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SPD Berlin stimmt für Schwarz-RotJetzt kommt der Praxistest

Kommentar von Stefan Alberti

Eine Mehrheit ist eine Mehrheit: Die SPD-internen KritikerInnen sollten jetzt abwarten, wie Schwarz-Rot unter Kai Wegner (CDU) tatsächlich agiert.

Sehen so Sieger aus? SPD-ChefInnen Franziska Giffey und Raed Saleh Foto: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

D as Schöne an Abstimmungen: Es ist keine Frage der Interpretation, wer gewonnen hat. Es gibt keine angreifbaren Schiedsrichterbewertungen wie beim Eiskunstlauf, nur zwei Zahlen: die der Ja-Stimmen und die der Nein-Stimmen. Und mit 50 Prozent plus eine Stimme – nicht wie bei Verfassungsänderungen einer Zweidrittelmehrheit – hat das, worüber entschieden wurde, nun eine demokratische Basis. Insofern ist ohne Belang, wie groß die Mehrheit ist, die beim SPD-Mitgliederentscheid für Schwarz-Rot gestimmt hat. Das sagte auch kurz vor Abstimmungsende Landeschef Raed Saleh.

Die 54 Prozent Ja-Stimmen geben nun grünes Licht für den weiteren Ablauf: Am Montag wird ein CDU-Landesparteitag mutmaßlich einstimmig dem Koalitionsvertrag zustimmen samt Benennung der künftigen CDU-Senatorinnen und Senatoren, am selben Tag Vorstellung der SPD-Senatsmitglieder, am Donnerstag im Parlament die Wahl von Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister, dem ersten mit CDU-Parteibuch seit fast 22 Jahren.

Über den hat sich jüngst Kevin Kühnert ausgelassen, SPD-Generalsekretär und Bundesabgeordneter für Tempelhof-Schöneberg. „Dieser Mann verkörpert wenig von meiner Heimatstadt, in der ich seit bald 34 Jahren lebe“, ließ er den Spiegel zitieren. Wer weiß, vielleicht denkt Wegner Ähnliches über Kühnert. Zum einen aber sagt er es nicht, zum anderen ist es irrelevant. Entscheidend ist, dass Kühnert das Votum seiner Berliner Parteifreunde akzeptiert – und dazu gehört auch ein Regierungschef Wegner.

Nach der bundesweiten SPD-Abstimmung 2018 über ein Bündnis mit der CDU, das damals noch zu Recht Große Koalition genannt wurde, machte Kühnert, damals noch Bundeschef der Jusos, in ersten Reaktionen nicht den Eindruck, die damals deutliche Mehrheit wirklich zu akzeptieren. Es ist zu hoffen, dass das in seiner jetzigen Rolle anders ist. Kühnert hat Vorbildfunktion für viele SPDler. Falls er Wegner und seine künftige schwarz-rote Regierung boykottieren würde, wäre das eine klare Verletzung demokratischer Spielregeln und eines Generalsekretärs der Partei Willy Brandts nicht würdig.

Stattdessen sollte er Wegner nun erst mal machen lassen. Nicht Berlin repräsentierend? Latent rassistisch? Nicht fortschrittlich? All das, was sich vor allem die CDU zuletzt hat anhören müssen, steht nun auf dem Prüfstand. Ob es wirklich so ist, kann nur der Praxistest zeigen.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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28 Kommentare

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  • Da gibt es nichts schönzureden.

    Die personalie Schreiner zeigt, wo's langgeht: den Transferleistungsempfängern (den Wohnungsspekulanten nämlich) noch mehr Milliarden in die Taschen stopfen.

  • All diejenigen, die hier in den Leserkommentaren so aufkreischen, möchte ich genauso kreischen sehen, wenn mal die Grünen mit der CDU koalieren.

    Wetten, dass einige von Euch dann ganz, ganz still sind oder irgendwas von "Inhalten" und "Verantwortung" murmeln?

  • Nach dem Chaos der letzten Jahre (Stichwort "Neuland") kann es ja nur besser werden.

  • Wo ist da eine Mehrheit? Der Nichtgewählte koaliert mit der Abgewählten. 7% der Wahlberechtigten unter 35 Jahre stimmten für den Halbstarken aus Spandau.

    • @Rosmarin:

      Wer ist denn Nichtgewählt? Wegner? Hat 28% erhalten und damit 10% mehr als alle anderen.



      Wenn Wegner nicht gewählt ist, dann ist keiner gewählt und wir bräuchten Neuwahlen bis eine Partei 50+% bekommt.



      Tja und der Rest über 35 Jahre scheint dann wohl fast geschlossen für Wegner gestimmt zu haben?



      Übrigens gilt man jetzt schon mit 36 Jahren als Alt (hab Wegner nicht gewählt). Wenn ja, dann kein Wunder warum die keinen Bock mehr auf eine sogenannte progressiv Linke Regierung haben.

  • Giffey hat was sie will: Deckung. Ihr Rezept ist der Sprung in den Schützengraben der Großen Koalition, dann erstmal Kopf unten lassen. Die Logik ist nachvollziehbar. Auf der anderen Seite stände sie im Kreuzfeuer der "Bürger gegen die es keine Veränderungen geben darf" und der radikalen Veränderer von Letzte Generation und Enteignern. Dort will niemand stehen und die Grünen, die nicht anders können, sehen auch schon arg zerfleddert aus. Und selbst wenn Giffey irgendwelche eigenen Überzeugungen zu solchen Fragen hätte, sie würde immer die Seite wählen, die ihr persönlich mehr nützt. Leider fehlten einige Hundert Sozialdemokraten um ihr diesen Weg zu verwehren. Jetzt wird sich die Situation wohl beruhigen, die Sozis werden von Wegener genug kleine Geschenke bekommen, ansonsten ist man sich leider ja auch in vielen Fragen wirklich einig. Und das ist die echte Tragödie.

  • deutlich mehr, nämlich 59,1% haben für den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co. enteignen gestimmt. Schauen wir, ob die neue Regierung Respekt vor demokratischen Spielregeln zeigt und versucht, den Entscheid umzusetzen.

    • @Edgar:

      Es ist ein Irrtum den Willen einer Partei mit dem aller Wähler vergleichen zu können. Selbst wenn 80 Prozent dee Sozis die Koalition abgenickt hätten, hätten die 58,1 aus der Volksbefragung weiterhin Bestand.

      • @Benedikt Bräutigam:

        Mir ging es um die Aussage des Autors des Respekts vor demokratischen Spielregeln. Dieser Respekt müsse ergo bei allen SPDlern dazu führen, dass sie auf die Umsetzung des Entscheids drängen. Ansonsten sind das natürlich Äpfel und Birnen.

  • Der Kommentar ist ja total tröstend. Dann muss ich jetzt gar nicht traurig sein, dass wir uns von wenigen Mitgliedern einer Partei, dessen "S" im Namen schon seit Jahrzehnten nicht für "sozial" und "Demokratie" steht in diese unsägliche Regierungs-Koatlition zwingen lassen. Doch, ich bin traurig und das vorgenannte war natürlich Ironie.

  • Dass es dazu kommen konnte. Die Motivation der SPD erschließt sich mir nicht. Frau Giffey denkt, dass ihre persönlichen Gefühle eine Relevanz für sie ganze Stadt haben. Aber dass die Berliner SPD ihr da hinterher trottet? Ich meine, man kann sich doch an drei Fingern abzählen, dass die in drei Jahren noch weniger Stimmen bekommen.



    Sie wollen diese Regierung ja selber kaum (54%)

    • @anachronist:

      Wenn 54% für diese Koalition sind, wieviele bleiben dann noch für eine andere übrig?

  • Ich kenne keine Partei, die SO WENIG Machtinstinkt besitzt wie die derzeitige Berliner SPD.



    Macht ist notwendig um Inhalte durchzusetzten.



    Hätte eine €DU nach gewonnener Wahl freiwillig ihre Macht abgegeben und wäre ihre Vorsitzende als Bürgermeisterin zurückgetreten?

    SPD-Berlin =



    Wie kann man nur so blöd sein.

    Ihr sabotiert den Kampf um bessere Ideen und überlasst freiwillig das Spielfeld dem politischen Gegner??



    (Inklusive Machtverlust im Bundesrat!)



    Ich könnte kotzen.

    • @So,so:

      „Gewonnene Wahl“ ist schon eine eher eigentümliche Interpretation.

  • Genau! Demokratie! Respekt vor Mehrheitsentscheidungen!



    Warten wir mal ab Wegner (CDU) nun aus Respekt vor demokratischen Mehrheitsentscheidungen das Ergebnis des Volkeentscheids zu den Enteignungen der Wohnungskonzerne umsetzt.

    • 6G
      659554 (Profil gelöscht)
      @Ingo Bernable:

      Exakt. Wird er nicht. Und genau deshalb ist Giffey auch in diese Koalition gegangen, um die Volksentscheide nicht umsetzen zu müssen und ohne selbst dafür Verantwortung übernehmen zu müssen.

  • Willy Brandt hätte zu Kai Wegner und seinesgleichen bestimmt was zu sagen gehabt. Herr Aliberti, Sie gehören zu den SPD-Sympathisanten, Ihr gutes Recht, aber erwarten Sie bitte nicht dass die Berliner*innen einfach so dieses aus guten Gründen knappe Votum einfach so schlucken.

    • @Konrad Ohneland:

      Sie haben aber schon mitbekommen, wie "die" Berliner_innen gewählt hatten?

  • Ich habe noch nie was von der CDU gehalten.



    Allerdings hat der Koalitionsvertrag eine deutliche SPD Handschrift.



    Entgegen den KritikerInnen hat sich die SPD auf Inhalte konzentriert. Der immer wieder vorgebrachte Vorwurf, es gehe der Parteispitze um Posten, ist angesichts der Tatsache, dass Giffey nicht am BürgermeisterInnenstuhl klebt, bereits entkräftet.



    Es bleibt nun abzuwarten, wie die Umsetzung der KoalitionsPläne läuft. Eine demokratische Entscheidung ist gefallen und ich hoffe, dass die SPD Mitglieder nun das Beste daraus machen!



    Manchmal ist Zusammenarbeit schwierig, aber auf die Ergebnisse kommt es an. Setzt die geplanten Gelder für den Klimaschutz sinnstiftend ein, das wäre ein echter Gewinn.

    • @Philippo1000:

      "die geplanten Gelder für den Klimaschutz" stehen unter Finanzierungsvorbehalt durch die CDU.

  • Die eigene Basis, mit Verlaub, niedergeknüppelt, um endlich (!) den Club Deutscher Unternehmer auf den Thron zu hieven. Tolle Arbeiterpartei.



    Kühle Nummer, Franzi! Dein Job ist ja gesichert...

    • @Feiner Pinkel:

      👍

  • OK



    Das war's. Ich habe gerade meinen Parteiaustritt abgechickt. Machts gut Genossen und viel Glück. Ihr werdet es brauchen.

  • Die SPD ist bei der Wahl für ihren extrem linken Kurs in einer historischen Art und Weise abgestraft worden.



    Es hätte der SPD gut zu Gesicht gestanden von einer Regierungsbeteiligung Abstand zu nehmen.

  • Die Berliner SPD hat sich mit dieser Entscheidung für eine sehr, sehr lange Zeit unwählbar gemacht und hat die Chance für eine progressive Politik links der Mitte verpasst.

    • @Hatespeech_is_not_an_opinion:

      Dafür hat sie jetzt die Chance einer progressiven Politik der Mitte.

  • Mist. Wäre eine gute Chance für die SPD gewesen.

  • Beim Lesen dieses Kommentars, habe ich gerade nachschauen müssen, ob ich nicht versehentlich auf der Site der Zeitung ‚Die Welt‘ gelandet bin. Der Taz ist so ein Kommentar eigentlich nicht würdig.