EU und die Gaskrise: Kein Plan für den Notfall

Brüssel fällt vorerst nicht mehr ein, als die Temperatur in den Büros zu drosseln und zum Gassparen aufzurufen. Im Ernstfall wird das nicht reichen.

Gashähne in den Landesfarben der Ukraine

Die heikle Frage, ob der Gashahn zuerst bei Industrie oder Verbraucher zugedreht wird, bleibt offen Foto: Martin Schroeder/CHROMORANGE/imago

Zieht euch warm an und dreht die Heizung runter: Das ist die Botschaft im Notfallplan Gas, den die EU-Kommission nächste Woche vorlegen will. Brüssel schlägt vor, wegen der Gaskrise die Heiztemperatur in Büros und öffentlichen Gebäuden auf 19 Grad abzusenken. Außerdem sollen alle Gas sparen. Vorläufig ist es nur ein Entwurf, doch die großen Linien dürften sich kaum noch ändern. Sie zeigen, dass die EU mit ihrem Latein am Ende ist.

Wenn der russische Versorger Gazprom Ernst macht und die Ostseepipeline Nord Stream 1 nicht bald öffnet, haben wir ein Problem. Mit ein paar dicken Pullovern ist es dann kaum noch getan. Ganze Industriebranchen müssen um ihre Existenz bangen, da sie auf Gas als Rohstoff angewiesen sind. Der europäischen Wirtschaft droht der Absturz in die Rezession.

Gerade erst hat die EU-Kommission ihre Wachstumsprognose drastisch nach unten korrigiert. Brüssel ist auf den Ernstfall nicht vorbereitet. Die bisher bekannten Empfehlungen gehen kaum über das hinaus, was die Internationale Energieagentur schon im März gefordert hat: eine Absenkung der Raumtemperatur in öffentlichen Gebäuden.

Viele Details erinnern zudem an Pläne, die derzeit in Berlin diskutiert werden. Nach den versprochenen Alternativen zu Nord Stream 1 sucht man vergebens. Wo bleibt das Flüssiggas aus den USA, Katar oder Japan? Wann kommt der gemeinsame Gaseinkauf zu günstigen Preisen? Was ist mit dem Versprechen, die Märkte zu regulieren und die Verbraucher zu schützen? Außer dem schönen Titel „Safe gas for a safe winter“ enthält der Plan vor allem heiße Luft.

Das Ziel, die Gasspeicher im Herbst zu 80 Prozent zu füllen, wird nicht erreicht werden. Und die heikle Frage, wo der Gashahn im Ernstfall zugedreht wird – in der Industrie oder bei den Verbrauchern – bleibt offen. Jetzt rächt sich, dass die EU immer neue Sanktionen verhängt hat, ohne an Konsequenzen zu denken. Erst boykottieren wir russische Kohle, dann Öl, schließlich das Gas: Das war die Ansage. Das EU-Parlament hat sogar ein totales Energieembargo gefordert, möglichst sofort.

Nun zeigt sich, dass das ein Fehler wäre und dass wir noch lange auf russisches Gas angewiesen sein werden. Auch beim Öl bleibt die EU der größte Abnehmer. Die logische Konsequenz wäre, die Energiesanktionen zu überdenken und sich mit Gazprom an einen Tisch zu setzen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Mag sein, dass das nichts bringt – weil Moskau das Gas als Waffe im Wirtschaftskrieg nutzt. Doch einen Versuch wäre es wert – und besser als der lauwarme 19-Grad-Plan aus Brüssel allemal.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.