Kooperation mit US-Konzern: Ukraine setzt auf Atomkraft

Um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, will Kiew die Nutzung der Atomenergie ausbauen. Doch das ist nicht der einzige Grund.

Halbrunde Abdeckung des beschädigten Kraftwerks in Tschernobyl, davor ein Denkmal

Auch das AKW Tschernobyl ist immer wieder in der Kampfzone – hier ein Bild vor Beginn des Krieges Foto: Bryan Smith/dpa

BERLIN taz | Die Ukraine will die Nutzung der Atomenergie weiter ausbauen – in Zusammenarbeit mit dem US-Konzern Westinghouse. So haben in der vergangenen Woche der ukrainische Atomkonzern Energoatom, Betreiber aller ukrainischen Atomkraftwerke, und die Westinghouse Electric Company auf dem Gelände des ukrainischen AKW Chmelnyzkyi die exklusive Belieferung der ukrainischen AKW mit Westinghouse-Brennstoff vereinbart.

In zwei Jahren, so Energoatom, sei man in der Ukraine außerdem so weit, dass man in einem eigenen Werk Brennstäbe mit dem Westinghouse-Brennstoff befüllen könne.

Noch werden 8 der 15 ukrainischen Reaktoren mit russischem Brennstoff betrieben. Doch im März hat sich die Ukraine entschieden, keinen weiteren Brennstoff mehr in Russland zu ordern. Gleichzeitig vereinbarten Energoatom und Westinghouse in einem Memorandum den gemeinsamen Bau von neun Atomreaktoren des Typs AP1000. Das ist mehr als die am 1. September vereinbarten fünf neuen Atomreaktoren.

Die Vereinbarung kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem Nachrichten von russischen Angriffen auf ukrainische Atomkraftwerke sowie Beinahe-Unfälle, verursacht durch russische Waffen, die Regel sind. Zuletzt war am Sonntagmorgen nach Angaben von Energoatom ein russischer Flugkörper nur knapp an dem Atomkraftwerk „Südukraine“ vorbeigeflogen. Dazu hat Energoatom ein Video einer Überwachungskamera veröffentlicht, das den Flug dieses Flugkörpers festgehalten hat. Nach Angaben des Anti-Crisis Expert Nuclear Center of Ukraine war dieser Beinahe-Überflug eines ukrainischen AKW durch ein russisches Fluggeschoss bereits der vierte dieser Art seit dem 24. Februar.

AKW als Stützpunkt

Weiter Sorgen macht der ukrainischen Atomwirtschaft das AKW Saporischja, mit sechs Reaktoren das größte AKW Europas. Seit dem 4. März ist es von russischen Truppen besetzt. Und seitdem, so zitiert die Ukrajinska Prawda den Präsidenten von Energoatom, Petro Kotin, arbeite das Personal unter hohem Stress. Hinzu komme, dass die russischen Militärs das AKW als militärischen Stützpunkt nutzten, „wissend, dass die Ukraine nicht auf dieses Objekt, in dem sich sehr viel nukleares Material befindet, schießen wird“. Auch die 6-wöchige russische Besetzung von Tschernobyl hatte deutlich gemacht, wie gefährlich AKWs gerade im Krieg sind.

Mit dem jüngsten Deal mit Westinghouse will die ukrainische Atomwirtschaft nicht nur sicherstellen, dass in dem Land die Lichter nicht ausgehen. Perspektivisch plant man, Strom im großen Stil in die europäischen Nachbarländer zu exportieren.

„In der Zukunft kann die Ukraine ein wichtiger Stromlieferant für Europa werden“, zitiert das Portal expro.com.ua den ukrainischen Energieminister Herman Haluschchenko bei der feierlichen Unterzeichnung. Nun werde die Ukraine in Zusammenarbeit mit Westinghouse weltweit führend in der Atomwirtschaft sein, zitiert expro.com.ua Petro Kotin, den Präsidenten von Energoatom.

Doch es gibt auch Kritik. Auf ihrer Facebook-Seite fragt sich die Atom-Expertin Olga Koscharna, warum es zu diesen Planungen keine gesetzlich vorgeschriebene internationale Ausschreibung gegeben hat. Zudem müssten bei derartigen Großprojekten Umweltfolgeabschätzungen vorgenommen werden. Darüber hinaus müssten Beratungen mit den Anrainerstaaten stattfinden, die staatliche Atomaufsicht müsse um Zustimmung gebeten und das Ganze letztlich vom Parlament abgesegnet werden.

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