„Die Rechten werden nicht weniger extrem“

Der Aktivist Tareq Alaows ist mit anderen Geflüchteten bei den Grünen ausgetreten. Sie wollen die Reform des EU-Asylsystems Geas nicht mittragen

Interview Christian Jakob

taz: Herr Alaows, Sie haben mit einer Gruppe anderer Geflüchteter Ihren Austritt bei den Grünen erklärt. Warum?

Tareq Alaows: Der Grund sind die Entwicklungen der letzten Tage: Die Grünen haben die Reform des EU-Asylsystems Geas und das Rückführungsverbesserungsgesetz der Ampel nicht nur mitgetragen, sondern auch verteidigt und versucht das als menschenrechtliche Entscheidung darzustellen. Dabei wissen alle, dass dies nur zur Aushöhlung des Rechts Schutzsuchender und zu mehr Verletzungen von Grundrechten führen wird.

Wären Sie dringeblieben, wenn die Partei zugestimmt, dies aber kritisch reflektiert hätte?

Dass sie es mitgetragen haben, war für mich schon ein ausreichender Grund, auszutreten. Ich finde es aber noch mal etwas anderes, das so zu verteidigen, wenn es so offensichtlich zu systematischen Menschenrechtsverletzungen führt.

Was hat Sie bewogen, den Grünen beizutreten?

Ich bin der Partei 2020 wegen ihrer Asylpolitik beigetreten. Ich habe mich da zu Hause gefühlt. Und durch die letzten Entscheidungen habe ich mich von diesem Zuhause weggestoßen gefühlt. Die Grünen standen für Menschenrechte, waren auf einer Linie mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen und haben entsprechende Forderungen an die damalige Bundesregierung gerichtet. Sie haben sich unter anderem klar für Seenotrettung im Mittelmeer eingesetzt. Das sind alles Positionen, die in der DNA der Grünen stecken. Aber leider lehnt die Führungsspitze der Partei diese DNA ab.

Wen meinen Sie konkret?

Annalena Baerbock, Omid Nouripour, Robert Habeck und den ganzen Bundesvorstand.

Unter anderem Omid Nouripour hat die Zustimmung zum Geas mit der Behauptung verteidigt, so lasse sich ein verbindlicher Verteilmechanismus in der EU durchsetzen, der aber während der Verhandlungen nie vorgesehen war. Die Grünen-Spitze hatte zugesichert, Ausnahmen für Minderjährige durchsetzen zu wollen. Am Ende stimmte Deutschland zu, die Ausnahmen gibt es nicht. Wie empfanden Sie diese Kommunikation?

Sie war nicht ehrlich. Sie haben versucht, ihre Zustimmung zu verteidigen, und waren dabei nicht faktenbasiert. Diese Art gehört zu den Dingen, die mich abgestoßen haben.

Auch von den Grünen hieß es, wenn es keine Einigung beim Geas gebe, würde die extreme Rechte bei der EU-Wahl 2024 stärker und sie könnte das Asylrecht womöglich beschneiden oder ganz abschaffen.

Ich glaube nicht, dass der Beschluss der Geas-Reform dieses Risiko verringert. Wenn die Rechten die Mehrheit kriegen könnten und das Asylrecht abschaffen wollen, ist es umso wichtiger, für ein faires Asylrecht einzutreten und nicht in diese Diskursverschiebung einzusteigen. Die Rechten werden nicht weniger extrem, wenn man selbst solche Verschärfungen beschließt. Sie fühlen sich, im Gegenteil, nur bestätigt, wenn demokratische Parteien das mittragen.

Die Basis und die EU-Fraktion waren gegen die Reformen. Hat das für Sie keine Rolle gespielt?

Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Tareq Alaows, 34, ist flüchtlingspolitischer Sprecher bei Pro Asyl und war Grünen-Sprecher für Flucht und Migration. 2015 floh er aus Syrien

Ja, die EU-Fraktion war gegen die Geas-Reform. Wir haben gesehen, dass sich bei den Entscheidungen letztlich die Bundesregierung durchgesetzt hat. Dazu kommt die Rolle der Grünen in der Debatte insgesamt: Die sind voll in die rechtspopulistische Diskursverschiebung eingestiegen, sie reden nur von Abschiebungen und Verschärfungen, statt auch argumentativ dagegenzuhalten und für ihre Grundsätze einzustehen.

Wenn alle Menschen, die so denken wie Sie, aus der Partei austreten, kann niemand mehr Einfluss nehmen.

Mein Austritt soll ein politisches Signal sein: Ich kann das nicht mittragen. Aber es sind ja weiterhin viele andere in der Partei, die für eine menschenrechtszentrierte Politik kämpfen. Denen wünsche ich viel Kraft. Ich hoffe, dass die Partei ihren Kompass wiederfindet.

Treten Sie in die Linke ein?

Für die jetzige Zeit kann ich sagen, dass ich die Stelle ändere, an der ich mich für Menschenrechte einsetze. Ich kehre zur ­zivilgesellschaftlichen Arbeit zurück.