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Wohnungskündigungen für FlüchtlingeLörrachs Nicht-Skandal

In Lörrach soll Mietern gekündigt werden, damit Flüchtlinge einziehen können. Nach tagelangem Shitstorm erklärte sich die Stadtverwaltung erstmals.

Viel Wind um nichts? Diese Mietshäuser in Lörrach stehen im Zentrum des Shitstorms Foto: Christian Böhmer/dpa

Karlsruhe taz | Es klingt zunächst wie der Offenbarungseid kommunaler Flüchtlingspolitik. In Lörrach sollen 40 Menschen ihre Wohnungen verlassen, damit in dem Gebäudekomplex in der Wöblinstraße Flüchtlinge einziehen können.

Schon seit dem Wochenende ist die Empörung groß: Im Netz kursiert das Schreiben der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, in dem die Bewohner über ihren Auszug informiert werden. Stadt und Landkreis hätten sich zur Unterbringung von Flüchtlingen verpflichtet. „Für Sie bedeutet das, dass wir in Kürze das mit Ihnen vereinbarte Mietverhältnis kündigen werden“, heißt es in dem Brief.

Zum Jahresende soll die gesamte Anlage mit 30 Wohnungen als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden. Den Bewohnern wurden im Gegenzug modernere Wohnungen zu vergleichbaren Mietpreisen versprochen.

In die bundesweite Empörung, vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen stimmen die üblichen Wortführer von AfD über Wolfgang Bosbach bis Boris Palmer ein. Bild und SWR lassen Bewohnerinnen und Bewohner zu Wort kommen, die weniger Empörung als Resignation und Unverständnis über die Entscheidung der Stadt äußern. Einer der Mieter ist erst vor einem halben Jahr in die Wohnung gezogen.

In einer Pressekonferenz am Mittwoch, die ebenfalls bundesweit gestreamt wurde, konnte die Stadt ihre Sicht der Dinge vortragen. Der Lörracher parteilose Oberbürgermeister Jörg Lutz verteidigte dort das Vorgehen der Stadt offensiv. „Die 30 Wohnungen taugen nun wirklich nicht, den ganz großen Skandal herbeizureden.“

Tatsächlich handelt es sich bei dem fraglichen Gebäude um Wohnungen aus dem 50ern, die ohnehin 2023/24 abgerissen werden sollten. Die Mieter bis dahin in den alten Wohnungen zu belassen und die Geflüchteten stattdessen in den neueren Wohnungen unterzubringen hätte für noch mehr Furore gesorgt, sagte der Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Thomas Norstadt. Schon 2015 und 2016 habe man, um Geflüchtete unterbringen zu können, Bewohnerinnen und Bewohner Städtischer Wohnungen umgesiedelt. „Es waren alle zufrieden“, so Nostadt.

Er konstatiert: Die Gesellschaft sei seit damals eine andere geworden. Es bleibt wohl die Erkenntnis, dass die Verwaltung mit weitsichtigerer Planung, einer vorherigen Ansprache der Bewohner und einem sorgfältiger formulierten Brief der bundesweiten Empörung wohl die Spitze hätte nehmen können. Angesichts der hochschlagenden Emotionen, hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft eine für Montag geplante Bewohnerversammlung fürs Erste abgesagt. Stattdessen laufen nach Angaben der Stadt jetzt persönliche Gespräche mit den Bewohnern.

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30 Kommentare

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  • Lörrach befindet sich nicht in einer Region, die sich durch Wohnungsleerstand auszeichnet ( www.deutschlandatl...ungsleerstand.html ). Im Gegenteil, es dürfte schwierig sein, dort günstig eine neue Wohnung zu finden ( www.deutschlandatl...en/040-Mieten.html )

  • Rumzumotzen ist der Deutschen Smalltalk. Wunderbar hier in der Kommentarfunktion zu lesen. Eigentlich steht doch alles im Artikel, nämlich gut begründet sich nicht aufzuregen und rumzumotzen, oder?

    • @Tom Farmer:

      "Eigentlich steht doch alles im Artikel," meinen Sie. Nun ja. Im Artikel steht nicht,



      1. dass in den Schreiben an die Mieter vom 15.02.2023 von einem für 2023/24 geplanten Abriss keine Rede war,



      2. wann denn die erst einige Tage später öffentlich verkündete Planung, die Wohnungen 2023/24 ohnehin abreißen zu wollen, beschlossen worden ist und weswegen diese Planung den Mietern erst mitgeteilt worden ist, nachdem die öffentliche Empörung losging,



      3. wie weit entfernt von ihren jetzigen Wohnungen der Ersatzwohnraum für die Mieter liegen soll und welche Mieten für den Ersatzwohnraum im Vergleich zu den jetzigen verlangt werden sollen,



      4. was die Mieter dazu sagen; es kommen allein die Stadt und die Vermieterin zu Wort.

      • @Budzylein:

        Ihre Punkte 1 und 2 heben sich auf. Etwas vor der offiziellen Beschlussfassung zu verkünden geht eben nicht. Kommunikation geht natürlich besser, aber inhaltlich und formal korrekt das Vorgehen dennoch.



        Punkte 3 und 4: Leben wir jetzt im Zuckerwatteland? So ist das Leben!

  • Ich schätze mal das alle die hier am meckern sind ein noch größeres Fass aufmachen würden wenn die Flüchtlinge in den Neubauten untergerbacht werden würden. Ich würde mich als Mieter freuen in einen Neubau mit vergleichbarer Miete zu ziehen.

    • @Andreas J:

      Schön für Sie. Ob sich Menschen über 80 genau so freuen, ist fraglich.



      Von den Kosten eines Umzugs mal ganz zu schweigen.

    • @Andreas J:

      Die Frage wäre nur, würde das irgendwer überhaupt merken?

      Und dir Frage ist, kann die Stadt das von ihr abgegebene Versprechen überhaupt einhalten? Falls ja, weshalb wurden die Wohnungen dann nicht gleich benannt (nebst Umzugkostenübernahmeerklärung).

  • Nur wenn jeder in Lörrach relativ problemlos eine Wohnung zum vernünftigen Preis bekommen kann, ist der Skandal kein Skandal.



    Aber die Mieter, die ausziehen, nehmen anderen Wohnraum anderen Menschen weg, die dringend diesen benötigen.



    Die Verschiebung und den Kampf um Wohnraum bitte vom Anfang, also dem Schreiben bis zum Ende denken und schreiben und nicht willkürlich irgendwo stopp machen.

    • @Thomas Sauer:

      Es gibt für Lörracher keine bezahlbare Wohnungen.



      Meine Freundin, würde gerne in ihre Heimatstadt zurück.Keine Chance!

  • Die Häuser sehen doch noch ganz gut aus! Ein Foto von den "moderneren" Wohnungen wäre hier angebracht.

    Und wenn die Häuser abgerissen werden, wo sollen dann die Flüchtlinge hin? 🤔



    Schon merkwürdig das Ganze!

  • "Tatsächlich handelt es sich ... um Wohnungen aus dem 50ern, die ohnehin 2023/24 abgerissen werden sollten."

    Mein Großvater bekam im Februar 2016, also vor 7 Jahren, eine Kündigung seiner Wohnung vom privaten Eigentümer, weil das Haus abgerissen werden soll. Die Mieter wehren sich immer noch.



    Das Haus stammt ebenfalls aus den 50ern und wurde damals vorsorglich schon damals entisoliert und mit Bauschutt und -gerät umstellt.

    Die kommunale Wohnungsverwaltung agiert wie ein Immobilienhai unter dem Vorwand der Flüchtlinghsunterbringung.

    Ekelhaft!

  • Nicht jeder ist gesundheitlich, psychisch, zeitlich und finanziell in der Lage mal eben umzuziehen. Daran ändern auch Ersatzwohnung und 1500 bis 2000 € Umzugskosten nichts. Die realen Kosten betragen mindestens das fünffache, eher das zehnfache, wegen des Arbeitsausfalls und weil sehr viele Einrichtungsgegenstände bei so einem Umzug neu angeschafft werden müssen. Warum gibt die Kommune die Ersatzwohnungen nicht direkt an die Geflüchteten? Abriss und Neubau ist auch klimatechnisch fragwürdig, abgesehen davon dass für die Geflüchteten ja erstmal renoviert werden soll.

    • @stadtlandmensch:

      Dass die Gebäude eh abgerissen werden sollen hat man geflissentlich überlesen? Ein Mensch der heut psychisch, zeitlich und finanziell nicht in der Lage ist umzuziehen, ist es dann auch 2024 nicht. Was tun? Den Abriss nicht vollziehen? Wie soll das gehen? Ihr Argument ist damit gänzlich hinfällig.

  • Ärgerlich, dass eine kommunale Wohnungsgesellschaft mit rechtlich fragwürdigen Kündigungen politisch Stimmung gegen Geflüchtete macht. Entweder ist das Haus abrissreif - oder nicht. Aber gut genug nur noch für Geflüchtete?

    Berichtet wird dass die Häuser renoviert und dann 5 Jahre für Geflüchtete genutzt werden sollen, statt bisher 7 bis 8 Euro von den Mietern dann für 11 Euro Miete von der Stadt, refinanziert aus Fördermitteln für die Flüchtlingsaufnahme.

    Die Kommune muss Geflüchtete unterbringen - aber warum in einem komplett geräumten Haus, das dann zu einer Sammelunterkunft umgewandelt wird?

    Integrativer und sozial verträglicher wäre die Vermietung einzelner im Rahmen der normalen Fluktuation frei werdender Wohnungen. Die die Kommune jetzt ja auch für die bisherigen Mieter bereit stellen muss.

    Man sollte nicht Wohnraum für Deutsche hier und Geflüchtete dort separieren. Dass es anders geht zeigt das Beispiel der Ukrainer:innen, die von Anfang an privat wohnen dürfen, und das Beispiel der Asylsuchenden in Berlin, für die der Berliner Senat anders als BaWü angesichts der akuten Unterbringungsnotlage seit Januar 2023 die Pflicht in Sammellager zu leben gemäß § 49 Abs 2 AsylG aufgehoben hat.

    Würde BaWü ebenso verfahren, könnte man auch dort auf einige Sammelunterkünfte verzichten. Selbstverständlich muss der Staat Wohnungslose - Geflüchtete ebenso wie Deutsche - unterbringen. Aber die in BaWü stets mit voller Härte umgesetzte Pflicht nach §§ 47 und 53 AsylG und ggf. nach LandesaufnahmeG BaWü nur im Sammellager zu leben, selbst wenn man längst privat bei Freunden oder Angehörigen unterkommen könnte oder sogar eine eigene Wohnung gefunden hat, das dient allein zur Abschreckung und Ausgrenzung. Und verschärft die Unterbringungsnotlage.

    Lothar Späth hat 1980 in BaWü das "Sammellager" für Geflüchtete ausdrücklich als Abschreckungsinstrument erfunden und bundesweit erstmals die Lagerpflicht für Asylsuchende eingeführt.

  • Die Wohnungen aus den 50er Jahren dürften entsprechend eine schlechte Energieeffizienzklasse ausweisen. Wir sind im letzten Jahr von so einem Altbau in ein Neubau umgezogen und nun sehr glücklich darüber. Ein Achtzigjähriger möchte so etwas natürlich nicht mehr mitmachen. Allen anderen Mietern dort kann ich sagen, Kopf hoch, dieser Wohnungswechsel lohnt sich.

  • Hier muss man doch nichts beschönigen. Erstens kann man Mieter nicht so einfach kündigen, wie sich die städtische Gesellschaft das scheinbar vorstellt. Dann wird ja gesagt, dass das Ende des Lebenszyklus der Immobilien erreicht ist, was eigentlich nur bedeuten kann, dass die Bestände vernachlässigt wurden. Ich war erst heute bei einer Genossenschaft, die ihre Bestände aus einem vergleichbaren Zeitraum umfangreich energetisch saniert - sollte da evtl. mal anrufen, weil die ja schon eigentlich das Ende der Nutzungsdauer erreicht haben. Gleichzeitig sollte man alle warnen, die in teuren Gründerzeithäusern wohnen, die ja schon über 100 Jahre alt sind. Und wenn es eh für dieses oder nächstes Jahr geplant war wie behaupetet, wann wollte man den Mieter das denn sagen? Wenn die Bagger vor der Tür stehen?



    Und die Kirsche auf der Sahne, dass man in marode Gebäude Flüchtlingen einquartieren möchte, für die scheint das dann ja noch zu reichen. Die Geschichte ist einfach krum und schief und die handelnden Personen denken auch nur von der Tapete bis zu Wand.

  • Das scheint vor allem ein krasses Kommunikationsdesaster zu sein. Ungeschickt und emphatielos ist das Mindeste, was man dazu sagen kann.

  • Die Ankündigung von "persönliche Gespräche" hört sich eher wie eine Drohung an.



    Man will wohl verhindern, daß die Betroffenen sich gemeinsam wehren.

    PS: Wenn die Wohnungen doch angeblich 2023/24 abgerissen werden sollen, warum hat man gerade erst noch jemanden einziehen lassen ?



    Entweder ist der Termin eine Lüge, oder das Unternehmen ist noch schlechter geführt als man es nach den bisher vorliegenden Fakten vermuten könnte.

    PS2: Wenn man Stimmung gegen Flüchtlinge machen will, hätte man genauso vorgehen müssen.



    Dummheit oder Absicht ?

    • @Don Geraldo:

      "Wenn die Wohnungen doch angeblich 2023/24 abgerissen werden sollen, warum hat man gerade erst noch jemanden einziehen lassen?"



      Weil dieser Jemand womöglich nur für kurze Zeit eine Wohnung braucht? Soll vorkommen.



      Ohne Kenntnis des Kontexts sollte man sich mit Anschuldigungen zurückhalten.

      "Die Ankündigung von "persönliche Gespräche" hört sich eher wie eine Drohung an.



      Man will wohl verhindern, daß die Betroffenen sich gemeinsam wehren."



      Was denn nun? Eine allgemeine Ankündigung war schlecht, eine individualisierte Ansprache ist schlecht...

      "Dummheit oder Absicht?"



      Fragt man sich in der Tat bei so manchen Gelegenheiten. Meistens allerdings ersteres.

      • @Encantado:

        Ähm, eine allgemeine Ankündigung in Briefform richtet sich auch an jeden einzeln. Infolgedessen sich ja offensichtlich Mieter zusammentaten und wehrten.



        Die jetzt zu Einzelgesprächen zu laden wirkt auf mich auch wie der Versuch jeden separiert zu "überzeugen".



        Ohne Wertung über das richtig und falsch in der Sache, das Benehmen der öffentlichen Stellen irritiert.

        • @Fabian Wetzel:

          Das haben Sie schön gesagt. Eines dürfte jedenfalls sicher sein: Die Leute, die diese Entscheidungen getroffen haben, wohnen woanders und müssen ihre Wohnungen nicht verlassen.

  • "Einer der Mieter ist erst vor einem halben Jahr in die Wohnung gezogen."

    Und ein anderer ist über 80 und wohnt schon über 30 Jahre dort!

    Warum erwähnen sie den nicht, den den trifft es richtig hart. Oder glauben sie wirklich, dass es einen Full-Service Umzug für ihn geben wird?



    Die ganze Idee ist eine Schnapsidee und zeigt die Probleme mit denen man die Kommunen als Land einfach alleine lässt.



    Dass die ganz rechten dies nun ausschlachten ist widerlich, ändert aber trotzdem nichts daran, dass es falsch ist.

    • @Rudi Hamm:

      Es stellt sich die Frage, ob man dem Mieter, der erst vor einem halben Jahr eingezogen ist, vorher gesagt hat, dass die Wohnhäuser "ohnehin 2023/24 abgerissen werden sollten". Diesen Mieter trifft es auch hart, denn er ist ja gerade erst umgezogen und soll jetzt wieder umziehen.

    • @Rudi Hamm:

      Die Wohnungen sind aus den 50er Jahren und sollen nächstes Jahr abgerissen werden...

      • @MeineMeinungX:

        Auch das ändert nichts daran, dass diese Entscheidung falsch ist. Man wirft keine Mieter raus um Platz für andere zu machen, egal wer das ist.

      • @MeineMeinungX:

        Was durchaus bezweifelt werden kann. Warum lässt man erst noch einen Bewohner einziehen, wenn die demnächst abgerissen werden sollen?

        Warum bringt man jetzt Flüchtlinge in einem Abrisshaus unter?

      • @MeineMeinungX:

        Ja, es wäre schön gewesen, wenn im Artikel genannt worden wäre, seit wann das (den Mietern) bekannt ist. Hätte vielleicht ein wenig Druck aus der Debatte genommen.

        • @Encantado:

          Die Schreiben sind mit 15.02.2023 datiert.

  • Doch es ist ein Skandal, wie wenig Weitblick und Fingerspitzengefühl sich ein Politiker und eine Wohnungsbaugenossenschaft in einer ziemlich aufgeheizten Situation leisten. Zuerst Wohnungen bereitstellen, dann die vorherigen Mieter dorthin umziehen lassen und dann ..... weitersehen. Oder ist jetzt das berechtigte Unverständnis auch "ein Angriff auf die Demokratie"? Leute leben da seit Jahrzehnten und wollen dort nicht wegziehen. Ich dachte so was geht nur im Osten.

  • Es ist dumm, die Kündigung der Wohungen in Aussicht zu stellen. Statt dessen hätte man erst die konkreten Ersatzwohungen anbieten und eine Änderung des Mietvertrages anbieten sollen.