Sanktionen gegen Aserbaidschan: Glotzt nicht so erleichtert!

Alle Argumente, sich aus dem Konflikt um Bergkarabach herauszuhalten, erweisen sich als bequem und ahistorisch. Deutschland muss endlich handeln.

Ein Mitglied der EU-Beobachtungsmission ist an der Hakari-Brücke zu sehen

Ein Mitglied der EU-Beobachtermission blickt auf den Latschin-Korridor im Juli 2023 Foto: Alexander Patrin/dpa

Halten wir es schlicht. Das ist ein Text für all jene, die sich nicht dafür interessieren möchten, was gerade in Bergkarabach und Armenien geschieht; ein Text für die Menschen, die vielleicht sogar froh sind, dass sich dort gerade ein Problem erledigt, wenigstens einer dieser Konflikte endet, die „uns“ hier in letzter Zeit beschäftigen. Es ist auch ein Text für die Menschen, die finden, dass Ar­me­nie­r:in­nen verdient hätten, was gerade geschieht, weil Bergkarabach laut Völkerrecht zu Aserbaidschan gehört, weil Armenien mit Russland verbündet ist und seine Einwohner allesamt putinfreundlich seien. Und zu guter Letzt für jene, die finden, es sei das gleiche, wenn die Ukraine die Krim zurückerobern wolle und Aserbaidschan Bergkarabach und man müsse als „proukrainische“ oder zumindest „antirussländische“ Person deshalb automatisch Aserbaidschan unterstützen.

Es hat sich – wahrscheinlich auch in einem Wunsch, die Kompliziertheiten der Welt für sich zu ordnen – in Deutschland eine Erzählung durchgesetzt laut der ein Verweis aufs Völkerrecht alles klären soll: Kosovo, Krim, Karabach – alles ein und dasselbe, aber das ist apolitisch und ignorant. Also ja, völkerrechtlich gehört Bergkarabach zu Aserbaidschan. Es spielt jedoch eine Rolle, wer diesen Anspruch auf welche Art und Weise durchsetzen will. Aserbaidschan ist eine mit Erdöl und Erdgas reich gewordene Diktatur. Es gibt ein Parlament, aber die Dynastie des Präsidenten Ilham Alijew regiert das Land. Diese Machthaber und ihre Gefolgsleute hetzten in den vergangenen Monaten und Jahren systematisch rassistisch gegen Armenier:innen, nannten sie „Ungeziefer“, redeten von Auslöschung und Reinigung des Landes.

Und beim Sprechen blieb und bleibt es nicht. Während des Karabach-Kriegs von 2020, den Aserbaidschan gewann, und später vergewaltigten und folterten aserbaidschanische Soldaten, es gibt viele Videos davon, zum Teil drehten die Soldaten sie gleich selbst. Solche Videos tauchen gerade wieder auf. Wenn man also schon Ukraine-Vergleiche ziehen will, sollte man die Ähnlichkeiten im genozidalen Reden und Handeln zwischen den beiden Fossilautokratien Russland und Aserbaidschan wenigstens bemerken. Es gibt Gründe dafür, warum Zehntausende aus Karabach fliehen, einem Gebiet, dass seit etwa 2.000 Jahren armenisch besiedelt ist. Oder war – wenn es so weitergeht.

Armenien als „russlandfreundlich“ zu sehen, scheint auf den ersten Blick Sinn zu ergeben. Armenien ist Teil des von Russland dominierten Verteidigungsbündnisses OVKS, kauft Waffen von Russland, russländische Soldaten sind im Land stationiert, und armenische Po­li­ti­ke­r:in­nen sind beziehungsweise waren lange vorsichtig mit Kritik Richtung Moskau.

Zwei mächtigere Feinde

Schon 2017 und 2018 habe ich auf Reisen im Land Politiker:innen, Ak­ti­vis­t:in­nen und andere Menschen getroffen, die wussten, dass der Verbündete Russland auch Waffen an Aser­baidschan verkaufte. Manche verteidigten das als Russlands Recht, aber schon nach ein paar Nachfragen sagten die meisten, dass Armenien einfach keine andere Wahl habe, als sich an Russland anzulehnen. Armenien grenzt an zwei sehr viel mächtigere Feinde. Aserbaidschan und die Türkei, beide miteinander verbündet, bedrohen Armenien von zwei Seiten, Po­li­ti­ke­r:in­nen in beiden Autokratien reden regelmäßig davon, Teile Armeniens zu erobern oder es gleich ganz auszulöschen.

Russland wurde in Armenien lange Zeit als Schutzmacht angesehen, zu der es keine Alternative gibt. Dass das falsch ist, steht spätestens fest, seit Russland nicht verhindert hat, dass Aserbai­dschan im Dezember 2022 den Latschin-Korridor blockiert hat, die einzige Verbindungsstraße von Karabach nach Armenien. Aserbaidschan hat Karabach erst ausgehungert und es dann erobert, die russländischen „Friedenstruppen“ haben nichts dagegen getan.

Zu guter Letzt hat Deutschland gegenüber Armenien eine besondere Verantwortung. Als das Osmanische Reich 1915 und 1916 alles versuchte, um seine armenische Minderheit mit Massakern und Todesmärschen auszulöschen, wussten das Diplomaten und Offiziere des Deutschen Kaiserreichs, die im Land waren. Die Führung in Berlin entschloss sich, das systematische Morden an 300.000 bis 1,5 Millionen Ar­me­nie­r:in­nen zu ignorieren, viele befürworteten den Genozid sogar.

Angesichts dieser Geschichte und heutigen aserbaidschanischen und türkischen Drohungen gegen Armenien ist es irgendetwas zwischen fahrlässig, geschmacklos bis Beihilfe zum Krieg wenn deutsche Po­li­ti­ke­r:in­nen vor allem in CDU/CSU sich jahrelang und ohne nennenswerte Konsequenzen von Aserbaidschan schmieren ließen (googeln Sie „Aserbaidschan-Connection“) oder die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Aserbaidschan im Juli 2022 als verlässlichen Partner bei der Energieversorgung bezeichnet hat.

So wie deutsche Gier, deutsche Korruption und deutsche Wirtschaftsin­teressen die Autokratie in Russland stärker gemacht und zum Krieg in der Ukraine beigetragen haben, so geschah dies auch im Falle der aserbaidschanischen Aggression gegen Armenien. Sich dafür zu interessieren, was dort geschieht, wäre das Mindeste, was „wir“ tun können, die hier leben. Von denen, die Politik machen, wäre sehr viel mehr zu erwarten: Sanktionen gegen ­Aserbaidschan.

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