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Anschlag in MagdeburgVorsicht mit psychopathologischen Deutungen

Gastkommentar von Aiman A. Mazyek

Der Täter ist ein Terrorist, wegen seiner Tat und nicht wegen seiner Herkunft. Das wird in der aktuellen Debatte mitunter vergessen.

Der Attentäter von Magdeburg ist ganz klar ein Terrorist Foto: Annegret Hilse/reuters

D en niederländischen Rechtspopulist Geert Wilders nannte der Attentäter von Magdeburg einen „wahren Helden“. Nicht ohne Grund also zeigt der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt: Die sogenannte Islamkritikerszene radikalisiert sich zunehmend.

Bei der Einordnung der Tat fehlt allerdings ein wichtiger Aspekt: Der Terrorakt passt zu den rechtsextremistischen, mit islamfeindlichen Motiven verübten Anschlägen sowie zu jenen, die beispielsweise der Norweger Anders Behring Breivik 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya verübt hatte, sowie zum Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 2019.

Und er ähnelt hinsichtlich der Motivation frappierend jenem Terroranschlag von München im Juli 2016, als ein deutsch-iranischer Rechtsextremist aus rassistischen Motiven neun Menschen ermordete. Ebenso zum heimtückischen Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini im Dresdener Landgericht 2009. Auch die Attentäter von Hanau 2020 sowie in Halle 2019 stehen im „terroristisch-verwandtschaftlichem“ Verhältnis zu dem Attentäter von Magdeburg.

Alle Täter haben sich als „Islamkritiker“ und -hasser hervorgetan, alle hatten Verbindungen zur rechten und rechtsextremistischen Szene. Der Attentäter von Magdeburg ist ganz klar ein Terrorist – wegen seiner Tat und ihrer Umsetzung. Er ist aber kein Terrorist, weil er einen muslimischen Hintergrund hat, so wie das Rechtsextreme gern kommentieren. Fast alle Terroristen dürften „einen Hau weghaben“, wie man so schön sagt. Und sie sind gleichzeitig zurechnungsfähig. Es ist also falsch, eine psychopathologische Erklärung – psychisch labil, einsam, unter Drogen stehend – zu bemühen, sobald sich herausstellt, dass der Terrorist ein Islamkritiker, AfD-Fan oder Unterstützer israelischer Extremisten ist.

Terroristen sind in erster Linie Nihilisten, Menschlichkeitsnegierer, die mittels Gewalt und faschistoider Ideologie anderen Menschen die Existenz verweigern. Und sie tummeln sich – leider – in allen Weltanschauungen und Religionen.

[Anm. d. Red.: In einer vorangehenden Version des Textes hieß es, Geert Wilders habe den Attentäter einen „wahren Helden“ genannt. Das ist natürlich falsch. Stattdessen hat der Attentäter Geert Wilders gelobt. Wir haben das korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.]

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46 Kommentare

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  • Der Täter Taleb A. hat zweifellos psychologische und charakterliche Auffälligkeiten gezeigt, z.B. die Selbstbezeichnung als der größte aller Islamkritiker oder sein geplantes Oberlehrerprojekt eines antiislamischen Aufklärungsbuches. Das zeigt schon eine Selbstüberhebung sowie eine Verachtung des gemeinen Volkes, durchaus nicht nur der Muslime.

    Aber darauf setzte dann eine zeitgemäße, neurechte Politik auf, die sich nach einer Phase der Einbürgerung an der AfD, Geert Wilders, Elon Musk und sonstigen neofaschistischen Ideologien orientierte, wobei das vorherige Abstreifen der Religion womöglich eine Art Vorbereitung und Häutung für die neue säkulare faschistoide Identität gewesen ist.

    Letzteres ist das Primäre, das Psychologische ist der sekundäre Faktor.

    Den Analysen des Autors Aiman A. Mazyeck stimme ich darin zu.

  • Das islamophobe Motiv sowie die Nähe zu rechtsextremistischen Ideologemen ist tatsächlich das, was alle im Gastkommentar aufgeführten Terrorakte miteinander verbindet. Da hat Herr Mazyeck vollkommen recht, das kann nicht wegdiskutiert werden.



    Und DAS sollte auch von denjenigen bedacht werden, die meinen, eine akzentuierte Islamkritik (von links) sei notwendig.



    Nebenbei: auch ich halte eine solche Islamkritik weiter für essenziell, allerdings eingebettet in eine allgemeine humanistische und wissenschaftlich orientierte Religions- und Ideologiekritik.



    Wie kann diese Kritik aussehen, OHNE auf der ekligen Schleimspur der Islamhasser und Demokratiefeinde zu kriechen? Frage in die Runde der taz-Foristen.

  • 6G
    676169 (Profil gelöscht)

    Es passiert eine nicht alltäglich Tat. Es folgt ein wildesch Rauschen im Blätterwald. Jeder warnt alle anderen, nicht zu überziehen, nicht zu instrumentalisieren und tut es gerade damit selbst. Dann kehrt bald wieder Ruhe ein und alles geht seinen gewohnten Gang.

    • @676169 (Profil gelöscht):

      Ab dem 24. Februar wird es etwas ruhiger.

  • Der Artikel ist weiterzuempfehlen, er trifft die reaktionäre Dimension dieser Taten genau.



    Jedoch ist die Einordnung der Einzeltäter zum ´echten´ staatsgefährdenden Terrorismus, der Bandenmäßig aufgebaut unzutreffend - Mit schädlichen Folgen für die Gesellschaft.



    Terrorismus ist als Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele definiert. Bei den meisten Einzeltätern scheint es aber, das politische Motive zur Tatrechtfertigung dienen, es also politisch verbrämte Amokläufe sind. Die meisten Amokläufer haben ein reaktionäres Gesellschafts- und Mannesbild, das mit dem Selbstbild kollidiert und zu Selbst- und Gesellschaftshass wird. Kurz gesagt, meistens sind es Incels, die sich zu kurz gekommen und nicht wertgeschätzt fühlen. Kommen dazu noch geistige Störungen, haben wir ein Tat- und Täterkontinuum, das sich vom klassischen Terrorismus ala NSU, RAF oder islamistischer Kaderorganisationen unterscheidet.



    Schutz ist allein durch vorbeugende Maßnahmen möglich, es gibt ja keine im nachhinein aushebbare Terrorzelle,



    Aber statt jedes Mal in Repressionsgesetzaktionismus zu verfallen, müssen wir resilienter werden, denn (Polit)Amokopfer werden ist unwahrscheinlicher als Kuhopfer werden

    • @Euromeyer:

      "meistens sind es Incels, die sich zu kurz gekommen und nicht wertgeschätzt fühlen"

      das mag schon stimmen, ich denke da auch u. a. an den Oklahoma-Bomber. Aber in Deutschland ist es halt symptomatisch, dass bei links-orientierten Gewalttaten viele als ersten Reflex gleich die bolschwistisch-jüdische Weltverschwörung am Werk sehen.

      Rechte Mörder ( zur deren Zahl seit 1990 s. de.wikipedia.org/w...publik_Deutschland



      )



      werden von Naziapologeten aber stets als irregeleitete tragische Einzeltäter etikettiert.

    • @Euromeyer:

      "Aber statt jedes Mal in Repressionsgesetzaktionismus zu verfallen, müssen wir resilienter werden,..." Zur Resilienz gehört meines Erachtens ggf. auch eine gewisse Form der Repression (Abwehrkraft und Immunität) dazu.



      "...denn (Polit)Amokopfer werden ist unwahrscheinlicher als Kuhopfer werden." Für diese Hypothese, die hier nicht einmal statistisch unterlegt ist, werden die Opfer von Magdeburg etc. Ihnen sicherlich dankbar sein.

  • Geert Wilders nannte den Täter einen " wahren Helden"? Dafür hätte ich ja gerne mal einen Beleg. In welchem Zusammenhang soll er das gessgt haben und war das vor oder nach der Tat? Das einzige, was ich dazu im Netz finde ist, das der Täter Wilders so bezeichnete. Sollte Wilders das nicht gesagt haben, grenzt das ja schon an Diffamierung

    • @Christian Deinhart:

      Ja, danke, dass Sie das ansprechen. Da bin ich auch drüber gestolpert. Sollte Hr. Wilders das tatsächlich so gesagt haben, als Vorsitzender einer Partei, die Teile der niederländischen Regierung stellt, dann wäre das Ausgangspunkt für einen diplomatischen Eklat. Für das Zitat hätte ich auch gern einen konkreten Beleg des Autors.

      • @Vigoleis:

        Da ich sonst nirgendwo etwas davon gelesen habe, und so eine Aussage wäre vermutlich sogar Thema in der Tagesschau gewesen, kann ich mir nicht vorstellen, dass er diese Aussage getätigt hat

  • Es ist aber auch falsch psychopathologische Komponenten einer Tat unter den Teppich zu kehren wenn sie mit rechtsextremen Komponenten verbandelt sind.

  • Sorry, aber mit welcher Qualifikation urteilt Herr Mazyek hier über den Geisteszustand des Attentäters von Magdeburg? Es ist richtig, dass nach "normalen" gesellschaftlichen Maßstäben alle Massenmörder und Terroristen "einen Hau weg haben". Aber das schließt keinesfalls aus, dass darüber hinaus eine psychiatrische Störung vorliegt, durch die einer dieser Täter eben NICHT voll zurechtnungsfähig ist. Und gerade bei diesem Mann deutet einiges darauf hin; so hat er offensichtlich unter einem Verfolgungswahn gelitten, der auf eine schwere Persönlichkeitsstörung bzw. psychische Erkrankung hinweist.

    Sicher war er "Islam-Hasser", und teilte auch rechtsextreme Ansichten. Fraglich ist aber, ob dies allein ihn zu dem Attentat bewogen hätte, wenn nicht eine wahnhafte Störung dazu gekommen wäre. Terrorismus-Experten wie Peter R. Neumann zum Beispiel sehen hier weder eine islamistische noch rechtsextreme Ideologie als Haupt-Hintergrund, sondern eine andere Kategorie, welche zwar im UK, nicht aber hierzulande bereits berücksichtigt wird.

    Und nein, der Attentäter von Halle mag auch was gegen den Islam gehabt haben, war aber in erster Linie durch Antisemitismus motiviert.

    • @HarryIX:

      Nun ist es so, dass in der christlich-abendländischen Geschichte Antijudaismus/Antisemitismus und Islamophobie oft genug Hand in Hand gingen.



      Zwei weiterführende Links:



      www.humanistische-...obie-vergleichbar/



      www.bpb.de/themen/...mus-unterscheidet/



      Befeuert durch den schrecklichen Hamas-Terror vom 7.10.2023 in Israel sehen wir hierzulande jedoch eine verzerrte öffentliche Debatte, die Antisemitismus in erster Linie als muslimischen Judenhass liest - und damit wiederum der Islamophobie sowie einer undifferenzierten ideologisch motivierten (rassistischen, rechtsextremistischen) Islamkritik Tür und Tor öffnet.

  • "Terroristen sind in erster Linie Nihilisten, Menschlichkeitsnegierer, die mittels Gewalt und faschistoider Ideologie anderen Menschen die Existenz verweigern."



    Was den Fall aktuell kennzeichnet:



    Ein neuer Täter-Typus offensichtlich, mit einer bisher wenig bekannten - auf neudeutsch "Salatbar-Ideologie" genannten - Versatzstück-Denke und Selbstermächtigungsfantasien mit Fremdtötungsexzess.



    Quelle wdr.de:



    Prof. Peter Neumann, Terrorismus-Experte Kings College London



    Er vergleicht in einem Interview in der Aktuellen Stunde am 23.12. diese Mischung mit psychischen Erkrankungen mit einem Vorfall in München 2016.



    Die Zahl der potentiellen GefährderInnen ist dementsprechend viel höher, als bisher angenommen wird.



    mediendienst-integ...nnte-anschlag.html



    Also sind hier auch Konsequenzen für neue Ermittlungsoptionen und präventive Maßnahmen zwangsläufig ins Kalkül zu ziehen.



    Der Täter Taleb A. war als Facharzt im Maßregelvollzug tätig, ein zusätzlicher Punkt, der zu bewerten sein wird.

    • @Martin Rees:

      Sorry, mein letzter Post war nicht auf Ihren Kommentar bezogen, sondern den von @HarryIX..

  • 1. Dieser Anschlag ähnelt zunächst und völlig augenscheinlich den islamistischen Anschlägen und ist fast deckungsgleich mit dem Anschlag am Breitscheitplatz auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin. ( Was es ja so verwirrend macht)

    2. Der Anschlag eines rechten Iraners in München war gezielt gegen Migranten gerichtet. Damit hatte der Attentäter in Magdeburg (im Bezug auf seiner Wahl des Terrorziels) überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil: auf einem christlichen Weihnachtsmarkt findet man wohl prozentual betrachtet weniger Muslime, als an einem typischen Wochentag in der Magedburger Innenstadt.

    3. Nihilsten sind das Gegenteil von Ideologen. Terroristen sind keine Nihilsten, sondern Überzeugungstäter.

    ...aber Zustimmung zur Überschrift des Artikel. Terroristen sollten nicht vorschnell pathologisiert werden....

  • Bei alledem bin ich mir nicht ganz sicher, ob die früher so generell in Betracht gezogene Sozialisation (und inzwischen irgendwie nicht mehr) nicht eine Rolle spielt hinsichtlich Meinungsfreiheit, Rolle von Religion, patriarchale Zustände eines Landes ... all das könnte ja kombiniert mit psychischen Problemen in der Biographie eines Attentäters durchaus von Bedeutung sein.



    Aber nein, es verbietet sich heutzutage aufgrund von falsch verstandener politischer Korrektheit, solche Aspekte in Betracht zu ziehen



    Der Attentäter hat keine Vorgeschichte zu haben.

    • @cazzimma:

      Seine Vorgeschichte gehört mit Sicherheit dazu.

  • Endlich wird mal versucht, ein differenziertes Bild vom Seelenleben eines Täters zu zeichnen und dann fängt doch wieder jemand an zu nölen.



    Ja, die Motive hinter dieser dieser Strategie sind teilweise fragwürdig. Aber sie verhindert immerhin, dass die selbe arme Sau durchs öffentliche Dorf getrieben wird, wie bei jeder "ausländischen" Straftat. Ein paar Verwirrte demonstrieren gegen Menschenrechte, okay. Manche Leute kippen sich auch bei jeder Gelegenheit einen hinter die Binde, Hauptsache ein Anlass. Das war also zu erwarten. Aber durch das uneinheitliche Bild, das vom Täter in den Medien zirkuliert, sind die Rechten in Erklärungsnot und können den Rest des aufgeklärten Landes nicht vor sich hertreiben.



    Und die traurigen Wahrheiten, die sich offenbaren, können wir zum Anlass nehmen, um uns nicht nur zu empören und Schuld zuzuschreiben, sondern auch mal wieder zu schämen für das, was unser Land stellvertretend für uns tut. Bisher haben wir uns immer für Dinge geschämt, die so lange her sind, dass wir nichts mehr dafür können. Manche wollten das nicht mehr und drifteten ins Nationale ab. Jetzt könnten wir uns für unsere derzeitigen Verbrechen schämen.

  • Die Bezugnahme auf den Islam ist eine bloße Nebelkerze. Würden wir stattdessen von der Verschwörungstheorie eines „großen Austauschs“ durch die „arabische Rasse“ sprechen, würde sich außer der expliziten Einbeziehung der rassistischen Motivation nichts ändern.



    Es geht um „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, hier in ihrer extremsten Form, die unsere liberale (ich meine damit gerade nicht den Marktradikalismus der Lindner-FDP!) Zivilgesellschaft zerstören will. Auch „rechts“ und „links“ helfen da eher nicht weiter.



    Allerdings sind die allermeisten Verkünder der GBMF autoritär bis autokratisch eingestellt und reaktionäre Verfechter des weiß-suprematistischen, kapitalistischen Patriarchats, was eher „rechts“ als „links“ ist. Die gewaltbereiten Anhänger sind in erster Linie junge Männer, oft mit schlechtem Bildungsstand und unterbezahlt bzw. unterbeschäftigt. Genau da schließt sich der Kreis: Islamofaschisten und AgD rekrutieren im gleichen Milieu ihre Leute für die Drecksarbeit!

    • @Zangler:

      "Es geht um „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, hier in ihrer extremsten Form, die unsere liberale (ich meine damit gerade nicht den Marktradikalismus der Lindner-FDP!) Zivilgesellschaft zerstören will. Auch „rechts“ und „links“ helfen da eher nicht weiter."

      Der Attentäter hatte immer wieder Muslime als Feindbild in seinem hasserfüllten säkularen islamkritischen Weltbild.

      Da geht es sehr wohl auch um rechts und links (oft auch jene säkulare Linke, die denkt, die FDP wäre keine liberale Partei) wo sich ebenfalls eine säkulare hyperventilierende Religionskritik findet, in deren Fahrwasser auch solche Attentäter schwimmen.

  • Ich würde es umkehren und sagen: Es ist töricht terroristische Anschläge (egal ob rechtsradikal oder islamistisch) kicht zu pathologisieren.

    Es sind in erster Linie Amokläufe mit politischer Tönung. Aber am Schluss sind es trotzdem Amokläufe. Und wir müssen Wege finden solchen Taten vorzubeugen. Ohne Islamismus oder Rechtsextremismus würden solche Leute eben anderweitig Amoklaufen.

    Ein viel zu wenig diskutierter Punkt ist, dass diese Täter meist Männer sind. Gleichzeitig ist längst bekannt, dass es ein riesiges Defizit bei der psychologischen Betreuung von Männern gibt.

    Natürlich rechtfertigt das diese Verbrechen nicht - aber trotzdem sehe ich in der pathologisierung den einzigen Ansatzpunkt.

    • @Sebomark:

      Dass diese Menschen auch ohne extremistischen Hintergrund Amok laufen würden, können wir nicht wissen.



      Ich vermute sogar, dass es in den meisten Fällen nicht so wäre.



      Einem Amoklauf geht immer voraus, dass Täter die Schuld für ihre eigenen Probleme bei anderen Menschengruppen sehen. Bei psychisch labilen Menschen ist diese Menschengruppe oft im eigenen Umfeld zu finden. (Eigene Schule, eigener Arbeitsplatz usw)



      Bei Terroristen ohne konkreten Organisationsauftrag handelt es sich bei den Opfern um Menschen, die dem Täter nicht im Ansatz persönlich bekannt waren. Der Hass gegen diese Menschen wurde irgendwo aufgebaut.



      Ohne extremistischen Hintergrund kein Hass.



      Ohne Hass kein Terror.



      Die Pathologisierung dieser Täter führt uns von der Lösung weg. (Obwohl wir auch für tatsächliche Amokläufe eine Lösung brauchen)

    • @Sebomark:

      Guter Punkt, der Männlichkeitsfaktor in diesen Akten der Selbstermächtigung und die Männlichkeitskultur gewisser Kulturen (Herkunftsländer) sind so oft der blinde Fleck in derartigen Diskussionen.



      Da will man nicht ran.

      • @cazzimma:

        Ja, auch das wird ein Töpfchen der Salatbar sein.

  • Hier mal food for thought:

    Wenn voll zurechnungsfähige Menschen sich politisch radikalisieren und Terroristen werden, dann sind es fast immer radikale Linke.

    Wenn Geisteskranke mit Wahnvorstellungen, zurechnungsunfähige Menschen usw, sich politisch radikalisieren radikalisieren und Terroristen werden, dann sind es fast immer radikale Rechte.

    Es ist auffallend und man darf es nicht länger wegleugnen, dass Menschen mit "schweren seelischen Abartigkeiten" (wie es das Gesetz nennt) vorhersagbar und nahezu immer nach rechts abdriften.

    Kann und darf eine Demokratie hier noch mit demselben Maß messen?

    Oder ist es vielmehr so, dass Rechtsideologien ein Ausdruck einer latenten oder manifesten Geisteskrankheit sind, und daher stärker bekämpft und auf gar keinen Fall toleriert werden dürfen? Und dass das "Reden mit Rechten" einfach Zeitverschwendung ist?

    Ja, es gibt Ausnahmen. Aber: Der wahnsinnigste Linksideologe aller Zeiten wurde von der Armee des sozialistischen Vietnam gestürzt - nachdem der pathologisch kriminelle rechte US-Präsident Nixon ihn jahrelang unterstützt hatte!

    • @Ajuga:

      "Aber: Der wahnsinnigste Linksideologe aller Zeiten wurde von der Armee des sozialistischen Vietnam gestürzt - nachdem der pathologisch kriminelle rechte US-Präsident Nixon ihn jahrelang unterstützt hatte!"



      b. bpb.de :



      "Das Chaos in der Kriegszeit zwischen 1970 und 1975 führte zu einer massiven Instabilität. Diese nutzten die Roten Khmer unter Pol Pot, um die von den USA unterstützte Regierung Lon Nol zu stürzen und an die Macht zu gelangen. Am 17. April 1975 konnten die Roten Khmer die Hauptstadt Phnom Penh einnehmen. Die Volksrepublik Demokratisches Kampuchea war geboren. Sie sollte bis zum 7. Januar 1979 Bestand haben."



      /



      Bei die presse.com



      "März 1970: Der zur Kur in Frankreich befindliche Prinz Norodom Sihanouk (1941-55 König, dann Regierungschef und seit 1960 Staatschef ohne Krone) wird in einem vom US-Geheimdienst CIA gesteuerten Putsch gestürzt, der pro-amerikanische General Lon Nol übernimmt die Macht. Einmarsch südvietnamesischer Einheiten, das bis dahin neutrale Land wird in den Vietnamkrieg gerissen."



      nd-aktuell.de:



      "Für Nixon und seinen damaligen Nationalen Sicherheitsberater Henry A. Kissinger waren Kambodscha und Laos keine souveränen Staaten, sondern »Zustände«, ..."

    • @Ajuga:

      Ich weiß schon was Sie meinen - halte es aber für völlig falsch. Richtig ist, dass mir diese Betrachtungsweise vor allem eine medial Vermittelte zu sein scheint. Und wenn man es nur nach den Medienbildern beurteilt, dann kommt es einem tatsächlich so vor! Wer eine linksterroristische Tat verübt, wird eigentlich immer als voll zurechnungs- und damit auch als voll schuldfähig betrachtet. Im rechtsterroristischen Raum wird gerne nach Ausreden gesucht: Der Täter war eben -auch- krank und damit auch nicht voll schuldfähig. Was ich da drin erkenne, ist viel eher ein mediales Problem - darin liegt auch ein latentes Verharmlosen rechter Gewalttaten. Ich denke dafür gibt es auch Gründe, das auszuführen sprengt aber 1200 Zeichen deutlich. Um es mal ganz platt zu formulieren: Wenn der Magdeburger Mörder ein gläubiger Moslem oder ein glaubhafter Linker gewesen wäre, dann hätten wir es hier -medial analysiert- wohl eher mit einem Terrorakt und einem voll zurechnungsfähigen Täter zu tun. Ich finde Herr Bax war hier schon auf der richtigen Spur...

      taz.de/Anschlag-in-Magdeburg/!6055399/

      • @Einfach-Jemand:

        Sehe ich auch so und ich wage sogar eine Erklärung, die weniger als 1200 Zeichen lang ist: Ein nicht unerheblicher Teil des sich selbst als "rechts-liberal" verortenden Gesellschaftsegements in Deutschland ist in den letzten Jahren in Wirklichkeit rechts-radikal geworden und übertüncht dies beim sonntäglichen Kaffee mit Phrasen wie "Ach, die Rechten sind ja so primitiv - aber bei den Ausländern und den Moslems haben sie nicht unrecht" (man beachte die feige doppelte Verneinung am Ende).

    • @Ajuga:

      Deiner allgemeinen Wertung kann ich nur wenig abgewinnen und Deinem konkreten Beispiel überhaupt nichts: Pol Pot ebenso wie sein Gegenspieler Lon Nol waren keine Geisteskranken sondern einfach skrupellose Mörder, die mit dem Geld und den Waffen ihrer Hintermänner alle beseitigten, die ihnen nicht passten. Da braucht man keinen Psychiater, um festzustellen: Das Böse muss nicht krank werden, um böse zu werden oder zu sein.

      Umgekehrt heißt das aber auch, dass alle Versuche, solche Taten zu psychologisieren, nichts taugen. Es sollte eigentlich auch ausreichen, das Böse zu bekämpfen, ohne über seine Motive zu raisonnieren - das dann aber rechtzeitig (und genau da hapert's gerade mächtig bei unseren etablierten Demokratiewächtern).

    • @Ajuga:

      "Wenn voll zurechnungsfähige Menschen sich politisch radikalisieren und Terroristen werden, dann sind es fast immer radikale Linke."

      Wie kommen Sie zu der Auffassung, dass die linker Terrorismus immer mit zurechnungsfähigen Menschen gleichzusetzen ist? Mann muss emotional schon klinisch ziemlich daneben sein, wenn man wie die RAF, Geiseln ermordet.

      Was ich da eher beobachte ist ein Unterschied zwischen den allein auftretenden Attentätern und Terrorismus in Gruppen. Pathologische Ansätze sehe ich eher bei den einsamen Wölfen. In Gruppen tauchen zumeist eher "zurechnungsfähige" Menschen auf. Das haben NSU und RAF gemeinsam. Das haben auch Schlägergruppen rechts und links gemeinsam.

    • @Ajuga:

      Sie begehen hier einen logischen Fehlschluss.



      Nur weil alle GeisteskrankenRechts sind (Mal angenommen Ihre Beobachtung stimmt) sind noch lange nicht alle Rechten geisteskrank.



      Mit solchen Fehlschlüssen tun Sie dem Kampf gegenRechts keinen Gefallen.

      • @Herma Huhn:

        Und umgekehrt gilt: Nur weil Rechte aktuell noch zu doof sind, um ihre rechtsterroristische Gesinnung wirkungsvoll zu organisieren, heißt das noch lange nicht, dass sie harmlose Spinner wären (wie die Typen um Prinz Reuß wohl hinreichend bewiesen haben).

    • @Ajuga:

      Für diese kühne Behauptung hätte ich gerne Belege; man missversteht sowohl "Rechtsideologen" (ein unangenehm schwammiger Begriff) als auch Rechtsterroristen, wenn man sie und ihre Anhängerschaft pathologisiert (und das ist ein grundlegendes Problem: die Linke hat sich nie die Mühe gemacht, die Attraktivität rechtsradikaler Vorstellungen zu verstehen und scheitert deshalb auch immer wieder daran, sie zu bekämpfen).



      Was Ihre Anspielung auf Pol Pot angeht: Nixon war bis 74 im Amt, das "Demokratische Kampuchea" wurde 75 ausgerufen und die westliche Unterstützung für die Roten Khmer hat erst nach deren Sturz 79 begonnen. Man kann Nixon (der auch kein klassischer Rechtsideologen war) vieles vorwerfen, aber nicht die Unterstützung Pol Pots.

    • @Ajuga:

      Schwieriges Terrain.



      Auch der "Anarchismus" ist hochsignifikant gewaltbereit in historischen Kontexten konnotiert.



      Es gab einmal den diesbezüglich euphemistisch anmutenden Begriff "Propaganda der Tat".



      Die Person Nixon verbindet sich vielerorts historisch vor allem mit der Haltung zur Wahrung von Interessen ohne Achtung von Menschenrechten u. Demokratie.



      Bei spiegel.de als Quelle:



      "Die CIA-Agenten bestachen Journalisten, unterstützten die größte konservative Zeitung »El Mercurio« und baten die deutsche CDU um Hilfe, die nach CIA-Recherchen »jahrelang die chilenischen Christdemokraten unterstützten«. Die CDU schickte »mehrere hochrangige Vertreter« - die Namen sind in den Dokumenten geschwärzt - nach Santiago."



      Deutschland war auch nicht unbeteiligt.



      Weiter dort:



      "Am 10. September 1973 hatte Nixon sein Ziel erreicht. Chile, von Allendes Wirtschaftspolitik ruiniert, stand vor dem Bürgerkrieg, das Militär beschloß einen Putsch. Die CIA, nicht direkt daran beteiligt, war eingeweiht, auch Allende wußte davon. Alfred Spuhler, Doppelagent des Bundesnachrichtendienstes und der Stasi, hatte die Neuigkeit nach Ost-Berlin gemeldet. Die DDR-Führung ließ Allende über die chilenische KP warnen."

  • Wie der Zufall so will, habe ich mal versucht, das zu lesen, was von den Kommentaren zum Attentat des Rechtsterroristen und Mörders Köhler von 1980 noch zugänglich ist Und siehe da: Auch damals funktionierte der Bauerntrick vom pathologischen Einzeltäter bestens. Und wer ausgerechnet jetzt hier nur darauf besteht, "trotzdem gegen den Islam" eingestellt sein zu dürfen, vor dem sollte man sich in Acht nehmen. Der könnte nämlich als nächstes behaupten, die Linken wären am Rechtsterrorismus schuld.

    • @morrison:

      Das Argument verstehe ich nicht: sie können doch auch gegen die RAF sein, und trotzdem den Kapitalismus ablehnen. Warum soll das beim Islam anders sein?

      • @Emmo:

        Wie heißt es so schön - auf den Kontext kommt es an:

        Wenn ein Hippie oder Öko-Landwirt sich auf seine Scholle zurückzieht, um Antikapitalismus zu betreiben, dann wird den – hoffentlich – niemand der Sympathie für Linksterroristen verdächtigen.

        Wer aber 2 Tage, nachdem die Jeanne d'Arc der Gossenpolitik auf dem Magdeburger Zentralplatz ungehindert ihre Hetzreden loslassen durfte, bei einer Diskussion darüber als allerersten Reflex auf seinen Anti-Islamismus besteht, dann kann und muss man vermuten, dass es mit seinen anderen Reflexen zum Schutz unserer pluralistischen Gesellschaft nicht weit her ist.

    • @morrison:

      Es ist kein Trick, dass es ein Einzeltäter war und das Einzeltäter anders ticken als Terroristen in Gruppen oder gar mit einer großen Fangemeinde im Rücken.

      In der zweiten Hälfte widersprechen Sie sich dann. Sie fordern korrekterweise die Einordnung des Attentäters in rechtsextremen Diskursen ein, wehren sich aber wenn es um die geifernden Religionskritiker geht, dass diese sich auch an die Nase fassen müssen.

      • @Rudolf Fissner:

        Sind Sie eigentlich TAZ-Leser oder tun Sie nur so? Wäre Ersteres der Fall, dann wüssten Sie schon länger

        - wer 1980 ziemlich schnell die Einzeltätertheorie aufbrachte

        - worauf es diesen Herrschaften ankam

        - und wen sie zeitweise sogar anstelle des Mörders und seiner Büchsenspanner verdächtigten (ohne jegliche Beweise je erbracht zu haben)

        Aber klar: Ist eine Legende ("Einzeltäter") erst einmal gestrickt, dann ist sie auch gegen Fakten resistent (wie Umberto Eco einst in seinem Buch Das Foucaultsche Pendel beängstigend beschrieb).

        Klappt ja auch heute noch ganz famos, siehe Halle oder Hanau.

  • Ja, es gibt gewalttätige - und manchmal auch psychisch verwirrte - Antifaschisten. Dennoch darf man gegen den Faschismus sein. Und es gibt gewalttätige - manchmal auch psychisch verwirrte - „Islamhasser“ Dennoch darf man natürlich gegen die Weltanschauung des Islam sein, solange man die Menschen, die Muslim*innen, voller Respekt behandelt. In diesem Artikel werden mir islamkritische Männer und Frauen etwas zu sehr in eine bestimmte Ecke gestellt. Dabei haben wir gerade freiheitlich und demokratisch gesinnten Menschen wie Ahmad Mansour oder Hamed Abdel-Samad so viel zu verdanken!

    • @Friedemann Schäfer:

      Sehe ich auch so.



      Abstufungen müssen berücksichtigt werfen, sonst gibt's nur noch schwarz und weiß.

    • @Friedemann Schäfer:

      Das einzige, was man dem Artikel vorwerfen kann, ist dass er das viel zu weiche Wort Islamkritiker benutzt hat, um einen Islamhasser zu beschreiben.



      Das Wort "Kritiker" wird von vielen "Hassern" benutzt, um ihren eigenen Hass in ein gesellschaftlich akzeptiertes Mäntelchen zu hüllen.



      Diese Selbstzuschreibung sollte man nie übernehmen. Nicht bei Islamhassern, nicht bei Isrealhassern, nicht bei allen anderen Hassern.

      • @Herma Huhn:

        "Das Wort "Kritiker" wird von vielen "Hassern" benutzt, um ihren eigenen Hass in ein gesellschaftlich akzeptiertes Mäntelchen zu hüllen."

        Da fällt mir doch spontan ein schwieliger Herr Dieter N. ein.

    • @Friedemann Schäfer:

      Allerdings!

  • Der Kommentar nennt ein wichtiges Detail: niemand ist qua Herkunft ein Terrorist, sondern wird es erst aufgrund seiner kriminellen Handlungen. Dass diese natürlich auch Elemente einer psychopathologischen Störung in sich tragen können, ist in diesem aktuellen Fall, was man bisher weiss, sicher auch ein Teilaspekt. Das entschuldigt aber keineswegs die faschistoiden und rassistischen Motive, auf die sich der Attentäter beruft. Bei der Anklage, der Verhandlung und einer späteren Verurteilung, wird diese psychische Störung aber sicherlich mit einfließen.