Ausfall von Nord Stream 1: Gasspeicher werden wieder angezapft

Der Pipeline-Ausfall geht zulasten der Speicherstände. Auch Frankreich bezieht wegen stillstehender Atomkraftwerke Gas aus Deutschland.

Detail einer Gasspeicheranlage

Wie viel fließt rein, wie viel raus? Ein Erdgas-Untergrundgasspeicher in Bayern Foto: Frank Hoermann/SVEN SIMON/imago

Der Füllstand der Erdgasspeicher in Deutschland sinkt wieder leicht. Seit Mitte der Woche wird nach mehreren Monaten der Einspeicherung erstmals wieder in geringem Maße Erdgas entnommen, wie die Bundesnetzagentur am Donnerstag mitteilte. Der Grund: Die Pipeline Nord Stream 1 wird seit dem 11. Juli gewartet und fällt seither komplett aus. Dieser Schritt war angekündigt; die alljährlich stattfindenden Wartungsarbeiten sollen bis zum 21. Juli andauern.

Seit Mitte März hatte Deutschland den Füllstand seiner Gasspeicher von anfangs 24 Prozent auf zuletzt 64,5 Prozent erhöhen können. Aktuell steht Deutschland damit im Vergleich zum Vorjahr, als zu gleicher Zeit die Speicher nur zu 45 Prozent gefüllt waren, recht gut da. Unklar ist jedoch, ob nach dem 21. Juli wieder Gas über Nord Stream 1 nach Deutschland fließen wird. In ihrem Lagebericht schrieb die Bundesnetzagentur am Donnerstag, die Situation sei „angespannt“, es könne „eine Verschlechterung nicht ausgeschlossen“ werden.

Die Verknappung an Erdgas hat zu steigenden Preisen an den europäischen Märkten geführt. Erdgas zur Lieferung im kommenden Winter wird aktuell für rund 180 Euro je Megawattstunde gehandelt. Vor einem Jahr hatte der Preis noch bei rund 23 Euro gelegen.

Diese Verachtfachung des Großhandelspreises kommt allerdings bei den Haushalten etwas gedämpft an, weil andere Preisbestandteile des Endkundenpreises stabiler sind. Trotzdem werden die gestiegenen Großhandelspreise beim Endverbraucher ankommen. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, warnte bereits vor einer Verdreifachung der Gaspreise für Verbraucher im kommenden Jahr.

Energiesparen wird unvermeidlich

Damit wird das Energiesparen nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch für die Versorgungssicherheit unvermeidlich. Am Donnerstag veröffentlichten zwei Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und die TU Berlin ein gemeinsames Gutachten. Daraus geht hervor, dass bei einem Wegfall der russischen Erdgasimporte das europäische Gasnetz im kommenden Winter nur 75 Prozent jenes Bedarfs decken kann, der im vergangenen Winter herrschte.

Dieses Defizit sei „infrastrukturell bedingt“: Selbst bei ausreichender Verfügbarkeit von Erdgas fehlten Flüssigerdgas-Terminals (LNG-Terminals) und Pipelines, um das Gas in Europa anzulanden und zu verteilen. Immerhin wird bereits gespart in Deutschland: Seit Jahresbeginn liege der Erdgasverbrauch mehr als 10 Prozent unter dem Vorjahreswert, errechnete der Branchenverband BDEW.

Die überwiegenden Importländer sind nach dem Wegfall Russlands nun Norwegen, die Niederlande und Belgien. Deutschland exportiert aber auch Erdgas in Nachbarländer, beziehungsweise leitet dieses durch – zuletzt vor allem nach Tschechien, Österreich, Polen und in die Schweiz.

Auch nach Frankreich floss zuletzt Erdgas aus Deutschland über den Grenzübergangspunkt im saarländischen Medelsheim. Nach Zahlen des Branchenverbands BDEW waren es im vergangenen Monat 1,7 Milliarden Kilowattstunden. Zur Einordnung: Der aktuelle Speicherstand Deutschlands liegt bei rund 156 Milliarden Kilowattstunden.

Mehr Strom aus Erdgas in Frankreich

Frankreich erzeugt derzeit deutlich mehr Strom aus Erdgas als üblich. Im Verlauf des Juli lag der Anteil der Erdgaskraftwerke am französischen Strommix bei 8,6 Prozent gegenüber 3,5 Prozent im Vorjahresmonat. Hintergrund ist der Ausfall zahlreicher Atomkraftwerke wegen Wartungsarbeiten und technischer Probleme. Mangel an Kühlwasser verschärft die Lage inzwischen zudem.

Am Donnerstag kamen die französischen Atomkraftwerke zusammen nur noch auf eine Erzeugungsleistung von 26 Gigawatt. Damit waren nur 42 Prozent der Kraftwerkskapazitäten verfügbar. Beobachter rechnen bereits damit, dass die Jahresproduktion der Reaktoren im Jahr 2022 auf den niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten sinken könnte.

Aber nicht nur Erdgas fließt derzeit aus Deutschland nach Frankreich, sondern auch Strom. In der jüngsten Halbjahresbilanz bezog Frankreich erstmals per Saldo Strom aus Deutschland: Gut 2 Milliarden Kilowattstunden flossen in den letzten sechs Monaten nach Frankreich.

Der Hintergrund der Stromexporte ist offenkundig: In Frankreich liegt das Strompreisniveau im Großhandel seit Monaten wegen des Ausfalls der dort marktdominierenden Atomkraftwerke deutlich höher als in Deutschland. Die Händler kaufen also gerne Strom in Deutschland ein, wo an der Strombörse die Megawattstunde seit Jahresbeginn im Mittel für 192 Euro gehandelt wurde – gegenüber 238 Euro in Frankreich

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.