Hetze von CDU und CSU gegen Bürgergeld: Wer aufrechnet, muss rechnen können

CDU und CSU kritisieren verbissen das Bürgergeld. Sie sollten lieber niedrige Löhne infrage stellen.

Söder und Merz beim Handschlag

Dreamteam gegen das faule Pack: Der Markus und der Friedrich Foto: Reuters/ Lukas Barth

Wenn ich mit Menschen essen gehe, dann ziehe ich es vor, dass am Ende niemand anfängt, groß rumzurechnen. Lieber übernehme ich eine Rechnung, bevor Verlegenheit aufkommt. Ich verlasse mich dann darauf, dass die anderen halt ein anderes Mal zahlen. Und wenn’s dann trotzdem nicht aufgeht: Ja mei. Ich kann Pfennigfuchserei im Namen vermeintlicher Gerechtigkeit nicht ausstehen; verbissene Rumrechnerei, die gern über tatsächliche Vermögensverhältnisse hinwegsieht, aus einer vagen, spießig-paranoiden Angst heraus, irgendwie von irgendwem benachteiligt zu werden.

Genau diese Verbissenheit bestimmt aktuell Debatten über den Nachfolger von Hartz IV, das Bürgergeld: Ab 2023 soll es 502 statt bisher 449 Euro geben. In den ersten sechs Monaten werden Leistungsberechtigte außer bei Meldeversäumnissen nicht sanktioniert, danach können höchstens 30 Prozent gekürzt werden. In den ersten beiden Jahren soll man in seiner Wohnung wohnen bleiben, unabhängig von Größe und Kosten. Auch größere Schonvermögen sind erlaubt, 60.000 plus 30.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied.

Weil die Ampel mit dem Bürgergeld ein bisschen Abstand vom Psychoterror des Hartz-IV-Regimes nimmt, spielen Unionspolitiker jetzt mit ebenjener spießig-paranoiden Angst, benachteiligt zu werden. CSU-Chef Markus Söder verbreitet ein Video in sozialen Medien, in dem er unter der Überschrift in Großbuchstaben „Leistung muss sich lohnen“ die rhetorische Frage stellt: „Ist es in Deutschland so, dass jemand, der arbeitet, am Ende mehr hat als jemand, der nicht arbeitet?“ Auch CDU-Chef Friedrich Merz blieb auf dem Parteitag der Schwester vergangenes Wochenende seinem90er-„Sozialtourismus“-Narrativ treu: Mit dem Bürgergeld mache es „für eine größere Gruppe von Menschen überhaupt keinen Sinn mehr (…), sich einer regulären Beschäftigung im deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen.“

Nun gut, niemand erwartet etwas anderes vom Oberopportunisten Söder, der gestern Bäume umarmt hat, später Kühltürme von Atomkraftwerken und der heute gegen Arme hetzt. Dass Millionär Merz, der mit Privatflugzeugen zu Hochzeiten fliegt, den Bezug zur Realität der Bevölkerungsmehrheit längst verloren hat, das haut einen auch nicht vom Hocker. Bitter wäre es aber, wenn die Ampelparteien dem Spiel mit Ressentiments nachgeben, weil sie die Blockade der Union fürchten. Die droht damit, nach der Parlamentsabstimmung nächste Woche im Bundesrat dagegen zu stimmen. SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat bereits sogenannte Kompromissbereitschaft signalisiert.

Tendenziöse Medienberichte

Dass die Union, deren Po­lit­ike­r:in­nen ihre üppigen Diäten gerne mal mit Maskendeals aufstocken, die leichte Reform von Hartz IV überhaupt so öffentlichkeitswirksam infrage stellen kann, gibt Anlass, über den Resonanzraum ihrer Kampagne nachzudenken. Schließlich ist der neue Bürgergeldsatz weiterhin so niedrig, dass er angesichts aktueller Preisentwicklungen für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreichen wird.

Schließlich wurde schon seit mehr als einem Jahr über das Bürgergeld diskutiert – vom Wahlkampf bis zum Eingang in den Koalitionsvertrag und zuletzt im Rahmen des Kabinettsbeschlusses. Schließlich drehten seitdem alle substanzlosen Ressentiments schon mindestens einmal ihre Runde durch das Land. Dass sie sich jetzt einmal mehr lautstark im Umlauf befinden, zeigt, welche Macht diese Angst hierzulande hat: Da verarscht mich doch jemand!?

Tendenziöse Medienberichte generieren mit ihr Aufmerksamkeit: „Bürgergeld lockt Sozialbetrüger“ (Bild) oder „Wegen Bürgergeld will Handwerker kündigen“ (Focus). In den sozialen Medien lässt sich verfolgen, dass sie verfängt: „Viele werden sich jetzt ebenfalls überlegen, auf Arbeit zu verzichten – lohnt sich ja fast nicht mehr. #Buergergeld“, schreibt eine Nutzerin. Ähnlich andere, die unter dem Hashtag wüten.

Tritt nach unten

Wie bei Merz mischt sich auch bei ihnen immer wieder der Tritt nach unten mit dem rassistischen Narrativ der vermeintlichen „Einwanderung in die Sozialsysteme“. Eine Erzählung, die schon in den 1990er Jahren Flüchtlingsheime und Migrantenwohnungen in Brand gesteckt hat. Wie damals kalkulieren auch heute Politiker wie Söder und Merz diesen menschlichen Schaden mit ein, wenn sie aus machtpolitischen Gründen diffuse, substanzlose Gefühle der Benachteiligung anrufen. Krisen machen das Spiel mit Abstiegsängsten attraktiv.

Po­litiker und Parteien, die eigentlich Interessen von Wohlhabenden vertreten (siehe Positionen zu Vermögens- oder Erbschaftssteuer), hetzen hier Menschen mit wenig Geld gegen andere Menschen mit weniger Geld auf. Mit ihrer Pseudogerechtigkeit versuchen sie, Beschäftige im Niedriglohnsektor gegen jene auszuspielen, die sich derzeit nicht im Niedriglohnsektor ausbeuten lassen können oder wollen. Wer unbedingt am „Arbeit muss sich lohnen“-Ruf festhalten möchte, der müsste dabei gerade niedrige Löhne infrage stellen und nicht das Bürgergeld.

Nicht zu schade für Desinformation

Stattdessen sind sich die Nachuntentreter nicht zu schade, Desinformation zu betreiben: In sozialen Medien verbreitet die CSU Sharepics mit Rechnungen, wonach Menschen, die arbeiten, weniger Geld im Monat zur Verfügung haben als jene, die nicht arbeiten und Bürgergeld beziehen. „Wer nur auf die Regelsätze der Grundsicherung abstellt, argumentiert unseriös“, sagte der Duisburger Sozialwissenschaftler Gerhard Bäcker dem epd über solche Rechnungen. Beschäftigte, die zum Mindestlohn von zwölf Euro arbeiten, hätten möglicherweise noch Anspruch auf Wohngeld, Kindergeld sowie Kinderzuschlag.

Auch Freibetragsregelungen sorgen dafür, dass Erwerbstätige mehr Einkommen haben. Sie können aufstocken. Letzteres ignoriert auch eine aktuelle Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), die ebenso behauptet, Empfänger von Bürgergeld würden in vielen Haushaltskonstellationen besser dastehen als Beschäftigte mit Mindestlohn – auch die Studienautoren argumentieren deshalb unseriös.

Wer so verbissen jeden Cent aufrechnen will, der sollte wenigstens auch rechnen können.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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