Studie Jugend und Politik: Von wegen undankbares Pack

Kinder und Jugendliche hegen keine Hoffnungen, Einfluss auf gesellschaftliche Entscheidungen nehmen zu können. Daran muss sich schnell etwas ändern.

Jugendliche auf Mauer sitzend, Beine baumeln in der Luft

Über die Mauer kommen – das wäre schon was Foto: Gleiser/neuebildanstalt/plainpicture

Eine Wand, so glatt, dass es unmöglich scheint, an ihr hochzuklettern. Sie schluckt jedes Geräusch, kein Rufen, kein Schreien kann hindurchdringen. Immer wieder wird versucht, über sie drüberzukommen, sie zum Einsturz zu bringen, sich irgendwie auf der anderen Seite bemerkbar zu machen. Doch trotz großer Kraftanstrengung gelingt das nicht oder nur in Ansätzen; und das ist ein komisches Gefühl, ein Gefühl der Machtlosigkeit.

So oder so ähnlich empfinden offenbar zwei Drittel aller Jugendlichen in Deutschland: völlige Machtlosigkeit. In einer von der Bepanthen-Kinderförderung in Auftrag gegebenen repräsentativen Studie, durchgeführt von der Universität Bielefeld, gaben 78 Prozent der befragten 12- bis 16-Jährigen an, keinen Einfluss darauf zu haben, was die Regierung macht. Rund 72 Prozent der Befragten stimmten außerdem der Aussage zu, dass sich Po­li­ti­ke­r:in­nen in Deutschland kaum darum kümmern, was Jugendliche denken.

Undankbares Pack! Jetzt darf man schon ab 16 wählen, die politischen Beteiligungsmöglichkeiten in Deutschland sind größer als je zuvor, trotzdem fühlen sich Jugendliche machtlos? Nun ja. Die Studienergebnisse sind vor dem Hintergrund der Jugendpolitik der vergangenen Jahre nicht überraschend. So beschränkten sich viele Po­li­ti­ke­r:in­nen auf lustige Promo-Aktionen, während ernsthafte Probleme von jungen Menschen stets freundlich weggelächelt wurden. Kevin Kühnert etwa, der im Europawahlkampf Döner für 3 Euro verteilte, oder Olaf Scholz, der endlich das tiefe Bedürfnis aller Jugendlichen stillte, indem er das Geheimnis um seine Aktentasche lüftete. „Jugendliche ansprechen“ war auf den Checklisten der Po­li­ti­ke­r:in­nen damit erst mal abgehakt.

Dabei ist die Liste der politischen Verfehlungen der letzten Jahre lang: Junge Menschen während der Coronapandemie – vergessen, Klimakrise – war da was?, sichere Rente – haha. Wer bei den Ergebnissen an wohlstandsverwahrloste Jugendliche denkt, könnte falscher nicht liegen. Denn die Studie zeigt: Besonders ungerecht wird die Welt von jungen Menschen empfunden, die aus finanziell schwachen Haushalten kommen. Gerade diese Gruppe scheint das starke Empfinden zu haben, nicht zu politischen Entscheidungsträgern durchdringen zu können.

Abgeschotteter Betrieb

Klar: Wenn die geplante Kindergrundsicherung durch ewiges politisches Gerangel nicht zustande kommt – unter der Einführung würden voraussichtlich ohnehin vor allem Alleinerziehende und Asyl­be­wer­be­r:in­nen leiden – und die Erhöhung des BAföG-Satzes weitgehend ausbleibt, muss sich niemand über das Ungerechtigkeitsgefühl in finanziell schwachen Haushalten wundern. Und auch nicht darüber, dass junge Menschen vermehrt populistische Parteien wählen.

Trotz vieler Möglichkeiten der Beteiligung, die Jugendliche in Deutschland genießen, scheiterten sie in den vergangenen Jahren immer wieder an der besagten Lärmschutzwand, die den Politikbetrieb abschottet. Statt sich nach den Protesten der Letzten Generation mit der Verzweiflung junger Menschen zu befassen, ging es im öffentlichen Diskurs fast ausschließlich um die Legitimität der Proteste, Medien und Politik diffamierten die jungen Protestierenden Hand in Hand. Der Versuch, den Protest mit einer Parteigründung ins Europaparlament zu tragen, scheiterte kläglich. Auch Fridays for Future kämpft eben damit, Jugendliche zu mobilisieren. Warum auf die Straße gehen, wenn sich ohnehin nichts ändert? Wer daran glaubt, dass die Pariser Klimaziele eingehalten werden, ist wohl ein:e hoff­nungs­lo­se:r Romantiker:in. Kurz gesagt: Das Gefühl der Machtlosigkeit, das viele Jugendliche prägt, ist schlicht eine realistische Einschätzung.

Es scheint, als verstünden viele Po­li­ti­ke­r:in­nen Jugendliche als eine homogene Masse, gefesselt ans Handy, faul und unpolitisch. Dass diese Klischees nicht zutreffen, belegt die Studie ebenfalls. Es fällt auf, dass die befragten Jugendlichen eine ausgeprägte Vorstellung davon haben, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen sollte. Bildungsförderung und Chancengleichheit sind den Befragten wichtig. Viele Jugendliche bemerkten jedoch, dass die Vorstellungen einer gerechten Gesellschaft kaum mit ihrer eigenen Lebensrealität übereinstimmten.

Die Bedürfnisse Jugendlicher sind vielfältig und unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen Erwachsener. Es braucht keine verrückten Aktionen, um den Bedürfnissen Jugendlicher gerecht zu werden, sondern vielmehr eine Politik, die junge Menschen nicht mehr systematisch benachteiligt.

Zufriedenheit bringt keinen Wandel

Jugendliche stellen in Deutschland eine demografische Minderheit dar, wählen darf man je nach Wahl erst ab 16 oder 18 und die über 70-Jährigen stellen die größte Gruppe der Wahlberechtigten. Was dabei gerne vergessen wird: In einigen Jahren werden genau diese Jugendlichen, die sich jetzt machtlos fühlen, die Politik prägen. Wer nicht möchte, dass AfD und Konsorten noch stärker werden, sollte jetzt anfangen, Jugendliche mitzunehmen.

Es ist gut, dass Jugendliche einen realistischen Blick auf die Dinge haben. Wenn die Befragten sich gänzlich zufrieden gezeigt hätten, gäbe es keine Möglichkeit, einen Wandel anzustoßen. Noch ist es nicht zu spät, die Mauer von der Erwachsenenseite her einzureißen und Einfluss zu nehmen, in welche Richtung das Gefühl der Machtlosigkeit umschlagen wird.

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