Antisemitismus und die Hamas: Zeit der Ansagen
Linke und Grüne haben muslimische, palästinensische Communitys lange bevormundet. Jetzt ist Zeit für harte, herzliche Worte.
S elbstverständlich ist es rechtsstaatswidrig, Demonstrationen mit palästinabejahendem Inhalt zu verbieten. Sollen sie sich äußern, all die arabischen Einwanderer, Bürger und Bürgerinnen und Flüchtlinge, dass der deutsche Blick auf Israel ein unvollständiger ist, sofern die palästinensische Perspektive nicht beachtet wird. Klar, Hamas-Feiern müssen verboten bleiben, unser Demonstrationsrecht umfasst alle Anliegen, prinzipiell auch solche, die man selbst falsch findet, aber eben nicht die Feier von Terrorismus oder seine Stilisierung zum Freiheitskampf. Wenn also auf der Berliner Sonnenallee, Epizentrum arabischen Lebens in Deutschland seit 2014, Demos stattfinden, die anderen missbehagen, muss das ausgehalten werden: Demokratie ist schließlich keine Schneeflockenversammlung.
Ebenso rechtsstaatswidrig sind alle Allüren aus dem konservativen Spektrum, die Tauglichkeit für die deutsche Staatsangehörigkeit an ein Bekenntnis zu Israel und zum Kampf gegen Antisemitismus zu knüpfen. Davon abgesehen, dass diese Art von Gesinnungs-TÜV von allen Einbürgerungswilligen verlangt werden müsste, am besten auch gleich von allen traditionell Deutschen, wäre eine solche Prüfung antiliberal: Als ob die meisten der aus arabischen Ländern zu uns Geflüchteten nicht vor den gleichen Kräften flohen, wie Israel sie jetzt zu bekämpfen hat.
Aber: Dass das in der Tat ethisch mit gutem Herzenskompass versehene Publikum palästinensische Demos wünscht, die sich solidarisch mit Israel erklären, dass sie sich in den abgeschlachteten Opfern der Hamas-Metzger wiedererkennen, weil es sie als Nächstes treffen könnte, käme diese islamistische Seilschaft auch hierzulande stärker zu Macht und Einfluss, ist selbstverständlich. Doch so sind die Dinge eben nicht, die stille Mehrheit, hofft man, schweigt noch. Und das hat mit einer linken, multikulturell orientierten Politik zu tun, die die Probleme, die mit aus arabischen (vor allem palästinensischen) Gebieten Eingewanderten sich ergeben, notorisch ignoriert und bagatellisiert.
Zum Problem einer ernsthaften Einwanderungs- und Integrationspolitik gehört, hier nur ein paar Facetten, dass Bürgerrechtlerinnen wie Necla Kelek und Seyran Ateş, dass eine in puncto Krieg-gegen-die-Ukraine zwar obszön herzlose, aber in Sachen Islamismus seit der Machtübernahme der Mullahs in Iran 1979 hellwache und klare Alice Schwarzer, dass ein aus einer arabisch-israelischen Familie stammender Ahmad Mansour oder dass ein Islamwissenschaftler wie Ralph Ghadban in unseren Kreisen als „rechts“ abgetan wurden und werden. Dass sie, diese öffentlichen Stimmen, in der Tat im linken Spektrum, auch mit Hilfe der taz, Anlass zu Cancel-Culture-Impulsen geben, aber nicht zu Interesse und Neugier. Sie alle sind in der Vergangenheit faktisch dämonisiert worden: Was sie zu sagen haben, nütze nur den Rechten, so das chronische Abwiegelungsargument.
Menschenrechte statt „Kultur“
Sie alle, mehr oder weniger großen Unterschieden zum Trotz, eint, dass sie auf die muslimisch prägenden Lebensverhältnisse bei uns in Deutschland einen kühlen, in der Regel präzisen Blick werfen – und keine Scheu haben, da, wo „Kultur“ draufsteht, Menschenrechtsverletzungen wahrzunehmen. Anlässe für Kuscheligkeit stiften sie nicht, gut so. Gewalt in den Familien, fehlende Orientierung auf Bildungsaufstiege und bürgerliche Lebensverhältnisse, Appeasement antisemitischen Artikulationen in Moscheen gegenüber – um nur die gröbsten Felder zu benennen.
Stattdessen, so die linke und grüne Dauerübung: Alles ist rassistisch, rechtspopulistisch und antiislamisch. Das kommt einem Zerrbild gleich, selbst wenn man die rechtsradikalen Morde des NSU-Komplexes, die mörderischen Brandschatzungen in Solingen, Mölln und anderswo in Rechnung stellt.
„Nie wieder ist jetzt“ – und das bedeutet auch im Hinblick auf das Sprechen mit und zu den muslimischen (besonders: palästinaaffinen) Communitys: Es ist keine Zeit für Paternalisierungen. Sondern für Ansagen, harte und herzlich gesinnte Klarstellungen. Und die gehen so: Juden und Jüdinnen inklusive ihres aktuell verwundeten Safe Spaces namens Israel liegen uns am Herzen, euch auch. Palästina wie in eurer Phantasie ist nicht mehr. „From the river to the sea …“: vergesst es. Kennen lang eingeborene Deutsche alles längst, die glühenden Konflikte hierzu liegen drei Jahrzehnte zurück: Schlesien ist weg, und Ostpreußen auch. Ihr könnt Rückkehr nach Palästina wünschen, aber lasst es lieber.
Werdet lieber politisch ernstzunehmen!
Was viele von euch wollen, wäre ohne einen Holocaust 2.0 nicht zu haben, es käme einem Massaker in ganz Israel im Stil der Hamas gleich. Mithin: Hier ist jetzt eure Heimat, das muss es ja sein, sonst wäret ihr ja nicht gekommen, also macht was draus. Deutschland ist auch der Platz des Islam, aber nicht des Islamismus. Euer Glaube ist einer unter vielen, ja, einer, der sich allen gesellschaftlichen Platz mit Gottlosen zu teilen hat, friedlich.
Werdet lieber politisch ernstzunehmen. Und das könnte heißen: Für eure Leute in Gebieten wie Neukölln eine entschieden besser ausgestattete Bildungspolitik zu fordern, mehr Wohnungsbau für bessere Lebensverhältnisse. Und zeigt euch von eurer besten Seite, nämlich, indem ihr euch entschieden fernhaltet von jeder Solidarität mit der Hamas. Und lasst euch nichts einreden von gewissen akademischen Kreisen, die euch in den postkolonial-pädagogischen Zwinggriff nehmen, solche wie die, die neulich vor dem Auswärtigen Amt „Free Palestine … from German guilt“ skandierten. Das nämlich atmete verdammt die gleiche Luft, wie sie Rechtsradikale in ihre Lungen pressen, die vom deutschen „Schuldkult“ oder einem „Vogelschiss“ namens Nationalsozialismus sprechen.
Darüber soll nicht geredet werden, weil es Rechten nütze? Nein. Das Schweigen über die echten Probleme unserer (meist arabischen, manchmal noch türkischen) Neubürgerinnen*, das Hinnehmen von Erregungszuständen, die faktisch und unverhüllt der Freude über den Hamas-Terror gleichkommen, nützt den Rechten, dies vor allem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“