Rechte Erfolge bei Europawahl: Antifa ist kein Wellnessprogramm
Die EU-Wahlergebnisse machen mal wieder politisches Handeln nötig, doch viele sind ermüdet. Unsere Kolumnistin empfiehlt eine große Tasse Kaffee.
E s gibt diese Erleichterung, wenn jemand etwas eindeutig Rassistisches sagt. Zum Beispiel so ganz direkt das N-Wort fallen lässt. Da weiß ich, woran ich bin: Dann ist Schluss mit dem Zweifeln. Denn Rassist*innen kommen selten so direkt auf dich zu und sagen „Hallo, ich bin rassistisch und behandle dich jetzt wie Dreck“.
Weil sie das nicht tun, stehe ich manchmal da und frage mich: Ist diese Person einfach unhöflich? Oder habe ich etwas falsch gemacht? Ist sie zu allen gemein oder nur zu mir? Oder verhält sie sich ganz normal, und ich bilde mir das alles nur ein?
Offener Rassismus dagegen schafft klare Verhältnisse. Die Ergebnisse der Europa-Wahl sind ein solcher Moment: die kurze Erleichterung der Ernüchterung. Ist alles genau so schlimm, wie ich gedacht habe? Ja. Genau so. Reality Check!
Ich weiß: Wir hätten das nicht gebraucht. Die Karten lagen bereits offen auf dem Tisch. Doch oft sind solche Schockmomente durch eindeutige Zahlen, Fakten und Bilder Anstoß für etwas. Es lässt sich nicht mehr wegschauen und leugnen, das etwas getan werden muss. Wir müssen… Aufstehen gegen rechts? Laut werden gegen rechts? Zeigen, dass Rassismus hier keinen Platz hat?
Kein Weckruf, kein Wachrütteln
Das hatten wir alles gerade erst. Wir hätten auch keinen neuen Beweis gebraucht. Die Veröffentlichung der Recherchen zum rechten Think Tank in Potsdam ist erst fünf Monate her. Darauf folgten die größten Demonstrationen gegen Rechts in der Geschichte dieses Landes.
Vor etwa drei Wochen ging ein Video viral, in dem reiche Leute auf einer Insel „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ gröhlen und sich dabei selbstbewusst und gut gelaunt filmen. Auch hier: Kein Grund, noch zu zweifeln. Rassismus ist real und unter uns. Es wurde sich adäquat empört. Entsetzen und Medienaufmerksamkeit waren groß.
Am letzten Sonntag, dem Wahlsonntag, nun der nächste Rassismus-Beweis. Noch dazu einer, der Rechte und Rechtsextreme mit noch mehr konkreter parlamentarischer Macht ausstattet. Was machen wir damit?
Diese Wahlergebnisse sind kein Weckruf, kein Wachrütteln. Sie sind das Gegenteil von: „Zeit zum Aufstehen!“ Sie sind ermüdend. Das ist das Statement, das ich in dieser Woche auch am häufigsten von Aktivist*innen gehört habe: Sie sind müde.
Wir sind ganz sicher nicht „unteilbar“
Ich gebe zu: Meine Art wäre es eigentlich, öffentlich darüber die Augen zu rollen. Hier jetzt etwas zu schreiben darüber, dass wir uns Müdigkeit nicht erlauben können. Dass es niemandem etwas bringt, zu erzählen, wie müde man ist. Und außerdem: Aktivismus ist eben auch manchmal anstrengend. Antifa ist kein Wellnessprogramm. Habt ihr etwa gedacht, es wäre einfach, Rassismus zu besiegen? Wir sind hier immer noch in Deutschland.
Doch ich schreibe so einen Text nicht. Denn er müsste mit Hoffnung enden. Oder wenigstens mit einer Aufforderung zum Handeln. Irgendwas mit „Solidarität“ und „Auf die Straße“. Das fühle ich leider nicht. Denn das hatten wir vor ein paar Wochen, einem halben Jahr und immer wieder dazwischen und davor.
„Wir sind mehr“? Wir sind vielleicht gar nicht mehr so viele, und wir sind ganz sicher nicht „unteilbar“. Ich akzeptiere also die allgemeine Müdigkeit und reihe mich ein. Dabei ist klar: Augen zu und erstmal ausschlafen, das ist keine Option. Es würde diejenigen am härtesten treffen, auf deren Kosten in Europa Wahlkampf gemacht wurde. Geflüchtete, die hierher kommen, Schutz und ein sichereres Leben suchen. Wir sollten also einen großen Pott vom stärksten Kaffee aufsetzen.
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