Lage im ukrainischen AKW Saporischschja: Energieraub nach Drehbuch

Russland geht es in der Ukraine auch ganz banal ums Geld. Mit dem Überfall auf das AKW Saporischschja will es sich billigen Atomstrom sichern.

Stromerzeugungsblock im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja

Beschuss und Notabschaltung zweier Reaktoren: Das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja

Was macht ein Staat, dessen Wirtschaft lahmt und der knapp bei Kriegskasse ist? Er überfällt ein Atomkraftwerk. Denn das bringt, vor allem wenn es sechs Reaktoren hat und Strom auf dem Weltmarkt teuer ist, jedes Jahr mehrere Milliarden Dollar.

Das Drehbuch ist in wenigen Worten erklärt: Nach der militärischen Besetzung kappt man die Leitungen zum Stromnetz des Besitzers und schließt das eigene Netz an das geraubte AKW an. Und während der Rest der Welt in Schockstarre zuschaut, lässt man sich von einer IAEA-Delegation eine (technische) Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen. Natürlich darf man beim Besuch der Delegation nichts dem Zufall überlassen. Doch dafür hat man zuverlässige Kol­le­g:in­nen vom Geheimdienst, die verhindern, dass Mitarbeiter allzu gesprächig gegenüber den Gästen werden.

Nun können Raubritter und europäische Länder wieder zur Tagesordnung übergehen. Das Jod, das man sich vorsorglich gekauft hat, kann man ungeöffnet im Medikamentenschrank stehenlassen. Nur der rechtmäßige Besitzer des AKW stört, weil er sich mit dem Raub nicht abfinden will.

Wenige Tage vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine hat die Ukraine ihr Stromnetz, das seit Sowjetzeiten nur mit dem Netz von Belarus und Russland kompatibel war, von Russland gekappt. Mittlerweile ist das ukrainische Stromnetz EU-kompatibel, kann also den billigen Atomstrom Richtung Westen verkaufen. Klar, dass Putin das verhindern will.

In Russlands Krieg gegen die Ukraine spielt somit eine ganz banale Sache eine Schlüsselrolle: Geld. Mit seinem Überfall auf ein AKW hat Russland Kriegsgeschichte geschrieben. Dieser Überfall könnte Schule machen, zumal wenn Putins Drehbuch voll aufgehen sollte. Daher wird es höchste Zeit, dass wir in Europa auf eine ökologische und dezentrale Energieversorgung umsteigen.

Gleichwohl darf bei der Kritik an der militärischen Eroberung des AKW Saporischschja durch Russland eine mögliche Mitverantwortung der Ukraine im Falle einer Katastrophe nicht ausgeblendet werden. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, das AKW beschossen zu haben. Und es spricht vieles dafür, dass auch die ukrainische Seite Richtung AKW geschossen hat.

Der einzige Hoffnungsschimmer ist derzeit der angekündigte Besuch der IAEA im AKW. Solange sich diese Delegation im Atommeiler aufhält, wird dort wohl nicht geschossen werden. Deshalb ist zu hoffen, dass die IAEA Saporischschja erst nach mehreren Monaten verlässt.

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Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.

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