Annalena Baerbock über den Wahlkampf: „Verbote bedeuten oft Fortschritt“

Sie gibt sie sich noch nicht geschlagen. Die grüne Kanzlerkandidatin über rot-grüne Chancen, Mobilität auf dem Land und Einkäufe mit dem Lastenrad.

Annalena Baerbock sitzt im Schneidersitz auf dem Boden

„Bekenntnisse zu fordern, überlasse ich den beiden Herren von der GroKo“, sagt Annalena Baerbock Foto: Dominik Butzmann

Annalena Baerbock tourt mit einem grünen Reisebus durchs Land, der so groß ist wie der der Fußballnationalmannschaft. Draußen ist er mit dem Grünen-Slogan beklebt: „Bereit, weil ihr es seid.“ Es sind 16-Stunden-Tage für die Kanzlerkandidatin: Townhall-Formate auf Marktplätzen, Besichtigungen in Firmen, Hintergrundgespräche mit Regionalzeitungen.

Der Doppelstöcker ist eine mobile Wahlkampfzentrale. Drinnen gibt es eine Bordküche mit Kaffeevollautomat, Stockbetten für Nachtfahrten, ein Separee für die Kanzlerkandidatin, Sonnenblumenlogos und Zimmerpflanzen.

Wir steigen in Halle an der Saale zu und führen das Interview auf der Autobahn nach Frankfurt am Main. Der Tourmanager gießt für Baerbock kochendes Wasser auf einen Teebeutel – gut für die Stimme. Baerbock nippt am Tee. Draußen ziehen Felder, Windräder und Dörfer vorbei.

taz: Frau Baerbock, wenn Sie sich zum 19. April, dem Tag Ihrer Nominierung als Kanzlerkandidatin, zurückbeamen könnten: Was würden Sie anders machen?

Annalena Baerbock: So manches. Aber: Hätte, hätte Fahrradkette. Es gibt nun mal keine Zeitmaschinen. Ich denke jetzt an die nächsten zwei Wochen, die entscheidende Phase des Wahlkampfes.

Wäre es nicht ehrlicher zu sagen, okay, Kanzlerin werde ich nicht mehr – aber ich kämpfe für Klimaschutz in der nächsten Regierung?

Die nächste Regierung ist die letzte, die aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann. Es ist also die große Aufgabe unserer Zeit, die Weichen zu stellen, damit Deutschland klimaneutral wird. Und das geht am besten, wenn man eine Regierung anführt – dafür kämpfe ich. Die Klimakrise ist die größte Gefahr für unsere Freiheit und unsere Sicherheit. Ein grokohaftes Weiter-so wäre mehr als fahrlässig.

In Umfragen sind Sie auf 17 Prozent abgerutscht. War Ihr Slogan „Bereit, weil Ihr es seid“ zu optimistisch?

Die Zustimmung zu unseren Themen ist so groß wie bei keiner Bundestagswahl. Und ich erlebe eine gesellschaftliche Bereitschaft, über sich hinauszuwachsen. Egal ob im Harz, auf der Schwäbischen Alb oder im Ruhrgebiet – überall zeigt sich, was möglich ist. Lehrer*innen, die trotz Corona dafür gesorgt haben, dass Kinder in Kleingruppen zu Schule gehen können. Pflegerinnen, die über sich hinauswachsen. Manager, die sagen, wir brauchen die Wasserstoffleitung in Eisenhüttenstadt, dann produzieren wir klimaneutralen Stahl. Ich bin überzeugt: Da geht was.

Die Klimakrise erfordert disruptive Veränderungen. Viele Menschen wissen, dass es nicht so weitergeht, aber zu viel Veränderung ist ihnen unheimlich.

Die Groko hat jahrelang das Schreckgespenst an die Wand gemalt, Klimaschutz sei teuer und unsozial. Da muss man sich nicht wundern, dass Menschen skeptisch sind. Klimaschutz muss für alle funktionieren. In Berlin-Mitte, für den Zementarbeiter in Baden-Württemberg oder die Pendlerin in der Uckermark. Engagierter Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen.

Aber auch die Grünen sind unehrlich, oder? Verzicht und zu viele Verbote zu fordern, ist bei Ihnen tabu.

Nö, ich sage nur sehr klar: Die Klimakrise ist zu groß, als dass wir uns allein auf ein Instrument stützen dürfen. Es braucht Förderung, Preisanreize und Ordnungsrecht, ja. Verbote bedeuten übrigens oft Fortschritt. Das haben wir bei FCKW-freien Kühlschränken gesehen. Jetzt wollen wir zum Beispiel den Einbau von neuen Ölheizungen schnell verbieten, weil es klimafreundliche Alternativen gibt. Aber kein Rentner braucht Angst zu haben, dass ihm ein grüner Minister oder eine grüne Ministerin die Heizung aus dem Keller reißt und er aufs Heizen verzichten muss.

40, ist mit Robert Habeck Bundesvorsitzende der Grünen. Im April setzte sie sich gegen Habeck durch und wurde Kanzlerkandidatin der Grünen. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Potsdam.

Entscheidend für Klimaneutralität ist die Mobilitätswende. Müssen die Deutschen weniger Auto fahren, um das Klima zu retten?

Weniger ist jedenfalls sinnvoller als immer mehr, klar. Gerade Großstädte stehen ja teils vor einem Verkehrskollaps. Und autofreie Innenstädte können ein Segen sein. Weniger Lärm und Schmutz, mehr Platz, auch für Kinder zum Spielen. Die Stadt Brüssel hat aus der ruhigeren Coronaphase den Schluss gezogen, den Autoverkehr zu beschränken. Warum nicht auch hier? Auf dem Land ist das natürlich anders. Dort ist entscheidend, dass die Autos in Zukunft emissionsfrei fahren. Wichtig ist mir auch, dass sich alle den Umstieg auf ein E-Auto leisten können.

Wie wollen Sie E-Autos auch für Menschen attraktiv machen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben?

Durch ein Umsteuern in verschiedenen Bereichen. Große klimaschädliche Verbrenner müssen über die Kfz-Steuer stärker für die ökologischen Schäden aufkommen. Mit den Einnahmen wollen wir eine sozial gerecht gestaffelte Kaufprämie für E-Autos gegenfinanzieren. Außerdem sollten gebrauchte E-Autos stärker gefördert werden. So wird E-Mobilität auch für Krankenpfleger und Friseurinnen interessant.

Fahren Sie eigentlich gerne Auto?

Geht so. Manchmal ist das Auto super praktisch. Wenn man zum Beispiel eine Kommode vom Möbelhaus abholen muss. Zu Hause fahren wir einen Golf, von dem wir hoffen, dass er es wieder durch den TÜV schafft. Für danach ist ein E-Auto bestellt. Wenn ich in die Potsdamer Innenstadt will, um etwas einzukaufen, nehme ich das Lastenrad.

Sie sind in einem Dorf bei Hannover aufgewachsen. Bedeutete der Führerschein Freiheit für Sie?

Ja, der alte Polo meiner Eltern war für mich ein Stück Freiheit. Ich bin damit frühmorgens von der Disko zurückgefahren und dann direkt in die Bäckerei, wo ich gejobbt habe, um mir etwas dazuzuverdienen. Aber auch auf dem Dorf hat nicht jede und jeder einen Führerschein. Es braucht deshalb gut ausgebaute Regionalbahnen und einen starken öffentlichen Nahverkehr. Ich will daher in der nächsten Regierung eine Mobilitätsgarantie für alle umsetzen.

Wie soll diese Mobilitätsgarantie aussehen?

Die Idee ist einfach: An jedem Ort in Deutschland mit mindestens 500 Ein­woh­ne­r*in­nen muss zwischen 6 und 22 Uhr mindestens einmal in der Stunde ein Bus oder eine Bahn fahren. Dazu muss der Bund den Ländern eine höhere Finanzierung des ÖPNV zur Verfügung stellen. Das wollen wir gegenfinanzieren, indem wir umweltschädliche Subventionen abbauen.

Ist so eine dichte Taktung realistisch? Die Unternehmen müssen rentabel wirtschaften.

Das kann aber nicht das einzige Kriterium sein. Ebenso wie der Staat dafür sorgen muss, dass es überall gute Schulen und schnelles Internet gibt, muss er auch für gute Mobilität sorgen. Das ist seine Aufgabe. Und es muss ja nicht überall der große Gelenkbus fahren, Kleinbusse oder Sammeltaxis tun’s ja oft auch.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ist die Finanzierung realistisch? Manche Kommunen sind reich und brauchen keine Hilfe, aber viele sind hoch verschuldet.

Zwei Ideen, wie es gehen kann: Es braucht mehr Regionalisierungsmittel durch den Bund für den Schienennahverkehr und Gelder von Bund und Ländern, damit die Kommunen den Bürgerinnen und Bürgern Mobilität mit dem ÖPNV auch garantieren können.

Und zweitens?

Es stimmt, dass viele Kommunen massiv verschuldet sind. Wuppertal muss sich gerade entscheiden, ob es seinen kommunalen Beitrag lieber in Hochwasserschutz investiert oder in neue Kitas. Stark verschuldete Kommunen müssen auch investieren können, dafür brauchen sie finanziellen Spielraum, etwa durch einen Altschuldenfonds, damit sie wieder Luft zum Atmen haben.

Braucht es eine Autokommission, so wie es eine Kohlekommission gab, die sich auf einen Kohleausstieg einigte?

Eine Autokommission nach dem Vorbild der Kohlekommission halte ich nicht für sinnvoll. Das Absurde ist ja, dass die Realität die Politik der Groko längst überholt hat. CDU, CSU und SPD haben jahrelang in Brüssel für spritfressende Limousinen und SUVs lobbyiert – und die Autokonzerne stellen nun selbst auf E-Mobilität um.

Aber müsste der Wandel der Autoindustrie nicht stärker moderiert werden? An der Branche hängen 800.000 Arbeitsplätze.

Klar. Die Transformation ist eine gewaltige Aufgabe und deshalb auch Sache der Politik. Für den Wandel der Autoindustrie braucht es politische Leitplanken. Wir würden etwa dafür sorgen, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden. Wie gute Kommunikation funktioniert und man Betroffene mitnimmt, zeigt übrigens Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Er hat schon 2017 einen Strategiedialog mit der Autoindustrie ins Leben gerufen.

Kretschmann tritt doch manchmal wie ein Lobbyist von Daimler auf, etwa als er 2020 eine Kaufprämie für Verbrenner forderte.

Sein Strategiedialog ist ein Erfolg. Bei der Lade­infrastruktur für E-Autos ist Baden-Württemberg vorn, weil Landesregierung und Unternehmen an einem Strang ziehen. Dort gibt es alle zehn Kilometer eine Ladesäule und eine Schnellladesäule alle 20 Kilometer, auch im ländlichen Raum. Im neuen Koalitionsvertrag ist verankert, dass sogar alle fünf Kilometer eine Schnellladesäule stehen soll. Das brauchen wir in ganz Deutschland. Als Bundeskanzlerin würde ich mir diesen Dialog als Vorbild nehmen.

Also keine Kommission, aber einen Dialog. Ist das nicht dasselbe?

Die Frage ist, ob man eine Entscheidung auslagert, weil man sich politisch nicht traut – so war es bei der Kohlekommission –, oder ob man politische Ziele formuliert und mit den Betroffenen nach dem besten Weg für das Wie sucht. Es geht hier um den Umbau einer Kernindustrie, den müssen wir mit den Fahrzeugbauern, Zulieferern und Beschäftigten zusammen gestalten.

Trotzdem werden Branchen wegbrechen und Zulieferer sterben. Wie fangen Sie diesen Umbruch auf?

Mein Vorschlag ist ein Industriepakt. Die Unternehmen würden sich verpflichten, in Klimaneutralität zu investieren, egal ob es der Autozulieferer oder der Zementhersteller ist. Die Politik gibt Planungssicherheit und unterstützt mit öffentlichen Zuschüssen. Wenn Firmen dann später Gewinne machen, müssen sie die Zuschüsse zurückzahlen – und garantieren, dass die Jobs in Deutschland bleiben.

Für Christian Lindner wäre das wahrscheinlich „Sozialismus“.

Ich nenne es: sozial-ökologische Marktwirtschaft.

Wie helfen Sie dem 40-jährigen Facharbeiter, der Getriebe montiert? Er ist in neun Jahren arbeitslos, wenn Autokonzerne ab 2030 keine Verbrenner mehr bauen dürfen.

Der Ausstieg aus dem Verbrenner kommt ja so oder so, auch international. Deshalb: Nur wenn wir die Transformation hinbekommen, entstehen auch neue Jobs. Und natürlich muss der Staat zusammen mit Unternehmen für rechtzeitige Weiterqualifizierung sorgen. Facharbeiter brauchen Unterstützung, sich neu zu orientieren.

Entscheidend wird sein, alle Menschen bei der ökologischen Transformation mitzunehmen – auch Ärmere. Was ist für Sie das wichtigste soziale Thema, das Sie in einer Bundesregierung durchsetzen wollen?

Erste Priorität in der Sozialpolitik hat für mich die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro. Das würde ich in einer Regierung schnell machen.

Sagt Olaf Scholz auch.

Die SPD war Jahre lang an der Regierung beteiligt, Olaf Scholz auch.

Annalena Baerbock sitzt im Bus.

Die Grünen-Kandidatin im Wahlkampfbus während des taz-Interviews Foto: Dominik Butzmann

Damit Beschäftigte nach 45 Jahren Arbeit eine Rente oberhalb der Grundsicherung erhalten, müssten sie 12,21 Euro pro Stunde verdienen. Warum fordern Sie nicht 13 Euro Mindestlohn?

12 Euro ist das Mindeste, was man braucht, um von seiner eigenen Arbeit existenzsicher leben zu können. Die Untergrenze. Es wäre eine Lohnerhöhung für 8 bis 10 Millionen Menschen. Um das Rentenproblem anzugehen, hielte ich es für sinnvoll, dass der Arbeitgeber Rentenbeiträge immer so zahlen muss, als würde er mindestens 15 Euro die Stunde zahlen. Wenn er weniger zahlt muss er die Differenz alleine begleichen, also auch den Arbeitnehmeranteil auf die Differenz bezahlen.

Was wäre Ihnen in einer Regierung sozialpolitisch noch wichtig?

Die Kinder. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut. So viele Mütter oder Väter müssen zu ihrem Nachwuchs sagen: Nein, Schwimmbad ist nicht drin, nein, ein Eis auch nicht, nein, die Sportschuhe schon gar nicht. Deshalb brauchen wir eine Kindergrundsicherung, die unkompliziert an jede Familie ausgezahlt würde.

Welche Summe schwebt Ihnen vor?

Jugendliche bekämen bis zu 547 Euro im Monat, jüngere Kinder weniger. In der Kindergrundsicherung würden mehrere Leistungen zusammengefasst, etwa das Kindergeld oder Zuschüsse für Bildungsteilhabe.

Olaf Scholz hat die Kindergrundsicherung neuerdings auch als Wahlkampfschlager entdeckt. Ärgert Sie das?

Olaf Scholz fällt das Thema jetzt plötzlich im Wahlkampf ein – nach vier Jahren als Finanzminister, in denen es keine Rolle spielte. Und seine SPD war ja auch fürs Sozial- und Familienministerium zuständig. Insofern zweifle ich etwas an der Ernsthaftigkeit.

Ein Hartz-IV-Bezieher bekommt im Moment 446 Euro im Monat. Ihre Fraktion sagt, es müssten gut 150 Euro mehr sein, damit soziokulturelle Teilhabe möglich ist.

Stimmt.

Im Wahlprogramm fordern die Grünen nur 50 Euro mehr. Warum?

Die 50 Euro wären ein erster Schritt.

Sie sagen im Grunde: Sorry, liebe Arbeitslose, aber echte Teilhabe wird’s mit uns Grünen leider nicht geben.

Es wären schon mal spürbare Verbesserungen. Es bringt nichts, schöne Dinge auf Wahlplakate zu schreiben, die ich dann nicht umsetzen kann. Andere Parteien wollen gar keine Erhöhung.

Was muss sich noch bei Hartz IV ändern?

Wir wollen zum Beispiel die zu harten Zuverdienstgrenzen lockern. Arbeitslose müssen unbürokratisch mehr dazuverdienen dürfen.

Da würde Lindner jetzt sagen: Frau Baerbock, die FDP ist dabei.

Ist doch schön, wenn man Gemeinsamkeiten entdeckt.

Ihre Vorschläge kosten Unsummen. Nehmen wir nur die Sozialpolitik. Wie hoch wäre der zusätzliche Finanzbedarf – und woher soll das Geld kommen?

Die Kosten hängen davon ab, wie hoch man einsteigt, da gibt es Spielraum. Wir wollen Reiche durch eine Vermögenssteuer stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen, insbesondere was Bildung anbetrifft. Außerdem möchten wir den Spitzensteuersatz leicht anheben, um geringe und mittlere Einkommen zu entlasten. Unsere Investitionen wollen wir über die Änderung der Schuldenbremse finanzieren. So finanzpolitisch seriös ist kein anderes Wahlprogramm.

Das reicht nicht. Eine Vermögenssteuer würde nur 15 Milliarden einbringen, an der Schuldenbremse hält selbst die SPD fest.

Ich war noch nicht fertig. Durch Steuerhinterziehung entgehen dem Staat im Jahr zweistellige Milliardensummen. Das ist ein Skandal, über den zu wenig gesprochen wird. Beim Kampf gegen Steuerbetrug ist sicher mehr Druck gefragt als in den letzten Jahren. Dieses Geld darf sich der Staat nicht entgehen lassen.

Warum sollten sich ärmere Leute bei den Grünen gut aufgehoben fühlen? Ihrem Lebenslauf – Abi, Londoner Elite-Uni, direkt in die Politik – nimmt man es einfach nicht ab, dass Sie jemals erfahren haben, wie es ist, kein Geld zu haben.

Eine Politikerin muss nicht alles am eigenen Leib erlebt haben, um richtige Antworten zu finden. Das ist doch der Sinn unserer repräsentativen Demokratie.

Es geht um Glaubwürdigkeit. In der Grünen-Führung findet man nur bildungsbürgerliche Biografien.

Erstens stimmt das so nicht. Zweitens: Insgesamt sind im Bundestag, ja in der Politik deutlich mehr Menschen mit Hochschulabschluss vertreten als ohne. An der Frage der Repräsentanz müssen also alle politischen Parteien arbeiten.

Mindestlohn, Abschied von Hartz IV, Kindergrundsicherung, all das können Sie nur in einem rot-rot-grünen Bündnis umsetzen …

… ah, jetzt kommen die Koalitionsfragen.

Warum betonen Sie stets die Differenzen in der Außenpolitik mit der Linken – und nicht die Gemeinsamkeiten?

Große Differenzen gibt es auch in der Innenpolitik. Den Verfassungsschutz einfach abzuschaffen, ohne zu sagen, wie wir Rechtsextremismus stattdessen besser bekämpfen, ist zum Beispiel ein gravierendes Problem. Aber klar, es ist keine Neuigkeit, dass wir in der Sozial- und Steuerpolitik teils ähnliche Vorstellungen wie die SPD und ja, auch wie die Linkspartei haben. Aber Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit in der Außenpolitik ist nun mal wichtig. Ich habe den Eindruck, dass die Linke selbst nicht weiß, ob sie regieren will.

Die Linkspartei hat gerade ein Sofortprogramm für Sondierungen vorgelegt. Ist Ihnen das entgangen?

Nein. Sie hat sich aber auch im Bundestag enthalten, als es um die Bundeswehrluftbrücke in Afghanistan ging. Ernsthaft: Als Demokratin schließe ich Dinge nicht kategorisch aus. Angesichts der AfD, die die Demokratie aushöhlen will, müssen alle demokratischen Parteien in der Lage sein, miteinander zu sprechen. Diese Erfahrung haben wir vor allem in den ostdeutschen Bundesländern gemacht. Und im Gegensatz zur CDU setze ich die Linke nicht mit der AfD gleich.

Wann haben Sie zuletzt mit Janine Wissler, der Linken-Spitzenkandidatin, gesprochen?

Natürlich spreche ich mit der Linken, genauso wie mit der CDU, der FDP oder der SPD. Mit den Sozialdemokraten haben wir sozialpolitisch die größten Schnittmengen, und könnten, wenn es für eine Zweierkoalition reichen würde, da natürlich am meisten erreichen.

Sie glauben wirklich an Rot-Grün?

Zuallererst kämpfe ich dafür, dass wir eine Regierung haben, die für Erneuerung in diesem Land steht und von den Grünen angeführt wird. Wenn man selbst daran glaubt, ist alles drin. Und zu Ihrer Frage: Im Wahlkampf 2002 gab es bis kurz vor der Wahl keine klare Mehrheit für Grüne und SPD. Dann kam alles anders.

Wahrscheinlicher ist, dass Sie sich mit der FDP arrangieren müssen.

Das wird sich zeigen. Wir regieren in den Ländern in unterschiedlichen Koalitionen, und in Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein funktioniert im Bündnis mit den Liberalen so einiges, was für die FDP im Bund nicht vorstellbar zu sein scheint. Aber klar ist: Wenn mögliche Koalitionspartner sagen, wir rauchen das Pariser Klimaschutzziel in der Pfeife, dann wird das so nix.

Fordern Sie von der FDP ein Bekenntnis zum Abschied von Hartz IV?

Bekenntnisse zu fordern, das überlasse ich den beiden Herren von der Groko.

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