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Die Gelbwesten wollen an ihre Anfänge 2018 anknüpfen, doch viele haben die Bewegung verlassen Foto: Alain Pitton/imago

Inflation in EuropaAuf die Straße, fertig, los

Europa könnte wegen steigender Preise ein Wutwinter bevorstehen. In Frankreich bereiten sich die Gelbwesten darauf vor, in Österreich die Querdenker.

A ls wir angefangen haben, kostete ein Liter Diesel 1,54 Euro. Jetzt sind es 1,84 Euro,“ sagt Damien Mallot*. Der Klempner aus Melun, eine Autostunde südöstlich von Paris, war 2018 von Anfang an bei den Protesten der Gelbwesten dabei. Seine Frau sitzt seit einigen Jahren im Rollstuhl, ist chronisch krank, arbeitsunfähig. Das Paar lebt mit der 14-jährigen Tochter in einer 65-Quadratmeter-Wohnung. Mallot hat zwei Jobs, 2.200 Euro im Monat bringen die insgesamt ein. Nach Abzug aller festen Kosten bleiben ihnen 800 Euro zum Leben, sagt er. Und bei den Energiepreisen kommt die große ­Teuerungswelle erst noch.

Frankreichs Regierung versuche, die Situation unter Kontrolle zu halten – etwa durch eine Ausweitung des „Kaufkraftpakets“ – scheitere damit aber, sagt Mallot. „Die Leute haben die Nase voll von den Steuern. Miete und Heizung bringen viele in sehr große Schwierigkeiten.“ Die Teuerungsrate lag im Juli bei 6,1 Prozent pro Jahr – ein Jahr zuvor waren es 1,2 Prozent. „Das sollte die Menschen auf die Straße treiben“, sagt Mallot.

Vom drohenden „Wutwinter“ in Europa ist gerade viel zu hören: Die einen fürchten, dass er als Konjunkturprogramm für die extreme Rechte wirken könne. Andere hoffen, mit Druck von der Straße, linke Forderungen wie Preiskontrollen und Lohnerhöhungen durchsetzen zu können.

In Deutschland warnt der Verfassungsschutz davor, dass Rechtsex­treme die Protestbewegungen kapern könnten, Sozialverbände beklagen eine Vorab-Diffamierung legitimer Proteste und die grüne Außenministerin Annalena Baerbock spricht gar von möglichen „Volksaufständen“ gegen die hohen Gaspreise.

Kommen sie wieder?

Sicher ist: Die Inflation von 8,9 Prozent im Juli in der Eurozone ist Treibstoff für Frust und Widerstand.

Wie in den Ländern Europas der Unmut über die steigenden Lebenshaltungskosten politisch zu kanalisieren versucht wird, ist höchst unterschiedlich. Stets werden drei Themen mitverhandelt: Klimaschutz, der Ukrainekrieg und die Coronapolitik. Die Preisexplosion verschmilzt mit den anderen Großkrisen dieser Zeit zu einem teils hochtoxischen Gefüge.

In Frankreich etwa geschieht dies in einer politischen Landschaft, die mit den Gelbwesten erst kürzlich ein ideologisch heterogenes, aber äußerst mobilisierungsfähiges Protestmilieu hervorgebracht hat. Der Regierung von Emmanuel Macron wurde dies so gefährlich, dass der Schatten der Gelbwesten bis heute durch Klimaschutzverhandlungen geistert. Und das nicht nur in Frankreich: Übertreibt es nicht, sonst kommen wir wieder.

„Frankreich in Wut“ so nannten sich die Gelbwesten selbst, es passt zu einem drohenden „Wutwinter“, es passt auch zu Mallot, der sich eine Zigarette nach der anderen ansteckt, wie um Druck abzulassen, während er erzählt, wie das damals war, im Herbst 2018, mit den Sternmärschen und Großdemos.

Über Facebook, den Messengerdienst Discord und Whatsapp verabredeten sie sich zur Blockade der Straßenkreuzungen – zunächst, um Emmanuel Macrons Pläne für eine CO2-Steuer von 6,5 Cent pro Liter Diesel und 2,9 Cent für Benzin zu kippen. Die Idee, „alles Fossile zu stoppen, war eine Dummheit, das ist extrem teuer für die kleinen Leute“, sagt Mallot.

Ihn selbst hatte damals aufgebracht, dass sein Einkommen für die Berechnung der Behindertenbeihilfe seiner Frau mit angerechnet wurde. So bekam sie statt 500 nur 185 Euro Beihilfe – während er selbst immer weniger arbeiten konnte, weil er sich um seine zunehmend hilfsbedürftige Frau kümmern musste

Von Beginn an hat er in seiner Heimatstadt die Aktionen der Gelbwesten koordiniert. Jede Woche freitags von 19 bis 23 Uhr, samstags von 9 bis 19 Uhr, standen sie an der Europa-Kreuzung, zu Hochzeiten mit 80 Aktiven. „Ich habe es geliebt, ich habe unglaubliche Leute kennengelernt“, sagt er. Sie wollten nicht nur stabile Preise an der Zapfsäule, sondern mehr im Geldbeutel: höhere Löhne, niedrigere Steuern, mehr Sozialleistungen.

„Umverteilung des Reichtums, darum ging es letztlich“, sagt Mallot. „Bürgerproteste“ seien das gewesen, ein wenig wie jene der Französischen Revolution 1789, getragen von der Mittelschicht, das ist Mallot wichtig: „Denn die zahlt für den ganzen Rest. Für die Reichen, die keine Steuern zahlen, und für die Armen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind.“

Melun ist für die Gelbwesten ein besonderer Ort: Hier lebt auch der Lkw-Fahrer Eric Drouet, der Ende Oktober 2018 zu einer Autofahrer-Kundgebung auf der Pariser Ringautobahn aufruft. 300.000 machen schließlich landesweit mit. Die Gelbwesten sind geboren und Drouet ruft zum Sturm auf den ­Élysée-Palast.

Frankreich: Eine gelbe Weste bei Protesten in Toulouse im Februar 2022 Foto: Vincent Nguyen/Riva Press/laif

Alle, die gegen Präsident Macron waren, versuchen damals, die Gelbwesten zu vereinnahmen. Marine Le Pen, Anführerin des rechten Rassemblement National (RN), versichert, sie unterstütze die Gelbwesten „seit der ersten Stunde“. Der Linke Jean-Luc ­Melenchon, Anführer der populistischen Bewegung La France Insoumise („Unbeugsames Frankreich“, LFI), bejubelt die Gelbwesten als „Bürgerrevolution“ und bezeugte Drouet öffentlich seine Bewunderung. Beide, so sagt Drouet später, hätten ihn erfolglos als Kandidat für die EU-Wahl im Mai 2019 zu gewinnen versucht.

Auf den großen Gelbwesten-Demos gibt es teils Krawalle, die Polizei reagiert mit extremer Gewalt. Mitte 2019 flauen die Proteste wieder ab. Verschwunden aber sind die Westenträger nicht.

Macron führt in diesem Jahr vor den Parlamentswahlen am 19. Juni zwar einen mittlerweile auf satte 30 Cent pro Liter angehobenen Tankrabatt ein. Der soll die Preiserhöhungen durch die Russland-Sanktionen abdämpfen und so den Populisten das Thema entziehen. Doch der Rabatt läuft Ende August aus. Ideale Voraussetzungen für ein Comeback der Gelbwesten also.

Die seien allerdings nicht mehr das, was sie mal waren, findet Damien ­Mallot. Er hat die Bewegung mittlerweile verlassen. „Destruktiv“ sei diese geworden. „Es gibt keinen Anführer. Denn jeder, der dies werden wollte, wurde angegriffen, vom Staat und von innen.“ Dazu komme der „Black Block“, der Repression der Polizei provoziert hätte, sagt Mallot.

Für die nächsten Wochen planen die Gelbwesten mindestens zwei Großproteste. Doch das, was da nun komme, sei nicht zu vergleichen mit 2018: Die Aktionen gehen „mehr von Gewerkschaften und Parteien, nicht mehr von den Bürgern aus“, sagt Mallot. Vor allem Mélenchons LFI versuche seit jeher die Gelbwesten zu vereinnahmen und habe dabei zuletzt wachsenden Erfolg. „Eher nicht mein Ding“, sagt Mallot. Auch viele andere hätten die Bewegung deshalb verlassen.

Das rechte RN werde die Proteste nicht dominieren können, glaubt er. „Die Wurzeln des RN liegen in der Kollaboration mit den Nationalsozialisten. Sie sind keine republikanische Partei.“

Doch tatsächlich hatten einer Umfrage von 2019 zufolge 44 Prozent der Gelbwesten bei den damaligen EU-Wahlen das RN gewählt, mehr als jede andere Partei. Und auch heute hat das RN eine bessere Ausgangslage, um von Protestierenden als politische Repräsentanz anerkannt zu werden. Denn die Partei der Putin-Freundin Le Pen ist seit jeher gegen Russland-Sanktionen. Der Linke Mélenchon hingegen hält diese im Ukrainekrieg, bei aller Skepsis, für „das Einzige, was zu tun bleibt.“

Und auch das, was derzeit in den Aufrufen zur Pariser Gelbwesten-Demo zu lesen ist, ist durchaus anschlussfähig für Le Pen: Neben Maßnahmen gegen die Inflation und für mehr öffentliche Dienstleistungen wird ein Ende der „totalitären“ Gesundheitspolitik – gemeint sind Coronamaßnahmen – sowie ein Austritt Frankreichs aus Nato, EU, WHO und „jeder supranationalen globalistischen Organisation“ gefordert.

Während es also in einem französischen „Wutwinter“ auf das Erbe der Gelbwesten ankommen könnte, dürfte in Österreich die Querdenkerszene eine wichtige Rolle spielen. Viele Corona-Demonstrant*innen marschieren direkt weiter – auf Demos gegen die Teuerung. Etwa im oberösterreichischen Steyer – einer Hochburg der Corona-„Spaziergänge“, mit teils Tausenden Teil­neh­me­r*in­nen und engen Kontakten zur deutschen Querdenken-Bewegung.

Die Wortführerin in Steyer ist die selbst ernannte Schamanin Sabine Brandner. „Es geht mittlerweile um ein leistbares Leben, darum, dass man im Winter nicht bei 13 Grad Innentemperatur dasitzen kann,“ sagte sie beim Spaziergang am vergangenen Sonntag dem Regionalsender RTV.

Heterogenes Milieu

Die Querdenkerszene ist dabei stark verbunden mit der rechtsextremen FPÖ, die seit jeher Putin nahe steht. Deren Botschaft: Der Wohlstandsverlust ist zu groß, das Land müsse im Ukraine­krieg deshalb eine neutrale Position einnehmen. Im September wird die FPÖ einen Antrag auf eine Volksbefragung zu den Sanktionen ins Parlament einbringen. Parallel dazu hetzt sie auf allen Kanälen gegen angeblich ankommende Flüchtlingsmassen. „2015 wiederholt sich“ heißt es in einem am vergangenen Sonntag von der FPÖ veröffentlichten Video, das zeigt, wie angeblich „tagtäglich unzählige illegale Einwanderer aufgegriffen“ werden.

Mit dem Thema versucht die Partei zu punkten seit es sie gibt. Und seit 2015 haben sich zwei Dinge zu ihren Gunsten verändert: Das Ressentiment gegen Flüchtlinge trifft nun auf eine real begründete, wachsende Angst vor Verarmung. Gleichzeitig hat die FPÖ – anders als 2015 – seit den Coronademos eine soziale Basis auf der Straße. Denn gegen die Pandemiepolitik sind Identitäre und andere Rechtsextreme ganz vorn mitmarschiert.

Ein zuvor sehr heterogenes Milieu von Coronaskeptikern hat deshalb fast zwei Jahre lang Verschwörungsideologie und extrem rechte Propaganda aufgesogen. Die „Plandemie“ ist darin nur der Anfang, Ukrainekrieg und Preisexplosion sind die Fortsetzung. Alles Übel wird als Teil des „Great Reset“ hingestellt – einer Art Universal-Verschwörungstheorie. Vor allem über Telegram abonnieren heute Hunderttausende nonstop abstruseste Fake News, die vor allem eine Wirkung ­haben: Immer mehr Menschen wenden sich vom demokratischen Gemeinwesen ab.

Konstantina Rösch, eine Allgemeinmedizinerin, der im Februar die Zulassung als Ärztin entzogen wurde, ist eine der bekanntesten Figuren der Corona-Demonstrant*innen in Österreich. Die Maskenpflicht nennt sie die „vorderste Frontline“ im Kampf gegen den „feigen, erbärmlichen und so lächerlichen Gegner“ – gemeint ist die ÖVP-Grünen-­Regierung.

„Die allermeisten Menschen im Land wissen, dass mit der Politik etwas nicht stimmt, dass das im besten Fall Kasper sind, dass nichts hinhaut“, sagte Rösch dem extrem rechten Online-Fernsehsender Auf1-TV. „Was sie aber noch nicht verknüpfen können, ist, dass die Menschen, die sie belogen haben, schuld am wirtschaftlichen Niedergang, am Verlust der Lebensqualität sind. Diese Verknüpfung fehlt noch. Wenn die da ist, wird der Zorn der Menschen sehr ungut werden.“

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Auf1-TV hat allein auf Telegram 210.000 Follower und seit Kurzem ein Büro in Berlin – geführt von Martin Müller-Mertens, einem Redakteur des rechtsextremen Magazins Compact. Wer hier zuschaut kriegt ein Verschwörungs-Vollprogramm: Die US-Regierung­ als „Marionetten der Globalisten“, Klimaschutz als Gesundheitsgefahr und Bill Gates, der „uns zu überwachten Cyborgs machen will“.

Der Gewerkschaftsbund ÖGB ist indes nach Kräften bemüht, den Rechten nicht das Feld zu überlassen. Für den 17. September ruft er in vielen Landeshauptstädten zu „Preise runter“-Demos auf. „Wir sehen es als wichtig an, über den Kreis der Gewerkschaftsmitglieder hinaus zu demonstrieren“, sagt ÖGB-Sprecher Patrick Fischer der taz. Das Problem, dass auch Rechtsextreme zu den Protesten aufrufen „ist uns bewusst.

Wir wollen nicht, dass die bei uns mitlaufen und setzen da eine klare Schranke“. Dazu biete man „seriöse Ansätze, Analysen und Vorschläge unserer Experten“. So erhebt der ÖGB Forderungen wie Übergewinnsteuer, Energiepreisdeckel, Verbrauchersteuersenkungen oder Mietobergrenzen.

So soll die extreme Rechte nicht nur bei den Sozialprotesten, sondern auch im anstehenden Wahlkampf um die Bundespräsidentschaft am 9. Oktober ausgebremst werden.

Auch in der Schweiz bereiten sich die Gewerkschaften auf harte Auseinandersetzungen vor. „Als Gewerkschafter weiß man, dass Argumente nicht immer ausreichen. Manchmal braucht es mehr“, sagte Pierre-Yves Maillard, der Präsident des Gewerkschaftsbundes, Anfang August dem Tages-Anzeiger. „Wenn die Arbeitgeber die Löhne nicht erhöhen, wird es soziale und politische Unruhen geben.“ Ein Teil der Menschen werde schon bald echte Probleme haben, die Fixkosten zu stemmen.

„Denken Sie an Heizung, Lebensmittel, aber auch die Krankenkassenprämien.“ Maillard will der Inflation auf dem klassischen Weg beikommen: durch Tarifverhandlungen und Streiks. Weil die Inflationsrate in der Schweiz bei vergleichsweise niedrigen 3,2 Prozent liegt, strebt er Lohnabschlüsse von rund 5 Prozent an. „Alles andere wäre katastrophal für den Arbeitsmarkt und den Konsum“, sagt Maillard.

Mit Verweis auf Kaufkraft und Teuerung hatte 2021 die nationalkonservative SVP das geplante CO2-Gesetz per Referendum gestoppt. „Heizen, Pendeln und Ferien – alles wird teurer“, warnte die Partei. Und so argumentierte sie auch gegen andere Maßnahmen zur CO2-Reduktion, die nur dann akzeptabel seien, wenn sie mit finanziellen Entlastungen einhergingen. Die SVP forderte Steuersenkungen statt der Erhöhung bestehender Abgaben.

Während sich in der Schweiz die Diskussion um höhere Löhne und Klimaschutz dreht, ist das südliche Nachbarland Italien – Inflationsrate: 7,9 Prozent – voll im Wahlkampf.

Italien: Demonstration von Arbeitslosen gegen die Regierung Draghi im Mai 2022 Foto: Antonio Balasco/imago

Eigentlich wäre Regierungschef und Ex-EZB-Präsident Mario Draghi noch bis zum kommenden Frühsommer im Amt. Doch im Juli entzogen die Koalitionspartner ihm das Vertrauen. Am 25. September wird nun gewählt, die Lage ist kompliziert.

Die Rechten stehen möglicherweise vor der Regierungsübernahme, eine große Mobilisierung über das Inflationsthema ist für sie aber kaum möglich. Denn die extrem rechte Lega von Matteo Salvini und die ebenfalls rechte Berlusconi-Partei Forza Italia sind Teil von Draghis noch amtierendem Regierungsbündnis. Sozialproteste gegen sich selber anzuführen ist schwierig.

Gleichzeitig streben die beiden Parteien nach der Wahl ein neues Regierungsbündnis mit der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia und deren Vorsitzenden Giorgia Meloni an. Die steht jüngsten Umfragen zufolge weit oben in der Wählergunst. Gemeinsam müsste der Rechtsblock nach der Wahl mit der dann wohl voll durchschlagenden Energieteuerung umgehen. Da fällt es schwer, jetzt unerfüllbare Forderungen zu erheben.

Draghi hatte zuletzt einiges getan, um Italiens Gasversorgung sicher zu stellen. Er schloss Lieferverträge mit Libyen und Algerien und schaffte zwei schwimmende Flüssiggasterminals an. Doch auch Italien importiert bislang noch 46 Prozent seines Gases aus Russland.

Zusätzlich kompliziert ist die Lage, weil sowohl Berlusconi als auch Salvini seit langem enge Verbindungen zu Russland pflegen, was derzeit in Italien nicht gut ankommt. Als klar war, dass Draghis Regierung aufgelöst wird, tat Salvini deshalb das, was er immer tut: Er hetzte gegen Immigranten.

Um das Inflationsthema kommt die Lega trotzdem nicht herum. Italien soll mit rund 200 Milliarden Euro die meisten Gelder aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ erhalten. Auf dieses Geld wird auch eine mögliche Rechtsregierung angewiesen sein. Anders als früher lehnt die Lega die EU deshalb heute nicht mehr ab, sondern beschränkt sich darauf, mehr nationale Souveränität zu fordern – eine Art „ungarischer Ansatz“, mit dem sich wohl auch eine mögliche postfaschistische Ministerpräsidentin Meloni arrangieren würde. Linke – sowohl antikapitalistisch-außerparlamentarische als auch Ge­werk­schaf­te­r*in­nen – argumentieren indes, dass die Milliarden vor allem für Sozialprogramme statt für Unternehmensrettung genutzt werden sollen.

Eine der wichtigsten Stellschrauben dabei ist das sogenannte Bürgergeld, dass 2019 auf Initiative der Fünf-Sterne-Bewegung eingeführt wurde und den Staat derzeit etwa neun Milliarden Euro im Jahr kostet. Die neue Regierung wird entscheiden müssen, ob und wie sie es als Hilfsmaßnahme gegen die Inflation weiterführt.

Die Rechten wollen es auf „arbeitsunfähige“ Emp­fän­ge­r*in­nen beschränken und dafür Einkommenssteuern senken, Linke wollen es mit Anti-Betrugs-Maßnahmen und aktivierender Arbeitsmarktpolitik reformieren. Zumindest vor den Wahlen taugen diese Differenzen vor allem angesichts der realpolitischen Eingebundenheit der extremen Rechten kaum zur großen Straßenmobilisierung.

Der Ex-Gelbwesten-Koordinator ­Damien Mallot hofft indes weiter darauf, dass die Franzosen mit Druck von der Straße ihre Regierung zwingen, das Leben bezahlbar zu halten. An Massenproteste wie zu den Hochzeiten der Gelbwesten 2018 hofft er zwar, glaubt daran aber nicht. „Die Franzosen sind noch nicht wütend genug.“

*Name geändert

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17 Kommentare

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  • ...kurzer Nachtrag:

    Ich halte für sehr wahrscheinlich, dass AfD und Putinfreunde versuchen werden die Unzufriedenheit und Wut der weniger Reflektierten auf die einfache Formel verkürzen werden, ein Ende der Sanktionen und ein Nachgeben gegenüber Putin zu fordern und das mit maximaler Lautstärke. Lasst uns diesem Blödsinn bitte nicht zuviel Raum geben. Damit appelliere ich auch an die Medien..

  • Das schon der Wegfall eines eigentlich minimalen Anteils an Energie (-Ressourcen) einen solchen (zu erwartenden) Aufschrei auslöst, ist schon sehr bemerkenswert und zeigt vor allem eines: nämlich wie weit die soziale Schere mittlerweile auseinander klafft.

    Eigentlich leben wir (historisch) in der Zeit des mit Abstand größten materiellen Reichtums, aber dieser Reichtum ist "dank"unseres Wirtschaftssystems auf geradezu bizarre Weise ungleich verteilt.

    Wenn jetzt eine vorübergehende Mangellage solche Spannungen auslöst, ist das vor allem ein Zeichen dafür wie ungerecht große Teile der Bevölkerung die Vermögensverteilung empfindet. Das ist keineswegs neu..aber jetzt scheint das Gefüge aufzubrechen und etwas zum Vorschein kommen was uns eigentlich schon lange ein Anliegen ist..

    Insofern liegt es in unser aller Hand, diese Situation den Putinisten zu überlassen (der reibt sich schon die Hände)...oder sie als Chance zu begreifen soziale Mißstände zu erkennen, zu benennen und zu beheben..

    Ich hoffe daher, dass alle etwas aus den Coronaprotesten gelernt haben, denn da wurde über jeden noch so absurden Schwachsinn berichtet und diskutiert (wir hatten ja auch genug Zeit). Diesmal geht es aber um etwas politisch wirklich bedeutsames, nämlich sowohl um wichtige Soziale Aspekte und damit verbunden um ökologische Fragen..

    Worauf ich hinaus will: ich denke wir sollten uns vor allem auf die Inhalte konzentrieren und nicht zu sehr um das "Geschrei" der Unzufriedenen. Lasst uns über die relevanten Fragen streiten und uns nicht von dem Schwachsinn ablenken lassen, der garantiert mit voller Lautstärke vorgetragen wird..

    Lassen wir uns also nicht von Putins Brigaden beeindrucken...sondern begreifen die kommenden Monate als Chance, um lange aufgeschobene Fragen zu beantworten und die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen..

  • Ich denke mal, je sozialer die Proteste sind, desto geringer die Chancen der Rechten, die ja von Haus aus kein ehrliches Interesse an der sozialen Frage haben.

  • Behaupte einmal, dass analoge Artikel bei Putin gleich ins Gefängnis führen. Putin kann sich über dergleichen hier doch nur freuen. Spaltung des Westens, nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahrzehnten, und kaum einer hats gemerkt bzw. immer wieder thematisiert nach der Devise: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Da ist auch ein Teilversagen der Medien mit dabei.

  • Angesichts der vielen Probleme brauchen wir dringend eine Mobilmachung von unten, bevor die Rechten das Zepter übernehmen und Trumpsche Verhältnisse drohen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir doch erkennen, dass die Verteidigungsbereitschaft in den sogenannten demokratischen Staaten eher nur begrenzt sein dürfte, weil Politiker sich einbilden, alles für die Gesellschaft schon ohne Beteiligung des Publikums erreichen zu können. Die Realität sieht aber ganz anders aus, die Abhängigkeit von großen Unternehmen und Handelsketten, die jegliche Verteilung von Waren und Lebensmitteln übernommen haben, zum Beispiel bei Energie, Wohnen und Fressen. Wir müssen das Werbefernsehen abschalten und dafür sorgen, dass es wieder mehr Selbsthilfeeinrichtungen und Genossenschaften geben soll und das heisst: Große gezielt abschalten, Lebensmittel wieder über Wochenmärkte zu verteilen, auf Importwaren weitgehend verzichten, aber vor Allem die richtigen Massnahmen gegen die Klimakatastrophe ergreifen, zum Beispiel bei überflüssiger Mobilität. Schnell wird deutlich: Da braucht es eine neue Politik bei weitgehender Unterstüzung der Wissenschaft. Es hat sich gezeigt, zuletzt beim panischen Verhalten eines unbedarften Wirtschaftsministers, die zur Wahl stehenden ‚Parteien‘ haben kein Personal mit dem entsprechenden Durchblick, wenn sie fast nur noch über ihr eigenes Überleben unterwegs sind. Wir brauchen den Aufstand der Anständigen, ein weiter so nützt nur den Kriegstreibern.

  • "In Frankreich bereiten sich die Gelbwesten darauf vor, in Österreich die Querdenker."

    Und in deutschland die Linkspartei: taz.de/Protestaufr...kspartei/!5871907/

  • ... es wird ein ganz übles Gedrängel auf unseren Straßen geben, wenn die verschiedenen unzähligen Demonstrationdszüge durch unsere Städte ziehen , befürchte ich - und die Woche hat nur 7 Tage - der Tag nur 24 Stunden ...

  • Es ist schon erstaunlich, dass Proteste linker Gruppen und Organisationen eher als Randnotiz auftauchen, während Rechte Gruppierungen und sogenannte Querdenker immer für eine dicke Überschrift gut sind.



    So werden - sicher ungewollt - schon seit längerem rechtsnationale und konservative im wahrsten Sinne des Wortes großgeschrieben, während bezüglich linker Bewegungen eher deren Zerstrittenheit thematisiert wird.

    Wann werden sich Journalisten endlich ihrer Verantwortug bewußt und beziehen klar Stellung. Eine Kampagne gegen Verarmung von immer größeren Teilen der Gesellschaft, gegen ungerechte Verteilung, gegen Krieg und dessen Folgen könnte mal eine Maßnahme sein.



    Die Bildzeitung macht seit ewigen zeiten vor, wie so etwas funktioniert. Wo bleiben da die klaren Gegenpositionen einer linken Zeitung.... nicht nur im Kleingedruckten, fein ausgewogen, und in Kommentarspalten???

    • @Bürger L.:

      Es war doch bekannt, dass Linke da mitliefen bei den Querdenkern. Da haben Sie schon recht, dass hätte mehr kommuniziert werden müssen 🤓

    • @Bürger L.:

      Kampagnenjournalismus? Die Bild als Vorbild? Wollen sie das wirklich? Und würde man damit nicht letztlich den verschwurelten Ideen einer manipulierten und manipulierenden Presse Futter geben?



      Wie wäre es, wenn sich stattdessen die Linken mal zusammenraufen, organisieren und was auf die Beine stellen. Dann hätte die Presse auch etwas über das positiv zu berichten wäre.

      • @Ingo Bernable:

        "Kampagnenjournalismus ... wollen sie das wirklich?"



        Ja.



        Es muss ja nicht auf dem Niveau der Bildzeitung stattfinden, die in primitiver Weise offenbart, was auch in anderen Medien längst passiert.

        Ich würde mir von einer Zeitung die sich immernoch als linke Zeitung versteht, wünschen, dass in Zeiten großer Umbrüche Haltung gezeigt wird - anstatt im Klein Klein



        und sowohl als auch - vor lauter Ausgewogenheit im pseudoliberalen Nichts steckenzubleiben.

        • @Bürger L.:

          Nichts dagegen Haltung zu zeigen. Es gibt aber einen relevanten Unterschied zwischen einer Blattlinie und dem Benennen der eigenen Position einerseits und dem Versuch die öffentliche Meinung zu beeinflussen, wie es Bild und noch krasser Fox News oder RT tun andererseits. Es ist gerade der Modus der Ausgewogenheit (den sie kritisieren) und der Anspruch wo nötig auch das eigene Lager nicht mit Kontroverse und Kritik zu schonen der echten Diskurs von Echokammerverlautbarungen unterschiedet. Wozu eine Medienlandschaft führt die nur noch im Kampagnenmodus funktioniert und nur noch versucht die eigene Perspektive als einzig gültige durchzusetzen können sie in den USA beobachten wo sich inzwischen zwei Lager zunehmend unversöhnlich gegenüberstehen, man eine gemeinsame Sprache und Wahrheit ebenso verloren hat wie jede Idee dazu wie die divergierenden Perspektive jemals wieder überbrückbar werden sollen, so dass mittlerweile gar von Sezession und Bürgerkrieg geraunt wird.

    • RS
      Ria Sauter
      @Bürger L.:

      Das frage ich mich auch.



      Es scheint , als verschliesse man die Augen vor der Wirklichkeit.



      Statt die berechtigten linken Proteste zu unterstützen wird die Farbe braun übermächtig.

  • Ich finde, wir sollten mal den Faktencheck fragen, WAS der Begriff Inflation wirklich besagt. Nach meinem Schulwissen ist Inflation durch einen echten Mangel begründet. Den haben wir ja nicht. Wir haben einen künstlichen Mangel weil der Lieferant uns nicht mehr passt. Und es gibt von allem noch genug. Derzeit haben wir also eine Bereicherungswelle der Wirtschaft, die aber sehr oft Anzeichen eines drohenden Krieges war. Die Wirtschaft nimmt jetzt jedes Geld das sie kriegen kann ("Gasumlage" MWSt Ausgleich und natürlich auch das der Verbraucherinnen) um gewappnet zu sein und genug Geld zu haben im Ernstfall mitmischen zu können. Also sind Proteste gerechtfertigt, da es auch um unsere Steuergelder geht, die wir für 9 euro Tickets, Armutsbekämpfung und Bildung besser gebrauchen könnten. Inflation haben wir, wenn ein Kilo Brot 10 Gramm Gold kostet

    • @Lena Hochstädter:

      "haben wir also eine Bereicherungswelle der Wirtschaft"

      Das steht in keinem Faktenchek. Das haben Sie sich schlicht ausgedacht. Übel sowas.

  • Ich kann nur hoffen, dass Lindner und sein Porsche-Club diesen Artikel lesen und einsehen, dass ihre Politik in den Abgrund führt. Umverteilung jetzt! Das ist Ihre "dornige Chance", Herr Lindner! Wahrscheinlich auch Ihre letzte ...