Anklage wegen fahrlässiger Tötung: Mitarbeiterin bringt Corona-Tod
Gegen eine Frau, die Bewohner eines Hildesheimer Seniorenheims mit dem Coronavirus infiziert hatte, wird Anklage erhoben. Mehrere Betroffene starben.
Aus Sicht der Ermittler steht fest, dass die ungeimpfte – und bei der Arbeit als Impfgegnerin bekannte – Beschuldigte ihren Vorgesetzten einen gefälschten Impfpass vorgelegt, trotz einer eigenen Covid-Infektion weitergearbeitet und das Virus so ins Heim getragen hatte.
Ende November des vergangenen Jahres soll die Frau der Heimleitung telefonisch mitgeteilt haben, dass ihr im selben Haushalt lebender Sohn an dem Coronavirus erkrankt sei. Nur aufgrund des falschen Impfzertifikats, das eine zweifache Impfung bescheinigte, sei ihr eine weitere Tätigkeit als sogenannte Alltagsbegleiterin in dem Heim erlaubt worden. Wäre dem Arbeitgeber bekannt gewesen, dass die Angeklagte nicht geimpft war, hätte sie ihren Dienst nicht antreten dürfen und sich in Quarantäne begeben müssen.
Spätestens drei Tage später soll die Angeschuldigte bereits selbst mit dem Coronavirus infiziert gewesen sein und einen Kollegen bei einer Kaffeepause angesteckt haben, so die Hildesheimer Staatsanwältin Christina Wotschke. Dieser Arbeitskollege habe seinen Dienst bis Anfang Dezember fortgesetzt, ohne von seiner Infektion zu wissen.
14 Menschen indirekt angesteckt
An den folgenden Tagen wurden in dem Heim drei weitere Ansteckungen beim Pflege- und Reinigungspersonal und elf Ansteckungen unter den Bewohnern festgestellt. Die Infektionen sollen laut Staatsanwaltschaft zumindest „mittelbar“, also indirekt, durch die Angeschuldigte verursacht worden sein.
Unter den mit Covid Infizierten waren eine 93-Jährige, eine 85-Jährige und eine 80-Jährige. Alle drei Bewohnerinnen verstarben in der Folgezeit, wobei die rechtsmedizinischen Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangten, dass die Corona-Infektion bei der 80-Jährigen todesursächlich gewesen sein soll. Bei den beiden anderen Frauen seien andere Ursachen nicht auszuschließen, hieß es.
Die Staatsanwaltschaft wirft der 45-Jährigen vor, sie hätte erkennen müssen, dass sie sich durch engen Kontakt mit infizierten Personen auch selbst infizieren könnte – so wie es dann ja auch passierte. Zudem habe sie gewusst, dass einige Heimbewohner gesundheitlich beeinträchtigt waren und Vorerkrankungen hatten. Dass sie sich durch ihr Verhalten möglicherweise infizieren und an Corona sterben könnten, hätte der Frau aus Sicht der Staatsanwaltschaft klar sein müssen.
Vorgesetzte prüfen Impfausweis
Die beschuldigte Frau hatte sich erst später selbst krankgemeldet, laut Ermittlungen vier Tage nach dem ersten Anruf. Das war am 30. November. Eine Woche später habe sie telefonisch ihrem Arbeitgeber mitgeteilt, dass ihr ebenfalls an Corona erkrankter Lebensgefährte wegen eines schweren Verlaufs ins Krankenhaus gebracht worden sei. Im Verlauf dieses Telefongesprächs habe der Vorgesetzte die Mitarbeiterin daran erinnert, ihren Impfausweis vorzulegen.
Diese soll daraufhin per Handy ein Foto des – gefälschten – Zertifikats geschickt haben. Eine spätere Durchsuchung und Auswertung des sichergestellten Mobiltelefons der Angeschuldigten habe dies bestätigt, sagt Staatsanwältin Wotschke. Auch gegenüber dem örtlichen Gesundheitsamt soll die Frau auf ihre angebliche Doppelimpfung verwiesen haben.
Da die Angeschuldigte bei ihren Vorgesetzten bereits als Impfgegnerin bekannt war, holten diese Informationen über den auf dem Zertifikat angegebenen Impftermin und die Chargennummern der vermeintlichen Impfdosen ein. Daraus ergab sich, dass es sich bei dem Dokument um eine Fälschung handelte.
Am 10. Dezember stellte die Heimleitung die Mitarbeiterin daraufhin vom Dienst frei und erstattete Strafanzeige wegen Urkundenfälschung. Die Ermittlungen in dieser Sache laufen laut Staatsanwaltschaft in einem gesonderten Verfahren. Die Beschuldigte habe die Nutzung eines gefälschten Ausweises auch eingeräumt, sich zu den weiteren Vorwürfen jedoch nicht geäußert.
Proben belegen ihre Schuld
Dass die frühere Mitarbeiterin für den Corona-Ausbruch in dem Pflegeheim verantwortlich ist, schließt die Staatsanwaltschaft aus Laboruntersuchungen: Ermittler hatten PCR-Abstriche der verstorbenen Bewohnerinnen, der Beschuldigten und ihres inzwischen verstorbenen Lebensgefährten gesichert und zur Analyse und einer sogenannten Genomsequenzierung an unterschiedliche Labore übersandt.
Allerdings wurde die Probe der Beschuldigten in einem der Labore versehentlich vernichtet, wie die Hildesheimer Allgemeine Zeitung berichtete. Dennoch glaubt die Staatsanwaltschaft aufgrund der Analyse der weiteren, noch erhaltenen Proben einen kausalen Zusammenhang belegen zu können.
Die bei den Verstorbenen identifizierten Virusdaten hätten mit denen des gestorbenen Partners der Angeklagten übereingestimmt. Weil der Mann in dem betreffenden Zeitraum aber nicht in dem Altenheim gewesen sei, müsse die 45-Jährige verantwortlich sein und das Virus in die Einrichtung getragen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen