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§ 218 gilt weiterDie Debatte ist nicht beendet!

Dinah Riese
Kommentar von Dinah Riese

Es gab eine Chance, Abtreibungen zu legalisieren. Union und FDP haben das verhindert. Der Bundestag hinkt der Gesellschaft hinterher. Aber der Kampf geht weiter.

Die In­itia­to­r:in­nen der Projektion sind „Repro Uncensored“ und das „Bündnis für Sexuelle Selbstbestimmung“ Foto: Saskia Schramm

E s hätte ein historischer Moment werden können. Noch kurz vor der Wahl hätte der Bundestag Schluss machen können damit, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland eine Straftat sind. Aber Union und FDP haben eine Abstimmung blockiert. Im Plenum wäre eine Mehrheit möglich gewesen. Dafür hätte sich nur eine Handvoll Abgeordneter aus der FDP darauf besinnen müssen, was Liberalismus bedeutet. Im nächsten Bundestag werden die Mehrheiten höchstwahrscheinlich andere sein. Doch die Union sollte sich gefasst machen: Sie wird nicht darum herumkommen, sich mit Frauenrechten zu befassen.

Mehr als 150 Jahre ist der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch, der Abtreibungen kriminalisiert, nun alt. Und seit 30 Jahren gilt er in seiner heutigen Form: Abtreibungen sind rechtswidrig und unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Die Botschaft an Schwangere und Ärz­t*in­nen lautet: Was ihr tut, ist unrecht und gesellschaftlich geächtet. Mit der Realität hat das nichts zu tun. Union und FDP beschwören eine gesellschaftliche Polarisierung, wo keine ist. Das Gegenteil ist der Fall: 80 Prozent der Gesellschaft sind für legale Abbrüche. Selbst Uni­ons­wäh­le­r*in­nen oder Chris­t*in­nen sehen das so. Eine aktuelle Untersuchung bringt es gut auf den Punkt: „Gesellschaftliche ‚Mehrheiten‘, die sich gegen die Neuregelung aussprechen, bestehen lediglich innerhalb der Gruppe der über 60-jährigen Ka­tho­li­k*in­nen in Süddeutschland.“

Jahrzehntelang hat dieses Land sich mit einem völlig unzureichenden rechtlichen Konstrukt begnügt. Selbst feministische Po­li­ti­ke­r*in­nen haben sich lange nicht getraut, vehement das Ende von Paragraf 218 zu fordern. Zu groß war die Sorge, dass es am Ende eine Verschlechterung gibt statt eine Verbesserung.

Jetzt ist klar: Der Wille zur Veränderung ist da. Notwendig ist diese allemal, die Versorgungslage hierzulande ist schlecht. Anders als noch vor wenigen Jahren ist das jetzt wissenschaftlich belegt. Der Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen ist Teil der Menschenrechte von Frauen. Regelmäßig wird Deutschland von der UN für seine Rechtslage gerügt. Das grundsätzliche Abtreibungsverbot ist aus „völker-, verfassungs- und europarechtlicher Perspektive“ nicht haltbar – so die klare Aussage der Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on.

Es gibt einen Gesetzentwurf, der einen konkreten Vorschlag macht, wie es anders gehen könnte. Und nach Jahren der Stille gibt es jetzt eine laute Debatte, die nicht wieder verstummen wird. Das sind die Fakten, auch, wenn Union und FDP es gerne anders hätten. Das Ende des Gesetzentwurfs ist nicht das Ende der Debatte. Dafür werden Fe­mi­nis­t*in­nen sorgen.

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Dinah Riese
Ressortleiterin Inland
leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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13 Kommentare

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  • Ja, die Diskussion wird weitergehen, und weiter werden beide radikalen Extremseiten so tun, als gäbe es die Hauptargumente der Gegenseite nicht. Frau v. Storch bringt das Wort "Selbstbestimmung" nicht über die Lippen, und Frau Mauws, Frau Regge oder Frau Riese werden es weiter schaffen, ellenlange Texte zu dem Thema zu schreiben, ohne auch nur mit einem Wort auf das Phänomen "werdendes Leben" zu sprechen zu kommen (man könnte auch gleich warten, bis Sahra Wagenknecht das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung anerkennt). Die gefühlte Mehrheit will legalisieren, macht sich nicht klar, dass das längst passiert ist, nur halt mit Einschränkungen, und kann doch nicht umhin zu realisieren, dass sie an der Urne gar nicht die Mehrheit ist, quittiert das dann mit Durchhalteparolen.

    So wird's nix.

  • "Das Ende des Gesetzentwurfs ist nicht das Ende der Debatte. Dafür werden Fe­mi­nis­t*in­nen sorgen."

    Und wenn man dann wieder in Karlsruhe scheitert, so wie beim letzten Mal, hat man viel gesellschaftliche Spaltung betrieben, und nichts gewonnen. An Überlegungen zur Menschenwürde ändert nämlich eine gesellschaftliche Mehrheit nichts. Selbst, wenn jede*r einzelne Bürger*in in Deutschland außerhalb des Bundesverfassungsgerichtes für eine Änderung wäre, würde dies nichts an dessen Rechtsprechung ändern.

  • Die SPD möchte keine Mehrheit für Frauenrechte, weil sie Angst hat, dass die AfD auch dafür stimmen könnte. CDU und FDP sind daran schuld, sagt die taz.

    Naja, Prioritäten halt. Frauenrechte sind halt nicht allen so wichtig wie Parteienproporz.

  • Auch Sie vergessen hier, oder eher verschweigen, dass das Verfassungsgericht klare Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch getroffen hat. Das wird auch jetzt nicht anders sein. Die Verfassung hat sich dahingehend nicht geändert. Egal ob das Gesetz durchgekommen wäre, vor dem Verfassungsgericht wäre es kassiert worden.



    Das Verfassungsgericht kennt keinen veränderten Zeitgeist, denn eben genau dafür wurden die Hürden in der Verfassung so hoch gesetzt, damit diese vor dem Zeitgeist geschützt wird.

    Nur weil der Zeitgeist momentan Anti-Asyl ist, wird das Asylrecht ja auch nicht aufgehoben.

    Dieses Gesetz und auch generell das Anliegen wird nie durch kommen, weil es immer das Lebensrecht des Fötus vergisst. Egal wie man das nun findet.

  • "Und seit 30 Jahren gilt er in seiner heutigen Form: Abtreibungen sind rechtswidrig und unter bestimmten Voraussetzungen straffrei."

    Auch wenn diese Behauptung überall gerne erzählt wird, wird sie dadurch nicht richtig. Abtreibungen sind unter bestimmten Voraussetzungen schlichtweg nicht rechtswidrig, weil sie keine Tathandlung im Sinne einer verbotenen Abtreibung darstellen.

    Und auch die Behauptung, ein grundsätzliches Abtreibungsverbot sei aus "völker-, verfassungs- und europarechtlicher Perspektive“ nicht haltbar, ist falsch. Es gibt keinen Völkervertrag, aus dem sich ein Abtreibungsrecht ergibt, die jetzige Regelung geht auf das Verfassungsgericht zurück (und seither hat es keine wesentliche Änderung gegeben) uns auch das Europarecht sieht keine Abtreibungserlaubnis vor (hierfür wäre die EU schlichtweg auch nicht zuständig).

  • Ich kann es langsam nicht mehr Links und Rechts beruft sich auf schlechte Umfragen oder schlecht gemachten Studien, bzw. Studien die im Fazit schreiben, dass die Methode vllt nicht geeignet war und weitere Untersuchungen folgen müssen. Lesen tut das freilich niemand, weder Links noch Rechts, es passt einfach zum eigene Weltbild und um das durchzuse



    durchzusetzen sind alle Mittel recht. Das hört nicht bei Medien und social Media auf, auch Gewalt ist ein probates Mittel, wenn es von den richtigen gegen die falschen geht.



    Sachlichkeit ist nicht gefragt, emotion ist wichtig, da lässt man auch gerne Infos weg. Und obwohl man es besser weiß, bleibt man stur dabei.

    Ob man so sein Ziel besser erreicht bei einer Bevölkerung die Mehrheitlich ähnlich tickt ist zumindest in meinen Augen fraglich.

  • "Es gab eine Chance, Abtreibungen zu legalisieren. Union und FDP haben das verhindert."



    Ich sehe das anders. SPD, Grüne und Linke haben es schlicht verpasst sich eine parlamentarische Mehrheit zu beschaffen.



    Nach der sturen Blockade von rot und grün zuletzt und den verbal teils völlig überzogenen Schmähungen gegen Merz muss sich keiner wundern das die Union sich heute quergestellt hat.



    Und die FDP hat die wenig staatsmännische Entlassung Lindners inklusive dem medialen Nachtreten Scholz' sicher auch noch vergessen.



    Beides kann man absolut berechtigt finden - beides war aber politisch ziemlich unklug wenn man keine parlamentarische Mehrheit hat und auf Zustimmung anderer angewiesen ist 🤷‍♂️



    Es spiegelt sich zum Abschluss der gescheiterten Ampel einmal mehr, das Rot und Grün nicht sonderlich gut strategisch Ziele verfolgen und durchsetzen können - das ist leider der rote Faden der sich durch die kompletten 3 Jahre Ampel zog

  • So ein wichtiges Thema sollte nicht durch den Bundestag durchgewunken werden, sondern braucht die breite Diskussion

    • @NorbertKa:

      Breiter geht's doch kaum noch - vor allem wenn man den Riesengraben zwischen den Diskutanten mit dazuzählt. Es ist ein klassisches Heißredethema. Das BVerfG hat 1993 das einzig richtige gemacht, sich einen Kompromiss einfallen lassen, und dann entspannt zugeschaut, wie beide Seiten sich darüber die Haare raufen.

    • @NorbertKa:

      Das sehe ich genauso. Ich habe aber Zweifel daran, ob man durch diese "breite Diskussion" zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich etwas gewinnt.

  • Wer hätte gedacht, dass frauenfeindliche Parteien frauenfeindliche Politik machen? Alles, was ich sonst noch zu dieser Entscheidung zu sagen hätte, wäre justiziabel. Ein Lied von den Prinzen passt jedenfalls ziemlich gut.

    • @Minelle:

      So hat jeder seine Meinung.



      Ich bin eine Frau und definitiv keine Abtreibungsgegnerin UND ich finde es gut, dass es keine Veränderung gibt.

  • Gerade die, welche die Freiheit politisch und in "Sonntagsreden" vor sich hertragen, haben sie heute mal wieder verhindert. Scheinbar wirken auch bei diesem Thema bei beiden Parteien und deren Vertretern nur die patriarchen Machtinstinkte.