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Antisemitismus von Linken und IslamistenNeue Allianzen für Judenhass

Teils finden Linke beim Antisemitismus mit Is­la­mis­t*in­nen zusammen, so ein neuer Bericht. Rechte nutzen die Situation, um Rassismus zu schüren.

Antisemitische Gewalt: Mahnwache nach einem versuchten Brandanschlag auf eine Berliner Synagoge im Herbst Foto: dpa

Berlin taz | Seit dem 7. Oktober zeigt sich Antisemitismus in Deutschland so offen wie lange nicht mehr. Dabei entstehen neue Bündnisse zwischen Is­la­mis­t*in­nen auf der einen und sich als links verstehenden Gruppierungen auf der anderen Seite. Das geht aus dem Lagebild Antisemitismus hervor, das die Amadeo-Antonio Stiftung am Donnerstag vorgestellt hat. Die eindringliche Warnung: Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis der grassierende Antisemitismus zu neuer Gewalt gegen Ju­den*­Jü­din­nen führe.

Die Au­to­r*in­nen der Studie beschreiben eine „Allianz aus Islamismus und Antiimperialismus“, die beim Hass auf Israel zueinander fänden. Beide Gruppierungen demonstrierten „Seite an Seite, ihre Demosprüche fließen ineinander.“ Es biete sich dabei „eine Gelegenheit, sich über Trennendes hinweg eine gemeinsame Identität zu konstruieren.“ Besonders wichtig für die Verbreitung des israelbezogenen Antisemitismus sind demnach die sozialen Medien.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bezeichnete Antisemitismus „als schmierigen Kitt zwischen ganz unterschiedlichen extremistischen Ideologien.“ Es dürfe aber keinen Unterschied machen, wer ihn vertrete. „Auch Judenfeindlichkeit, die unter dem Deckmantel eines Menschenrechtsaktivismus verbreitet wird, dürfen wir nicht akzeptieren.“

Ähnlich äußerte sich die Vorstandsvorsitzende der Amadeo-Antonio Stiftung, Tahera Ameer: „Unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Palästina-Solidarität werden islamistische Parolen salonfähig gemacht und die Ächtung von Islamismus erodiert.“ Damit sei der Plan der Hamas aufgegangen: Über ihren Terror gegen israelische Zi­vi­lis­t*in­nen werde nicht mehr gesprochen, stattdessen „trendet Israelhass im Namen des Eintretens für Menschenrechte.“

Für Ju­den*­Jü­din­nen bedeute der sich weiter ausbreitende und immer offenere Antisemitismus eine konkrete physische Bedrohung. Die Au­to­r*in­nen verweisen hier unter anderem auf den Angriff auf einen jüdischen Studenten in Berlin im Februar, bei dem dieser mehrere Knochenbrüche im Gesicht erlitt.

Ariel Elbert, Vorstand von Keshet Deutschland, einem queer-jüdischen Verein, sagte am Donnerstag: „Straßen und Orte, an denen Hamas-Slogans prangen, sind eine klare Drohung an jüdisches Leben – und sie wird verstanden.“ Viele Ju­den*­Jü­din­nen vermieden inzwischen öffentliche Orte, aus Angst, angegriffen zu werden.

Rechte Inszenierung

Das Lagebild geht aber auch darauf ein, wie rechte Gruppen seit dem 7. Oktober den Kampf gegen islamistischen Antisemitismus ausnutzen, um Rassismus gegen Mus­li­m*in­nen zu schüren. Darin zeige sich ein „instrumentelles Verhältnis zu Jüdinnen*Juden“, so die Autor*innen. Konkret genannt wird hier die AfD, deren Po­li­ti­ke­r*in­nen sich gern als Kämp­fe­r*in­nen gegen Antisemitismus inszenieren, so lange der von Mus­li­m*in­nen ausgeht, an anderen Stellen aber selbst oft Antisemitismus verbreiten bis hin zu Holocaustleugnung und Verherrlichung des NS.

Meldestellen und Sicherheitsbehörden verzeichneten zuletzt einen deutlichen Anstieg antisemitischer Straftaten in Deutschland. Von 2022 auf 2023 verdoppelte sich die Zahl der registrierten Taten laut einer Statistik des Bundeskriminalamts auf über 5.000.

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54 Kommentare

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  • Keine stört es offenbar, das auch die Palästinenser Semiten sind?

  • Mein Background ist glasklar atheistisch mit viel Sympathie für den Buddhismus.

    Doch ebenso glasklar stehe ich voll auf der Seite der Juden in Deutschland, Europa, weltweit und natürlich Israel.

    Ich schätze den jüdischen intellektuellen Level, ihren wirklich guten Humor, ihre Toleranz. Atheisten wurden von Christen verfolgt und Muslimen sowieso, der Koran verwendet über 500 mal den Begriff "Ungläubige" bei über 20 Tötungsorders. Von der Missachtung von Menschen- insbesondere Frauenrechten mal ganz zu schweigen.

    Also liebe Juden, ihr seid nur 180.000 in diesem Land. Euch stehen über sieben Millionen Muslime gegenüber und ich weiß nicht wieviel andere Leute, die ihren Antisemitismus noch nicht reflektiert haben.

    Ganz persönlich wünsche ich mir weit mehr Juden im Land, ebenso verfolgte Tibeter, und der Level hierzulande würde endlich mal wieder eine Aufwärtskurve zeigen.

    Welcome!

  • Ich finde es äußerst bedauerlich, dass es hier so dargestellt wird, als wäre jeder der mit dem Handeln der israelischen Regierung nicht einverstanden ist, ein Antisemit ist. Es gibt schließlich auch genügend Juden, die damit auch nicht einverstanden sind. Was ist mit den Demos in Israel gegen die eigene Regierung bei denen 10-tausende Menschen auf die Straße gehen? Ich bin ganz sicher KEIN Antisemit und ich bin trotzdem gegen das Vorgehen der israelischen Regierung. Ja, das geht tatsächlich auch!

  • "Damit sei der Plan der Hamas aufgegangen ..."

    Es ist weniger der Plan der Hamas aufgegangen als das das Kartenhaus der israelischen Besatzung, Landnahme und Vertreiben wie schon so oft in den vielen Jahrzehnten der Besatzung wieder einmal moralisch zusammen gebrochen ist. Der brutale Terror den die Hamas zu verantworten hat ist nur das laute Nebengeräusch dabei.

  • Jesus (Logos) sagte, nur durch die Wahrheit werden wir frei. Daher müssen wir der Wahrheit ins Auge sehen, dass es Antisemitismus seit ewig, weltweit gab. Und immer sind die Nichtjuden daran allein Schuld. Wir Juden wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden und tun, was wir tun wollen.

    • @Elias-Nathan Stern-Herrmann:

      Als Juden sollte Israelis mit Sicherheit die in Ruhe gelassen werden. Als Kriegsverbrecher aber nicht. Die jüdischen Gemeinden sollten sich auch nicht schützend vor diese stellen.

  • Menschen, die selbst grundlegende Menschenrechte nur einer selektiven Gruppe zugestehen, sind hier das Problem. Leider gibt es diese in diesem Diskurs nicht nur bei den einigen extremistischen Antiimperialisten!

  • "Das Lagebild geht aber auch darauf ein, wie rechte Gruppen seit dem 7. Oktober den Kampf gegen islamistischen Antisemitismus ausnutzen, um Rassismus gegen Mus­li­m*in­nen zu schüren."



    - Klar, dass in einem Artikel über "Antisemitismus von Linken und Islamisten" am Ende nicht der Hinweis auf Rechte fehlen darf.



    Ich frage mich, wie eine Umfrage unter unserer jüdischen Bevölkerung ausfallen würde, wenn man sie fragt von welcher Seite sie sich derzeit im welchen Umfang mehr bedroht fühlen. Von Rechten, Linken oder Islamisten?

    • @Garrakus:

      Muss da zwangsläufig eine Art Hierarchie bestehen, bei der das zu einer bestimmten Zeit (vermeintlich) Geringste unerwähnt bleiben kann, wie Ihr angedeutetes Genervtsein über die Mitnennung der dritten Faktors suggeriert?



      Meinen Sie allen Ernstes Juden könnten sagen: "Gegenüber islamistischem und linkem Antisemitismus ist der rechte nicht der Rede wert, er braucht deshalb nicht immer dazugenannt werden, weil es nervt".



      Eine solche Einstellung ist meiner Meinung nach zwar möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich.



      Viel eher versteckt sich, wie im Artrikel ausgeführt, eine (historisch sehr konsequente) Form des Antisemitismus hinter zwei anderen und alle drei sind gleich schlimm.

    • @Garrakus:

      Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, (Deutscher Bundestag, Drucksache 18/11970) vom 07.04.2017.

      Seite 115 zeigt die des Ergebnisses einer Umfrage unter 553 Jüdinnen und Juden, die mindestens 16 Jahre alt sind und überwiegend in Deutschland leben.

    • @Garrakus:

      Das kommt, denke ich, sehr auf das Wohnumfeld an, von wem man sich gerade stärker bedroht fühlt. Potential gibt es von allen Seiten.

  • Wen wundert‘s? Wer an einfache Antworten, klare Feindbilder und die uneingeschränkte Weitsicht der eigenen Beschränktheit glaubt, ist schnell davon überzeugt, das Heft des Handelns in der Hand behalten zu können. Da unterscheiden sich die radikalen Ideologen nur selten.

  • Sie haben recht!

    >> Dass manchmal die Schwächeren die Aggressoren sind.

    Das zu übersehen ist allerdings schon eine kognitive Leistung! Ist das doch das Konzept des Terrorismus. Aber was Rede ich da, manch ein Terrorismus ist nach neuer Butler-Definition gewendet gerechter linker Kampf...

    • @Chris Demian:

      Zudem müssen Sie es auf die Metaebene heben.

      Alles außer strukturelle Macht blenden Sie aus.

      Dann haben Sie die meisten Terroristen rausdefiniert.

    • @Chris Demian:

      Sie bezeichnete den brutalen Überfall nie als "linken Kampf", sondern als "bewaffneten Widerstand". Was wollen Sie den Linken da ans Bein binden?

      Am Vorgehen der Hamas und am Vorgehen Israels kann man sehr gut sehen, dass sowohl "bewaffneter Widerstand" wie auch "Verteidigung" sich nicht auf im Gegensatz zu brutalsten Vorgehen befinden müssen. Führer beider Seiten werden nicht umsonst angeklagt.

  • Es gibt auch eine Allianz gegen Judenhass im Spektrum der demokratischen Parteien. Eben hat Olaf Scholz Frau Geraldine Rauch aus dem Zukunftsrat rausgeschmissen.

    • @Pi-circle:

      Na ja.

      Rauch wird wohl Präsidentin der TU Berlin bleiben.

      So richtig schlagkräftig scheint die Allianz nicht zu sein- selbst mit Bundeskanzler nicht.

  • Alles richtig! Allerdings ist der Begriff "Antiimperialismus" (ohne weitere Erklärungen) für viele Menschen außerhalb des linken Spektrums eher irreführend. Die verstehen unter "Imperialismus" nämlich in erster Linie eine nationalstaatliche Expansionspolitik. Gegen Putin richtet sich der Antiimperialismus, um den hier hier geht, jedoch (leider) nicht.

    Die Linken, die sich mit den Islamisten verbünden, verstehen unter Imperialismus in erster Linie die Expansion westlicher Werte (auch der Demokratie), "verursacht" durch den westlichen(!) Kapitalismus, ausgehend von den USA, der NATO, der EU und eben auch Israel.

    Für diese (vom postkolonialen Weltbild verschatteten) Antiimperialisten steht der "Hass auf Israel" stellvertretend für den Hass auf die gesamte westliche Welt. Wer diesen Hass teilt (wie und warum auch immer) ist offensichtlich als Bündnispartner willkommen.

    • @Al Dente:

      Nach dem 11. September 2001 sah ich in einem Bericht eine weinende Amerikanerin die verstört fragte : "Why do they hate us?" Genau da ist das Problem, die Augen davor schließen, was der Westen und allen voran die USA in den Jahrzehnten vor 9/11 für Kacke gebaut hatten.

      Nur eine Anekdote unter vielen: 1999 Impeachmentdebatte gegen Clinton wegen Misbrauch von Monica Lewinsky? Mal schnell ein bißchen Iran bombardieren und das wird es innenpolitisch schon richten. Die Republikaner waren zwar sauer, weil sie einfach aus Gewohnheit mit solchen Bombardements einverstanden sind, aber die Rechnung ging auf!

      Nun ist es nach 9/11 eher nur noch schlimmer geworden: Afghanistan, Irak, ... .

      "Why do they hate us?" wunderten sich auch die Israelis (nicht alle) am 7. Oktober. Ja, warum denn nur? Und machen, Hamas zu vernichten meinend, alles noch viel schlimmer.

      • @Deutschfranzose:

        "ja, warum denn nur?"



        Israel wurde in der Nacht der Gründung von quasi allen angrenzenden Ländern der Krieg erklärt und offiziell verkündet Israel und die Juden auslöschen zu wollen. Ist also nicht unbedingt nur was Israel seit Gründung gemacht alles schlimmes gemacht hat wie Sie suggerieren..

      • @Deutschfranzose:

        "Why do they hate us?"

        Weil sie nicht bekommen, was sie wollen! Dabei spielt die Frage, ob ihnen das, was sie wollen, überhaupt zusteht, allerdings eine untergeordnete Rolle.

        Eine objektive Instanz, die entscheiden kann, was wem zusteht, gibt es nicht. Auf dieser Erkenntnis basiert (unsere) Demokratie. Wir sammeln gleichberechtigte Meinungen ein. Die Mehrheit dieser Meinungen ist maßgebend. Haben Sie eine nachvollziehbar(!) bessere Idee, wie wir damit umgehen sollten/könnten?

        Mehr als 140 der 193 Staaten dieser Welt erkennen Israel als souveränen Staat an. Damit haben sich die Palästinenser abzufinden. Für sie kann (und sollte!) es einen Staat neben Israel geben, nicht "from the river to the sea".

      • @Deutschfranzose:

        „Why do they hate us?” fragten sich am 7.10. wohl eher die politisch linksorientierten Kibbuz-Bewohner in den Grenzgebieten zu Gaza. Die rechtsgerichteten Israelis - vor allem die Siedlernationationalisten im Westjordanland - fragen sich das nie, im Gegenteil, sie setzen voraus, von der palästinensischen Bevölkerung dort gehasst zu werden, liefern ihr noch reichlich Anlass dazu … und der palästinensische Hass nährt ihren eigenen.

  • Rechtsextreme tun so, als wären sie plötzlich Judenfreunde, verharmlosen Netanyahus Untaten und hetzen gewohnt pauschal gegen "Muslime" oder Linke.



    Wer will da einstimmen?

    Lieber universal alles auf Diskriminierung, Menschen- und Völkerrecht prüfen, dann ist die Heuchelei der Rechtsextremen schnell passé. Man kann problemlos Hamas wie Netanyahu kritisieren, sollte man in beiden Fällen auch.

    • @Janix:

      Nicht "Hamas und Netanjahu" sondern Hamas und nationalistische israelische Rechte muss es heißen

  • Keine neue Entwicklung, gab es schon in den 70ern. Durch den Nahostkonflikt wurden die alten Seilschaften jetzt wieder intensiviert. Dummheit, Antisemitismus und Fanatismus sind halt zeitlos.

    Erschreckend ist dabei jedoch die hohe Zahl der antisemitischen Straftaten und die Erkenntnis:

    "Damit sei der Plan der Hamas aufgegangen: Über ihren Terror gegen israelische Zi­vi­lis­t*in­nen werde nicht mehr gesprochen, stattdessen „trendet Israelhass im Namen des Eintretens für Menschenrechte."

    Das war zu befürchten!

    • @Sam Spade:

      Das ist die Schwäche einer rechtspopulären Regierung: sie macht einfach reflexhaftig das falsche.

  • In Frankreich nennt man das Islamo-Gauchismus. In diversen populären Theorien der Gegenwartslinken zeichnet sich dieses Bündnis schon lange ab. Es ist zum Verzweifeln.

  • Und gemeinsam brüllen sie "Islamophobie".

    • @Kurt Kraus:

      Aber nur, wenn sie nicht grade „From the River to the Sea brüllen“. Aber brüllen tun sie die ganze Zeit. Wir dürfen uns als Gesellschaft nicht damit abfinden; es gilt: wer schreit hat unrecht.

  • Die Antisemiten spinnen und haben Verschwörungsphantasien. Sie meinen, das viele christliche Länder jüdische Präsidenten haben, dass die Federal Reserve und viele Banken jüdisch seien und es so etwas wie eine jüdische Mafia in den oberen Kreisen gäbe. Es gibt wirklich viele dumm denkende Leute mit zuviel Phantasie, die nicht ihren logischen Verstand benutzen.

  • "Konkret genannt wird hier die AfD, deren Po­li­ti­ke­r*in­nen sich gern als Kämp­fe­r*in­nen gegen Antisemitismus inszenieren, so lange der von Mus­li­m*in­nen ausgeht, an anderen Stellen aber selbst oft Antisemitismus verbreiten ..."

    Der AfD geht es hier gegen Linke und Ausländer:innen, womit sie ihren eigenen Antisemitismus gut übertünchen kann.

    Selbstverständlich gehört es zum Links-Sein, für universelle Menschenrechte einzutreten. Insofern würde mich die Originalstudie der "Amadeo-Antonio Stiftung" mal interessieren und nicht nur die Ergebnisse in Kurzform.

    Aber beim Versuch, die Seite mit der Studie aufzurufen kam die Meldung, diese sei nicht sicher, da kein https, sondern http. Hm.

  • Judentum und Arbeiterbewegung

    Da ist sie wieder, die ebenso beliebte wie geschichtsvergessenen Diskursfigur von der Identität von Antisemitismus und Kapitalismuskritik, dabei die Tatsache ignorierend, daß seit Beginn der deutschen Arbeiterbewegung unter deren Führern jüdischstämmige Persönlichkeiten überproportional vertreten waren: „Allen voran sind hier der Frühsozialist und Pionier des Zionismus Moses Hess sowie der ebenfalls aus jüdischer Familie stammende Karl Marx zu nennen. Die deutsche Arbeiterbewegung stellte einen politischen Emanzipationsraum, in dem Juden sich ohne Vorbehalte gegenüber ihrer Herkunft beteiligen konnten.“(J. Hirsch, Jüdische Emanzipation u. die Arbeiterbewegung vor 1933)

    Auch „für die Zeit vor dem 2. Weltkrieg ist eine überproportional hohe Beteiligung von Menschen jüdischer Herkunft an der Arbeiterbewegung feststellbar. Beide prägte das Streben nach Emanzipation. Besonders im östlichen Europa entwickelten sich jüdische Arbeiterorganisationen, die gegen doppelte Unterdrückung als Juden und Proletarier kämpften.“(Börner/Jungfer/Stürmann, Judentum u. Arbeiterbewegung: Das Ringen um Emanzipation in der ersten Hälfte d. 20. Jhs., Berlin Boston 2018)

    • @Reinhardt Gutsche:

      Dass sich unter sozialdemokratischen und kommunistischen Politikern und Funktionären überproportional viele Juden befanden, ist ja völlig unbestritten (übrigens auch unter Liberalen, was Sie vergessen haben zu erwähnen).

      Das ändert aber nichts daran, dass der klassische Antisemitismus immer schon eine sehr starke antikapitalistische Komponente hatte. Die führenden Antisemiten des 19. Jhs., wie Bruno Bauer, Eugen Dühring, Wilhelm Marr, kamen eben nicht zufällig aus der linkshegelianischen Ecke. Und auch Marxens "Judenfrage" greift ja fast sämtliche antisemitischen Klischees auf.

      Die Mär, Arbeiterbewegung und Kommunismus seien quasi immun gegen Antisemitismus gewesen, wurde ja gerne von der DDR-Historiographie gepflegt. Aus guten Gründen, denkt man an die schäbige Behandlung der jüdischen Überlebenden dort.

      Ansonsten, gegen alle Mythenbildung das Standardwerk von Thomas Haury: Antisemitismus von links, Hamburg 2002 (mit erschöpfenden Belegen für die angeblich "geschichtsvergessene Diskursfigur von der Identität von Antisemitismus und Kapitalismuskritik").

      • @Schalamow:

        Marx und die „Judenfrage“

        Als Beweis für den Antisemitismus des Juden Karl Marx wird gern dessen Schrift „Zur Judenfrage“ aus der Asservatenkammer hervorgekramt, dabei verkennend, daß es sich hierbei um eine polemische Replik auf den tatsächlichen Antisemiten Bruno Bauer handelt, dessen von Marx kritisch paraphrasierte antisemitische Thesen nun kurzerhand dem Kritiker Marx selbst in den Mund gelegt werden (I. Stützle). Der Haupteinwand von Marx gegen Bauer betraf dessen These, die Juden müßten bereit sein, für ihre Emanzipation ihre Religion aufgeben. Nicht die Juden, so Marx, müßten ihren Glauben aufgeben, um sich zu emanzipieren, sondern umgekehrt der Staat selbst müsse sich von jeglicher Religion frei machen. Die Judenemanzipation war für Marx letztlich nur möglich als Emanzipation von aller Religion schlechthin (D. Claussen). In der „Heiligen Familie“ hat er den Grad der politischen Judenemanzipation zum Gradmesser für den zivilisatorischen Entwicklungsstand eines Staates schlechthin erklärt. (H. Brunkhorst; vgl. M. Krauss, Jude, Antisemit und Hassobjekt, in: Jüdische Allgemeine, 27.4.2018)

        Das ist mithin nun das Gegenteil von Antisemitismus à la Luther, Wagner oder Stoecker.

      • @Schalamow:

        "Die führenden Antisemiten des 19. Jhs., wie Bruno Bauer, Eugen Dühring, Wilhelm Marr, kamen eben nicht zufällig aus der linkshegelianischen Ecke. Und auch Marxens "Judenfrage" greift ja fast sämtliche antisemitischen Klischees auf."

        Was Bruno Bauer betrifft: Zu dessen antisemitischem Buch "Die Judenfrage" hat Karl Marx eine vernichtende Kritik geschrieben, wobei Marx wenn schon, dann die antisemitischen Klischees von Bauer aufgriff und kritisierte.

        Zu Eugen Dühring wiederum gibt es ja das Buch "Antidühring" von Friedrich Engels, wo grundsätzlich die reaktionäre Philosophie von Dühring auseinander genommen wird.

        Wilhelm Marr schließlich war Anarchist, kein Sozialist, aber sicherlich auch von Hegel beeinflusst.

        Was nun Thomas Haury betrifft, so muss man sagen, dass er grundsätzlich theoretische Schwächen zeigt und aus meiner Sicht keine Antworten auf das Phänomen des europäischen Antisemitismus zu liefern imstande ist.

    • @Reinhardt Gutsche:

      "Selbstverständlich gehört es zum Links-Sein, für universelle Menschenrechte einzutreten."

      Ein schöner, richtiger Satz. Aber warum tun sich manche Linke so schwer damit, dieses Statement auch und zunächst ohne "Ja, aber" für die Israelis oder die hier und anderswo lebenden Juden anzuwenden?

      Zur Zeit sind es doch die hier lebenden Juden, die Kippa oder Davidstern-Anhänger lieber nicht in der Öffentlichkeit tragen.

      Von entsprechenden Warnungen an muslimische Frauen, nicht mehr in traditioneller muslimischer Kleidung auf die Straße zu gehen, habe ich noch nichts gehört, wobei es da sicher verbale und andere Übergriffe gibt, leider.

      Es mag für manche Linke bequemer gewesen sein, antisemitische Übergriffe den "bio-deutschen" Übeltätern zuzuschreiben. So konnte man die Vorstellung der Muslime als einer eher benachteiligten Gruppe in der Gesellschaft bewahren.

      Aber seit dem 7. Oktober kann man meiner Meinung nach den Judenhass mancher Muslime nicht mehr ignorieren.

      Dann könnte man auch glaubwürdiger jenen entgegentreten, die wieder "die" = alle Muslime an Judenfeinde diffarmieren.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Manche heute aktive linke Gruppen und Grüppchen mögen ihre marxistischen Parolen aufsagen, aber Teil der "Arbeiterbewegung" sind sie sicher nicht.

      Eine Arbeiterbewegung, wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch gab, existiert heute nicht mehr.

      Ich verstehe auch nicht ganz, wie Sie darauf kommen, die Amadeu-Antonio-Stiftung habe eine "Identität von Antisemitismus und Kapitalismuskritik" behauptet.

      Es geht um "Antiimperialismus", eine Konstruktion, die erst in den 60er/70er Jahren entstanden ist, als die ehemaligen Kolonien formal unabhängig wurden, aber weiter vom Westen abhängig waren.

      Der gegen Israel gerichtete Judenhass ist weder antikapitalistisch, noch anti-kolonialistisch, noch links. Bei den Muslimen hat er religiöse Motive und bei manchen Linken rührt er von der Vorstellung her, Israel und seine jüdischen Bewohner hätten dort nichts zu suchen, sie seien vielmehr Eroberer und Kolonialisten - und die Muslime immer Opfer, nie Täter.

  • Offensichtlich wächst da zusammen, was zusammen gehört.

    Neben dem Antisemitismus sind die Ablehnung des Westens und der Universalität der Menschenrechte der Kitt, der diese beiden Ideologien zusammenführt und zusammenhält. Beide definieren "Völker" als Unterdrücker oder Unterdrückte. Beide wollen sie befreien. Die einen träumen von irgendeinem Steinzeitkommunismus, die anderen vom Kalifat.

    Über kurz oder lang werden sich Organisationsstrukturen bilden, die das Ganze weiter befördern werden. Das ist eine brandgefährliche Entwicklung.

    Im linken Infoladen Zielona Gora in Friedrichshain fand Ende 2023 eine Veranstaltung statt, bei der die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Linken und Islamisten diskutiert wurde.

    Erste zarte Pflänzchen.

    • @Jim Hawkins:

      Die Universalität der Menschenrechte abzulehnen müsste eigentlich offensichtlich vom Links-sein disqualifizieren.

      Ich sehe da eine Weigerung zu erkennen, dass manchmal der Underdog der Schlimmere ist.

      Dass manchmal von den Schwächeren schlimmere Unterdrückung ausgehen kann als von den Stärkeren.

      Dass manchmal die Schwächeren die Aggressoren sind.

      Dass die Welt nicht immer einfach ist.

      • @Arne Babenhauserheide:

        'Dass manchmal von den Schwächeren schlimmere Unterdrückung ausgehen kann als von den Stärkeren.



        Dass manchmal die Schwächeren die Aggressoren sind.'

        Das mag in sehr wenigen Einzelfällen (Unterdrückung) ja tatsächlich mal passieren, aber auf Grund der Konstellation (Stärkere vs Schwächere) ist das bestimmt eher sehr, sehr selten. Und falls Aggression durch die Schwächeren, dann kurzfristig, falls versucht wird, die bestehen Verhältnisse zu ändern. Nennt sich dann, der Theorie nach, Umsturz(versuch).

      • @Arne Babenhauserheide:

        Liegen Sie natürlich richtig.

        Mit dem Aufkommen des Identitätsdiskurses zählt nur noch die Zugehörigkeit zu einer Partikulargruppe.

        Der Fokus auf strukturelle Macht lässt Lebensrealitäten außer Acht.

        Der Charme der Metaebene liegt darin, dass man sich in seinem Schwarzweißdenken nicht mehr von der schnöden Realität stören lassen muss.

        Was angeblich linke Identitätspolitik angerichtet hat, kriegt man nicht mehr gedeckelt.

        Wer heute 18 oder 20 ist, kennt ja nichts anderes mehr.

      • @Arne Babenhauserheide:

        Da kann ich jedes Wort unterschreiben.

    • @Jim Hawkins:

      Ich sehe dabei auch als aktuelle Gefahr für den Universalismus, Netanyahu etwas durchgehen zu lassen, was man woanders kritisiert, weil man ja sonst 'Antisemit' wäre (das Umgekehrte wäre natürlich genauso falsch)

      Zweite Frage: Wen bezeichnen Sie da als Islamisten, das konnte ich gerade nicht entnehmen. Dass sich jemand im Orient gegen US-Ölkonzerne wehrt, dass jemand gleiche Rechte auch für Araber und Muslime fordert, verstünde ich.



      Gegen gerade jede ethnisch-religiös basierte Ungleichheit aber wäre ich.

      • @Janix:

        Können Sie zur Abwechslung mal eine andere Platte auflegen?

        Netanjahu wird den lieben langen Tag in nahezu allen Medien rund um die Uhr kritisiert.

        Gleichzeitig hat die Kritik an Israel eine Schlagseite, wie es die Linguistin Monika Schwarz-Friesel herausgearbeitet hat:

        "Im Gegenteil, die deutschen Medien kritisieren kaum ein Land so oft wie Israel. Wir haben die Berichterstattung über den Nahen Osten mit Artikeln über die Lage der Menschenrechte und Konflikte in anderen Ländern verglichen, wie Russland, China, Saudi-Arabien und Nordkorea. Kaum eines der Länder schnitt so schlecht ab. In den Artikeln finden sich ungewöhnlich viele NS-Vergleiche, es gibt ein sehr negatives Bild des Landes."

        www.zeit.de/politi...rael-medien-kritik

        Auch von mir und vielen emanzipatorischen Linken. Netanjahu und seine üblen Minister sollten so schnell wie möglich weg von der Macht, das ist gar keine Frage.

        Orient, US-Ölkonzerne, geht es noch schlichter?

        Und: Wissen Sie nicht, was Islamisten sind?

        • @Jim Hawkins:

          Was an dem ausdrücklichen "Das Umgekehrte ist natürlich genauso falsch" hatten Sie nicht ganz verstanden?



          Ich lege hier genauso wiederholt die Platte auf, dass man Marokko und Westsahara auch nennen sollte oder Indonesien und Ost-Timor damals.

          Natürlich mussten hier Palästinenser statt der Deutschen nach 1945 Land räumen, was ohne Holocaust so nicht so rasch gekommen wäre oder gar nicht. Die Balfour-Deklaration hatte ja die Kautele, dass die Rechte der Ansässigen nicht eingeschränkt werden sollten.

          Aber Universalismus heißt, keine schärfere und keine softere Bewertung. Mich nervt, dass bei normalen Verweisen aufs Völkerrecht "Antisemitismus" gerufen wird. Auch das werfe ich Netanyahu vor: das zuweilen nötige Warnsignal so für seine Privatinteressen zu entwerten.

          Ich bin ansonsten zufällig hier so tief eingelesen, dass ich auch eine "arabische" Perspektive sehen kann und nicht nur eine orientalistische, wenn ich möchte.

    • @Jim Hawkins:

      "Im linken Infoladen Zielona Gora in Friedrichshain fand Ende 2023 eine Veranstaltung statt, bei der die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Linken und Islamisten diskutiert wurde."

      Stimme ich zu das ist mehr als befremdlich. Die taz hat darüber einen guten Artikel geschrieben.

      taz v. 24.11.23 An der Seite von Islamisten



      taz.de/Nahostdebat...tschland/!5971549/

      • @Sam Spade:

        Danke für den Link.

      • @Sam Spade:

        Danke für die Information. Auch hier hilft die universalistische Perspektive .



        Freiheit für Palästina ist auch dann richtig, wenn die Falschen es auch fordern, man muss aber nicht zu denen ins Auto steigen.

    • @Jim Hawkins:

      Ob linke Politik/Antiimperialismus und Islamismus zusammengehören, kann stark bezweifelt werden.



      Das werden die Linken, die eine Zusammenarbeit mit Islamisten als möglich betrachten, recht zeitnah merken. Der Problematik wird allerdings aufgrund wesentlicher Mißstände im Westen auch Nahrung gegeben.

      • @aujau:

        Die Linken, die Ayatollah Chomenei 1979 mit an die Macht verhalfen, haben das auch "recht zeitnah" gemerkt. Leider blieb ihnen keine Zeit mehr, Schlüsse daraus zu ziehen. Linke von heute hätten allerdings die Gelegenheit dazu. Sollten sie sich für Geschichte interessieren.

      • @aujau:

        Ja nun, die PFLP gilt als links und antiimperialistisch.

        Und doch ist sie etwa gemeinsam mit der Hamas und dem Islamischen Jihad im obersten Führungsgremium des BDS, dem Palestinian BDS National Committee, vertreten.

  • Ich bin zwar kritisch gegenüber Israel würde mich aber niemals an die Seite von Islamisten stellen. Genauso wenig wie ich nie Seite an Seite mit Rechten marschieren würde. Das gilt aber auch für rechte Israelis. Die Hamas kann meinetwegen tot umfallen, aber mir tuen die Opfer auf allen Seiten leid.

  • Was für eine Überraschung.



    Der Antisemitismus ist der Sozialismus des dummen Kerls.



    Der Antisemitismus ist der Antiimperialismus der unreflektierten Gewaltkulturen.