Turbulenzen in der Linkspartei: Banalitäten als Provokation
Die Linksfraktion beschließt mehrheitlich Selbstverständlichkeiten. Für das Wagenknecht-Lager ist das aber schon eine Majestätsbeleidigung.
W er wissen will, in welchem Zustand sich die Linkspartei befindet, braucht sich nur anzuschauen, was ihre Bundestagsfraktion nach rund dreistündiger Diskussion am späten Dienstagnachmittag beschlossen hat. Nein, Dietmar Bartsch, Amira Mohamed Ali & Co. haben nichts Skandalöses verabschiedet, ganz im Gegenteil. Ihr „Beschluss über die Arbeitsweise der Fraktion“ enthält eigentlich nur Selbstverständlichkeiten.
Doch in der Linkspartei ist eben nichts mehr selbstverständlich. Weswegen das Wagenknecht-Lager seine Zustimmung zu der Feststellung von Banalitäten verweigert hat. Das zeigt, wie tief die Zerrüttung ist.
Die zentralen Punkte des beschlossenen Papiers: Für die Mitglieder der Linksfraktion bilden das Partei- und Wahlprogramm, sowie die Beschlüsse der Parteitage die Grundlage ihrer Arbeit. Grundsätzlich sollen Redner:innen im Bundestag die Mehrheitsmeinungen der Fraktion vortragen, über die Zuteilung von Redezeiten für davon abweichende Positionen entscheide die Fraktion. Außerdem sollen die Linken-Abgeordneten ihre Pflichten wahrnehmen, was insbesondere die Teilnahme an Fraktions-, Bundestags- und Ausschusssitzungen bedeute.
Das ist nicht mehr als die Definition von Grundstandards parlamentarischer Zusammenarbeit, über die in anderen Fraktionen gar nicht erst diskutiert werden muss. Bei der Linksfraktion schon. Vier Abgeordnete stimmten dagegen, einer enthielt sich. Sahra Wagenknecht stimmte nicht mit. Und Sevim Dağdelen, eine ihrer treuesten Verbündeten, glänzte mal wieder durch Abwesenheit.
Dass der Fanclub der nur per Video zugeschalteten Wagenknecht schon Selbstverständlichkeiten als Majestätsbeleidigung begreift, ist ein Beleg dafür, wie wenig in der Fraktion noch zusammengeht. Trotz aller wortreichen Appelle zum Zusammenhalt, die es auf der Sitzung gegeben hat. Es hat also nichts genützt, dass der Fraktionsvorstand eine eigene Vorlage eingebracht hat, die gegenüber dem – zurückgezogenen – Antrag des Kreises um den bewegungslinken Ex-Parteichef Bernd Riexinger deutlich entschärft war, weil nicht mehr Ross und Reiter genannt wurden.
Wagenknechts bedingungsloses Grundeinkommen
Für Außenstehende ist dadurch die Provokation des Beschlusses nicht einmal wirklich erkennbar. Wer weiß schon, dass Wagenknecht ihren parlamentarischen Pflichten schon lange nicht mehr ernsthaft nachkommt. Sie lässt sich kaum im Bundestag blicken, sitzt in keinem einzigen Ausschuss und zu Fraktionssitzungen kommt sie auch nur selten. Im Grunde nimmt sie für sich bereits – wenn auch weitaus höher dotiert – jenes bedingungslose Grundeinkommen in Anspruch, über das in der Linkspartei gerade per Mitgliederentscheid abgestimmt wird.
Zudem wäre eine Rede, wie die Wagenknechts, in der sie der Bundesregierung vorgeworfen hat, „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun“ gebrochen zu haben, auch weiterhin möglich. Die Fraktion müsste sich nur zuvor mehrheitlich dafür aussprechen, ihrer umstrittenen Ex-Fraktionschefin die entsprechende Redezeit einzuräumen.
Da allerdings wird es spannend. Bislang wird die Linksfraktion dominiert von einem rein machttaktisch begründeten Bündnis der „Reformer:innen“ um Fraktionschef Dietmar Bartsch mit den Wagenknechtianer:innen. Das ermöglichte einen solchen deutschnationalen Auftritt wie den Wagenknechts am 8. September. Doch für Bartsch wird der Gegenwind selbst aus den eigenen Reihen immer stärker. Und er scheint langsam zu begreifen, was die Stunde geschlagen hat.
Dass Bartsch und seine Unterstützer:innen gemeinsam mit dem Kreis um Bernd Riexinger gestimmt haben, ist ein Hoffnungsschimmer. Es ist auch eine Stärkung der Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler.
Bisher war das alleinige Bestreben von Bartsch darauf gerichtet, die 39 Abgeordneten, die derzeit noch für die Linkspartei im Bundestag sitzen, irgendwie zusammenzuhalten. Das ist einerseits nachvollziehbar. Treten nur drei aus, ist der Fraktionsstatus futsch. Andererseits: Zusammenhalten lässt sich nur, was sich nicht schon zur Trennung entschieden hat. Wer sich aber nicht mehr auf Selbstverständlichkeiten der Zusammenarbeit verständigen will, ist dabei, seinen Abschied vorzubereiten. Da helfen auch keine Appelle mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution