Protestaufruf der Linkspartei: Nicht zu trauen

Die Linkspartei will den Energiepreis-Protest auf die Straße bringen. Aber mit Blick auf Russland und ihre Klimapolitik ist sie wenig glaubwürdig.

Zwei rote Luftbalons mit dem Logo der Partei "Die Linke"

Mit Linke-Luftballons gegen die Krise demonstrieren – so wünscht sich das die Partei Foto: Emmanuele Contini/imago

Wäre die Linkspartei ein Haus, würde sie wohl mit Kohle heizen: Fühlt sich gemütlich an, ist im Alltag aber ziemlich unpraktisch. Und ökologisch ist das auch nicht. Nun hat ihr Co-Vorsitzender Martin Schirdewan einen „heißen Herbst“ angekündigt; die Partei will Proteste gegen die Energiepolitik der Bundesregierung organisieren. Ist das heiße Luft – oder müssen die da oben nun zittern, wenn sie schon nicht frieren müssen?

Es wäre begrüßenswert, wenn es tatsächlich Protest von links geben würde. Gründe finden sich genug: Warum werden die Gaspreise nicht gedeckelt? Warum müssen alle gleichermaßen für die verfehlte Energiepolitik der Vergangenheit bezahlen? Dass bereits vor rechten Protesten aus dem Wutbürgermilieu gewarnt wird, kann nicht bedeuten, dass Linke sich aus Staatsräson nun zurückhalten müssten. Im Gegenteil: Wenn es von links keinen Protest gibt, wird sich die Wut andere, reaktionäre Wege suchen.

Doch wie wahrscheinlich sind solche linken Proteste? Traditionell tut man sich in Deutschland mit der sozialen Frage schwer. Auch die Linkspartei ist bisher nicht damit aufgefallen, Straßenproteste zu organisieren – man erinnere an den gescheiterten Versuch von Sahra Wagenknecht mit „Aufstehen“. Und auch die in Kleinstgruppen gespaltene außerparlamentarische Linke kann man sich nicht als Antreiber vorstellen.

Klimabewegung ist geeigneter

Impulse könnten am ehesten aus der Klimabewegung kommen. Sie hat bewiesen, dass sie jenseits traditioneller Milieus mobilisieren kann. Und in einem sind sich Linkspartei und Klima­bewegung ähnlich: Beide verlieren Anhänger, beide stehen vor der Aufgabe, Forderungen nach Umverteilung und Klimaschutz zu verbinden. Die Linkspartei eignet sich auch deshalb nicht als Antreiber, weil sie in der Klimabewegung nicht als glaubwürdig gilt.

Ein anderes Problem liegt in ihrer Russlandpolitik: Es ist naheliegend, dass bei möglichen Protesten im Herbst auch die Sanktionen infrage gestellt werden. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer tut das bereits, in vorauseilendem Gehorsam gegenüber seinen Wutbürgern. Linke Proteste dürfen nicht in diese Falle gehen, dürfen die Solidarität mit der Ukrai­ne nicht gegen Energiepreise ausspielen. In dieser Frage ist der Linkspartei nicht zu trauen.

Für die Linkspartei, das alte Haus, sind Sozialproteste die dringend benötigte Wärmepumpe: Sie braucht Energie von außen. Soziale Proteste hatten die damalige PDS schon einmal gerettet, nachdem sie vor 20 Jahren aus dem Bundestag geflogen war. Besonders wahrscheinlich sind diese zurzeit nicht.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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