Rechtsextrem, aber normal

AfD-Wähler*innen ist es offenkundig egal, dass die Partei rechtsextrem ist. Sie erzielt Rekordergebnisse in westdeutschen Flächenbundesländern. Was kann man aus ihren Erfolgen lernen? Und was aus ihren Niederlagen?

Träumt von mehr Einfluss in Deutschland: AfD-Bundes­sprecherin Alice Weidel Foto: Liesa Johannssen/dpa

Von Gareth Joswig

Lange dauerte es nicht, bis Partei-Chefin Alice Weidel am Tag nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen zum Rundumschlag ausholte – allerdings nicht wie sonst mit geschürten Abstiegsängsten und populistischer Hetze gegen Menschen, die nicht ins Weltbild der Rechtsradikalen passen, sondern auch gegen einen vermeintlichen Parteifreund.

Ihr Fraktionsvize im Bundestag, Norbert Kleinwächter, hatte ihr vorgeworfen, statt einen Wahlkampftermin wahrzunehmen, auf Mallorca mit ihrer Familie Urlaub gemacht zu haben. In einem der taz vorliegenden internen Brief heißt es: „Wer vor 5.000 Besuchern aus ganz Deutschland mit der Begründung absagt, nichts würde er lieber tun, als vor dieser Menge zu sprechen, kann aber nicht kommen, weil sein Leben nicht mehr sicher ist, sollte nicht fast zeitgleich in einem öffentlichen Strandlokal in Mallorca zu erkennen sein.“ Weidel wies die Vorwürfe empört zurück, nannte die Angriffe von Kleinwächter vor der Presse eine „Unverschämtheit, die nicht mehr zu unterbieten sei“. Man werde die Angelegenheit bei der am Dienstag anstehenden Fraktionsvorstandswahl klären, drohte sie. Ähnlich wütend wurde sie, als sie von Jour­na­lis­t*in­nen zu den fehlenden Hinweisen und nicht abgeschlossenen Ermittlungen zum von der AfD trotz aller Fakten weiter behaupteten angeblichen „Attentats“ auf ihren Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla konfrontiert wurde. Dicke Luft bleibt in der AfD also eine Konstante.

Neu hingegen sind Rekordergebnisse in westdeutschen Flächenbundesländern für die extrem rechte AfD: die vorläufigen Endergebnisse der Landtagswahlen liegen in Bayern bei 14,6, einem Plus um 4,4 Prozentpunkte, und in Hessen gar bei 18,4, einem Plus von 4,9 Prozentpunkten, dem höchsten Ergebnis, das die AfD in einem West-Bundesland jemals erreichte. Die rechtsradikale AfD ist ein gesamtdeutsches Problem.

Das Erschreckende: Die AfD hat sich in den zehn Jahren seit ihrer Gründung radikalisiert, wird vom völkisch-nationalistischen Flügel dominiert, normalisiert sich aber gleichzeitig. Besonders verdeutlicht das eine Umfrage von Infratest dimap nach der Bayernwahl, die zum Schluss kommt, dass es 85 Prozent der AfD-Wähler in Bayern „egal“ ist, dass die AfD „in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht“.

Was sich faktisch feststellen lässt, ist ein Rechtsruck, von dem die AfD am meisten profitiert. Während es in Hessen etwa 2008 noch eine rot-rot-grüne Mehrheit gegeben hätte und es 2018 auch noch fast zu Rot-Rot-Grün gereicht hätte, haben jetzt zwei Drittel CDU, Freie Wähler, AfD oder FDP gewählt, die Linke ist aus dem Landtag geflogen und SPD und Grüne haben noch ein Drittel der Sitze. In Bayern hat sich das Spektrum ebenfalls deutlich ausgeweitet, dort nehmen CSU, Freie Wähler und AfD zusammen drei Viertel der Sitze im Landtag ein. In beiden Ländern wird die AfD voraussichtlich Oppositionsführerin.

Was das konkret bedeutet, kann man bereits deutlich in Hessen erahnen. Anstatt dass die Linke in Hessen weiter Aufklärung über Rechtsterrorismus in Untersuchungsausschüssen betreiben kann, will die AfD mit 28 Abgeordneten einen zur Coronapandemie einsetzen und damit Verschwörungsideologien befeuern. Sinnbildlich steht dafür etwa Sascha Herr, der für die AfD in den Hessischen Landtag einziehen wird. Herr hatte Verbindungen zur 2020 verbotenen militanten Neonazi-Organisation „Combat 18“ (übersetzt: „Kampfgruppe Adolf Hitler“) und besuchte ein Rechtsrockkonzert, wie die Frankfurter Rundschau berichtete.

Auch die Wählerwanderungen sind in Bayern besonders mit Blick auf Union, Freie Wähler und AfD interessant: Hier gab es einen populistischen Bierzelt-Wahlkampf gepaart mit Kulturkampf von rechts. In Folge haben CSU und Freie Wähler deutlich Stimmen an die AfD verloren, ebenso bewegte die AfD Nicht-Wähler*innen an die Wahlurne.

„Die Ursache liegt in der Polykrise, in der vieles gleichzeitig passiert“

Wolfgang Schroeder, AfD-Experte

In Hessen hingegen übernahm die Union keine unseriösen AfD-Forderungen wie etwa „Sachleistungen für Asylbewerber“ – und es gab deutlich weniger Abwanderung zur AfD. Hier verloren in erster Linie die Ampelparteien: Wolfgang Schroeder, AfD-Experte und Politikprofessor der Uni Kassel, sagte der taz: „Besonders für Hessen ist auffallend, dass die Wahl der AfD sich nicht primär aus dem Bereich der Nichtwähler oder der Union speist, sondern vor allem aus den Bereichen von SPD, FDP, Grünen und Linken.“ Das zeige, dass viele AfD-Wählende auch Protestwähler seien. Die Wählerschaft sei etwa zur Hälfte geteilt: In rechtsextrem überzeugte, reaktionär geprägte Personen, aber auch in viele Menschen, die sich von der Regierung nicht repräsentiert fühlten. Insofern habe die Wahl in Hessen das Momentum einer bundesdeutschen Zwischenwahl gehabt.

„Die wesentliche Ursache liegt in der Polykrise, in der vieles gleichzeitig passiert und Entscheidungen in die Lebenswelt eingreifen, wie etwa beim Heizungsgesetz und in Migrationsfragen“, sagt Schroeder. Diese Probleme müsste die Politik mit ernsthafter Kommunikation klar ansprechen, dabei aber keine Scheinlösungen der AfD übernehmen, die komplexe Sachverhalte vereinfachten. „Es ist nicht zu schaffen, indem man der AfD nach dem Mund redet“, müsse aber anerkennen, dass es eine strukturelle Disharmonie zwischen der Bevölkerung, der Regierung und den Parteien gebe – „angesichts der Normalisierung einer rechtsradikalen Partei in einem der größten und wirtschaftlich stärksten Bundesländer.“ Vor diesem Hintergrund kritisierte er vor allem den Wahlkampf, der mit überspitzten Forderungen teils eine „postfaktische Dimension“ erreicht habe, die wenig mit ernsthafter Politik zu tun habe.

Der Rechtsextremismus-Experte aus Sachsen-Anhalt, David Begrich, plädiert dafür, sich genauer mit den Niederlagen der AfD auseinanderzusetzen: Am Sonntag hat die AfD nämlich in Sachen-Anhalt eine schon sicher gewonnene Oberbürgermeisterwahl in Bitterfeld-Wolfen verloren – nachdem sie in Nordhausen zwei Wochen zuvor ebenfalls unterlag: „Es ist an der Zeit, die Perspektive zu wechseln, wir haben sehr viel Zeit damit verbracht, die Erfolge der AfD zu verstehen. Wir sollen nun vielleicht auch beginnen, ihre Niederlagen zu analysieren und daraus zu lernen.“ Die AfD habe bei der verlorenen Stichwahl zwar einen hohen Stimmenanteil, „aber es gibt ein Momentum, dass sie es im letzten Moment eben doch nicht in die Verantwortung schafft.“