Prozess um die tödlichen Schüsse von Kenosha: Freispruch für Kyle Rittenhouse
Ein Geschworenengericht erklärte den Teenager am Freitag für unschuldig. Rechte feierte das Urteil, Linke und Bürgerrechtler protestierten.
NEW YORK | taz | Kyle Rittenhouse, der als 17jähriger mit einem halbautomatischen Gewehr bei einer nächtlichen Antirassismus-Demonstration in Kenosha, Wisconsin, zwei Männer erschossen und einen dritten verletzt hat, ist unschuldig. So haben es die Geschworenen nach viertägigen Beratungen entschieden. Der inzwischen 18jährige sackte zusammen, als er am Freitag Nachmittag seinen Freispruch hörte. Die Eltern von Anthony Huber, einem seiner Opfer, erklärten bitter: „Das Urteil bedeutet, dass die Person, die unseren Sohn ermordet hat, nicht zur Verantwortung gezogen wird. Es sendet die inakzeptable Botschaft aus, dass bewaffnete Zivilisten in jeder Stadt auftauchen, zu Gewalt anstiften und dann die von ihnen geschaffene Gefahr nutzen können, um das Erschießen von Menschen auf der Straße zu rechtfertigen.“
Der Freispruch löste umgehend leidenschaftliche Reaktionen aus. Rechte, die Rittenhouse seit seiner tödlichen Schüsse als patriotischen Helden feiern und Millionen für seine Kaution und seine Verteidigung gesammelt haben, jubelten am Freitag. Ex-Präsident Donald Trump gratulierte dem Teenager. Verschiedene republikanische Abgeordnete boten ihm Praktika in ihren Büros im US-Kongress an. Und der Fernsehsender Fox News hat ihn für Montag zu einem Exklusivinterview eingeladen.
Linke und Bürgerrechtsaktivisten gingen am Freitag Abend in zahlreichen Städten auf die Straße, um gegen den Freispruch zu demonstrieren. Viele Demonstranten nannten den frei gesprochenen Rittenhouse einen „Mörder“. Aber zugleich zogen sie auch den Richter von Kenosha zur Verantwortung. „Der KKK ist in den Gerichten“ war auf einem Transparent der New Yorker Demonstration zu lesen. Der KKK – für Ku-Klux-Klan – ist ein gewalttätiger, rassistischer Geheimbund. Statt den Namen des Todesschützen zu nennen, riefen Demonstranten die Namen von Rittenhouses Opfern, sowie die Namen der Opfer von rassistischer Polizeigewalt.
Demokratische Spitzenpolitiker reagierten unterschiedlich auf den Freispruch. US-Präsident Joe Biden hat Rittenhouse in seinem Wahlkampf im vergangenen Jahr einen „White Supremacist“ – weißen Rassisten – genannt. Am Freitag Nachmittag gab sich der US-Präsident zurückhaltender. „Obwohl das Urteil in Kenosha bei vielen Amerikanern ein Gefühl des Ärgers und der Sorge zurücklassen wird, und dazu gehöre ich auch, müssen wir anerkennen, dass die Geschworenen gesprochen haben.“ sagte er.
Der Chef des Justizausschusses im Repräsentantenhaus hingegen, der Demokrat Jerry Nadler, sprach von einem „Justizirrtum, der einen gefährlichen Präzedenzfall schafft.“ Und in New York kommentierten sowohl die Gouverneurin Kathy Hochul als auch der scheidende sowie der künftige Bürgermeister der City, Bill de Blasio und Eric Adams, den Freispruch mit Worten wie: „Dies ist keine Gerechtigkeit“.
Kein Mitgefühl für die Opfer
Der Freispruch von Kenosha erschien bereits vor Prozessbeginn als reale Möglichkeit. Der 75jährige Richter Bruce Schroeder, ein bekannter Konservativer, verbot es, die Toten in seinem Gerichtssaal als „Opfer“ zu bezeichnen, hingegen erlaubte er Rittenhouses Verteidigern, von den Opfern als „Plünderern“ und „Brandstiftern“ zu reden. Dadurch entstand im Gerichtssaal kein persönliches und menschliches Bild von den Opfern Huber (26) und Joseph Rosenbaum (36). Hingegen gingen das Schluchzen und die Tränen des Angeklagten über alle Bildschirme der USA. Rittenhouse will in Selbstverteidigung getötet haben. Das ist im Bundesstaat Wisconsin legal. Mitgefühl für seine Opfer zeigte er zu keinem Zeitpunkt.
Während des laufenden Verfahrens ertönte eine Wahlkampfmusik von Trump als Klingelton auf dem Handy des Richters. Bei einer anderen Gelegenheit forderte der Richter alle Anwesenden im Gerichtssaal auf, einem Zeugen der Verteidigung zu applaudieren, weil der seinem Land als Veteran gedient habe. Der Richter ging scharf gegen die Staatsanwaltschaft vor. Unter anderem verbot er ihr, Dinge über politische Äußerungen und gewalttätige Neigungen von Rittenhouse zur Sprache zu bringen. Sie durfte auch nicht dessen gemeinsames Biertrinken und Posieren mit rechtsradikalen Proud Boys thematisieren. Der Staatsanwalt gelang es auch nicht, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass Rittenhouses Anwesenheit mit einem AR-15-ähnlichen Gewehr auf den nächtlichen Straßen von Kenosha eine Provokation war.
In Kenosha hatte am 23. August 2020 ein weißer Polizist den Schwarzen Jacob Blake mit sieben Schüssen in den Rücken schwer verletzt. Daraufhin kam es dort zu Demonstrationen gegen Polizeigewalt und zu Unruhen mit Sachschaden und Bränden. Eine örtliche Bürgerwehr suchte auf Facebook nach Verstärkung, woraufhin der 17jährige Rittenhouse, der in dem Nachbarbundesstaat Illinois lebt, drei Tage nach den Schüssen auf Blake in die Stadt reiste. Sein Gewehr durfte er wegen seines jugendlichen Alters in Wisconsin noch gar nicht besitzen. Dennoch begrüßte die Polizei von Kenosha ihn und andere Zivilisten, die für Recht und Ordnung sorgen wollten, mit Wasserspenden und Dank.
Viele der selbst ernannten Kämpfer waren schwer bewaffnet, aber Rittenhouse war der einzige, der in der Nacht getötet hat. Seine beiden Todesopfer waren unbewaffnet. Aber sie hatten beide versucht, ihm seine Schusswaffe wegzunehmen. Gaige Grosskreutz, 28, der Mann, dem Rittenhouse einen Teil des Oberarms weggeschossen hat, war das einzige bewaffnete Opfer. Alle Opfer von Rittenhouse waren weiß.
Wendy Rittenhouse, die Mutter, bedankte sich am Freitag Abend bei allen, die den Prozess verfolgt und ihren Sohn unterstützt haben. „Wir können dieses sehr hässliche Kapitel in unseren Leben jetzt schließen“, schrieb sie. Anschließend forderte sie die Unterstützer auf, erneut zu spenden. Falls mehr Geld hereinkommt als für die Verteidigung nötig sein sollte, will sie es für das Studium ihres Sohnes verwenden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Auflösung der Ampel-Regierung
Holpriger Versuch endgültig gescheitert
Ampelkoalition gescheitert
Endlich!
+++ Ampelkoalition zerbricht +++
Lindner findet sich spitze
Scheitern der Ampelkoalition
Ampel aus die Maus
Ampelkoalition zerbricht
Scholz will Vertrauensfrage stellen
Antisemitismus-Resolution im Bundestag
Kritik an Antisemitismus-Resolution