Fahrn,
fahrn,
fahrn,
auf
der
Autobahn

Die Ampel streitet sich um den Verkehr. Die FDP will schneller mehr Autobahnen bauen, die Grünen lieber weniger. In dem Konflikt rächt sich, dass sie das zuständige Ministerium den Liberalen überlassen haben

Im Juni 2021 besetzten Ak­ti­vis­t:in­nen die Baustelle der A100 in Berlin, um für eine klimagerechte Mobilitäts­wende zu demonstrieren Foto: Fritz Engel/laif

Aus Berlin Nikola Endlich
,Claudius Prößer
und Tobias Schulze

An einem grauen Sonntagvormittag Anfang Februar warten rund 200 Menschen mit Fahrrädern vor dem S-Bahnhof Treptower Park in Berlin. Es gibt heißen Tee, Musik vom DJ-Lastenrad und nervöse Blicke bei den Organisator*innen, weil die Hauptperson auf sich warten lässt: Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus, soll hier kurz vor Schluss ihrer Kampagne ein Zeichen setzen – gegen den Weiterbau der Stadtautobahn A100.

Der Ort der Kundgebung markiert den Punkt, bis zu dem der Autobahn-Stadtring in zwei Jahren vorgestoßen sein wird: Seit 2013 wird an dem Bauabschnitt gearbeitet, rund drei Kilometer von Neukölln in den ehemaligen Ost-Teil der Stadt. Ginge es nach dem amtierenden rot-grün-roten Senat und seiner Verkehrssenatorin Jarasch, bliebe es auch dabei.

Der nächste Bauabschnitt – weitere fünf Kilometer über die Spree in Richtung Norden – würde dann nicht mehr gebaut. „Aberwitzig“ seien die Pläne, ruft Jarasch ins Mikrofon, als sie schließlich da ist. „Die Autobahn zieht neuen Verkehr und ist jetzt schon absurd teuer.“ Dann geht die Demo los, auf dem Fahrrad die potenzielle Trasse entlang: Vorbei an Brachflächen, ein paar Gründerzeit-Wohnhäusern, Kfz-Werkstätten und einigen Clubs, die dem Neubau weichen müssten.

Ob es dazu kommt? Dass die Berliner Landesregierung geschlossen gegen das Projekt ist, ist eine Besonderheit. In anderen Landeskoalitionen konnten sich die Grünen mit ihrem Nein zu Autobahn-Plänen nicht durchsetzen, in Schleswig-Holstein zum Beispiel, wo die umstrittene Küstenautobahn A20 verlängert werden soll. „Die Entscheidung über die Planung von Fernstraßen liegt in der Hand des Bundes“, heißt es dort im schwarz-grünen Koalitionsvertrag.

Dass sich der Berliner Senat anders positioniert, wird am Ende womöglich nichts nützen: Die Hoheit beim Autobahnbau liegt tatsächlich beim Bund. Und obwohl die Grünen dort ebenfalls mitregieren: In Sachen Verkehrsplanung läuft es im Moment nicht in ihrem Sinne.

Prominent ficht die Ampel gerade den Streit um die Planungsbeschleunigung aus. Der dreht sich darum, ob beschlossene Autobahnprojekte in Zukunft schneller gebaut werden sollen. Ist dieser Konflikt irgendwann geklärt, steht schon der nächste an. Er ist noch grundlegender: Umstritten ist, ob jene Autobahnen überhaupt noch entstehen sollen, deren Bau vor Jahren einmal beschlossen wurde. Im Koalitionsvertrag ist vage von einer Revision die Rede. Volker Wissing (FDP) und sein Verkehrsministerium bremsen dabei aber.

Und so stellt sich die Frage, wie sich der Bau neuer Autobahnen überhaupt noch stoppen lässt – was angesichts der Klimakrise dringend nötig wäre.

Im Verkehr klafft eine große Lücke bei den Klimazielen. Die Ampel müsste den CO2-Ausstoß durch den Verkehr senken, um nicht weiter gegen das Klimaschutzgesetz zu verstoßen. 139 Millionen Tonnen CO2-Emissionen erlaubte es dem Sektor im vergangen Jahr. Laut der Denkfabrik Agora Energiewende wurden tatsächlich 150 Millionen Tonnen in die Luft geblasen. Der Klimaexpertenrat der Bundesregierung drängt den Verkehrsminister, bei der Einhaltung der Klimaziele nachzubessern.

Doch die FDP verfolgt derzeit einen anderen Plan. Im Herbst reichte Wissing seinen Entwurf des „Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren“ ein, über den die Ampel jetzt so heftig streitet. Er will damit Planungsverfahren im Verkehrsbereich verkürzen. Neben einem schnelleren Bau von Schienen und Wasserstraßen, den auch die Grünen richtig finden, geht es ihm um den beschleunigten Bau von Autobahnen.

Bei bestimmten Straßenprojekten könnte künftig auf Schritte bei der Bürgerbeteiligung und Standards der Umweltprüfung verzichtet werden. Umweltverbände kritisieren das scharf.

In der Koalition kursieren verschiedene Listen von Autobahnprojekten, die die FDP trotz der Kritik priorisieren möchte. Laut dem Spiegel soll Wissing zuletzt im Januar in einem Kompromissvorschlag zwar nur noch schnellere Ausbauvorhaben vorgeschlagen haben, keinen beschleunigten Neubau mehr. Aus seinem Ministerium heißt es aber, auch für die A100 in Berlin sei der Turbo noch nicht vom Tisch.

Auch deswegen haben die Grünen im Bund bisher nicht eingeschlagen. Wurde ihnen aus der Klimabewegung zuletzt im Streit um Lützerath noch zu viel Kompromissbereitschaft vorgeworfen, stehen sie bei der Planungsbeschleunigung relativ geschlossen. Wenn es darum geht, kaputte Autobahnbrücken zu sanieren oder zu ersetzen, würden sie schnelleren Planungen zwar zustimmen. Darüber hinaus lassen sie aber kaum Entgegenkommen erkennen.

Drei Treffen zwischen Wissing, der grünen Umweltministerin Steffi Lemke und Bundeskanzler Olaf Scholz endeten ohne Einigung, zuletzt auch ein Treffen der Koalitionsspitzen. Anfang März will sich der Koalitionsausschuss erneut treffen. Ausgang: ungewiss.

Wie viele Autobahn-Kilometer in Deutschland noch entstehen werden – egal, wie schnell – ist primär allerdings gar keine Frage des Beschleunigungsgesetzes. Die grundsätzliche Frage, ob eine neue Straße gebaut werden soll, wird in einem anderen Dokument mit ähnlich sperrigem Namen geklärt: dem Bundesverkehrswegeplan. Auch um ihn schwelt ein Ampel-Streit.

Der Plan ist ein Herzstück der deutschen Verkehrspolitik. Alle 10 bis 15 Jahre wird er von der Bundesregierung neu erstellt – begleitet von lobbyierenden Abgeordneten, Bürgermeistern und Landrätinnen, die auf eine bessere Straßenanbindung ihrer Regionen oder die lang ersehnte Autobahnauffahrt für das örtliche Industriegebiet hoffen.

In unzähligen Listen enthält das Dokument neben geplanten Autobahnen und Bundesstraßen auch neue Schienen und Wasserstraßen. Dahinter stehen jeweils fachlich klingende Kürzel: VB steht für „Vordringlichen Bedarf“, sollte also bald gebaut werden. WB steht für „Weiteren Bedarf“, wäre also ganz schön, wird so schnell aber nichts. Kurz nach Erscheinen eines neuen Verkehrswegeplans verabschiedet der Bundestag auf dessen Basis für gewöhnlich sogenannte Bedarfspläne. Damit sind die Bauvorhaben dann Gesetz.

Die aktuelle Version stammt aus dem Jahr 2016, beschlossen noch unter CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer, und gilt bis zum Ende der 2020er Jahre. Das für die Umsetzung benötigte Finanzvolumen wurde bei der Verabschiedung mit 270 Milliarden Euro beziffert. Der Plan enthält mit großem Abstand vor allem eines: Bauvorhaben für Straßen.

Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten – davon will die FDP nichts wissen

Vollkommen überholt sei der Plan, kritisieren Umweltverbände. Bei seiner Aufstellung behandelte die damalige Große Koalition den Klimaschutz noch als Nebensache. Als der Plan beschlossen wurde, hatte Deutschland das Pariser Klimaabkommen noch nicht ratifiziert. In ferner Zukunft lag auch noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Bundesregierung 2021 zu mehr Klimaschutz verdonnerte. „Auch die heute geltenden Ziele des Klimaschutzgesetzes sind darin nicht berücksichtigt“, sagt die grüne Umweltministerin Steffi Lemke der taz.

Autobahn-Gegner*innen argumentieren, dass mit der sich verschärfenden Klimakrise das Verkehrsaufkommen stark reduziert werden müsste. Mit dem Bau von immer neuen Asphaltpisten passiere das Gegenteil. Die Mehrheit der Wis­sen­schaft­le­r*in­nen spricht vom „induzierten Verkehr“: Der Bau von immer mehr neuen Straßen ziehe in der Regel mehr Verkehr nach sich. Kurz: Wer Straßen sät, erntet Verkehr.

Die Logik der FDP da­ge­gen: Gibt es zu viel Stau auf deutschen Straßen, müssen eben zusätzliche Spuren geschaffen oder neue Autobahnen gebaut werden. FDP-Chef Christian Lindner twitterte kürzlich, dass durch Staus und Umwege „unnötig produziertes CO2“ entstünde. Dies mit dem Bau neuer Autobahnen zu reduzieren, ist nach Ansicht der FDP im Sinne des Klimaschutzes.

Im Verkehrsministerium herrscht dazu die Sorge, dass der Wohlstand des Landes sinken könnte, wenn die Verkehrsleistung zurückgefahren wird, künftig also weniger Autobahnen gebaut würden. In fast jeder Rede, die Wissing zum Thema hält, betont er die Rolle des Gütertransports auf der Straße: LKW würden rund zehnmal so viele Waren liefern, als derzeit per Schiene durchs Land gefahren werden. Der Güterverkehr auf der Schiene sei „derzeit viel zu unpünktlich“, sagt der verkehrspolitische Sprecher der FDP, Bernd Reuther, der taz. Um ihn attraktiver zu machen, müsste erst die Pünktlichkeit verbessert werden.

Mit der Antriebswende soll nach Ansicht der Liberalen das größte Problem ohnehin bald vom Tisch sein. Sobald flächendeckend E-Autos und Wasserstofftrucks unterwegs sind, sei der Straßenverkehr ja klimaneutral.

Die Grünen sehen das ganz anders. Sie forderten in ihrem Wahlprogramm, den Bundesverkehrswegeplan „schnellstmöglich“ zu ersetzen, bei der Neuaufstellung die „tatsächlichen Klimakosten“ zu berücksichtigen und die bis 2030 vorgesehenen Autobahnneubauten deutlich zu reduzieren.

In den Koalitionsverhandlungen konnten sie sich damit gegen FDP und SPD allerdings nicht durchsetzen. Statt das Thema durchzukämpfen, ließen sie sich auf eine vage Formulierung im Koalitionsvertrag ein: Man werde einen „Dialogprozess“ mit betroffenen Verbänden starten mit dem Ziel „einer Verständigung über die Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden Bundesverkehrswegeplans“. Perspektivisch werde man dann auf Basis neuer Kriterien einen neuen Plan auf den Weg bringen.

Es sind Sätze, die jede Seite nach eigenem Gusto deuten kann. Für die Grünen rächt sich das jetzt: Es gibt keine Vereinbarung, auf die sie pochen können. Und weil sie sich bei der Regierungsbildung nicht das Verkehrsministerium gesichert haben, haben sie noch nicht mal das Verfahren in der Hand.

Dabei böte sich gerade eine Möglichkeit der Überarbeitung. Die Listen aus dem Bundesverkehrswegeplan und den dazugehörigen Gesetzen müssen alle fünf Jahre überprüft werden. Ginge es nach den Grünen, stünden dabei neue Kriterien im Mittelpunkt.

„Alle Aus- und Neubauvorhaben im Fernstraßennetz müssen auf den Prüfstand“, sagt die Bundestagsabgeordnete Susanne Menge, die bei den Grünen für das Thema zuständig ist. Die Klimaziele und der Kampf gegen Flächenfraß müssten in das Verfahren einfließen. Mache man beim Straßenbau weiter wie bisher, „fahren wir klima- und umweltpolitisch sehenden Auges vor die Wand“.

Stattdessen folgt die aktuelle Bedarfsplanüberprüfung offenbar wieder dem Grundprinzip, mit dem seit Jahrzehnten geplant wird. Um zu sehen, ob die Listen geändert werden müssen, prüfen Ver­kehrs­wis­sen­schaft­le­r*in­nen laut Ministerium in erster Linie, ob die Bauvorhaben noch mit der „Verkehrsentwicklung zusammen passen“ oder nicht. Erneut gilt also: Wo es mehr Verkehr gibt, soll mehr gebaut werden.

Die stark gestiegenen Kosten könnten viele Vorhaben ausbremsen

Der im Koalitionsvertrag erwähnte Dialogprozess hingegen hat für Wissing offenbar keine Eile. Erst im Dezember fand das erste Treffen mit Ver­bands­ver­tre­te­r*in­nen statt. Inhaltlich soll es nach Angaben aus der FDP zwar auch um mögliche Änderungen am aktuellen Bundesverkehrswegeplan gehen. Dass die Realität wohl anders aussieht, zeigt die Einschätzung des BUND.

Aus dem Umweltverband heißt es: Man habe bei der Auftaktveranstaltung keinen Dialog erlebt, sondern einen Monolog des Verkehrsministeriums. Es sei deutlich geworden, dass es Wissing vorrangig um den Bundesverkehrswegeplan 2040 gehe, der in den nächsten Jahren aufgestellt werden könnte, nicht um eine schnelle Aktualisierung des geltenden Plans.

Den Grünen fehlt auch das Druckmittel beim Bundesverkehrswegeplan. Wissing möchte ja nichts ändern. Er könnte versuchen, die Sache auszusitzen. Die bisherigen Planungen liefen dann erst mal weiter.

Am ehesten könnte noch die Macht des Faktischen den Autobahn-Neubau ausbremsen: Planen kann man vieles. Fürs Bauen braucht man aber Geld. Und hier wird es durch Inflation und steigende Baukosten interessant: Die 2016 angesetzten 270 Milliarden würden längst nicht mehr reichen, um alles umzusetzen. Schätzungen gehen von einer Kostensteigerung um die 50 Prozent aus. Etliche Vorhaben müssen also zwangsläufig aufgeschoben werden.

Fragt sich nur, wo die Regierung den Rotstift ansetzt: Gezielt bei den Autobahnen? Oder auch bei der Schiene? Misslich aus Sicht der Grünen: Sie haben der FDP nicht nur das Verkehrsressort überlassen. Die Liberalen stellen auch den Finanzminister.