Umweltschützer über Tschernobyl im Krieg: „Man hat einfach Glück gehabt“

Das AKW Tschernobyl entging im Krieg nur knapp der Katastrophe, sagt Umweltschützer Olexi Pasyuk. Das AKW Saporischschja macht ihm umso mehr Sorgen.

Porträt eines Mannes mit Bart, zu sehen ist der Olexi Pasyuk

Die jüngsten Schäden am AKW Tschernobyl wurden von der IAEO verharmlost, glaubt Olexi Pasyuk Foto: Bernhard Clasen

taz: Herr Pasyuk, das Gebiet des AKWs Tschernobyl ist ­wieder unter ukrainischer Kontrolle. Russische Truppen hatten es zu Beginn des Kriegs wochenlang besetzt. Welche Erkenntnisse liegen vor?

Olexi Pasyuk: Zunächst einmal muss gesagt werden: Die militärische Einnahme eines atomaren Objekts ist eine Verletzung von Protokoll 1 der Genfer Konventionen. Dort heißt es, dass Objekte, die sehr gefährlich sein können, wie Atom- oder Wasserkraftwerke, nicht Objekt von Kampfhandlungen sein dürfen. Auch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) verbietet Mitgliedstaaten Militäreinsätze an derartigen Objekten. Das heißt, Russland trägt die Verantwortung dafür, dass in Tschernobyl und dem AKW Saporischschja Kampfhandlungen stattfinden.

Und was ist in dieser Zeit in Tschernobyl passiert?

Die Kampfhandlungen haben Brände verursacht. Und wenn es in so einem Gebiet brennt, dann heißt das immer auch, dass Radioaktivität freigesetzt wird. Und am meisten hat uns besorgt, dass für eine gewisse Zeit die Stromversorgung nicht funktioniert hatte. Abgebrannte Brennstäbe in den nassen Lagerstätten hätten sich somit erhitzen können. Wir haben Glück gehabt, unsere schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetreten. Aber das, was passiert ist, ist schon schlimm genug. Nämlich, dass zusätzlich Radioaktivität freigesetzt worden ist.

ist Umweltaktivist und stellvertretender Direktor der ukrainischen Umweltorganisation Ekodi. Seine Schwerpunkte sind Atomenergie und Klimawandel. Pasyuk war 2020 Teilnehmer des taz lab.

Wie war in dieser Zeit das Monitoring?

Die Überwachung des aktuellen Zustands der atomaren Objekte auf diesem Territorium ist für mehrere Stunden ausgefallen.

Und die Ausrüstung?

Ein Teil der Ausrüstung war zerstört, ein Teil gestohlen. Möglicherweise sind auch Daten verloren gegangen. Insgesamt hat das dazu geführt, dass man eine Zeit lang nicht wusste, was da los ist, aber inzwischen haben wir das Monitoring in Tschernobyl mit Hilfe von internationalen Sponsoren wieder im Griff.

Es wurden auch Schützengräben ausgehoben?

Ja. Und natürlich hat das auch wieder Radioaktivität in die Umwelt gebracht. Andererseits glaube ich nicht, dass in der Folge des Aushebens von Schützengräben Soldaten an der Strahlenkrankheit gestorben sind. Da waren einige Nachrichten übertrieben.

Die IAEO hat hinterher einen Bericht über die Zeit der Besetzung herausgegeben.

Ja, und der ist hier in der Ukraine kritisiert worden. Nach Meinung der ukrai­nischen Behörden hat die IAEO das Level der Schäden zu niedrig eingeschätzt. Schließlich, so hatte die IAEO argumentiert, seien ja nicht die hochradioaktiven Bereiche zu Schaden gekommen. Greenpeace hingegen ist der Auffassung, dass die IAEO die Situation verharmlost hat. Aber man hat einfach auch Glück gehabt, es hätte auch schlimmer kommen können.

Und welche Gefahren sehen Sie in Saporischschja?

Da sehe ich größere Gefahren als in Tschernobyl. Von sechs Reaktoren dort sind derzeit zwei am Netz. Und da wird auch immer noch gekämpft. Russland ist an dem Strom des AKWs interessiert. Deswegen ist es auch im russischen Interesse, dass dort alles funktioniert. Doch sobald Russland das Territorium des AKWs verlassen muss, könnte eine chao­ti­sche Situation eintreten. Insgesamt halte ich die Besatzung des AKWs Saporischschja für gefährlicher als die Besetzung des AKWs Tschernobyl.

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