Arbeitskampf bei der Bahn: Ein anderer Streik ist möglich
Wieder mal lassen die Bahnangestellten die Kundschaft am Bahnhof stehen. Dabei ginge es auch ganz anders. So, dass es den Chefs wirklich wehtut!
N eulich erreichte ich eine Minute vor Abfahrt den 8-Uhr-Sprinter-ICE München–Berlin, doch dann fuhr er gar nicht pünktlich ab. Das allein reichte manchen im Waggon schon für eine Suada gegen die Bahn: „Lokführer müsste man sein“, „Scheiß-Bahn“, „Nichts funktioniert hier“, „Hahaha, sehr lustig“.
Doch es kam noch dicker: Der Schaffner gab per Lautsprecher zur Kenntnis, dass er nicht wisse, wann der Zug losfahre, weil der Lokführer in einer anderen Bahn sitze, die wiederum Verspätung habe. Sie können sich ungefähr vorstellen, was dann in meinem Waggon los war. „Lassen Sie mich raus, ich nehm die Lufthansa“, „Sauladen“, „Nie wieder!“.
Sich über die Bahn aufzuregen gehört zum Alltagsgespräch wie übers Wetter klagen oder die Regierung. Und wenn Bahn-Angestellte streiken, so wie seit Mittwochabend die Lokführer, sollte man den Kopf einziehen, denn die Empörung und Erregung ist so groß, dass gefühlt Tassen und Teller an einem vorbeizischen und an der Wand zerschellen.
Freigetränke und Konversation
Nun stellen Sie sich vor, die Bahn streikt und alle Bahnfahrer*innen sind glücklich. Es gibt keine Beschwerden über Ausfälle oder Verspätungen von Zügen, das Bordbistro hat kein eingeschränktes Angebot, die Wagenreihung ist unverändert und die Kontrolleure kontrollieren nicht die Fahrausweise, sondern, ob Sie mit dem Service der Bahn zufrieden sind und eine angenehme Reise haben. Statt mit einem Fahrkartenkontrolliergerät laufen sie mit einem Tablett kostenloser Getränke durch die Sitzreihen und informieren Sie über die Streikziele und den großen Abstand zwischen den Gehältern der Vorstände und den Angestellten an Bord.
Es gibt immer Gründe, nichts Neues auszuprobieren. Aber auch immer Gründe dafür. Warum also nicht mal die Idee des kundenfreundlichen Streiks?
In Japan und in Australien beispielsweise gab es Busfahrerstreiks, bei denen die Angestellten zwar die Busse fuhren, aber keine Tickets verkauften. Warum nicht diese Idee übernehmen und anpassen? Die Beschwerde der Bahnkund*innen ist dem Konzern während so eines Streiks ja größtenteils wumpe. Der Ruf ist sowieso ramponiert.
Das Druckmittel einer Arbeitsniederlegung ist ja auch nie unmittelbar die Beschwerde. Das Druckmittel sind die finanziellen Einbußen. Zum sozialverträglichen Wohlfühlstreik der Bahn braucht es also ein Konzept, wie man dem Konzern im Rahmen des Streikrechts größten finanziellen Schaden zufügen kann, ohne dass die Bahnen aufhören zu fahren.
Abschied vom Ticketverkauf
Was würde sich rechnen? Eben beispielsweise, wenn die Bahn im Streikzeitraum keine zusätzlichen Tickets verkaufen kann. Das Bestreiken des Ticketverkaufs würde bedeuten, dass die Schaffner streiken müssten, aber auch und vor allem, dass die Homepage, die Apps und die Ticketautomaten der Bahn für die Dauer des Streiks abgeschaltet werden, dass also die Leute hinter den Computern streiken.
Zuküftig würde es dann in den Meldungen heißen: Im andauernden Tarifstreit der Bahn-Angestellten zeichnet sich ein Arbeitskampf ab. Die IT-Abteilung des Unternehmens hat für kommende Woche bereits angekündigt: „Es wird kein einziges Ticket mehr verkauft.“
Das würde auch bedeuten, dass die mächtige Gewerkschaft, Deutscher Lokführer auf ihre Macht verzichten müsste. Sie nämlich dürften ihre Arbeit nicht niederlegen. Genauso wenig wie das Zugpersonal und ein Großteil der Beschäftigten für der Infrastruktur. Es wäre einen Versuch wert, lediglich den Ticketverkauf zu bestreiken, um zu sehen, ob die millionenschweren Bahn-Vorstände dann in eine ähnliche Empörung und Erregung geraten wie sonst nur die kritischen Kunden des Konzerns. Zumindest wäre eines erreicht: Kunden würden sich nicht mehr „Nie wieder!“, sondern „Gerne wieder!“ zurufen.
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