls mit Gewalt gegen die anstürmende Polizei zu verteidigen. Netanjahu hatte einfach Angst vor einem veritablen Bürgerkrieg und das Schlimme ist - sie ist berechtigt.

    • @hedele:

      Auch ich warne vor zu viel Euphorie, nur weil die Zivilgesellschaft in Israel ihre rechtsextremistische Regierung vorerst ausgebremst hat (was die Justizreform betrifft). Diese Parteien haben nun einmal die Mehrheit in der Knesset, was ja auch ein Spiegel der gesellschaftlichen Veränderungen in Israel während der letzten Jahrzehnte ist … spiegelbildlich zum Aufstieg der rechten Kräfte kam es zu einem Niedergang des linken Lagers.



      Daran wird sich vorerst nichts ändern (leider) und auch wir in Deutschland haben ja die (schmerzliche) Erfahrung gemacht, dass Hunderttausende auf der Straße nicht unbedingt den realen politischen Kräfteverhältnissen in der Gesamtbevölkerung entsprechen müssen … am Ende ist dann doch meistens die CDU als Wahlsieger selbst aus den politischen Konflikten mit hohem Mobilisierungspotential für die Linke hervorgegangen.



      Und was die Einschätzung der Motive Netanyahus betrifft: ja, ich traue ihm durchaus zu, die Spaltung Israels in Kauf zu nehmen … er hat keine Angst vor einem Bürgerkrieg - das sehe ich anders als Sie - , sondern wenn, dann schlicht vor einer Strafverfolgung und dem Ende seiner politischen Karriere. Käme es zum “Schwur”, spekuliert er darauf, am Ende doch noch die Mehrheit der Israelis auf seiner Seite zu haben. Er war immer ein Taschenspieler, der notfalls auf volles Risiko setzt.



      Stoppen könnte den Wahnsinn nur Likud selbst als stärkste politische Kraft, indem innerparteiliche Gegner eine Art Umsturz anzettelten und eine Koalition mit den gemäßigten liberalen Parteien anstreben würden. Diese innerparteiliche Netanyahu-Opposition ist jedoch weit und breit nicht zu sehen bzw. würde einen solchen Schritt auch nicht wagen.



      Jedoch die israelische Linke ist in dieser Sache komplett aus dem Spiel, wie zuvor schon in der Koalition Bennett/Gantz.

  • Verschoben ist nicht Aufgehoben.

    Jetzt müssen die Bürger genau aufpassen



    Und dran bleiben.

  • "die im Auftrag des Likud in der Knesset, ... sitzen" - sitzen die da nicht im Auftrag der Wähler ?

  • Zuerst einmal freue ich mich sehr über die Verschiebung der Gesetzesinitiative.



    Ich freue mich mit den Bürgern und Bürgerinnen Israels, die sich mutig für Ihre Demokratie eingesetzt haben.



    Es ist meine große Hoffnung, dass es sich hier nicht nur um Taktieren handelt und der israelische Staat als Demokratie erhalten bleibt.



    Der Staat Israel ist ein besonderer.



    Hoffentlich sorgt eine Mehrheit dafür, dass es so bleibt.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Rechte und ganz Rechte werden nicht nachgeben, denn ihr Charakter ist es, dies als Verlust von Allem anzusehen und zu propagieren. Sie tun so. als ob ihnen nichts anderes bliebe als zu handeln, als ob sie nichts mehr zu verlieren hätten.

    • @31841 (Profil gelöscht):

      Haaalllooo! Sie haben schon nachgegeben. Ab und zu sollten sie ihre bleiernen Vorurteile an der Realität abgleichen.

      • @Henriette Bimmelbahn:

        Man hat nichts aufgegeben oder nachgegeben. Die rechten Siedler ziehen sich nicht wieder zurück. Man hat nur nicht noch mehr Siedlungen erreicht.

      • @Henriette Bimmelbahn:

        Frau Bimmelbahn, Sie sollten ein bisschen genauer die Nachrichten verfolgen, bevor Sie anderen vorwerfen die Realität nicht zu sehen, die größten Unterstützer u Architekten der Justizreform haben schon klar gemacht, dass sie nicht nachgeben werden, man möchte bloß Frieden über Pessach, Unabhängigkeitstag haben. Und Netanjahu kann keinen Rückzieher machen, aus bekannten Gründen. Wahrscheinlich hofft Netanjahu auch immer noch, dass den Demonstranten die Luft ausgeht u Gantz/ Lapid sich mit einem faulen Kompromiss zufrieden geben, des Friedens u der Sicherheit wegen – nicht unwahrscheinlich bei den beiden, wenn man die letzten Jahre Revue passiert. Vielleicht verspricht man ihnen ja Gespräche über eine Verfassung, einer der aktuellen talkingpoints – irgendwann, am St. Nimmerleinstag, dafür, dass sie jetzt erst mal im wesentlichen zustimmen. Und bis zur nächsten Wahl ist noch viel Zeit, bis dahin werden Lapid/Gantz noch viel jammern, dass man N. nicht trauen könne und dann wird N. wieder Premier. Die beiden sind einfach die schlechteren Strategen.

  • Ich hoffe zwar, aber ich bange noch. Für mich sieht es nach taktischem Rückzug aus. Der Schaden ist bereits geschehen, als sich Rechte mit Ganz-Rechten zusammengetan haben.