Kulturelle Aneignung: Kultur als modisches Accessoires
Auf TikTok wehren sich Schwarze User*innen gegen den Klau ihrer Ideen und Stile. Gleiches passiert im Alltag ständig, schon seit Jahrzehnten.
M it ihrem Streik unter dem Hashtag #BlackTikTokStrike fordern Schwarze User*innen, für ihre künstlerische Arbeit gewürdigt zu werden. Schwarze Tiktoker*innen denken sich Tänze aus, die dann von weißen Menschen geklaut werden, um Aufmerksamkeit zu bekommen und damit Geld zu verdienen. Der bekannteste Fall ist der von Charli D’Amelio. Sie ist die berühmteste Tiktokerin der Welt, seit sie ein Video online stellte, auf dem sie den „Renegade“-Tanz ausführt, der eigentlich von der 15-jährigen Jalaiah Harmon erfunden wurde. Obwohl Jalaiah den Tanz kreiert hat, hat Charli Markenverträge und Ruhm bekommen.
Tiktok-Tänze stehen nur exemplarisch für Kulturtechniken, die Schwarze Menschen, People of Color und Menschen mit Migrationsgeschichte schon lange praktizieren, teilweise dafür geächtet wurden und erst, als sie weiße Menschen ohne Migrationsgeschichte für sich entdeckten, cool wurden (Yoga!!).
Mein persönlichstes Beispiel ist die Trainingshose. Ich habe bosnischen Migrationshintergrund, die „trenerka“ gehört zu unserer Kultur. Während vor allem auf „unsere“ Männer herabgeblickt wurde, sie als primitiv galten, haben junge Hipster ohne Migrationshintergrund die Jogginghose vor ein paar Jahren salonfähig gemacht. Mittlerweile tragen Models am Catwalk Jogger – ein Trend, den jugoslawische Gastarbeiter und jene aus Osteuropa einst mitgebracht haben und nicht Powi-Student Niels.
Doppelmoral und Schulterklopfer
Dasselbe gilt für „ausländisches“ Essen. Während Kinder mit Migrationshintergrund für jede Jause, die nicht aus Käsebrot bestand, ausgelacht wurden, ist es mittlerweile die liebste Freizeitbeschäftigung weißer autochthoner Menschen, sich in ihrer Stadt durch alle Küchen zu kosten, für die sie ihren Mitschüler*innen früher „Igitt, das stinkt“ zugerufen haben. Der Pandemie sei dank, ist Feiern im Park jetzt cool, während bei türkischen Familien die Polizei gerufen wurde.
Meine Klassenkolleg*innen hatten Mitleid mit mir, weil ich jedes Jahr in den Heimaturlaub nach Bosnien gefahren bin, während sie all-inclusive in Fuerteventura waren – heute sind Individualreisen nach Bosnien ein „Geheimtipp“, seit Anna und Lars einmal dort waren. Um beim Sommer zu bleiben: Weiße Menschen, die Skin-Care für sich entdeckt haben, gehen jetzt plötzlich im Burkini an den Strand, um ihre Haut zu schützen, während Hijabis dafür verjagt werden. Und während Muslim*innen im Ramadan vorgeworfen wird, es sei ungesund zu fasten, fliegen Weiße auf „Retreats“, wo sie genau dasselbe machen, und alle klopfen ihnen dafür auf die Schulter. Muslim*innen werden übrigens auch schief angeschaut, wenn sie beten, aber wenn Influencer*innen plötzlich „manifesten“, trendet der Hashtag dazu.
Ich warte ja nur auf den Moment, in dem sie fordern, wir sollen ihnen dankbar dafür sein, diese Praktiken aufgewertet zu haben, anstatt die Doppelmoral dahinter zu erkennen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen