Agrarunternehmer über Bauerndemos: „Protest in die falsche Richtung“
Sein Biohof beteilige sich nicht an den Bauerndemos, sagt Agrarunternehmer Bernhard Weßling. Denn diese würden sich gegen nötigen Umweltschutz richten.
wochentaz: Herr Weßling, der Bauernverband will in den kommenden Tagen „nadelstichartige“ Aktionen organisieren, weil der Haushaltsausschuss des Bundestags zugestimmt hat, die Subvention für Agrardiesel zu streichen. Warum macht Ihr Hof da nicht mit?
Bernhard Weßling: Weil die Proteste in eine vollkommen falsche Richtung gehen. Für den Bauernverband ist die Frage der Rückerstattung der Dieselsteuer nur ein Aufhänger dafür, die sowieso nur geringfügige Erhöhung der Umweltstandards zurückzudrehen. Das ist bei der „Wir haben es satt“-Demo am Samstag in Berlin ganz anders.
Was halten Sie von der Subvention von Diesel für Traktoren?
Gar nichts, denn sie subventioniert einen klimaschädlichen Kraftstoff. Auch wir in der Landwirtschaft müssen noch stärker darauf achten, mit möglichst wenig Diesel auszukommen.
Wie denn?
Mittelfristig sicherlich auch durch Elektrotrecker. Dass es die noch nicht gibt, ist nicht unsere Schuld. Wenn die Agrardieselsubvention wegfällt, steigen die Anreize, solche Alternativen zu entwickeln.
Aber das wird doch noch Jahre dauern.
Ja, so lange müssen wir mit Diesel arbeiten. Man kann möglicherweise sparen, indem man Fahrten besser organisiert.
Der 72-jährige promovierte Chemiker ist einer von drei geschäftsführenden Gesellschaftern des Kattendorfer Hofs 25 Kilometer nördlich von Hamburg.
Die grüne Umweltministerin Steffi Lemke zeigt sich jetzt offen für Biodiesel aus Pflanzen als Alternative. Er könnte steuerlich begünstigt werden. Eine gute Idee?
Da bin ich 100 Prozent dagegen. Das ist erstens eine Verschleuderung von Lebensmitteln und Verschwendung von knapper Ackerfläche. Und zweitens ist das mit Blick auf die Energieeffizienz alles andere als nachhaltig.
Wie viel Dieselsteuer wird Ihrem Hof jedes Jahr erstattet?
11.000 Euro. Bei einem Umsatz von ungefähr 1,7 Millionen Euro.
Bedroht es die Existenz Ihres Betriebs, dass die Subvention wegfällt?
Nein. Die meisten Bauern benötigen das nicht, um existieren zu können. Für die wenigen, bei denen das anders ist, sollte man eine zeitlich begrenzte oder alle zwei, drei Jahre zu überprüfende Härtefallregelung einführen. Aber unser Hof ist trotzdem in seiner Existenz bedroht, weil uns – beginnend mit dem Ukrainekrieg und dem Anstieg der Inflation – Kunden verloren gegangen sind. Manche kaufen jetzt nicht mehr unsere Biolebensmittel, die teurer sind als konventionelle.
Wie lässt sich die Position von umweltfreundlicheren Höfen stärken?
Am liebsten natürlich über faire Lebensmittelpreise, die honorieren, dass wir die Bodenfruchtbarkeit, die Biodiversität und die Grundwasserqualität verbessern. Aber solche Preise sind utopisch. Deshalb müssen die Agrarsubventionen anders verteilt werden. Die Landwirtschaft sollte nicht wie bisher über den Diesel und vor allem die Fläche gefördert werden, sondern über ökologische Leistungen. Der Bauernverband muss endlich aufhören, so eine Reform zu verhindern.
Wofür konkret sollte es Geld geben?
Etwa für das Anlegen von Blühstreifen. Dort können sich Insekten entwickeln. Oder dafür, dass die Äcker kleinteilig sind. Wir haben schmale Ackerstreifen von normalerweise 4,9 Hektar. Diese Kleinteiligkeit ermöglicht zusammen mit einer sechsjährigen Fruchtfolge eine große Artenvielfalt. Wenn Sie bei uns im Frühjahr und Sommer durch die Äcker gehen, sehen Sie Vögel wie in einem Naturschutzgebiet. Dafür bekommen wir schon eine geringfügige Förderung, aber der Umfang muss viel größer werden.
Agrarminister Cem Özdemir von den Grünen will eine Tierwohlabgabe oder -steuer auf Fleisch durchsetzen. Damit könnten die Bauern eine tierfreundlichere Haltung finanzieren. Wie sehen Sie das?
Das ist ein interessanter Ansatz. Das Geld würde den Bauern den Umbau der Tierhaltung in Richtung mehr Tierwohl ermöglichen. Das hat die Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen CDU-Landwirtschaftsministers Jochen Borchert ja schon vor vier Jahren vorgeschlagen.
Dann müssten die Verbraucher aber mehr bezahlen.
Beim Tierwohl-Cent reden wir ja nur über zum Beispiel 40 Cent Aufschlag für das Kilogramm Schweinefleisch. Aber grundsätzlich: Wir sind in Deutschland am Ende von Europa, was den Anteil der Lebensmittelkosten an den monatlichen Haushaltsausgaben betrifft. In Italien und Frankreich etwa ist er viel höher.
Ist das sozial?
Das ist wieder eine andere Frage, wie man einen sozialen Ausgleich macht. Aber ganz bestimmt doch nicht dadurch, dass die Bauern keine fairen Preise bekommen, nur weil es auch einen Anteil von 10 bis 15 Prozent der Menschen gibt, die höhere Lebensmittelpreise nicht bezahlen könnten. Warum sollen die Bauern, wie es auf den Plakaten steht, ruiniert werden, damit Aldi, Rewe und Konsorten Discounterpreise erpressen können und dann riesige Landwirtschaftsindustrie-Firmen unsere Böden kaputt machen, damit die Lebensmittelpreise für alle niedrig sind? Wie kann das nachhaltig sein?
Was können die Bauern selbst tun, damit sie bessere Preise für ihre Produkte bekommen?
Wir produzieren auf unseren 450 Hektar außer Obst und Eiern quasi alles, was man zum Leben braucht. Das vertreiben wir zu nahezu 100 Prozent direkt an Konsumenten. Erstens über den Weg der solidarischen Landwirtschaft. Das heißt, wir haben etliche Mitgliedergruppen, die einen sogenannten Ernteanteil abonnieren. Dafür können sie sich dann jede Woche aus Lagern, die wir befüllen, ihre Lebensmittel abholen. Der zweite Weg ist: Wir haben sieben eigene Hofläden, fünf davon in Hamburg. Das sehen wir auch als eine strategische Möglichkeit für kleine oder mittelgroße Bauern, sich unabhängig vom Großhandel zu machen. Dadurch bekommen wir die Marge, die sonst der Handel kassiert. Wir halten nichts davon, auf den Großhandel und die Discounterketten zu schimpfen, wenn man eben stattdessen selbst vermarkten könnte.
Können das nur Betriebe machen, die große Städte in der Nähe haben?
Das sind schon eine ganze Menge. Es sollen auch die Betriebe machen, die nah an kleinen Städten mit zum Beispiel 30.000 Einwohnern liegen. Da wird man vielleicht nicht alle seine Produkte vertreiben können, aber vielleicht ein Drittel. Und wenn ein Hof nicht alle Lebensmittel anbieten kann, könnte er sich mit Nachbarn zusammentun, vielleicht auch als Vertriebsgenossenschaft.
Ihr Betrieb ist für schleswig-holsteinische Verhältnisse ziemlich groß. Das mögen viele nicht, oder?
Wir sind in jeder Hinsicht schon eher ein großer Betrieb, aber nicht zu vergleichen mit industriellen, die beispielsweise 5000 Hektar haben. Wir betreiben Ackerbau und Viehzucht auf 450 Hektar, aber alles ist Pachtland. Uns gehört das Land nicht. So gesehen sind wir auch wieder ein Kleinbauer. Denn was machen wir, wenn die im Durchschnitt auf 20 Jahre befristeten Pachtverträge nicht verlängert werden?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“