Gaza-Hilfsschiff „Madleen“: Passionaria mit Palästinensertuch
Israel will die EU-Abgeordnete Rima Hassan bis Freitag abschieben. Noch ist sie in Haft. In Frankreich ist sie eine Ikone der Palästina-Solidarität.

Die Hälfte der zwölf Mitglieder des Hilfsschiffs „Madleen“, das Israel am Montag vor seiner Küste gekapert hat, waren französische Staatsbürger. Vier von ihnen haben sich geweigert, eine Schulderklärung zu unterzeichnen, um, wie Greta Thunberg, umgehend abgeschoben zu werden. Zu ihnen gehört die 32-jährige EU-Parlamentsabgeordnete Rima Hassan der linken Partei „La France Insoumise“, sie kam deshalb in Israel in Haft. Am Donnerstag meldete sie sich wieder auf X und Instagram zurück: sie sei frei, schrieb sie, und rief zu einer Kundgebung am Abend in Paris auf.
In Frankreich ist Rima Hassan eine Ikone der Solidarität mit Palästina. Zehntausende demonstrierten schon am Montag in mehreren Städten für ihre Freilassung. Die Regierung in Paris dagegen rührt (bisher) keinen Finger für sie. Trotz ihres parlamentarischen Mandats kann Rima Hassan nicht mit besonderer Nachsicht der israelischen Behörden rechnen. Im Februar wurde ihr die Einreise nach Israel im Rahmen einer EU-Parlamentarierreise verweigert. Nun ist sie unfreiwillig dort, statt in Gaza.
Rima Hassan ist bekannt dafür, kompromisslos für die Rechte ihrer palästinensischen Landsleute einzutreten. Dafür wird sie heftig attackiert und verunglimpft, doch das scheint sie in ihrem Kampf nur noch zu bestärken. Niemand sonst in Frankreich verkörpert die propalästinensische Solidarität wie sie. Bei jedem öffentlichen Auftritt, ob Demo oder Solidaritätsveranstaltung, trägt sie die schwarzweiße Kufiya, das Palästinensertuch, wie eine Fahne um die Schultern. Die französische Humoristin Sophia Aram nannte sie deswegen „Lady Gaza“. Was hämisch tönen sollte, dürfte sie eher ehren. Auf die Frage nach ihrer Zugehörigkeit bezeichnet sie sich nicht als französisch-palästinensische Doppelbürgerin, sondern nennt (in einem der wenigen Interviews mit Le Monde) drei Identitäten: „Geflüchtete, Palästinenserin und meine Klassenzugehörigkeit“. Auf die Frage, wo sie geboren wurde, antwortete sie: „im Zorn“.
Kein Vergessen, kein Verzeihen
Rima Hassan kam 1992 in Syrien im Flüchtlingslager Nayrab im Süden von Aleppo auf die Welt. Die Dörfer, aus denen ihre Großeltern nach 1948 wie 700 000 andere Palästinenser vertrieben wurden, sind heute Teil des israelischen Staatsgebiets. Mit neun Jahren reiste sie zu ihrer bereits in Niort im französischen Exil lebenden Mutter. Vom Schicksal ihrer Familie und von Flüchtlingsleben kann und will sie nichts vergessen oder verzeihen.
Während mehreren Jahren arbeitete Hassan für die französische Asylbehörde OFPRA. Ihr Jurastudium schloss sie 2015 an der Pariser Sorbonne mit einer Masterarbeit, in der sie die Apartheid in Südafrika mit der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete verglich. Der Kampf für die Rechte der Vertriebenen und im Speziellen der Palästinenser*innen wurde ihr in die Wiege gelegt. Ihre Mutter war in der Association France Palestine Solidarité aktiv. Von ihr hat Rima Hassan den Zorn und den Wunsch nach Revanche geerbt.
Zwar verurteilte Rima Hassan die Massaker vom 7. Oktober als Kriegsverbrechen. Sie findet aber auch, dass die Hamas nicht auf eine Terroristengruppe reduziert werden könne, sondern auch eine legitime politische Bewegung sei, zumal sie an Wahlen teilgenommen hat. Dies legten ihr manche als Apologie oder Verharmlosung von Terrorismus an. Dass sie Israel eine „Monstrosität“ nennt und nicht mehr an eine Zweistaatenlösung glaubt, wird ihr als „krasser Antisemitismus“ angelastet.
Diese Vorwürfe empören sie: „Mit welchem Recht könnte ich dem jüdischen Volk das Recht auf eine nationale Zuflucht absprechen, die es nach der Vernichtung von sechs Millionen Juden (im Holocaust) schützt“, sagte sie der Zeitung Le Monde zur Frage nach dem Existenzrecht Israels. Doch das „Rima-Hassan-Bashing“ gehört in manchen Kreisen längst zum guten Ton. Für jene, die wie ihre Partei „La France insoumise“ von einem Genozid in Gaza sprechen, ist sie dagegen die Passionaria mit Palästinensertuch.
Anmerkung: In einer früheren Fassung hieß es, Rima Hassan käme vorassichtlich am Freitag frei. Am Donnerstag, den 12. Juni um 15 Uhr haben wir aktualisiert, dass sie inzwischen offenbar freigelassen wurde und noch am Abend in Paris eintreffen sollte. Auf X rief sie zu einer Kundgebung am gleichen Abend auf.
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