Flüchtlingsrat über Unterbringung: „Kein Geld, keine Kleidung“

Der Münchner Flüchtlingsrat warnt: Das System der Ankerzentren in Bayern steht nach Ansicht der Helfer kurz vor dem Kollaps.

Zaun und Schild mit Piktogramm vor dem Ankerzentrum Bamberg

Ankerzentrum in Bamberg Foto: K. Schmitt/Fotostand/imago

taz: Herr Esterer, Sie haben jüngst vor einem Zusammenbruch des bayerischen Lagersystems für Flüchtlinge gewarnt, warum?

Robin Esterer: Wir merken, wie sich die Zustände in den Ankerzentren immer weiter verschlechtern. Wir fahren einmal in der Woche mit unseren Infobussen zu den Ankerzentren in München und Ingolstadt, um dort Flüchtlinge zu beraten. Und die Probleme, mit denen die Menschen in der letzten Zeit zu uns kommen, sind sehr grundlegende. Die Menschen kriegen oft über Monate keine Kleidung, keine Sozialleistungen, keine Dokumente. Ein Dach überm Kopf und Essen in der Kantine – das ist alles. Alle sind sehr frustriert.

Wie kommt das?

Die Behörden sind völlig überfordert, die Verfahren liegen teilweise seit Monaten auf Eis. Das aktuelle System funktioniert ja – in der Theorie – so, dass Personen nach der Einreise auf die Ankerzentren verteilt werden und da zunächst auch bleiben müssen. Erst nach einem oder anderthalb Jahren werden sie dann auf Gemeinschaftsunterkünfte weiterverteilt. Da diese Unterkünfte aber in Folge des Ukraine-Krieges sehr voll sind und die Kapazitäten nicht ausreichend erhöht wurden, gibt es einen enormen Rückstau. In der Folge sind jetzt auch die Ankerzentren überfüllt und oft werden sogar Personen aus den Ankerzentren in Turnhallen verlegt. Die Behörden sind mit der Situation völlig überfordert. Im Ankunftszentrum in München, wo die Flüchtlinge eigentlich registriert werden sollten, werden sie oft ohne Ausweisdokumente weitergeschickt – meist in das Ankerzentrum Manching in Ingolstadt. Die Registrierung ist allerdings Voraussetzung für Kleidung und Sozialleistungen. Darauf müssen Flüchtlinge jetzt manchmal monatelang warten.

27, ist Projektleiter beim Münchner Flüchtlingsrat und berät Flüchtlinge des Ankerzentrums Ingolstadt.

Es ist verdammt kalt dieser Tage. Warme Kleidung wäre da eigentlich nicht verkehrt.

Stimmt. Aber zu uns in den Infobus sind Leute in kurzen Hosen und Flipflops gekommen – bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Zumindest Familien und Notfälle hat man jetzt versucht, notdürftig mit Kleidung zu versorgen, aber die anderen sind außen vor.

Das heißt, sie können de facto das Haus nicht verlassen.

Genau. Wobei das nicht nur an der fehlenden Kleidung liegt. Sie haben ja auch kein Geld für ein Busticket. Sie sind da im Prinzip eingesperrt.

Was erleben Sie noch in Ihrem Beratungsalltag?

Wir stellen beispielsweise auch fest, dass derzeit besonders viele unbegleitete Minderjährige nicht als solche erkannt und in die Ankerzentren geschickt werden, obwohl sie in Jugendhilfeeinrichtungen müssten.

Es gibt derzeit in Bayern 30 Standorte von Ankerzentren. Ist die Situation da überall dieselbe?

In Manching ist es am schlimmsten, weil dort die ganzen unregistrierten Geflüchteten landen. Aber auch in den anderen Zentren kommen die Behörden mit ihrer Arbeit nicht hinterher. Da werden beispielsweise Ausweise nicht verlängert, was dazu führen kann, dass Arbeitserlaubnisse verfallen, der Zugang zu Deutschkursen verwehrt wird oder die Menschen Probleme bei einer Polizeikontrolle bekommen.

Gibt es denn wenigstens genug Betten?

Jeder bekommt einen Schlafplatz. Aber aus München hören wir auch, dass dort regelmäßig Menschen in den Gängen und auf Feldbetten schlafen müssen. Das kann bis zu zwei Wochen gehen.

Wie steht es um die ärztliche Versorgung?

Auch dafür ist – außer in Notfällen – eine Registrierung notwendig. Aber auch dann dürfen die Bewohner nur zum Arzt in ihrer Unterkunft. Nach unserer letzten Information war der Arzt in Manching für über einen Monat ausgebucht.

Wie könnte man den akuten Notstand beheben?

Unsere erste Forderung wäre, dass die Menschen nicht mehr verpflichtet werden, in den Ankerzentren zu wohnen. Sehr viele Flüchtlinge hätten andere Unterkunftsmöglichkeiten, etwa bei Verwandten und Freunden. Das würde das System schon mal stark entlasten. Und dann bräuchten wir einfach niederschwellige Unterstützungsangebote, die auch ohne eine erfolgte Registrierung bereitgestellt werden. Bei der Hilfe für die Flüchtlinge aus der Ukraine hat das auch sehr gut und unbürokratisch geklappt. Ich sehe nicht ein, warum sich die bayerische Regierung dem bei Flüchtlingen aus anderen Ländern verweigert.

Von Ankerzentren halten Sie ja ohnehin nicht viel.

Absolut nicht. Das Grundkonzept der Lagerunterbringung ist einfach menschenunwürdig. Die Menschen werden eingesperrt und einer zentralen Kontrolle unterworfen. Sie sind von der Außenwelt abgeschnitten, haben keine Privatsphäre, müssen sich mit fünf bis sieben anderen ein Zimmer teilen, kriegen fast nur Sachleistungen, können ihr Essen nicht frei wählen.

Die Ankerzentren sind ja eingeführt worden, um die Verfahren zu beschleunigen.

Wenn man sich Statistiken anschaut, dauern die im Schnitt genauso lang wie vorher. Da gibt es nahezu keinen Unterschied. Ich halte das sowieso für einen vorgeschobenen Grund. In Wirklichkeit geht es doch darum, die Personen zu kontrollieren. Und ihre Integration zu verhindern, um eine Abschiebung zu erleichtern. Außerdem sollen solche menschenunwürdigen Unterkünfte natürlich auch der Abschreckung dienen.

Die Ampel hat sich ja nach der Übernahme der Regierung für ein Ende der Ankerzentren ausgesprochen. Das scheint aber nicht in Sicht zu sein.

Man werde das Konzept nicht weiterverfolgen, hieß es damals. Aber seit dem Regierungswechsel hat sich rein gar nichts geändert. Die Unterbringung von Flüchtlingen ist zwar Ländersache, aber natürlich hätte die Bundesregierung Möglichkeiten, um die Situation zu verbessern. Zum Beispiel könnte sie die Mindestaufenthaltsdauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen streichen und die maximale Aufenthaltsdauer von derzeit bis zu 24 Monaten stark herabsetzen. Aber offenbar scheut man da den Konflikt mit Bayern und der Opposition.

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