AfD-Wahlkampf und junge Wäh­le­r:in­nen: Meinungs­mache auf Crack

Bei der Europawahl holt die AfD 16 Prozent bei den 16-24-Jährigen. Ein Grund: Radikalisierung bei TikTok. Junge sind dort sich selbst überlassen.

Frau mit pinken Haaren hat Kopf im rosa Hoodie versteckt, Arme sind nach oben gereckt

Den Durchblick verloren Foto: Oleksandr Latkun/imago

Swipe und weg. Alles und immer in Echtzeit. Permanent spülen ungefilterte Inhalte ins Gehirn. 30 Minuten, 3 Stunden, Nacht vorbei. TikTok und Co als Austausch, zur Ablenkung, als Therapieersatz.

Auf so einer Plattform Meinungsmache zu betreiben, funktioniert sehr gut. Auch, weil formbare, junge Menschen sie ausgiebig nutzen. Diese Menschen werden dort auch politisiert – mit Auswirkungen auf das andere Leben, das ohne Bildschirm.

16 Prozent der Jung­wäh­le­r:in­nen bis 24 Jahre wählten am Sonntag die Rechte in das Europäische Parlament. Rechtsextreme und Po­pu­lis­t:in­nen machen sich TikTok seit Jahren zunutze. Sie bieten einfache Lösungen für komplexe Probleme; erklären sich zum Opfer und lassen reißerische Inhalte ohne Einordnung verfangen. Die AfD erreicht auf TikTok täglich Millionen Menschen.

Likes und Views setzen Endorphine frei, wecken das Verlangen nach mehr. Das verlockt und macht empfänglich für immer Gröberes, Härteres, bis man sich in einer Blase wiederfindet

Schuld daran ist auch die Struktur von TikTok. Algorithmen sorgen für sich ähnelnde Inhalte, kurze schnelle Videos machen es schwer abzuschalten. Ähnlich wie Süchtige braucht man immer mehr in immer kürzerer Zeit von dem Stoff. Das nutzen Extremisten und Extremistinnen für sich. Sie ballern die Kanäle mit ihren Inhalten zu, es gibt kein Erbarmen darüber, was gesagt, gezeigt, gefühlt werden darf.

Alter, komm auf den Punkt

Die Welt wird doch sowieso bald untergehen, wenn uns die bösen Asylanten nicht schon vorher überrennen. Herr Krah sagt, wir machen die Tür zu und der Klimawandel ist nur ausgedacht. Einfache Lösung. Die Einleitung langweilt: Alter, komm auf den Punkt. Swipe und weg. Das ist wie Meinungsmache auf Crack.

Vielleicht braucht unser Gehirn eigentlich einen kurzen Moment, wenn es darum gehen soll, Informationen zu speichern, statt sie ausschließlich zu konsumieren. Und die jungen Leute stehen ganz schön alleine damit da. Sie verordnen sich selbst beschränkte Bildschirmzeit oder verbannen den Account auf ein Endgerät, das nicht in die Hosentasche passt. Aber ganz ohne Social Media ist heute eben wie ohne Freunde. Das will ja keiner.

In der Selbstfindungsphase ist es wichtig, bestätigt zu werden, Gehör zu finden. All das liefert TikTok. Likes und Views setzen Endorphine frei, wecken das Verlangen nach mehr. Das verlockt und macht empfänglich für immer Gröberes, Härteres, bis man sich in einer Blase wiederfindet: Sexismus, Extremismus, Islamismus.

Politisch interessiert, psychisch belastet

Die Erziehungsberechtigten sind noch viel überforderter als die Jüngeren mit all dem Neuen. Soll ich meinem Kind das Handy wegnehmen? Das geht doch nicht. Stimmt. Aber regulieren und an kleinen Stellschrauben drehen, aufklären, einordnen. Zeit nehmen. Das geht schon. Die Regierung hat den Einfluss von Desinformation auf Social Media völlig verschlafen. Sie hat eine ganze Generation sich selbst überlassen. Medienkompetenz, nein Danke. Da hilft auch Olaf Scholz nicht, der es jetzt samt Aktentasche endlich auf TikTok geschafft hat.

Die jungen Menschen selbst haben ein wachsendes Bewusstsein für ihre Situation, besagt die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“. Keine Generation vor ihnen war politisch so interessiert und psychisch so belastet. Die Studie zeigt auch, dass es jungen Menschen immer schlechter geht. Ihre Sorgen sind ernstzunehmen.

Drei Jugendforscher forderten mehr Möglichkeiten für junge Menschen, sich an politischen Prozessen zu beteiligen. Wissenschaftler Klaus Hurrelmann, der an der Studie mitforschte, sagt, junge Menschen seien bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie hätten aber den Eindruck, dass der Staat sich nicht um sie kümmere.

Ab zu Oma und Opa

Die einen finden die Antwort im Aufstand – gehen zu FFF oder kleben sich auf die Straße –, und manche wollen sich nicht länger „für dumm verkaufen lassen“, wie Krah und Gleichgesinnte es gerne formulieren. Sie bereiten sich auf den Kampf gegen die „Elite“ vor und pflegen ihren Seitenscheitel.

Sorgen aufgrund von Inflation, Wohnraum, Armut oder Flüchtlingsströmen fördern laut der Studie eine hohe Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen. Das Potenzial für rechtspopulistische Einstellungen sei im Vergleich zu früheren Studien erstarkt. Manche seien grundsätzlich von ihren Lebensumständen enttäuscht und stimmten deswegen aus Überzeugung für die AfD.

Bei der Meinungsbildung und Abgrenzung gegen Rechtsextremismus könnten die Alten helfen. Die Menschen ab 70 Jahren haben am allerwenigsten, nämlich mit 8 Prozent, bei der Europawahl für die AfD gestimmt. Also im Sommer ab zu Oma und Opa oder ins Altenheim zum FSJ. Swipe und richtig weg.

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